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Philipp Auerbach * 1906
Brahmsallee 17 (Eimsbüttel, Harvestehude)
HIER WOHNTE
PHILIPP AUERBACH
JG. 1906
FLUCHT 1936 BELGIEN
INTERNIERT SAINT-CYPRIEN
DEPORTIERT 1944 AUSCHWITZ
KZ BUCHENWALD
BEFREIT
FLUCHT IN DEN TOD 1952
Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 17:
Leopold Appel, Aron Auerbach, Henny Schwabe, Julius Schwabe
Hans-Hermann Klare: Rede zur Einweihung der Stolpersteine für Aron und Philipp Auerbach am 22. Juni 2024, Brahmsallee 17 Hamburg-Harvestehude
Aaron Auerbach war Kaufmann gewesen. Er handelte vor allem mit Chemikalien, Metallen und Erzen. Bis zur Weltwirtschaftskrise liefen die Geschäfte so gut, dass er seinen Sohn Philipp nach einer Ausbildung zum Drogisten nicht bloß zum Prokuristen gemacht hatte, sondern ihn auch nach Spanien schicken konnte, um sich in Salamanca nach Geschäften mit dem seltenen Wolfram umzusehen.
Vater von neun Kindern, lebte Aaron Auerbachs Familie ein orthodoxes Leben im Grindelviertel. Deshalb engagierte er sich in der Talmud-Tora-Schule, damals eine Realschule, zu der er seinen Sohn Philipp schickte. Deshalb gehörte er dem Vorstand eines Vereins an, der sich für rituelle Speisehäuser für Juden stark machte. Deshalb kümmerte er sich für die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch nach Hamburg kommenden Ostjuden, die vor den Pogromen des untergehenden Zarenreichs geflohen waren.
Orthodoxie - das bedeutete nicht bloß regelmäßigen Gang zur Synagoge, den Sabbat zu respektieren und dem Glauben entsprechendes Essen. Der Vater ließ es sich auch nicht nehmen, mit den Kindern regelmäßig zu beten. Und es traf ihn tief, als einer seiner älteren Söhne seinen Austritt aus der Religionsgemeinschaft verkündete, weil er nicht an einen Gott glauben konnte. Man hatte diesem Sohn den Namen Zelig gegeben, nach dem Großvater, der Rabbiner in Halberstadt gewesen war. Zelig sollte das Leben dieses verstorbenen Vorfahren gewissermaßen fortsetzen. Doch dann entschied er sich gegen die Religion und seine Eltern. Sein Vater Aaron vor allem erklärte ihn gewissermaßen für tot. Man saß vermutlich Shiva, trauerte sieben Tage um diesen Zelig, der sich von nun an Walter nannte, und verbot den Kindern jeden Umgang mit ihm.
Umso wichtiger wurde Philipp. Das galt auch, als Philipp nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ins Exil nach Belgien ging. Dazu später mehr. Dort baute der Sohn auf der Basis seiner Geschäftserfahrungen in der Firma des Vaters einen Handel mit Chemikalien und Metallen auf und unterhielt dazu auch Beziehungen zu der nun kleinen Firma seines Vaters und seines mit diesem zusammenarbeitenden ältesten Bruders Eli. Das wurde vor allem Aaron Auerbach zum Verhängnis.
Im April 1938 stand die Gestapo früh morgens vor der Wohnungstür in der Hansastraße. Sie verhaftete Aaron und Eli und brachte beide ins Kolafu, ins Konzentrationslager auf dem Gelände des Gefängnisses in Fuhlsbüttel, das man für Regimegegner geschaffen hatte. Eine Augenzeugin im Haus gab später zu Protokoll: "Wenn ich ehrlich sein soll, sah es so aus, als würden Verbrecher einen anständigen Menschen abführen."
Aaron und Eli standen im Verdacht, Waffenschmuggel und -produktion für feindliche Mächte zu betreiben, indem sie Philipp in Belgien dabei halfen, diese Materialien nach Spanien zu verschiffen. Dort herrschte gerade Bürgerkrieg. Die Volksfront kämpfte gegen die Faschisten und ihren Staatsstreich unter der Führung des Generals Franco. Dafür erhielt die Volksfront Hilfe aus ganz Europa, von linken Gruppierungen, nicht zuletzt von Juden, die sich freiwillig als Kämpfer anboten. Denn ihnen war klar, dass ein Sieg Francos die Lage der Juden noch weiter verschlimmern würde. Daran beteiligte sich Philipp Auerbach auf seine Weise.
Belgische Fremdenpolizei und Gestapo kamen ihm auf die Schliche und verdächtigten Philipps Vater Aaron, an diesem Landes- und Hochverrat beteiligt zu sein. So wurde Aaron Auerbach ins KZ geschafft. Darüber gibt es keinerlei Unterlagen mehr. Sie sind verschwunden oder wurden vernichtet. Aber man muss davon ausgehen, dass ein Häftling – solch schwerer Vergehen beschuldigt – im Kolafu so behandelt wurde, wie es üblich war. Die Verhöre gingen mit Drohungen, Tritten und brutalem Verprügeln einher. Die Liste der dort misshandelten 1500 Häftlingen ist lang. Während die beiden Auerbachs verhört wurden, räumten Unbekannte die Wohnung in der Hansastraße aus und nahmen Geschirr, Besteck und Möbel mit.
