Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Michael Fröschel
© Privatbesitz

Michael Manuel Fröschel * 1891

Schulterblatt 41 (Altona, Sternschanze)

1942 Auschwitz

Michael (Michel) Fröschel, geb. 24.10.1891 in Przemysl, verhaftet am 20.11.1940 in Brüssel, inhaftiert am 27.5.1941 im Gefängnis Fuhlsbüttel, deportiert am 10.12.1942 nach Auschwitz, dort ermordet am 16.1.1943

Schulterblatt 41

Michael Fröschel kam als viertes von fünf Kindern des Ehepaares Schajndel und Leib Fröschel zur Welt. Die Familie zählte zur mehr als zwanzigtausend Mitglieder umfassenden jüdisch-orthodoxen Gemeinde von Przemysl, das zu Zeiten der österreichischen Monarchie – und der Geburt Michaels – zum Kronland Galizien gehörte und heute eine polnische Stadt an der Grenze zur Ukraine ist. Bis auf den jüngsten Bruder Adolf und die Mutter Schajndel wanderte die gesamte Familie nach Hamburg aus: der Vater Leib sowie die Geschwister Heinrich, Max, Eva und Michael. Die Familie gehörte dem unteren Mittelstand an, alle Mitglieder mussten "täglich für das Brot sorgen”, wie Michaels Sohn Lothar im Interview berichtet.

Michael Fröschel erlernte nach Beendigung seiner Schulzeit in Wien das Kürschnerhandwerk und erhielt den Gesellenbrief. Mit der Ausbildung verband er den Wunsch nach sozialem Aufstieg. Ab 1912 arbeitete Michael bei seinem ältesten Bruder Heinrich in einem Konfektionsgeschäft in Hamburg. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er zur österreichischen Armee eingezogen und einem Landwehr Infanterie-Regiment in Krakau zugeteilt. Während des Wehrdienstes erlitt er einen Nervenzusammenbruch und wurde aus dem Lazarett als untauglich mit schwerem Rheuma-, Magen- und Nervenleiden entlassen.

1916 kehrte er nach Hamburg zurück. Bei seinem Bruder Heinrich lernte er Anny (Chane) Waldhorn (Brunstein) kennen. Sie war am 10. Oktober 1895 in Storozynetz in der Bukovina – heute Rumänien – geboren worden. Der gemeinsame Sohn erzählt über die erste Begegnung seiner Eltern: "Mein Vater kam zu seiner Familie nach Hamburg und meine Mutter kannte schon den Heinrich Fröschel, den Ältesten. Der sagte ihr: ,Kommen Sie nächsten Sonntag. Ich hab’ für Sie eine Überraschung.‘ Das war’s. Und da das gegen Ende des Krieges gewesen ist ... also das war kurz vor ihrer Hochzeit." Die Hoffnung des Bruders erfüllte sich: am 16. Februar 1919 wurde die Ehe geschlossen.

Michael Fröschel machte sich kurz darauf mit einem Geschäft in der Lobuschstraße in Altona selbstständig, und ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, 1927, eröffnete er ein "Ladenplatzgeschäft mit Kürschnerei" auf dem Schulterblatt 41, "das sich großer Beliebtheit und großen Zuspruchs erfreute", wie der den Wiedergutmachungsantrag der Familie Michael Fröschels vertretende Rechtsanwalt in seinem Schreiben an die Sozialbehörde am 16. November 1953 berichtete. Ehefrau Anny arbeitete von Beginn an im Geschäft. Sie übernahm den Verkauf und unterstützte ihren Ehemann beim Einkauf. Michael beschäftigte zwei Kürschner und drei Näherinnen. Fröschels kauften bei Großhändlern in Leipzig ein, oft kamen auch reisende Händler ins Geschäft.

Die Eheleute, so der Sohn, waren sehr unterschiedlich: Anny hatte eine ausgesprochen kämpferische Natur. Aufgewachsen als Älteste von 10 Kindern, war sie es gewohnt, "herumzuregieren". Michael hingegen beschreibt er als einen sehr weichen, friedliebenden und "positiven Menschen”, der Konflikten und Problemen auszuweichen versuchte, indem "er sich einfach umgedreht hat und aus dem Zimmer raus ging".

