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Richard Abraham * 1871

Trostbrücke 2–6 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


RICHARD ABRAHAM
JG. 1871
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
8.4.1942

Weitere Stolpersteine in Trostbrücke 2–6:
Julius Adam, Julius Asch, Georg Blankenstein, Gustav Falkenstein, Ivan Fontheim, Henry Friedenheim, Albert Holländer, Max Israel, Gustav Heinrich Leo, Heinrich Mayer, Moritz Nordheim, Kurt Perels, Ernst Moritz Rappolt, Ferdinand Rosenstern, Walter Ludwig Samuel, Salomon Siegmund Schlomer, Ernst Werner, Heinrich Wohlwill, Alfred Wolff

Richard Carl Abraham, geb. 22.1.1871 in Hamburg, in den Tod getrieben am 8.4.1942 in Hamburg

Richard Abraham wurde am 22. Januar 1871 in Hamburg geboren. Sein Vater Heinrich (Jahrgang 1825) war aus Culm nach Hamburg gekommen, die Mutter Johanna (Jahrgang 1839, geb. Cohn) stammte von hier. Heinrich war zu diesem Zeitpunkt bereits ein gutsituierter Tabakimporteur, Eigentümer der Fa Heinrich Abraham & Co.

Die Kindheit verbrachte Richard mit zwei deutlich älteren Brüdern, nämlich Emil, geb. 1866, und Paul, geb. 1861, und den Eltern in der Grindelallee 170, wo die Familie bis in das Jahr 1885 in einem gemieteten Haus wohnte. 1886 zogen sie um in ein eigenes Haus in der Hagedornstraße 16; dies blieb bis zum Tod der Mutter 1914 im Eigentum der Familie und wurde auch zumindest von der Mutter so lange bewohnt. Auch Richard Abraham wohnte sein Leben lang in der direkten Umgebung der Hagedornstraße.
Der Tabakhandel der Fa Heinrich Abraham & Co florierte. Heinrich Abraham hatte einen festen Platz in der Börse, die Geschäftsräume der Firma wurden von der Catharinenstraße Ende der 1880er Jahre in die Straße Brook in der Speicherstadt verlegt. Hier blieb bis zum Ende der Firma offensichtlich das Warenlager, während es Büroräume jedenfalls zeitweise zusätzlich auch in der Innenstadt (Bergstraße, Mönckebergstraße) gab.

Zwei der drei Söhne Abrahams wurden Kaufleute und traten in die väterliche Firma ein; Emil bereits 1893, Richard folgte ihm 1894. Nur Paul, der Älteste, strebte in eine ganz andere und für Juden damals seltene Richtung – er wurde Richter. Alle drei Brüder haben sich taufen lassen, Richard vermutlich 1891. Paul jedenfalls wäre ohne diese Taufe eine Karriere im Justizdienst nicht möglich gewesen. So aber wurde er nach wenigen Jahren als Amts- und Landrichter in Hamburg 1906 zum Oberlandesgerichtsrath an das Hanseatische OLG berufen.

Richard Abraham heiratete 1892 Anna Martha Catharina Jens aus Stade, geb. 1872. Vielleicht erst danach bezog diese Familie eine eigene Wohnung, jedenfalls lebten sie ab 1896 in der Parkallee 22. Dort wurde dem Paar am 11. Januar 1898 eine Tochter geboren, die den Namen Hertha Stephanie Johanna trug. Nach einem kurzen Zwischenspiel von 1899 bis 1902 in der Werderstraße siedelte die Familie 1902 in das eigene Haus am Leinpfad 61 um. Auch die Geschwister blieben in unmittelbarer Nähe. So hatte Emil – nach einigen Jahren in der Hallerstraße und in der Agnesstraße – 1905 ein Haus in der Willistr. 3 bezogen und Paul nach einem Umweg über die Alsterchaussee schon 1904 das eigene Haus im Leinpfad 63 nebenan. Im Sommer 1901 war der Vater und Firmengründer Heinrich Abraham verstorben. Die Firma gehörte nun Emil und Richard. Soweit ersichtlich haben sie sie bis 1933 gemeinsam geführt.

