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Selma Heilbut (geborene Wahler) * 1904

Julius-Leber-Straße 16 (Altona, Altona-Nord)


HIER WOHNTE
SELMA HEILBUT
GEB. WAHLER
JG. 1904
DEPORTIERT 1941
RIGA-JUNGFERNHOF
ERMORDET 26.3.1942

Weitere Stolpersteine in Julius-Leber-Straße 16:
Alfred Heilbut, Karl Heilbut, Rudolf Heilbut, Hannchen Wahler

Hannchen Wahler, geb. Maier, geb. 4.2.1872 Schöllkrippen/Bayern, 19.7.1942 deportiert nach Theresienstadt, 1942 nach Treblinka, dort ermordet

Selma Heilbut, geb. Wahler, geb. 8.8.1904 Schöllkrippen/Bayern, 6.12.1941 deportiert nach Riga, Jungfernhof, ermordet 26.3.1942

Alfred Heilbut, geb. 25.3.1929 Hamburg, 6.12.1941 deportiert nach Riga, Jungfernhof, ermordet 26.3.1942

Karl Heilbut, geb. 24.4.1931 Hamburg, 6.12.1941 deportiert nach Riga, Jungfernhof, ermordet 26.3.1942

Rudolf Heilbut, geb. 16.4.1934 Hamburg, 6.12.1941 deportiert nach Riga, Jungfernhof, ermordet 26.3.1942

Julius-Leber-Straße 16 (Altona)

Nebeneinander aufgereiht liegen die fünf Stolpersteine vor dem Haus Julius-Leber-Straße 16 (früher Lessingstraße 16) in Altona. Hier hat die jüdische Familie Heilbut zusammen mit Hannchen Wahler knapp zehn Jahre lang gelebt, hier haben die drei Jungen ihre Kindheit verbracht.

Ihre Großmutter Hannchen Wahler, geb. Maier, war am 4.2.1872 in Schöllkrippen/Bayern geboren worden. In dem Ort bestand seit dem 17. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde. Einige jüdische Dorfbewohner betätigten sich als Viehhändler, so auch der Vater von Hannchen. Sie war die Tochter von Täubchen (Therese) Maier, geb. Berberich, (1841-1921), und David Maier (1840-1896). Über ihre Geschwister oder eine schulische bzw. berufliche Ausbildung ist nichts bekannt.

Hannchen Wahler heiratete in ihrem Geburtsort am 7.8.1899 den Religionslehrer (Karl) Karlmann Wahler. Vom Beruf des Ehemannes ausgehend kann angenommen werden, dass die Familie religiös lebte und die jüdischen Gebote beachtete. Karlmann Wahler war am 24. Juni 1867 in Hörstein/Bayern als Sohn der Eheleute Isaak Wahler (gest. 1912) und Sarah, geb. Mannheimer (gest. 1888), geboren worden. Wie schon sein Vater Isaak betätigte sich auch Karl Wahler als Religionslehrer.

Hannchen und Karl Wahler hatten fünf Kinder, die bis auf einen Nachzügler in Schöllkrippen geboren wurden. Bis in die 1940er Jahre überlebten nur zwei ihrer Kinder: Arthur war das zweite Kind, am 13.12.1901 geboren, studierte später Mathematik in Würzburg und Köln. Drei Jahre später – am 8.8.1904 – war die einzige Tochter zur Welt gekommen, Selma. Anzunehmen ist, dass sie eine jüdische Schule bzw. Religionsschule besuchte.

Wann die Familie aus Schöllkrippen verzogen ist, ist nicht bekannt, ebenso wenig, wie lange sie dann in Steinach/Saale lebten. Von dort meldeten sich die Eheleute Wahler im Mai 1923 nach Neustadt/Saale ab, wo sie eine Wohnung in der Storchenstraße 141 bezogen.

Im August 1923 meldete sich auch die 19jährige Selma unter der Adresse ihrer Eltern in Neustadt an. Vorher hatte sie in Halberstadt gelebt, wo eine bedeutende jüdische Gemeinde existierte, und dort möglicherweise die Schule abgeschlossen. Aus dem Abmeldeformular geht hervor, dass Selma bayerische Staatsangehörige, israelitischer (jüdischer) Religion und ledig war. Unter der Rubrik "Stand oder Gewerbe" war das Wort "Stütze" eingetragen, d.h. sie arbeitete im Haushalt. 1927 verbrachte sie einige Zeit in Hamburg, vermutlich bahnte sich die spätere Eheschließung mit dem Kaufmann Jacob Heilbut an. Im August d.J. meldete sie sich nach Neustadt ab, wo sie wieder bei ihren Eltern wohnte. In Neustadt fand am 10. April 1928 auch die Trauung des Paares statt. Als Trauzeugen fungierten Selmas Vater und Bruder. Die Heiratsurkunde beschreibt Selma als berufslos.