Aus einer sehr musikalischen Familie stammend, fand Michael Fröschel in der Musik seine Ruhe. Sein Sohn erinnert sich, dass es für ihn eine große Befriedigung war, mit seinen Kindern zu musizieren, und auch eine Möglichkeit, Schwierigkeiten zu überwinden. Nicht nur in der Familie fand sein musikalisches Talent Gehör. In den Jahren vor und kurz nach seiner Hochzeit leitete er in den Schauburg-Kinos am Millerntor, die der Familie seiner Schwägerin Henny Sass gehörten, ein kleines Ensemble. "Damals gab es einen Stehgeiger und einen Sitzgeiger. Der Stehgeiger, das war mein Vater." Auch seine Brüder Heinrich und Max waren musikalisch sehr begabt. Heinrich "ist vor der Königin von England in Karlsbad aufgetreten. Er war damals ein fanatischer Musiker, so dass er nach meinem Vater, dem Michael, eine brennende Lampe geworfen hat, weil er etwas auf der Geige nicht hundertprozentig richtig wiedergegeben hat. Der andere Bruder Max war ein wirklich guter Tenor."

Die Eheleute Fröschel bekamen zwei Kinder: am 9. März 1924 die Tochter Ruth, am 18. Juli 1926 den Sohn Lothar. Ruth besuchte später die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße, Lothar die Talmud Tora Realschule am Grindelhof. Heute beschreibt er diese als einen Ort, der den Kindern – abgesehen von dem erstklassigen Bildungsangebot – einen gewissen Schutz vor nationalsozialistischer Verfolgung bot. Als nach 1933 Schüler der benachbarten Schule in der Beneckestraße Steine nach den jüdischen Kindern warfen, änderte die Schulleitung die Anfangs- und Pausenzeiten. Ein breit gefächertes Angebot an nachmittäglichen Aktivitäten verband die Kinder miteinander, und der Schule gelang es, die Auswirkungen antisemitischer Diskriminierung und Gewalt zunächst abzumildern. Auf dem Schulweg waren die Kinder jedoch Beschimpfungen und Steinwürfen ausgesetzt.

Michael Fröschel litt unter antisemitischen Beleidigungen und dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 so sehr, dass die Eheleute beschlossen, mit den Kindern nach Brüssel auszuwandern. Sie blieben einige Monate, kehrten jedoch Anfang 1934 nach Hamburg zurück, da sich die Eltern in der fremden Stadt ohne Sprachkenntnisse und ihr Geschäft nicht einleben konnten. Zudem hofften sie, es würde "mit den Nazis nicht so schrecklich" werden.

Zunächst traf die Verfolgung engste Familienangehörige. Aus Hamburg wurden am 28. Oktober 1938 der älteste Bruder Heinrich Freschl mit seinen Söhnen Kurt, Erwin und Herbert nach Zbaszyn abgeschoben, ebenso wie der zweite Bruder Max (Meier David Freschel) mit seiner deutschen Ehefrau Henny und dem Sohn Heinz Leon, wie auch der Ehemann seiner Schwester Eva, Leon Kitz. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern besaß Michael Fröschel die deutsche Staatsangehörigkeit und blieb von der Ausweisung verschont.

Kurz darauf, am 18. November 1938, entzog die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg ihm jedoch die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis für die Firma und bestellte Adolf Berkelmann als Treuhänder. Dieser sollte die Übergabe "in arische Hände” vorbereiten. Die Standardbegründung lautete: "Herr Michel Fröschel ist Jude. Es ist damit zu rechnen, dass er in nächster Zeit auswandern wird. Nach den in letzter Zeit mit auswandernden Juden gemachten Erfahrungen ist es daher notwendig, dem Genannten die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zu entziehen."

