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Leo Otto Wilhelm Freyer * 1898

Mülhäuser Straße 5 (Hamburg-Nord, Dulsberg)


HIER WOHNTE
LEO OTTO WILHELM
FREYER
JG. 1898
VERHAFTET 1944
’WEHRKRAFTZERSETZUNG’
NEUENGAMME
ERTRUNKEN 3.5.1945
MS CAP ARCONA

Leo Otto Wilhelm Freyer, geb. 5.8.1898 in Kiel-Gaarden, 1944 verhaftet und verurteilt wegen "Wehrkraftzersetzung", umgekommen beim Untergang der "Cap Arcona" am 3.5.1945

Mülhäuser Straße 5

Leo Freyer war der Sohn von Hermann und Auguste Freyer, geb. Lenz. Über seine Kindheit und Jugend ist nichts Näheres bekannt; er scheint sie größtenteils in Kiel verbracht zu haben. Dort soll er bis 1931 mehrere Jahre als Bürovorsteher gearbeitet haben, bis er sich schließlich ganz seinem neuen Beruf als Kunstmaler widmete. In den 1930er Jahren zog er offenbar nach Hamburg um, im Hamburger Adressbuch taucht sein Name erstmals im Jahrgang 1940 unter der Anschrift Mülhäuser Straße 5 auf. Im Oktober 1938 hatte er die 1903 in Wiedenest (Kreis Gummersbach) geborene Postassistentin Anna-Elisabeth Hartmann geheiratet, mit der er die 1940 geborene Tochter Barbara hatte.

Ab August 1943 wurde Leo Freyer "notdienstverpflichtet" und versah Dienst als Wachmann im Gefängnis Fuhlsbüttel. Am 21. Januar 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet und zunächst im KolaFu festgehalten, im Februar dann in das Polizeigefängnis Harburg verlegt. Durch die Dienstverpflichtung als Wachmann unterstand er offenbar dem Zuständigkeitsbereich der SS- und Polizeigerichte. Als er fast acht Monate in Haft verbracht hatte, beschuldigte das SS- und Polizeigerichts III ihn am 10. Oktober 1944, "durch mehrere selbständige Handlungen öffentlich den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen versucht zu haben". Dies wurde als Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Ziff. 1 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung gewertet. Wie aus der erhaltenen Anklageschrift hervorgeht, war Leo Freyer Opfer von Denunziationen durch Nachbarn geworden, die teilweise Mitglieder der NSDAP waren. Danach waren bereits seit 1941 Berichte über Äußerungen von ihm bei der Parteiortsgruppe Dulsberg gesammelt worden, "die auf eine staats- und parteifeindliche Einstellung schließen ließen". Die damaligen Ermittlungen erbrachten jedoch offenbar noch keine eindeutigen Beweise, sodass das "Verfahren ... mit einer ganz allgemein gehaltenen Verwarnung des Beschuldigten zum Abschluss gebracht wurde".

Im Oktober 1943 berichtete ein "Zellenmeister" der NSDAP erneut über Leo Freyer und warf ihm vor, sich durch "dauerndes Hin- und Herziehen dem Arbeitseinsatz entzogen, ... Sabotage an der Luftschutzarbeit geübt ... und staatsfeindliche Äußerungen getan zu haben". Einem Luftschutzwart habe er gesagt, er besuche seine Familie in Dulsberg nur gelegentlich, da er überwiegend in Kiel wohne und deshalb zu Luftschutzarbeiten in Hamburg nicht herangezogen werden dürfe. Eine Nachbarin habe er in ironischem Tonfall gefragt, ob sie auch zu denjenigen gehöre, die noch "an den glorreichen Sieg glaubten". Als diese seine Frage bejahte, entgegnete er, dass er ihr "mehr Intelligenz zugetraut" habe.

Andere Nachbarinnen sagten aus, sie hätten Gespräche zwischen Leo Freyer und einem Brothändler gehört, in denen ersterer gesagt habe, "wenn die Russen hierher kämen, ginge es auch nicht schlechter" und bei denen beide "für die Sozialdemokratie schwärmten". Leo Freyer wies diese Anschuldigungen zurück und bestritt, die ihm vorgeworfenen Äußerungen gemacht zu haben. Er sei vielmehr immer "ein durchaus nationalbewusster Mann" gewesen und habe sich seit Ende des Ersten Weltkriegs "ständig in nationalen Verbänden betätigt". So sei er Angehöriger der Marine-Brigade von Löwenfeld und kurze Zeit auch der Brigade Ehrhardt gewesen, mit denen er in "Berlin und Oberschlesien gegen Spartakisten und polnische Insurgenten ge­kämpft" habe. Von 1927–1929 sei er in Kiel Vorsitzender des Reichsbundes ehemaliger Freikorpskämpfer gewesen, habe aber ab 1931 seine "politische Tätigkeit aufgegeben", um sich ganz seinem Beruf als Kunstmaler widmen zu können. Aber auch noch nach 1933 habe er Artikel in Zeitungen aus Kiel, Hamburg und Dortmund veröffentlicht.

In der "Anklageverfügung" des SS- und Polizeigerichts wurde zwar konzediert, dass sich Leo Freyer "in früheren Jahren in nationalen Verbänden maßgebend beteiligt hat", entgegengehalten wurde ihm jedoch, dass es keine Zeugnisse über seine politische Betätigung zugunsten des NS-Regimes gäbe. Die NS-Ermittler kamen daher zu dem Schluss, dass "der Beschuldigte sich wenigstens in den letzten drei Jahren zersetzend betätigt hat". Dass sich Leo Freyer nach 1933 nicht für das NS-Regime betätigt hatte, geht auch aus einer 1961 vorgenommenen Anfrage an das Berlin Document Center hervor, das damals bestätigte, er sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied der NSDAP oder einer anderen NS-Organisation gewesen.

Das Urteil, welches das Spezialgericht gegen ihn verhängte, ist nicht mehr vorhanden, bekannt ist aber, dass er am 3. November 1944 zu drei Jahren Gefängnis wegen Verstoßes gegen das "Heimtückegesetz" verurteilt wurde. Im Januar 1945 wurde er ins Polizeigefängnis Hütten verlegt und von dort am 24. März ins KZ Neuengamme eingeliefert. Nachdem das Hauptlager Ende April/Anfang Mai 1945 geräumt worden war, gehörte er zu den Häft­lingen, die in der Lübecker Bucht auf drei Schiffe zusammengepfercht wurden. Leo Freyer ging am 3. Mai infolge der Bombardierung der Schiffe durch die britische Luftwaffe mit der "Cap Arcona" unter. Seine Frau Anna-Elisabeth berichtete nach dem Krieg, dass auch sie noch von dem Regime drangsaliert wurde, indem man im November 1944 "einen Parteigenossen samt Familie" in ihre Wohnung einwies, mit der sie diese nun zu teilen hatte.

© Benedikt Behrens

Quellen: StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, Freyer, Leo; Archiv der VVN (Angaben der Ehefrau); AB 1940–43; VAN (Hrsg.), Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945, Hamburg 1968.

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