Ihr Ehemann Jacob Heilbut war neben Alfred Neumann Mitinhaber der Firma A. Neumann & Co. Sie betätigten sich als Platz- und Exportvertreter für die Holz- und Möbelbranche. Der Hauptsitz der Firma lag am Neuenwall 64-66. Anscheinend gab es eine weitere Hamburger Filiale in der Marktstraße 35, die zeitweise auch als Wohnung genutzt wurde.

Jacob Heilbut war am 5.5.1892 in Altona als Sohn der jüdischen Eheleute Friederike Rieckchen, geb. Cohn und Adolph Heilbut geboren worden. Der Vater war lt. Adressbucheintrag "Auctionator u. Taxat." von Beruf, d.h. er fungierte neben der Versteigerung von Sachwerten auch als Taxator, also Schätzer, bei der Wertermittlung. Die Familie lebte inzwischen in der Schauenburgerstraße12a I. in Altona. Jacob hatte mindestens noch fünf Geschwister: Jette (geb. 1885), Moritz (geb. 1886), Adele (geb. 1890), Philip (geb. 1895) und Siegfried (geb. 1902), die im Viertel zwischen Fischmarkt und dem früheren Altonaer Rathaus geboren worden waren, d.h. in der Kirchenstraße und Großen Mühlenstraße. Unweit befand sich die Große Altonaer Synagoge. Auch die Familie Heilbut war anscheinend religiös, Jacob und seine Brüder zahlten bis in die 1940/41 Jahre Steuern an die jüdische Gemeinde. Anzunehmen ist, dass Jacob Heilbut die Talmud-Tora-Schule am Grindelhof besucht hatte.

Der 8. Mai 1928 war ein Feiertag innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Das Fest Lag BaOmer findet im Frühling statt und hat einen fröhlichen Charakter. Diesen Tag wählten Jacob und Selma Heilbut für ihre Hochzeitsfeier in Altona. In der Zeitschrift Der Israelit hatten als "Vermählte" ihre Trauung angezeigt und ins Altonaer Gesellschaftshaus Pabst eingeladen, das an der geschäftigen Königstraße 135 lag. Die erste gemeinsame Wohnung der Eheleute befand sich wohl in der Goethestraße 10, entsprechend Jacobs Adresse auf der Heiratsurkunde.

1930 zogen sie in die nahe gelegene Lessingstraße 16 III. Das Haus reihte sich ein in eine Zeile im Gründerzeit- bzw. Jugendstil mit prächtigem Fassadenschmuck und Treppenstufen am Aufgang. Wer hier wohnte, war gut situiert. Gleich gegenüber lag das Gymnasium (Oberlyzeum) der Stadt Altona und wer die Ecke zur Gerichtsstraße passierte, konnte einen Blick auf das Altonaer Landgericht werfen, dem sich das Amtsgericht Altona anschloss. Ob die Bewohner der Lessingstraße 16 sich über die junge Familie mit dem 1929 in Hamburg geborenen Sohn Alfred freuten, wissen wir nicht. Anzunehmen ist, dass die Nachbarschaft konservativ geprägt war. In dem Haus wohnten lt. Adressbuch 1932 ein Major a.D., ein Steuerrat, ein Geschäftsführer, ein Konteradmiral a.D., ein Maurer, ein Konpastor (zweiter Pastor), eine unverheiratete Frau und eine Privatiere (d.h. sie lebte von ihrem Vermögen).
Besonders viele Kinder scheint es innerhalb der Hausgemeinschaft nicht gegeben zu haben. Das änderte sich nun. Die Heilbuts bekamen 1931 und 1934 noch die Söhne Karl und Rudolf. Die Geburt eines Sohnes – den Namen von Rudolf nannten sie in der Anzeige nicht – zeigten die Eltern 1934 im Israelitischen Familienblatt an.

1931/32 zog Selmas Mutter, Hannchen Wahler, zur Familie in die Lessingstraße. 1931 war Karl Wahler in Neustadt/Saale verstorben. Er hatte seit 1923 an der jüdischen Schule (israelitische Volksschule) von Neustadt unterrichtet und war 1926 zum Oberlehrer befördert worden. Seine Beisetzung fand im März 1931 unter großer Anteilnahme der jüdischen Gemeinde, seinen Schülern und Schülerinnen sowie Behörden- und Regierungsvertretern statt.
Die nun alleinstehende Hannchen Wahler zog nach Altona, um ihre Tochter bei Kindererziehung und Haushaltsführung zu unterstützen. Sie bezog eine Pension, trat der jüdischen Gemeinde bei und zahlte von 1931 bis 1940 Kultussteuern.

