Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Hedwig Haack
Hedwig Haack
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Hedwig Haack * 1909

Schanzenstraße 73 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
HEDWIG HAACK
JG. 1909
EINGEWIESEN 1926
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 13.10.1943

Hedwig Haack, geb. am 17.10.1909, aufgenommen am 4.1.1926 in die Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 16.8.1943 in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, Tod am 12.10.1943

Schanzenstraße 73

Am 17. Oktober 1909 brachte Frieda Haack, geborene Möller, ihr drittes Kind zur Welt, eine Tochter. Sie erhielt die Namen ihrer späteren Taufpatinnen Hedwig, Minna und Olga; Hedwig war der Rufname. Getauft wurde sie in der evangelisch-lutherischen St. Thomas Kirche in Hamburg-Rothenburgsort, wo der Vater, Johann Haack, als Arbeiter bei den Gaswerken tätig war. Zu Hedwigs zwei älteren Geschwistern gesellten sich drei jüngere, von denen ein Bruder als Kleinkind starb. Hedwigs Entwicklung im Säuglings- und Kleinkindalter unterschied sich nicht von der ihrer Geschwister.

Die Geschwister wuchsen zunächst in Rothenburgsort auf, wo Hedwig auch eingeschult wurde. Die Mutter starb jung an einer Lungenentzündung. Mit der Betreuung von fünf Kindern waren der Vater und seine zweite Ehefrau überfordert. Hedwig wurde im November 1918 vom Hamburger Jugendamt auf die Krankenstation des Waisenhauses eingewiesen. Von dort aus brachte man sie auf Koststellen im Landkreis Harburg unter, wo sie auch die Schule besuchte. Sie fiel durch ihr gutes Gedächtnis auf, dem jedoch eine geringe Auffassungsgabe entgegenstand. Nach acht Volksschuljahren wurde sie aus der sechsten Klasse entlassen.

Seitens der Familien, in denen sie untergebracht war, hieß es gegenüber dem Jugendamt, sie sei willig und freundlich, aber langsam und ungeschickt bei den Arbeiten. Die regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen zeigten keine Auffälligkeiten, doch war ihre körperliche wie geistige Entwicklung nun gegenüber der ihrer Altersgenossinnen verzögert.

Ostern 1924 wurde Hedwig Haack in Harmstorf, einem Dorf in der Nähe Harburgs, konfirmiert. Die Konfirmation mit vierzehn Jahren bedeutete den Eintritt ins Erwerbsleben. Hedwig blieb in ihrer Koststelle und wurde mit einfachen Arbeiten beschäftigt.

Im Juli 1924 erlitt sie erstmals einen epileptischen Anfall, im Frühjahr 1925 begannen sich die Anfälle zu häufen, weshalb sie am 22. April 1925 erneut in der Krankenstation des Waisenhauses in Hamburg Aufnahme fand. Nach einem schweren epileptischen Anfall eine Woche später wurde eine Behandlung mit Luminal begonnen, die weitere Anfälle unterband und nach drei Monaten abgeschlossen wurde.

Wie bei den vorherigen Ortswechseln blieb Hedwig Haack im Wesen unverändert freundlich und umgänglich. Sie war nun 16 Jahre alt und schien dem Arzt ein Entwicklungsstadium erreicht zu haben, das eine Prognose für ihre Zukunft rechtfertigte. "Es hat nicht den Anschein, als ob ihr geistiger Besitz und ihre Fähigkeiten zu nützlichen Arbeiten sich noch bedeutend erweitern werden. Recidive [Rückfälle] der epileptischen Anfälle liegen durchaus im Bereich der Möglichkeit. Dies alles macht sie u.a. unfähig sich im Leben auch nur eine bescheidene Stellung zu erringen. Deshalb wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als Unterbringung in den Alsterdorfer Anstalten."

Am 4. Januar 1926 fand Hedwig Haack Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten. Ihre Schwester Dora aus Jesteburg hielt Kontakt zu ihr. Nach seiner Wiederverheiratung betrieb der Vater, der inzwischen in der Schanzenstraße 73 in Altona wohnte, die Rückkehr seiner Tochter nach Hause und erhielt nach einiger Zeit die nötige Genehmigung des Wohlfahrtsamts. Am 19. Oktober 1926 holte ihr Stiefbruder Hedwig ab. Noch vor Ende des Monats kehrte sie allerdings wegen andauernder Krämpfe auf Wunsch des Vaters nach Alsterdorf zurück, wo sie die zweite Hälfte ihres Lebens verbrachte.

