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Laura Mathilde Fontheim (geborene Drucker) * 1875
Alsterkamp 25 (Eimsbüttel, Harvestehude)
HIER WOHNTE
LAURA MATHILDE
FONTHEIM
GEB. DRUCKER
JG. 1875
ENTRECHTET / GEDEMÜTIGT
FLUCHT IN DEN TOD
16.7.1942
Weitere Stolpersteine in Alsterkamp 25:
Ivan Fontheim
Ivan Fontheim, geb. 1.11.1861 in Hamburg, in den Tod getrieben am 16.7.1942 in Hamburg
Laura Mathilde Fontheim, geb. Drucker, geb. 10.3 1875 in Koblenz, in den Tod getrieben am 16. Juli 1942 in Hamburg.
Ivan Fontheim ist am 1. November 1861 in Hamburg zur Welt gekommen und am 16. Juli 1942 durch eine Veronalvergiftung ebenfalls in Hamburg aus dem Leben geschieden. Mit ihm starb seine Ehefrau Laura, geborene Drucker, mit der er seit Januar 1897 verheiratet war.
Was wissen wir über die Zeit und seinen Lebensweg zwischen diesen beiden Daten? Die Eltern von Ivan Fontheim, Mendel Moses Fontheim und Henriette, geb. Jonas, stammten auch aus Norddeutschland, nämlich aus Diepholz und Elmshorn. Sie hatten in Hamburg im Juli 1844 geheiratet; seit April 1849 besaß M. M. Fontheim den Bürgerbrief der Stadt Hamburg. Bereits im März 1847 hatte er ein Handelsgeschäft eintragen lassen. Laut Adressbucheintrag 1850 besaß er ein Druck-, Leinen- und Manufacturgeschäft.
Ivan hatte mindestens eine große Schwester, nämlich Betty, geboren im Dezember 1850, von der wir nur wissen, dass sie 1881 den Kaufmann Otto Hirsch heiratete. Zu dieser Zeit lebte die Familie in der Schäferkampsallee 29; im Geburtseintrag von Ivan ist zudem die Kontoradresse Großer Burstah 25 angegeben.
Ivan Fontheim trat selbst erstmals im Jahr 1882 geschäftlich in Erscheinung: er betrieb einen Colonialwarenhandel en gros unter der Geschäftsadresse Alterwall 55, wo auch der Manufacturwarenhandel seines Vaters verzeichnet war. Offensichtlich verstarb Mendel Moses Fontheim in diesem Jahr, seine Firma war im Jahr 1883 bereits aus dem Adressbuch verschwunden und Ivans Mutter residierte fortan als Witwe in der Schäferkampsallee 61.
Das Geschäft von Ivan Fontheim zog in die große Reichenstraße 11 um, bald kam ein Stand in der Börse dazu und zu den Colonialwaren en gros eine Reismühle. Aus dem Juni 1883 stammt die Eintragung der Firma Ivan Fontheim ins Handelsregister, der Betrieb vergrößerte sich kontinuierlich mit Schwergewicht auf der Reis- und Ölkuchenmühle. Eng verbunden war Ivan Fontheim seit früher Zeit mit Henry Franz Michaelis und Robert Andreas Böning, die ab 1893 zeitweise mit Prokura, später als Mitgesellschafter den Aufstieg der Firma begleiteten. Später lagen Büroräume in der Mattentwiete und ab 1906 bis 1918 im Alsterdamm, am Neuen Wall, am Rathausmarkt und ab 1924 im Schopenstehl 1–3; die Reismühle stand in der Idastraße in Hammerbrook. 1906 pachtete die Firma vom Senat eine große Fläche am Billhorner Röhrendamm/Stillhornerdamm dazu, die über Fleete und einen Gleisanschluss erschlossen wurde. In den 20er Jahren wurde die dortige Reiskuchenmühle zu einer großen Ölkuchenmühle erweitert. Die Firma Ivan Fontheim Ölkuchenmühle gehörte in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu den drei bedeutendsten Futtermehlmühlen in Hamburg. Ivan Fontheim hatte einen festen Platz an der Getreidebörse, auch seine Mitgliedschaft im Verein der Getreidehändler der Hamburger Börse ist bis 1933 überliefert.
Der wirtschaftliche Aufstieg wirkte sich auch auf die Wohnverhältnisse aus: wohnte die Familie zunächst in St. Georg (Borgfelde 1) in einem größeren Mietshaus, folgte 1901 der Umzug in ein feineres Mietshaus nach Harvestehude in die Werderstraße 65 und 1907 erwarb Ivan Fontheim eine Villa im Alsterkamp 25. Hier lebte die Familie mit mehreren Dienstboten. Geschäftspartner äußerten im späteren Wiedergutmachungsverfahren, das Vermögen Ivan Fontheims dürfte sich auf mehrere Millionen RM belaufen haben.