Im April 1939 erbrachte der Verkauf der Ladeneinrichtung einen Erlös von 140 RM. Der Wert der Pelzwaren war noch nicht ermittelt, die Pelze jedoch bereits an den öffentlich bestellten Versteigerer Arthur Landjunk übergeben. Wenige Tage nach der Beschlagnahmung des Geschäfts sah sich Michael Fröschel gezwungen, das Grundstück Schulterblatt 41 zu verkaufen. Der Käufer gestattete ihm, so wurde protokolliert, die Wohnung im ersten Stock des Schulterblatt 41 noch für die Zeit bis zum 1. Oktober 1939 unentgeltlich zu benutzen. Dennoch mussten Fröschels sie bereits im Juni 1939 räumen und in die Grindelallee 176 ziehen. In diesem Sommer 1939 versuchten sie ein zweites Mal, in Brüssel Fuß zu fassen: Die Geschwister Ruth und Lothar waren am 1. Februar 1939 in einem Kindertransport des Belgischen Roten Kreuzes mit etwas Gepäck und 10 RM über Köln nach Brüssel gekommen. Sie wohnten bei Verwandten in der Chaussée de Mons, besuchten die Schule und warteten auf die Ankunft der Eltern.

Unterdessen verkaufte Anny im Juni 1939 das Grundstück in der Waterloostraße 2, auf dem sich ein Gebäude befand. Dort hatten ihre Eltern gewohnt. Die Gemeindeverwaltung der Hansestadt Hamburg, Kämmerei, Liegenschaftsverwaltung hielt es übrigens für nötig, die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidiums zu warnen: eine fingierte "Judenhypothek" habe den Wert des Grundstücks künstlich überhöht. Was der Oberfinanzpräsident mit dem Wort "Judenhypothek" außer einer explizit antisemitischen Haltung zum Ausdruck bringen wollte, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass es sich nicht um einen Fachbegriff aus der Finanzwelt handelt.

Im Juni 1939 kam Michael Fröschel in Brüssel an, Anny im August. Beide hatten die Grenze nach Belgien illegal überquert. In einer Zimmerecke der Wohnung richtete sich Michael einen Arbeitsplatz ein und übernahm kleinere Aufträge als Kürschner. Am 14. Mai 1940 wurde die Familie ein weiteres Mal auseinander gerissen, nachdem deutsche Truppen am 10. Mai Belgien überfallen hatten. Fröschels flohen nach Süden in drei verschiedenen Autos eines Konvois, in dem sich fünfzehn Familienmitglieder befanden. Die Gendarmerie wies die Fahrzeuge an einer Straßenkreuzung in unterschiedliche Richtungen: Anny und Lothar kamen über Paris – wo sie vergeblich auf die Anderen warteten – bis nach Moumour in den Pyrenäen. Sie suchten nach Familienmitgliedern u. a. im Lager Gurs. Letztlich erhielten sie von einer Verwandten aus Südamerika die Nachricht, dass ein Teil der Familie nach Brüssel zurückgekehrt sei. Michael und Ruth verbrachten währenddessen lediglich kurze Zeit an der Küste, bevor sie nach Brüssel zurückkehrten. Im November 1940 fand sich die Familie dort wieder zusammen.

Kurz darauf wurde Michael Fröschel von der Gestapo verhaftet. In der Untersuchungshaft schrieb er: "Am 16. November haben mich zwei Herren von der Gestapo gesucht in Brüssel. Ich war nicht anwesend. Meine Frau sagte mir, dass ich mich am 20.11. einfinden soll. Bin dann mit meiner Frau mit Junge hingefahren, wo ich mir nicht bewusst war von einer Ungerechtigkeit begangen zu haben in meinem ganzen Leben." Ehefrau und Sohn warteten vor dem Brüsseler Hauptquartier der Gestapo in der Avenue Louise 453. Nach zwei Stunden wurden sie hereingerufen. Michael lag ohnmächtig auf dem Boden. Die Gestapo teilte der Ehefrau mit, ihr Mann würde jetzt nach Hamburg gebracht und dort verurteilt. Der Sohn erinnert sich: "Ich war 14 Jahre alt. Meine Mutter war dabei, ohnmächtig zu werden und ich stand daneben und mit meiner Mutter am Eingang von dem Raum und konnte nicht weiter."