Hedwig Haack war meist eine unauffällige Patientin, die sich und ihre Kleidung sorgfältig pflegte und ein stilles Leben führte. Heftig wurde sie nur, wenn ein Anfall bevorstand oder sie sich angegriffen fühlte. Ihr vertraute Hausarbeiten erledigte Hedwig sorgfältig, neue Aufgaben übernahm sie ungern. Offenbar bestand 1928 noch Kontakt zur Familie, denn als Hedwig kurz hintereinander an Lungenentzündung und Grippe erkrankte, informierte die Anstaltsleitung die Familie und wies auf die täglichen Besuchszeiten hin.

Im April 1933 erhielt Hedwig Haack einen Brief von ihrem Bruder Paul aus Kirch Jesar bei Ludwigslust, wo er seit 1928 in Diensten des Pastors stand. Er freue sich auf den Fackelumzug am 1. Mai und fühle sich wie alle im Dorf der NSDAP verbunden. Großen Kummer bereitete Hedwig, dass weder ihr Vater noch die Geschwister sie besuchten, obwohl die Anstaltsleitung und die Oberin darum baten. Mitpatientinnen versuchten vergeblich sie zu trösten, indem sie ihr von ihren Geschenken etwas abgaben.

Im Laufe der Jahre nahmen ihre Kräfte aufgrund der immer wieder auftretenden epileptischen Anfälle und akuter Krankheiten ab, und aufgrund einer Wirbelsäulenverkrümmung nahmen Rückenschmerzen zu. Als sie körperlich für Hausarbeiten zu schwach war, wurde sie mit Näharbeiten beschäftigt.

Mit 30 Jahren begann sie bewusst unter dem Rückgang ihrer Kräfte zu leiden und weinte oft darüber. Zwei Jahre später hieß es seitens des Pflegepersonals, sie sei so schwach, still, friedlich und fleißig, dass sie auf der Abteilung kaum zu bemerken sei, doch sei sie sehr achtsam in ihrer persönlichen Pflege. Das blieb so bis kurz vor ihrem Tod.

Nach der teilweisen Zerstörung der damaligen Alsterdorfer Anstalten in den ersten Augusttagen des Jahres 1943 wurden mehrere hundert Patientinnen und Patienten in "luftsichere" Gebiete verlegt. Zum dritten Transport, mit dem 228 Mädchen und Frauen in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien geschickt wurden, gehörte auch Hedwig Haack. Es bestand kein Kontakt mehr zu Angehörigen.

Kurz vor dem Abtransport aus Alsterdorf hatte sich Hedwig Haack bei einem Anfall am rechten Unterschenkel und Knöchel verletzt. Sie berichtete dem aufnehmenden Arzt in Wien davon, ohne eine Erinnerung an den eigentlichen Anfall zu haben. Zu dem Aufnahmegespräch gehörte ein Orientierungstest. Sie beantwortete die Fragen nach dem Grund für ihre Verlegung richtig, wusste aber nicht, wo sie sich nun befand. Elementares Wissen gab sie, nach einigem Nachdenken, wieder. Die Diagnose lautete "Epilepsie bei Imbezillität", mittlerer Schwachsinn.

Hedwig Haack erkrankte Ende September 1943 an einer Wundrose, die geheilt wurde. Nur sechs Tage später war sie so schwach, dass sie das Bett nicht verlassen und nichts mehr selbstständig erledigen konnte. Die Epilepsieanfälle häuften sich und ließen sie benommen zurück. Der 12. Oktober 1943 begann für Hedwig Haack beschwerdefrei, abgesehen von Fieber und ihrer Schwäche. Gegen die Epilepsie wurden ihr Cardiazol-Tropfen verabreicht, ein heute nicht mehr gebräuchliches Mittel; doch konnte sie die Tropfen nicht mehr schlucken. Kurz nach Mitternacht starb sie an einer Lungenentzündung, wie durch die Obduktion bestätigt wurde. Hedwig Haack wurde 33 Jahre alt.

Stand September 2015

© Hildegard Thevs

Quellen: AB Hamburg; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, V 331; Wunder u. a., Auf dieser schiefen Ebene.

druckansicht  / Seitenanfang