Nach der Heirat in Koblenz 1897 war im Oktober 1897 den Eheleuten Fontheim eine Tochter geboren worden, Elsie. Sie blieb das einzige Kind und wuchs in luxuriöser Umgebung mit der Perspektive heran, aufgrund des großen Reichtums ihrer Eltern nie arbeiten zu müssen, sodass sie – in ihren eigenen Worten – keiner Berufsausbildung bedurfte.
Im August 1920 heiratete sie den Briten Bernard Bergl und zog mit diesem nach London. Dort bekam das Paar zwei Töchter, nämlich Helen Margaret im März 1923 und Dorothy Adeline im Dezember 1924. Durch die Ehe hatte auch Elsie die britische Staatsangehörigkeit erhalten, die Töchter wurden als Britinnen geboren. Von langer Dauer war das eheliche Glück allerdings nicht: 1926 kehrte Elsie Bergl, geborene Fontheim, mit der Tochter Dorothy zu den Eltern nach Hamburg zurück. Sie reichte die Scheidung ein und wurde 1929 geschieden. Die ältere Tochter blieb in England, Bernard Bergl war wohl britischer Militärattaché, zeitweise an der Botschaft in Berlin, wo seine Tochter Dorothy ihn als Kind noch besuchen konnte.
Die Eheleute Fontheim lebten fortan mit Tochter und Enkelin zusammen. Obgleich für die Erziehung der Enkelin stets ein Kinderfräulein beschäftigt wurde, erinnert sich Dorothy Marsh an viele gemeinsame Ausflüge mit ihrem Opa, z.B. nach Travemünde oder regelmäßige Spaziergänge auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Selbst über die Reeperbahn ging Ivan Fontheim einmal mit Dorothy, zur Sicherheit in bescheidener Kleidung und in Begleitung des langjährigen Chauffeurs. Offensichtlich waren Fontheims engagierte Großeltern, die sich um die Erziehung des Kindes selbst kümmern wollten. Stolz zeigte der Großvater dem Kind seinen Sitz an der Börse und auch an ein gemeinsames Büro mit einem Herrn Warburg erinnert sie sich, wo die Schreibmaschine der Sekretärin in ihren Augen die Hauptattraktion war.
Bis weit in die 1930er Jahre hinein herrschte im Alsterkamp 25 ein reges gesellschaftliches Leben mit großen Abendgesellschaften. Laura Fontheim spielte im Musikraum auf dem Flügel. Ivan Fontheim war stolz auf seinen Weinkeller. Er sammelte antike Schnupftabakdosen und goldene Uhren. Gleichzeitig liebte er seinen Garten und dort insbesondere die Dahlien, um die er sich – obgleich ein Gärtner beschäftigt wurde – am liebsten selbst kümmerte. Monatelange Ferien in der Schweiz mögen der Gicht, an der Ivan Fontheim gelitten hat, geschuldet gewesen sein – vielleicht sind sie aber auch ein Anzeichen, dass die Familie das Leben zu genießen wusste.
Eine Anbindung an die jüdische Gemeinde gab es dabei nicht, jüdische religiöse Traditionen spielten ebenfalls für Ivan Fontheim keine Rolle. Nach der Erinnerung seiner Enkelin Dorothy hatte er "mit Religion nichts am Hut". Allerdings hat Ivan Fontheim, obwohl er am 15. Juni 1888 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten war, zumindest die Errichtung des Kinder-Erholungsheimes Wilhelminenhöhe in Blankenese der Deutsch-Israelitischen Gemeinde durch Spenden unterstützt. Zudem ging eine jährliche Rente von 15 Goldmark schon seit dem Ende des 19.Jahrhunderts an die St. Anschar Kapelle, eine reformfreudige Kirchengemeinde in der Nähe des Valentinskamp.
Gefeiert wurden jedenfalls Weihnachten und Ostern, gegessen wurden Schweinefleisch und Austern. Ein ausgeprägt kosmopolitische Gesinnung scheint die gesellschaftlichen Kontakte von Ivan Fontheim geprägt zu haben, es waren viele Konsulatsangehörige aus aller Herren Länder im Hause oft zu Gast und auch die Erziehung von Dorothy war eher britisch orientiert. Sie selbst hatte keinerlei Bewusstsein, jüdisch zu sein, fühlte sich aber stets als Britin. In späteren Jahren durfte das Kind das Haus nicht mehr alleine verlassen und trug stets einen kleinen Union Jack am Mantel – quasi als Schutz und Warnung zugleich.
Unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, nämlich am 31. März 1933, schied Ivan Fontheim aus der Firma Ivan Fontheim Ölkuchenmühle aus, die von den beiden Mitgesellschaftern Henry Michaelis und Robert Böning unter dem neuen Namen Hamburger Ölkuchenmühle fortgesetzt wurde. Zwar hatte es in der entsprechenden Geschäftsanzeige geheißen, der Firmengründer hege aufgrund seines hohen Alters den Wunsch, sich von den Geschäften zurückzuziehen. Zu diesem Zeitpunkt war Fontheim 72 Jahre alt. Im Wiedergutmachungsverfahren äußerten seine ehemaligen Partner aber übereinstimmend und deutlich, dass Ivan Fontheim 1933 rüstig und tatkräftig war und "als Nichtarier" ausgeschieden sei. Die Tendenz des Nationalsozialismus sei ihm voll und ganz klar gewesen, weshalb er sich gezwungen gesehen habe, aus der Firma auszuscheiden, die ja dann auch zur Vermeidung des jüdischen Namens umbenannt worden sei. Zuvor schon habe es "Besuche" der Gestapo in Fontheims Privathaus gegeben.
Nach 1933 erstarb das gesellschaftliche Leben langsam. Die Fontheims kannten viele Familien, die als Juden oder Ausländer das Land verließen und die Bedrohung durch die NS-Diktatur war wohl öfter Thema am Abendbrotstisch. Aber Ivan Fontheim äußerte immer wieder die Überzeugung, er werde aufgrund seiner Stellung und seiner Verdienste nichts zu befürchten haben ...
Tatsächlich waren auch die Eheleute Fontheim sogleich Objekt der Ausplünderungsstrategie des NS-Staates in Gestalt der "Sühneabgabe". Im April 1939 gaben sie auf Anforderung der Devisenstelle eine Vermögenserklärung ab, wonach sie noch ein Vermögen aus Wertpapieren, Schmuck, Kunstwerken von rund 500.000 RM besaßen. Durch "Sicherstellungsanordnung" bereits im März 1939 war ihnen die Verfügung über ihre Bankkonten entzogen worden. Zunächst durfte Ivan Fontheim noch über monatlich 2.000 RM ohne besondere Genehmigung verfügen, im Herbst 1939 war dieser Betrag schon auf 850 RM herabgesetzt worden. Alle Extraausgaben mussten einzeln beantragt werden – egal, ob für eine neue Perücke für Frau Fontheim im August 1941 oder für nach einem englischen Fliegerangriff zerstörte Fensterscheiben. Möglicherweise hatten die Machthaber auch andere Juden bei Fontheims zwangseingewiesen, jedenfalls finden sich Abrechnungen über Umbaukosten für beschlagnahmten Wohnraum im Januar 1941 ebenso in den Unterlagen wie Kosten für Koks "für Wohnung des Landgerichtsdirektors Leo ... Schönfeld" im Januar 1942.
Ivan Fontheim war offensichtlich trotz seiner eigenen schlimmen Lage noch bemüht, anderen zu helfen. So beantragte er im Mai 1941 die Bewilligung von 68,45 RM Notarkosten für ein beglaubigtes Leumundszeugnis für den mittellosen Oberarzt Dr. Bonheim, der sich auf dem Weg in die USA befinde und dieses dort benötige. Die Kosten wurden bewilligt.
Im Januar 1939 waren Tochter und Enkeltochter der Fontheims nach Sydney, Australien gereist. Als britische Staatsangehörige bedurften sie dafür keiner Erlaubnis, mussten hingegen die mitzunehmenden Dinge penibel auflisten. Sie nahmen nur Bekleidung mit. Ivan Fontheim versuchte immer wieder, seiner Tochter, für deren Konten er Vollmacht hatte, Geld nach Australien zu überweisen, was nicht gelang. Weiter als bis zu einem "Ausländersperrkonto" bei der Deutschen Bank ging die Transaktion nicht. Elsie Bergl versuchte sich in Australien durch Sprachunterricht über Wasser zu halten. Kontakt zu den Eltern gab es noch durch Briefe über die Schweiz. Zudem hielt wohl das letzte Kindermädchen der kleinen Dorothy, "Fräulein" Annie Scharfenberg, bis zum Schluss den Fontheims die Treue und besuchte sie regelmäßig.