In den privaten Verhältnissen der Familie Abraham änderte sich in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mancherlei: Auch Emil, der eine nach der Diktion der Nationalsozialisten "jüdische" Frau Henriette, geb. Hertz geheiratet hatte, waren 1901 ein Sohn Curt und 1902 eine Tochter Edith geboren worden. Im Juli 1906 starb die Frau von Richard Abraham.
1910 änderte Emil Abraham seinen Namen in Emil Asten. Darin folgte ihm sein Bruder Paul, auch er nannte sich danach Asten, dies allerdings erst im März 1918. Richard hingegen behielt den jüdischen Nachnamen bei.

In einem anderen Punkt allerdings tat Richard Abraham es seinem großen Bruder nach. Emil Asten wurde zum 31. Oktober 1910, Richard Abraham zum 1. Januar 1911 Mitglied in der Patriotischen Gesellschaft, ins Subskriptionsbuch trug er sich auf Seite 223 am 31. Januar 1911 ein.

Im Januar 1912 heiratete Richard Abraham zum zweiten Mal. Kaufmannstochter Tony Heydorn, geb. 1884, hatte bereits eine kurze Ehe hinter sich und war geschieden. Sie war Schauspielerin, hatte jedenfalls in den Jahren 1908 bis 1911 im Deutschen Schauspielhaus auf der Bühne gestanden und es dort zu einem großen Bekanntheitsgrad gebracht. Die Ehe mit Tony blieb kinderlos.

Richard Abrahams Tochter aus erster Ehe, Hertha, heiratete 1918 den Kaufmann Rudolph Dallmer, Sohn eines Kaffeemaklers; als Trauzeugen fungierten die Väter der Brautleute. Hertha zog mit ihrem Mann ebenfalls nur "um die Ecke", in die Maria-Louisen-Str. 59. Hier blieb sie auch wohnen, nachdem ihr Mann bereits 1926 verstarb.

Bruder Paul wurde 1918 an das Reichsgericht befördert, so dass er mit seiner Frau nach Leipzig zog und die enge Nachbarschaft zu Richard Abraham verließ. Er starb dort 1925.

Bis in die 30er Jahre müssen die Geschäfte der Brüder Richard Abraham und Emil Asten sehr gut gelaufen sein, wenn auch Schwankungen in den 20ern wahrscheinlich sind. Richard konzentrierte sich auf den Havana-Import, gründete in Verfolgung dessen auch weitere Firmen und war schließlich alleiniger Partner des American Tobacco Trust für Havanna-Zigarren nicht nur für Deutschland, sondern auch als Weiterverkäufer für Holland,
Skandinavien und die Türkei.

Emil war viele Jahre als Handelsrichter am Landgericht Hamburg berufen, was seine tiefe Verwurzelung in der Handelskammer und damit der örtlichen Kaufmannschaft belegt. Neben dem Engagement im Tabakgeschäft hatte er sich in den 20er Jahren auch auf den Handel mit Assekuranzen und Versicherungen verlegt, was aber wohl nicht sehr einträglich war.

1929 verließ Richard Abraham mit seiner Frau das Haus am Leinpfad und zog in die Maria-Louisen-Straße, von dort 1936 weiter in die Agnesstraße 39, wo er bis zu seinem Tod lebte. Die Stadtvilla in der Agnesstraße 39 gehörte Charlotte Rosenbacher, einem Mitglied der jüdischen Gemeinde. Sie hatte dort mit Tochter und Schwiegersohn gewohnt. Aufgrund der Schikanen des NS-Regimes waren diese jedoch im November 1936 nach Kairo emigriert, so dass die Wohnung frei geworden war.