Was war geschehen? Ehemalige Angestellte des Vaters hatten diesen der "Rassenschande" sowie des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener bezichtigt. Deshalb wurde er nach Hamburg zurückgebracht und am 2. Oktober 1941 von der Strafkammer I des Landgerichts Hamburg zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für dieselbe Zeit verurteilt. Der Vorwurf der "Rassenschande" wurde im Verfahren fallengelassen, die Verurteilung erfolgte wegen sexuellen Missbrauchs weiblicher Lehrlinge. Die Untersuchungshaft wurde nicht angerechnet. Damit ging das Gericht – wie es selbst formuliert – "an die obere Grenze des gesetzlichen Strafrahmens" und leitete die Begründung folgendermaßen ein: "Der Angeklagte ist nach seinem Auftreten, seiner Erscheinung und seiner Haltung der Prototyp eines Juden übelster Sorte."

Die vorgeworfenen Taten können heute weder zweifelsfrei nachgewiesen noch widerlegt werden. Das Amt für Wiedergutmachung ging davon aus, dass eine Verurteilung auch nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland erfolgt wäre. Dennoch ist Skepsis angebracht: Auch die "normale” Rechtsprechung im NS-Staat war rassistisch aufgeladen. Der Rechtshistoriker Gerhard Werle spricht von einem Sonderstrafrecht für Juden, das auf deren Vernichtung abzielte.

Unklar bleibt auch, warum die Aussagen der Zeuginnen erst 1940 aufgenommen wurden, obwohl sich die geschilderten Übergriffe zwischen 1931 und 1935 ereignet haben sollten. Zudem nahm eine der Zeuginnen Teile ihrer belastenden Aussagen in der Hauptverhandlung mit der Begründung zurück, sie habe sie nur getätigt, weil "sie den durch sein Ausfragen lästigen Kriminalbeamten möglichst schnell habe los sein wollen".

Ein juristischer Gutachter im Wiedergutmachungsverfahren fragte, wie weit auch die anderen Zeuginnen bei ihren Aussagen unter Druck gesetzt wurden und konstatierte: "Nach meiner Ansicht wäre gegen den Abgeschuldigten, immer unterstellt, der Straftatbestand hat in vollem Umfang bestanden, eine Strafe von höchstens 2 1/2 Jahren verhängt worden."

Michael Fröschel wurde am 23. Oktober 1941 ins Zuchthaus Hamburg Fuhlsbüttel eingeliefert. Ehefrau Anny blieb im Kontakt. Sie schrieb häufiger, als es die rigiden Bestimmungen erlaubten, was am 28. November 1941 zu einer Beschwerde des Zuchthauses Hamburg-Fuhlsbüttel beim Jüdischen Religionsverband Hamburg führte. Michael Fröschel arbeitete im Zuchthaus, zuletzt ist eine Tätigkeit als Tütenkleber dokumentiert. Der zuständige Werkbeamte beurteilte ihn als "sehr guten Kleber”.

Er wäre am 7. Oktober 1946 aus der Haft entlassen worden, wenn nicht im Oktober 1942 ein Erlass befohlen hätte, Konzentrationslager, Gefängnisse und Zuchthäuser im "Altreich” von jüdischen Insassen zu räumen und die Betroffenen nach Auschwitz zu deportieren. Mit einem solchen Transport gelangte auch Michael Fröschel am 10. Dezember 1942 in das Vernichtungslager und wurde ermordet.

Seinem Sohn blieb bis heute das Bild in der Brüsseler Gestapozentrale in Erinnerung, als sein Vater bewusstlos vor ihm auf dem Boden lag. "Alles Andere ist Imagination, wenn ich mir vorstelle, bis nach Auschwitz. Also der Teil nach seiner Inhaftierung hier in Hamburg und dann das Ungewisse, was man gar nicht wahr haben will ..."

© Christiane Jungblut

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 d; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 7868/41; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Abl. 10 St 173, 13 und 16; StaH 314-15 OFP, R 1938/3183, F 638; StaH 331-1 II Polizeibehörde II, Abl. 15 vom 18.09.84, Band 1; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 241091 Fröschel, Michael; Werle, Justiz-Strafrecht, 1989, S. 698; persönliche Gespräche mit Lothar Freschel zwischen dem 30. Oktober und dem 3. November 2008 in Hamburg.

Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.
Hier abweichend:
(2) Bundesarchiv Berlin, R 1509 Reichssippenamt, Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17. Mai 1939

druckansicht  / Seitenanfang