Offensichtlich fanden die Gestapo-Beamten keinerlei handfeste Beweise für den Verdacht von Hoch- und Landesverrat. Und auch in den Verhören hatten Aaron und Eli Auerbach nichts gestanden, und sei es nur aus Furcht vor weiterer Gewalt. Denn im Jahr 1939 schaffte es Eli, aus der Haft entlassen zu werden und noch vor Kriegsbeginn in die USA auszureisen.
Aaron Auerbach war solch glückliches Davonkommen nicht beschieden. Nach Wochen in einer erbärmlich kalten und feuchten Gefängniszelle ging es ihm so schlecht, dass man ihn ins jüdische Krankenhaus schaffte. Dort starb er bereits im Juli 1938 an den Folgen einer Urämie. Blut in den Nieren konnte verschiedene Ursachen haben. In seinem Fall wurden ihm das Kolafu und die dort tätigen Nazi-Schergen zum Verhängnis. Aaron Auerbach wurde 69 Jahre alt.
Philipp Auerbach war, wenn das Wort im Zusammenhang mit Vernichtungslagern nicht zynisch klingt, ein Überlebenskünstler. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Belgien im Mai 1940 verhaftet und nach Frankreich deportiert, überlebte er diverse Lager in Südfrankreich, Gestapo-Gefängnis und -verhöre in Berlin sowie Auschwitz und Buchenwald. Wenn wir heute seiner gedenken und einen Stolperstein für ihn enthüllen, dann deshalb, weil er von den Nazis gewissermaßen zur Strecke gebracht wurde, als das Regime Hitlers bereits sieben Jahre Vergangenheit war.
1906 geboren, engagierte sich der junge Philipp Auerbach nach einer Ausbildung zum Drogisten in den 20er Jahren der Weimarer Republik neben seiner Arbeit im Geschäft des Vaters auch politisch. Im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold marschierte er mit, um den Rechten von Stahlhelm und SA oder den Linken im Rotkämpferbund nicht die Straße zu überlassen. Er glaubte im Gegensatz zu diesen an ein demokratisches Deutschland und trat, kaum erwachsen geworden, auch als Redner bei Kundgebungen in der Umgebung Hamburgs auf, im Alten Land und in der Heide, wo vor allem die SA wachsenden Zulauf hatte. So war klar, dass seine Zeit mit Beginn der Nazi-Diktatur in Deutschland zu Ende ging. Jude und Demokrat zu sein war gefährlich geworden.
Philipp Auerbach ging bereits Ende 1934 ins Exil nach Antwerpen, holte bald seine Frau und seine kleine Tochter nach und baute dort einen Chemikalien-Handel auf. Als die Faschisten des General Franco in Spanien die Macht übernahmen, unterstützte Philipp Auerbach die Volksfront gegen den Diktator nicht nur ideologisch, sondern praktisch. Er lieferte ihnen, wenngleich verboten, Material zum Bau von Bomben und Granaten. Das Deutsche Reich entzog ihm und seiner Familie deshalb die deutsche Staatsbürgerschaft, während es für seinen Vater – wie beschrieben – zunächst schlimmere Konsequenzen hatte.
Als die Wehrmacht im Mai 1940 Belgien überfiel, begann mit der Deportation seine Odyssee des Leidens. Während es seiner Familie nach Monaten gelang, ihn im Lager Gurs nahe der Pyrenäen ausfindig zu machen und schließlich sogar Visa für die Ausreise nach Kuba zu bekommen, mussten sie Philipp Auerbach zurücklassen. Schwer krank und bettlägerig sah ihn seine Frau Martha zum letzten Mal, bevor sie über Marseille und Lissabon ein Schiff über den Atlantik bestieg. Philipp Auerbach wurde bald darauf an die Deutschen ausgeliefert, womöglich in Abwesenheit zum Tode verurteilt oder zumindest mit dem Tod bedroht, nach Berlin geschafft und schließlich im Sommer 1944 nach Auschwitz transportiert.
Dies ist nicht der Augenblick zu erzählen, wie es ihm gelang, die Vernichtungslager zu überleben. Es war, kurz gesagt, eine Kombination aus glücklichen Umständen und einem ungeheuren Überlebensinstinkt. Selbst den Todesmarsch aus Auschwitz, bei dem etwa die Hälfte der KZ-Insassen starb, überstand er trotz eisiger Kälte, schießwütiger SS-Leute und großen Hungers.