Die Einschulung der drei Heilbut-Kinder fand bereits unter dem NS-Regime statt. Es ist davon auszugehen, dass sie die Talmud-Tora-Schule besuchten.

Auch Jacobs lediger Bruder Philip Heilbut zog zur Familie in die Lessingstraße. Vorher hatte er in der Nähe, in der Goethe- und Körnerstraße, gewohnt. Im Februar 1938 traten Jacob und Philip Heilbut aus der jüdischen Gemeinde aus. Möglicherweise bestand zu dieser Zeit die Aussicht auszuwandern, was jedoch nur ihr Bruder Moritz verwirklichte, so dass sie weiter Kultussteuern zahlten.

1939 verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Familien Heilbut/Wahler erheblich. Im Februar hatten sie die Kennkarten für Juden (mit aufgedrucktem J) erhalten. Ferner hatten sie zusätzliche Vornamen (Sara und Israel) bei den Standesämtern eintragen lassen müssen. Im April wurden sie gezwungen, die Wohnung in der Lessingstraße 16 zu verlassen, da es Juden gesetzlich verboten war, in einer "arischen" Hausgemeinschaft zu leben. Sie zogen in die Breitestraße 46 II. oberhalb des Altonaer Fischmarkts, zusammen mit Hannchen Wahler und Philip Heilbut. Zudem erließ die Devisenstelle Hamburg am 4. April 1939 eine vorläufige "Sicherungsanordnung" gegen Jacob Heilbut, seine Frau und die Kinder. Eine freie Verfügung über Bankkonten oder Wertpapiere sollte damit unterbunden werden. Lediglich ein von der Behörde genehmigter monatlicher Geldbetrag zum Lebensunterhalt – meist knapp bemessen – wurde ihnen noch gewährt.

Im Jahr 1940 sollte sich die Situation der Familie weiter verschärfen, obwohl es anfangs nicht danach aussah. Jacob Heilbut hatte viel dafür getan, die Auswanderung der Familie nach New York/USA voranzutreiben. So übersandte er im Mai des Jahres der Devisenstelle noch ausstehende Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die bestätigten, dass keinerlei finanzielle Forderungen gegen ihn bestanden. Oder wie es die Behörde formulierte: "Reste an Steuern, Zuschlägen, Strafen, Gebühren und Kosten sind gegenwärtig nicht vorhanden."

In einem Brief erwähnte Jacob Heilbut einen bevorstehenden Termin am 22. Mai beim amerikanischen Generalkonsul. Weiter schrieb er an die Devisenstelle: "Ich bin leider nicht in der Lage Ihnen schon heute meine Umzugslisten einreichen zu können". Er werde es in den nächsten Tagen nachholen. "Ich bitte Sie in Anbetracht der Kürze der Zeit … mir die Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Erlangung des Passes zu erteilen." Da von nur einem Pass die Rede war, stellt sich die Frage, ob er vorerst allein in die USA reisen und die Familie später nachkommen lassen wollte. Das dürfte nicht mehr zu klären sein. Denn einen Monat später – am 24.6.1940 – starb Jacob Heilbut in der Breitestraße 46 an einem Herzinfarkt im Alter von 48 Jahren. Damit war seine Familie auf sich allein gestellt, die Auswanderung stand zur Disposition und konnte nicht mehr durchgeführt werden.
Den Tod Jacobs hatte sein Bruder Siegfried Heilbut beim Standesamt Altona angezeigt.

Jacobs Familie wohnte weiter in der Breitestraße 46. Dort erhielten seine Frau und Kinder auch den Befehl für die Deportation nach Riga. Der Zug fuhr am 6.12.1941 mit insgesamt 974 Personen vom Hannoverschen Bahnhof (heute Gedenkort Hafencity) ab. Auf der von der Gestapo erstellten Liste sind die Namen nummeriert: Alfred wurde unter der Nr. 231 gelistet, Karl unter Nr. 232, Rudolf unter Nr. 237 und ihre Mutter Selma Heilbut unter der Nr. 238. Unter den Abgeschobenen befand sich auch der Hamburger Oberrabbiner Josef Carlebach mit seiner Frau und seinen jüngeren Kindern. Bei der Ankunft in Riga konnten die Hamburger jedoch nicht in das Gettogebiet gebracht werden, denn Erschießungskommandos waren noch dabei, die derzeitigen Bewohner zu ermorden. So wurden sie zum nahe gelegenen Staatsgut Jungfernhof verbracht. Dort hausten sie mit später Eingetroffenen aus anderen Städten in Viehställen, Baracken und einer Scheune, waren Hunger und Kälte schutzlos preisgegeben. Am 26. März 1942 wurden noch etwa 2000 Überlebende im unweit von Jungfernhof entfernten Hochwald erschossen. Anzunehmen ist, dass Selma und ihre Kinder zu den Mordopfern gehörten.

