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Bertha Hecht * 1895
Palmaille 1 (Altona, Altona-Altstadt)
HIER WOHNTE
BERTHA HECHT
JG. 1895
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"
Bertha Hecht, geb. 28.8.1895 in Altona, ermordet am 23.9.1940 in der "Landes-Pflegeanstalt" Brandenburg an der Havel
Stolperstein Hamburg-Altona-Altstadt, Palmaille 1 (ehemals Breitestraße 177)
Charlotte Hecht, geb. 8.2.1893 in Altona, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz/Litzmannstadt, ermordet
Stolperstein Hamburg-Harvestehude, Isestraße 79
Jacob Hecht, geb. 18.10.1896 in Altona, ermordet am 25.3.1942 im KZ Groß-Rosen
Stolperstein Hamburg-Harvestehude, Beim Schlump 9
Flora Gaden, geb. Hecht, geb. 3.11.1897 in Altona, Freitod am 16.7.1942
Stolperstein Hamburg-Rotherbaum, Bundesstraße 43 (geplant)
Bertha Hecht war das dritte von sieben Kinder des jüdischen Ehepaares Hermann Hersch und Rywka (Regine) Hecht, geborene Waldmann.
Das Ehepaar besaß die österreichische Staatsangehörigkeit. Es war um 1890 aus Lemberg nach Altona eingewandert. Hermann Hersch Hecht war von Beruf Buchhalter. In Altona arbeitete er in seinem Fach und als "Schuhwarenagent", d. h. als Vertreter für Schuhwaren.
Vor Bertha wurden Josef Hecht am 10. Dezember 1887 wahrscheinlich in Lemberg und Charlotte Hecht am 8. Februar 1893 in der ersten Mühlenstraße 33 in Altona geboren. Nach ihr kamen Jacob Hecht am 18. Oktober 1896, Flora Hecht am 3. November 1897, Rosalie Hecht am 25. Februar 1899 und schließlich Lea Hecht am 23. August 1901 in der Palmaille 1 zur Welt. Lea starb bereits am Tag nach ihrer Geburt.
Bertha Hecht absolvierte die Schule bis zur ersten Klasse (damals die höchste Klassenstufe). Sie lernte gut. Anschließend war sie zunächst als Haustochter und dann einige Jahre als Kontoristin tätig. Mit der Einbürgerung ihres Vaters im November 1915 erlangte sie wie die gesamte Familie die preußische Staatsangehörigkeit.
Bis 1922 galt Bertha Hecht zwar als eigensinnig, jedoch als völlig gesund. Dann veränderte sie sich und wirkte auf ihre Verwandten zeitweise deprimiert. Sie erlebte Erregungszustände, die sich bis zu Gewalttätigkeiten gegen Familienangehörige steigerten. Als sie sich einbildete, verheiratet zu sein und viele Kinder zu haben, wurde sie am 4. Oktober 1925 in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses Altona aufgenommen. Einen Monat später, am 4. November, kam sie in die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke (Jacoby’sche Anstalt) in Bendorf-Sayn bei Koblenz, weil – wie es hieß – das Krankenhaus sie nicht mehr verpflegen wollte. Nach fünf Monaten, am 16. April 1926, kehrte Bertha Hecht in das Krankenhaus Altona zurück. Mit der Diagnose "Einfache Seelenstörung" begründete das Krankenhaus die Notwendigkeit ihrer Aufnahme in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in Neustadt in Holstein, die am 24. April 1926 vollzogen wurde.
Bertha Hechts Vater versuchte, den Kontakt zu seiner Tochter aufrecht zu erhalten und erkundigte sich nach ihrem Zustand. Auch die Geschwister sorgten sich um Berthas Wohlergehen. Im August 1927 wurde Bertha von Angehörigen auf Urlaub geholt und sechs Tage später wieder in die Anstalt zurückgebracht.
Am 17. Februar 1928 starb Berthas Mutter. Als auch Berthas Vater am 28. Januar 1936 im Israelitischen Altenhaus in der Blücherstraße 20 in Altona verschied, übernahm Jacob Hecht, einer der Brüder, die Pflegschaft für seine Schwester. Er beschwerte sich im März verärgert bei der Direktion der Anstalt in Neustadt über die ausgebliebene Antwort auf ein Schreiben vom 26. Februar 1936: "Ich darf es ruhig als das Elementarste bezeichnen, wenn ich verlange, dass man mir Aufschluss über das Leben sowie Treiben und Behandlung meiner Schwester in dem dortigen Heim gibt. Wenn sich Ihr Verhalten nicht ändert, dann kann ich auch die ungemütliche Seite zeigen und beissen Sie alsdann in jedem Falle bei mir auf Granit." Weitere Einträge fehlen in Bertha Hechts Neustädter Krankenakte. Sie lebte dort bis 1940.
Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Jüdinnen und Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt in Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Jüdinnen und Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.
Bertha Hecht traf am 13. September 1940 in Langenhorn ein. Ihre Krankenakte enthält den Vermerk "13.9.40 entlassen nach Langenhorn ungeheilt auf Anordnung des Herrn Reichsminister des Innern."
Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 in einem Transport von insgesamt 136 Menschen nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).
Auf dem Geburtsregistereintrag von Bertha Hecht wurde notiert, dass das Standesamt Chelm II ihren Tod unter der Nummer 311/1941 am 10. Februar 1941 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.
Weitere Mitglieder der Familie Hecht kamen im Holocaust ums Leben.