Und er gehörte zu den wenigen Juden, die nach dem Ende des Nazi-Regimes trotz seiner schrecklichen Erlebnisse an eine Zukunft für die Juden auch in Deutschland glaubte. Dort machte man ihn 1946 zum Staatskommissar für politisch, rassisch und religiös Verfolgte in der amerikanischen Besatzungszone. Er wurde damit, befördert von der US-Militärverwaltung, zum wichtigsten Fürsprecher der sogenannten DPs, der Displaced Persons, der Überlebenden der Todeslager, die es nach Bayern verschlagen hatte. Mit einer Behörde, die er dort aufbaute, half er etwa 100 000 Juden zunächst mit dem Nötigsten, also mit Unterkunft, Kleidung und Verpflegung zu versorgen. Später kümmerte er sich um Visa zur Ausreise vor allem nach Palästina und um die Wiedergutmachung des begangenen Unrechts.
Es mochte verdienstvoll sein, sich um die oft kranken, stets verarmten, immer traumatisierten Überlebenden der Vernichtungslager zu kümmern. Es machte Philipp Auerbach zu einem unbequemen Mann. Er erinnerte die Deutschen beständig an das, was sie zu vergessen suchten: an die Verbrechen der Deutschen. Und er stellte Forderungen: Nach Wiedergutmachung und Entschädigung. Zudem fand er, ein demokratisches Deutschland könne nur entstehen, wenn Nazis aus dem Staatsdienst dieses Landes ferngehalten wurden. Damit machte er sich viele Politiker zum Feind, deren Biografien nicht so sauber waren, wie sie die Besatzungsbehörden und die Öffentlichkeit glauben machten. Auerbach wurde zum Störenfried.
Solange die Militärverwaltung der Amerikaner ihre schützende Hand über ihn hielt, wagten die deutschen Politiker nicht, gegen ihn vorzugehen. Doch je unabhängiger die Bundesrepublik wurde, umso größer die Attacken. Er bekam nicht bloß Hassbriefe. Die Berichterstattung über den prominenten jüdischen Funktionär in den Zeitungen war nicht ohne antisemitische Untertöne. Das galt nicht nur für konservative Medien. Auch der Spiegel oder Christ und Welt waren nicht frei davon.
1951 wurde Philipp Auerbach verhaftet, angeblich weil er sich als Behördenchef bereichert hatte, weil er korrupt war, weil er bestach und sich bestechen ließ. Wenn man sich die Berichte von damals ansieht, glaubte offenbar keiner an seine Unschuld. 1952 kam es zum Prozess. Seine Richter waren allesamt ehemalige Nazis. Der Versuch von Auerbachs Anwälten, sie wegen Besorgnis der Befangenheit gegenüber einen KZ-Überlebenden und jüdischen Funktionär von einem solchen Verfahren auszuschließen, scheiterte. Dabei hatten alle drei Richter während der Nazi-Zeit Karriere gemacht und galten gleich nach dem Krieg als für das Richteramt ungeeignet. Mit den Weihnachtsamnestien in Bayern von 1948 und 1949 hatte man sich entschlossen, mit solchen Juristen nachsichtig zu sein. Man machte sie wieder zu Staatsbeamten. Und der bayrische Justizminister sorgte dafür, dass nicht der nach Dienstplan vorgesehene Richter, sondern ein ihm bekannter Jurist das Verfahren leitete.
In den vier Monaten des Prozesses am Landgericht München Eins brachen alle wesentlichen Vorwürfe zusammen. Bereicherung konnte man ihm nicht nachweisen. Auerbach war tatsächlich arm wie eine Kirchenmaus. Und der entscheidende Zeuge, auf den sich das Urteil stützte, stand während des Auerbach-Prozesses bereits an anderer Stelle in München wegen Meineids vor Gericht und verlor kurz darauf sein Recht, als Zeuge in einem Prozess auszusagen.
Trotzdem verurteilten die Richter Philipp Auerbach zu zweieinhalb Jahren Gefängnis und zu einer Geldstrafe. Zweieinhalb Jahre für das zunächst unberechtigte Führen eines Doktor-Titels und für schlampige Buchführung im Chaos der Nachkriegszeit – das war nicht nur für Auerbachs Familie und Freunde grotesk. Denn kurz zuvor hatte man einen Nazi-Funktionär und Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, bei der die sogenannte Endlösung der Juden einst geplant worden war, wegen die Teilnahme an der Ermordung von über 1300 Juden gerade mal zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Philipp Auerbach nahm sich noch in der Nacht des Urteilsspruches im August 1952 das Leben. Er hinterließ zwei Abschiedsbriefe. Einen für die Öffentlichkeit. Der endete mit einem alttestamentarischen Fluch: "Mein Blut komme auf das Haupt der Meineidigen."
Der Brief an seine Familie aber endete: "Nicht aus Feigheit wähle ich diesen Weg, sondern weil es für mich kein Recht mehr gibt."
Irgendwie hatte Philipp Auerbach das Nazi-Regime überlebt. Irgendwie hatten die Nazis ihn dennoch, 45 Jahre alt, zur Strecke gebracht.
Stand: August 2024
© Hans-Hermann Klare ist Autor des Buches "Auerbach". Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder Wie der Antisemitismus den Krieg überlebte, Berlin 2022.