Hannchen Wahler war in Hamburg zurückgeblieben. Auch gegen sie war am 27.6.1941 eine "Sicherungsanordnung" erlassen. Sie war verpflichtet, den Gegenwert von Hypotheken-Valuta auf ein Konto bei der Hamburger Sparkasse Altona einzuzahlen. Dem kam sie im Juli und August nach, indem sie die Hypotheken löschen ließ und die Gelder auf das Konto des Jüdischen Religionsverbandes in Hamburg bei der Bank Brinckmann, Wirtz & Co. überwies. Die Hypotheken lagen auf zwei Grundstücken in der Lerchenstraße in Altona. Dieser Maßnahme war eine andere vorausgegangen: Bereits im Frühjahr 1938 mussten Juden ihr Vermögen anmelden, wenn dieses 5.000 Reichsmark überstieg. Nach dem Novemberpogrom hatten sie dann eine sogenannte Sühneleistung für die Schäden in vier Raten bis zum 15. August 1939 an ihr Finanzamt abzuführen. In der Verordnung hieß es, dass weitere Zahlungen abgefordert werden konnten, wenn auf diese Weise die Gesamtsumme von einer Milliarde Reichsmark nicht erreicht würde. Tatsächlich wurde mit einer weiteren Verordnung eine fünfte Rate verlangt, die zum 15. November 1939 fällig wurde. Hannchen Wahler lieferte Wertpapiere in Höhe von RM 597 und ein Bankguthaben von RM 1305 ab, um ihren Anteil an der Vermögensabgabe aufzubringen.

Wir wissen nicht, ob Hannchen Wahler in der Breitestraße 46 allein lebte, nachdem ihre Tochter und die Enkelsöhne deportiert worden waren. Philip Heilbut war inzwischen in ein sogenanntes Judenhaus in Altona, Sonninstraße 14 (heute Biernatzkistraße) gezogen. Sein Bruder Siegfried wohnte in der Nr. 16 und betätigte sich als Hauswart. Die Nummerierungen 12-16 wurden bis 1941 von der Salomon Joseph und Marianne Hertz-Stiftung verwaltet. Danach mussten sie – wie alle Immobilien jüdischer Stiftungen – der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland mit der Zentrale Berlin übereignet werden.
Den Deportationsbefehl für Minsk am 8.11.1941 erhielt Philip Heilbut im Judenhaus in der Beneckestraße im Grindelviertel.

Die siebzigjährige Hannchen Wahler blieb noch von der Deportation zurückgestellt, bis im Juli 1942 die sogenannten Alterstransporte aus Hamburg begannen. Die Aufforderung, sich zur Sammelstelle für die Deportation VI/2 nach Theresienstadt einzufinden, erhielt sie unter der Adresse Breitestraße 46.

Der Zug mit 801 Personen verließ Hamburg am 19.7.1942 und erreichte das Getto Theresienstadt am Folgetag. Hannchen Wahler war unter der Nr. 719 in der Liste aufgeführt. Sie blieb nur etwa zwei Monate dort, bis sie unter der Nr. 488 in den Transport Br eingereiht wurde. Dieser verließ Theresienstadt am 26.9.1942 und war der vierte einer Reihe von acht Transporten mit kranken und alten Juden ins Vernichtungslager Treblinka. Der Deportationszug erreichte das Ziel am 28. oder 29. September mit 2004 Häftlingen aus Theresienstadt, ausschließlich Juden, die zuvor aus Deutschland und Österreich in das Getto deportiert worden waren. Ihr Durchschnittsalter betrug 72 Jahre.

In Treblinka wurden die Ankommenden kurz nach der Ankunft des Zuges angewiesen, Kleidung und Wertsachen abzulegen. Nachdem das unter großem Zeitdruck geschehen war, denn Zeit zum Nachdenken war nicht vorgesehen, trieben SS-Leute und Hilfskräfte sie in die Gaskammern. Im Vernichtungslager Treblinka wurden bis zu 1 Million Juden ermordet, zu ihnen gehörte auch Hannchen Wahler.