Am Morgen des 16. Juli 1942 wurden die Eheleute tot in ihren Betten aufgefunden, sie hatten sich gemeinsam mit Veronal das Leben genommen. Neben dem Bett lag ein Zettel, dass beide verbrannt werden wollten. Gefunden worden waren sie von einem ehemaligen Dienstmädchen, das noch gelegentlich zu Besuch kam. Eine im Souterrain wohnende (ehemalige?) Angestellte gab nach den Polizeiakten folgendes zu Protokoll: "Sie haben schon immer gesagt, wenn sie evakuiert werden sollen, lieber aus dem Leben zu scheiden, da beide krank seien. Das Ehepaar sollte nun eine kleinere Wohnung beziehen und das Inventar des Hauses sollte morgen, 17.7.1942 versteigert werden. Der Umzug wurde aber dann plötzlich untersagt und das Ehepaar nahm deswegen an, dass sie jetzt mit evakuiert werden sollen und werden deshalb zum Selbstmord gegriffen haben."
Tatsächlich waren beide nachträglich auf eine Deportationsliste für den Transport von Hamburg nach Theresienstadt am 19. Juli 1942 gesetzt worden. Der Deportationsbefehl hatte sie aber nicht mehr erreicht. Er war am 17. Juli 1942 beim Testamentsvollstrecker Jean Bantz eingegangen. Dies führte dazu, dass selbst nach dem verbrecherischen NS-Recht, wonach mit der Zustellung des Deportationsbefehls sämtliches Eigentum dem Deutschen Reich zufiel, dies mit dem Fontheimschen Vermögen eigentlich nicht der Fall war.
Vielmehr war mit dem Tod der Eltern die Alleinerbin, die britische Tochter Elsie, Eigentümerin geworden. Tatsächlich meldete sich auch ein mutiger Rechtsanwalt, der sich nur noch "Konsulent" nennen durfte, erst beim Oberfinanzpräsidenten in Hamburg und im Dezember 1942 mit einer Eingabe an den Reichsinnenminister und verlangte, die Einziehung des Vermögens incl. Grundstück rückgängig zu machen, es werde dann als feindliches Auslandsvermögen angemeldet.
Zwischenzeitlich hatte die NSDAP-Gaufrauenschaft sich die Villa der Fontheims schon angeeignet. Im August 1943 nahm jedoch das "Amt für kriegswichtigen Einsatz" das Haus für ausgebombte "Gefolgschaftsmitglieder" in Anspruch, zu Kriegsende wohnten dort mindestens 36 Personen. Der mutige Anwalt war am 8. Juni 1943 "abgeschoben" worden, damit hielt die Gestapo das Eigentumsproblem für erledigt.
Fontheims Tochter Elsie blieb in Australien und starb mit 81 Jahren 1977 an einem Herzinfarkt in Surfers Paradise.
Die ältere Enkelin Margaret, die in England geblieben war, lebte nach dem Krieg in Spanien, zog aber später nach Australien, wo sie 1999 bei einem Autounfall getötet wurde.
Enkelin Dorothy arbeitete nach dem Krieg rund zwei Jahre für die US-Armee in Deutschland, bevor sie nach Canada und später USA zog. Sie lebt heute in Arizona.
Stand Juli 2015
© Carola v. Paczensky
Quellen: StaH 522-1_696 f Jüdische Gemeinden Geburtsregister 1861–1865; StaH 331-5_3 Akte 1942/1256 Unnatürliche Sterbefälle; StaH 231-3_A6 Bd 8 Nr. 2284 Handelsregister; StaH 332-5_2627 Heiratsregister Nr.566 1881 III; StaH 111-1_37972 Grundstückspacht; StaH 351-11_20146 Wiedergutmachungsakte Elsie Berkeley; StaH 314-15_23 Vermögensverwertung; StaH314-15_V1/16 Grundstücksbeschlagnahme; StaH 314-15_FVg 3258 Dorothy Bergl; 314-15_F 131 Elsie Bergl; 314-15_R 1939/2142 Vermögensbeschlagnahme; StaH 522-1 JüdGemeinde 770b; StaH 522-1 Jüd. Gemeinde 992e 2 Bd 5; Digitalisierte Telefon- und Adressbücher Hamburgs, http://agora.sub.uni-hamburg.de; Jahresberichte des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse 1925-1933; Schreiben der Enkeltochter Dorothy Marsh, geb. Bergl, vom 26.3., 26.4. und 6.5.2014 an die Verfasserin; Dorothy Marsh Collection, Veterans History Project, American Folklife Center, Library of Congress Washington DC, USA.