Auch die Tochter von Richard Abraham lebte nicht mehr lange in der Nähe. Sie heiratete im Herbst 1932 Kurt Hasperg, Sohn eines Zigarrengroßhändlers, mit dem sie kurz darauf nach Berlin zog. Bei dieser Heirat waren allerdings nicht mehr beide Väter Trauzeugen, sondern lediglich Haspergs. Ob das etwas zu bedeuten hat, ob Abraham seine 1934 geborene Enkeltochter überhaupt kennengelernt hat oder die Beziehung zu seiner Tochter schlechter geworden war, lässt sich aus den dürren Akten nicht entnehmen. Im Wiedergutmachungsverfahren findet sich jedenfalls von der Tochter Hertha keine Spur.

Im Juli 1933 löste Richard Abraham die von ihm gegründete Havana- Handelsgesellschaft auf, trat wie erwähnt aus der Fa Heinrich Abraham & Co aus und nahm die Havanageschäfte dieser Firmen mit in die neugegründete Richard Abraham oHG. Auch das Lager im Brook übernahm er und führte zunächst die Tabakgeschäfte erfolgreich weiter. Aus seinen Einkommenssteuererklärungen der frühen 30er ergibt sich ein Reingewinn von knapp 14.000 RM für 1934 bis hin zu 29.000 RM für das Jahr 1937. Sein Bruder Emil hatte den väterlichen Betrieb 1935 in "Emil Asten" umbenannt. Aber alles das nützte nichts gegen den "Arisierungswillen" der Machthaber. Schon im Oktober 1935 hatte Richard Abraham einen Neffen seiner Frau, den Kaufmann Wilcken, unter diesem Druck als Gesellschafter aufnehmen müssen. Im Januar 1938 musste er dann ganz ausscheiden.
Zwar wurde seine Frau, Tony Abraham geb. Heydorn, noch an seiner Stelle für kurze Zeit Gesellschafterin, aber das konnte die komplette "Arisierung" der Firma nicht aufhalten. Nur im Jahr 1938 war ihr noch das Transitgeschäft erlaubt, während Wilcken – der ohne entsprechende Kapitalleistung die Firmenanteile übernommen hatte – alleine das Inlandsgeschäft betrieb bzw. unter seinem Namen ab Frühjahr 1938 weiterführte. Die Fa Richard Abraham wurde 1939 von Amts wegen gelöscht, der Vollzug der Arisierung gemeldet.

Damit war Richard Abraham von jeglichen Einkommensmöglichkeiten abgeschnitten und eines Gutteils seines Vermögens beraubt. Der Versuch, Außenstände in Höhe mehrerer Hunderttausend Reichsmark bei einem in Spanien residierenden Statthalter und Freund Hermann Görings einzutreiben, schlug fehl. In den darauf folgenden Jahren lebten die Eheleute weitgehend von ihren Ersparnissen. Nur der amerikanische Tobacco Trust überwies seinem ehemaligen Hauptabnehmer weiter eine monatliche Unterstützung von 125 US-Dollar. Mit dem Kriegseintritt der Amerikaner endete auch dies.

Auch die Firma des Bruders Emil Asten war "arisiert" worden. Emil starb im April 1939. Seine Tochter Edith wanderte ebenfalls 1939 nach England aus. Sohn Curt hatte eine "arische" Frau geheiratet und mit ihr einen Sohn bekommen. Er hatte versucht, durch Übertragung auf eben diesen Sohn die "Arisierung" quasi in der Familie zu halten, zumal in seiner Schwiegerfamilie aktive Nationalsozialisten waren. Dieser Versuch war jedoch fehlgeschlagen.

Die Situation von Richard und Tony Abraham spitzte sich zu. Als Ehefrau eines von den Nationalsozialisten zum Juden Erklärten konnte Tony ihre frühere Tätigkeit als Schauspielerin ebenso wenig wieder aufnehmen wie sie mit schriftstellerischen Versuchen Geld verdiente. Das Paar lebte vom Verkauf von Tonys Schmuck und wertvoller Möbel.
Die Schwägerin Henriette, Witwe des Bruders Emil, wurde am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Charlotte Rosenbacher, die Vermieterin und Mitbewohnerin des Hauses Agnesstraße 39, wurde am 18. November 1941 nach Minsk deportiert; mit ihr das Ehepaar Olschewitz, das in ihre Wohnung zwangseinquartiert worden war.
Richard Abraham war durch seine "arische" Ehefrau etwas geschützt. Nachdem im Winter 1941/42 jedoch ein Gestapobeamter namens Tesenfitz die Wohnung Rosenbachers besetzt hatte, verschärfte sich der Terror erneut. So wurde er angezeigt, weil er eine Postkarte ohne den Zwangsvornamen Israel unterschrieben hatte. Auch gegen Ehefrau Tony richteten sich alltägliche Schikanen und Hetzereien der Frau Tesenfitz.