Charlotte Hecht arbeitete wie ihre Schwester Bertha als Kontoristin. Sie war seit dem 30. September 1937 erwerbslos und wechselte mehrmals ihre Wohnadresse. Zuletzt wohnte sie in der Isestraße 79 bei der Witwe H. Kuppermann. Hier erhielt sie den Deportationsbefehl und musste sich im Logengebäude an der Moorweidenstraße einfinden. Charlotte Hecht wurde am 25. Oktober 1941 mit insgesamt 1034 Jüdinnen und Juden in das Getto "Litzmannstadt” (Łódź) verschleppt. Für Charlotte Hecht liegt ein Stolperstein in der Isestraße 79 in Hamburg.
Jacob Hecht arbeitete als Handelsvertreter. Die letzte von ihm bekannte Adresse lautet Beim Schlump 9. Er wurde während der "Juni-Aktion" 1938 verhaftet und im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingesperrt. Vom 23. Juni bis 21. Dezember 1938 hielt man ihn im Konzentrationslager Sachsenhausen gefangen. Nach seiner Entlassung flüchtete er 1939 nach Belgien, befand sich aber ab dem 21. September 1940 erneut im Konzentrationslager Sachsenhausen in Gefangenschaft. Von dort brachte man ihn am 9. September 1941 in das Konzentrationslager Groß-Rosen, in dem er am 25. März 1942 ums Leben kam. An ihn erinnert ein Stolperstein in der Straße Beim Schlump 9.
Flora Hecht heiratete am 12. August 1922 den Kaufmann und Protestanten Arthur Gaden. Die Ehe wurde 1936 geschieden. Die Scheidungsgründe sind nicht überliefert. Flora litt stark unter den Verfolgungsmaßnahmen der NS-Regierung. In ihrer Wohnung in der Bundesstraße 43 nahm sie eine Überdosis Schlafmittel und starb am frühen Morgen des 16. Juli 1942 im Jüdischen Krankenhaus Johnsallee 54. Für sie ist ein Stolperstein in Hamburg-Rotherbaum, Bundesstraße 43 geplant.
Rosalie Hecht heiratete am 14. Januar 1933 den nichtjüdischen kaufmännischen Angestellten Walter Hansen. Die Ehe wurde bereits am 8. Januar 1934 geschieden – aus rassischen Gründen, wie Rosalie Hansen später erklärte. Sie wohnte zuletzt in der Straße Schulterblatt 84a bei Sasse und wurde am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Rosalie Hansen überlebte das Konzentrationslager und erklärte 1950 an Eides statt: "Ich war bis November 1944 im KZ Riga, dann gingen wir mit der SS auf Transport nach Thorn. Dort wurden wir in der Festung 13 untergebracht. Dort waren wir bis Dezember, dann kamen wir in die Vorstadt Thorn in ein Lager. Dort blieben wir bis ca. 22. Januar 1945. Dann wurden wir weitergetrieben zu Fuss über die Weichsel und waren ungefähr am 25. Januar in Bromberg. In einem Dorf bei Bromberg hat die SS uns sitzen lassen und wir wurden von den Russen befreit. Weil dies Kriegsgebiet war, konnten wir zunächst nicht abtransportiert werden und blieben 6 Wochen dort. Dann wurden wir mit einem russischen Lazarettzug nach Lublin gebracht, wo wir am 24. Februar ankamen. Von Lublin gings nach Kattowitz, von Kattowitz nach Prag, von Prag nach Karlsbad, von Karlsbad nach Leipzig, von dort nach Berlin und von Berlin, nach Durchschleusung in Segeberg, nach Hamburg, wo wir am 29. Oktober 1945 ankamen."
Ihre Entschädigungsansprüche wurden zurückgewiesen, "da die Antragstellerin weder ihre Erbeslegitimation nachgewiesen noch irgendwelche Angaben zur Begründung dieser Entschädigungsanträge gemacht hat."
Bertha Hechts Bruder Josef war mit seinen Eltern nach Altona gekommen. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil. Sein weiteres Schicksal kennen wir nicht.
Stand: November 2017
© Ingo Wille
Quellen: 1; 4; 5; 9; AB, StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 5370 Sterberegister Nr. 278/1928 Rywka Hecht geb. Waldmann, 5247 Sterberegister Nr. 1802/1901 Lea Hecht, 5402 Sterberegister Nr. 318/1936 Hersch Hecht, 6290 Geburtsregister Nr. 2604/1895 Bertha Hecht, 6301 Geburtsregister 3274/1879 Anna Flora Hecht, 6279 Geburtsregister Nr. 489/1893 Charlotte Hecht, 6296 Geburtsregister Nr. 3198/1896 Jacob Hecht, 8180 Sterberegister Nr. 337/1942 Flora Gaden geb. Hecht, 13002 Geburtsregister 616/1899 Rosalie Hecht, 13678 Geburtsregister Nr. 2435/1901 Lea Hecht, 13953 Nr. 19/1933 Heiratsregister Hansen/Hecht; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 22608 Charlotte Hecht, 22513 Rosalie Hansen; K 4446 Meldekartei der Stadt Altona, hier: Hermann Hersch und Berta Hecht; Landesarchiv Schleswig LAS Abt. 377 Nr. 802 Patientenakte Bertha Hecht. Schabow, Dietrich, Die israelitische Heil und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Bendorf (Jacoby’sche Anstalt, 1869–1942) und die spätere Verwendung der Gebäude, in: Rheinisches Eisenkunstguss-Museum (Hrsg.), Die Heil- und Pflegeanstalten für Nerven- und Gemütskranke in Bendorf, Bendorf-Sayn 2008, S. 55–95.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".