Auch Jacobs Schwestern Jette und Adele Heilbut wurden am 6.12.1941 nach Riga deportiert. (Ein Stolperstein für Jette/Jettchen Heilbut befindet sich in der Grindelallee 184. Siehe auch Biografie www.stolpersteine-hamburg.de).

Moritz Heilbut war verheiratet und hatte einen Sohn. Er emigrierte 1938 nach Palästina.

Auch seinem Bruder Siegfried Heilbut gelang die Auswanderung mit Frau und Tochter.

Selmas Bruder Arthur Wahler lebte in Hindenburg/Oberschlesien und wurde an einen unbekannten Ort deportiert.

Noch während des Krieges wiesen jüdische Hilfs- und Restitutionsorganisationen darauf hin, dass Vermögen und Eigentum der beraubten bzw. ermordeten Juden Europas vom Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches zu entschädigen oder rückzuerstatten sei. Da in Deutschland nach Kriegsende nur noch wenige rechtmäßige Eigentümer am Leben waren, die Rückforderungen stellen konnten, vertraten jüdische Organisationen die Ansprüche und Interessen der Opfer. Sie schlossen sich zur Jewish Trust Corporation (JTC) zusammen. Jüdisches Vermögen sollte registriert und wenn möglich ihren früheren Besitzern oder deren Erben zurückgegeben werden. War kein Eigentümer oder Erbe mehr ausfindig zu machen, so sollte das Eigentum den überlebenden Juden zugutekommen. Für die ermordete Hannchen Wahler ließen sich offenbar keine Erben mehr ausfindig machen. So vertrat die JTC posthum ihre Interessen gegenüber dem Deutschen Reich. Defacto verhandelten die Hamburger Behörden OFD/Devisenstelle und Amt für Wiedergutmachung mit A. Landsberg, dem Regionalmanager der JTC, die ein Zweigbüro in Hamburg, Mohlenhof, unterhielt.

Die OFD bestritt in Hannchen Wahlers Fall den Vermögensentzug. Denn dass der Betrag auf dem "Sicherungskonto" identisch mit dem zwangsweise an den Jüdischen Religionsverband überwiesenen gewesen sei, könne nicht belegt werden. Letztlich zog die JTC alle Rückerstattungsanträge, die sie mit Datum 15.12.1951 für Hannchen "Sara" Wahler gestellt hatte, wieder zurück, und zwar im November 1953 und im Mai 1954.

Hannchen Wahler war ausgeraubt, deportiert und ermordet worden. Ihr Vermögen wurde den überlebenden Juden vorenthalten und von den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland als nicht rückerstattungsfähig erklärt. Dieser zweite Raub fand etwa 10 Jahre später statt, unter Beteiligung derselben Hamburger Behörden.

Stand: März 2025
© Astrid Louven

Quellen: Adressbuch Hamburg 1930, Adressbuch Altona 1892, 1932, 1928; StaHH 314-15 FVg 8128 + 8620; StaHH Rückerstattung 213-13_15415 + 213-13_16948; StaHH 332-5_5422 Sterbefälle Altona; Deportationen aus Hamburg http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger.html; https://collections.yadvashem.org/de/deportations/5091986; https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/35535-hannchen-wahler/; Online-Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/; Astrid Louven, Die Juden in Wandsbek 1604-1940 Spuren der Erinnerung, Hamburg 1989/91, S. 231; Astrid Louven/Ursula Pietsch, Stolpersteine in Hamburg-Wandsbek mit den Walddörfern, Hamburg 2008, S. 100; Mails von Joachim Hahn, Allemania Judaica vom 29.1., 1.2.2025; Der Israelit vom 3.5.1928; Israelitisches Familienblatt vom 17.5.1934; Mails von Thomas Künzl, Stadtarchiv Bad Neustadt/Saale vom 4.2.2025 mit Akte Karlmann Wahler; Heiratsurkunde Heilbut/Wahler Stadtarchiv Bad Neustadt/Saale, Mail von Silvia Schmidt vom 13.3.2025; Datenbank Jüdisches Unterfranken https://juf.stadtarchiv-digital.de/render/85?IdNr=2133; Datenbank JU https://juf.stadtarchiv-digital.de/render/85?IdNr=1976; Über Lehrer Karl Wahler https://www.alemannia-judaica.de/neustadt_saale_synagoge.htm.

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