Am 2. April 1942 wurde Richard Abraham aus seiner Wohnung heraus verhaftet, weil er den "Judenstern" nicht getragen hatte. Bei der Vernehmung im Beisein seiner Frau verlangte der Gestapobeamte nach deren Erinnerung, er möge sich deswegen des Betruges schuldig bekennen. Zudem solle er sofort die Wohnung räumen, weil Tesenfitz nicht mit einem Juden in einem Haus wohnen könne und wolle. Unter Abgabe aller "überflüssigen" Möbel und Einrichtungsgegenstände solle das Paar in ein Zimmer in einem anderen Haus übersiedeln.
Als sich Richard Abraham darauf berief, er sei getauft, sowohl in der ersten als auch in der zweiten Ehe mit einer "arischen" Frau verheiratet und habe aus der ersten Ehe Tochter und Enkel, wurde ihm entgegengehalten, alle "Vergünstigungen für Mischehen" kämen für ihn nicht in Frage, da seine jetzige Ehe kinderlos sei. Außerdem müsse er mit seiner baldigen Evakuierung rechnen, da alle Juden aus Deutschland entfernt würden, um Deutschland endlich und ein für alle Mal restlos "judenrein" zu machen. Da aber Ostern vor der Tür stehe, dürfe er ausnahmsweise noch einmal nach Hause gehen. Er solle sich am 8. April mit "Judenstern" versehen wieder einfinden, um bei der Gestapo zu lernen, wie man sich als Jude zu benehmen habe – insbesondere, wenn man mit einem hohen Gestapobeamten in einem Haus wohne.

Am Morgen des 8. April 1942 wurde Richard Abraham tot in seinem Bett aufgefunden, leere Veronal-Packungen neben sich. Er hinterließ einen Abschiedsbrief.

Stand Juli 2015
© Carola v. Paczensky

Quellen: Digitalisierte Telefon- und Adressbücher Hamburgs, http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start. StaH 332-3_A 235 Zivilstandsamt Geburtsregister (1871); 332-5_2071 Geburtsregister Standesamt 1 (3854/1884); 332-5_9142, Geburtenregister Standesamt 3a (61/1898); 332-5_7946, Sterbehauptregister Standesamt 3 (2044/1901); 332-5_9664, Sterbehauptregister Standesamt 3a (1756/1906); 332-5_6490 Heiratshauptregister Standesamt 21 (1/1912); 332-5_9569 (509/1918) Heirats-Hauptregister Standesamt 3a; 332-5_13907, Heirats-Hauptregister Standesamt 3a (550/1932); 351-11_1098 Wiedergutmachungsakte Erbengemeinschaft Emil Asten; 351-11_7253 Wiedergutmachungsakte Tony Abraham; 351-11_24324 Wiedergutmachungsakte Curt Asten; 213-1_1905 OLG Verwaltung; 314-15_20 OFP Liste arisierter Firmen; 331-5_3 (1942/551) Unnatürliche Todesfälle; 231-7_B1995-216 Handelsregister; Hamburger Abendblatt vom 8.6.1960; Handelsregisterauszüge zu A 38191; A 5236; C 6262; sämtlich Archiv der Handelskammer Hamburg,
www.hohenemsgenealogie.at. Björn Eggert, Charlotte Rosenbacher, in: Ulrike Sparr, Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. Biographische Spurensuche, Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.), Hamburg 2008, S. 220 ff. Frank Bajohr: "Arisierung" in Hamburg, Hamburg 1997.

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