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Carl von Ossietzky * 1869

Grindelallee 1 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
CARL VON OSSIETZKY
JG. 1869
VERHAFTET 1933
1934 KZ PAPENBURG-
ESTERWEGEN
TOT AN HAFTFOLGEN
4.5.1938

Siehe auch:

Carl von Ossietzky, geb. am 3.10.1889 in Hamburg, gestorben am 4.5.1938 in Berlin

Grindelallee 1

Carl von Ossietzky war das einzige Kind seiner Eltern, die von Oberschlesien nach Hamburg umgesiedelt waren, wo sie sich ein besseres Leben versprachen. Die Mutter, Rosalie Pratska, hatte als Dienstmädchen gearbeitet. Der Vater, Ignatius von Ossietzky, hatte in Oberschlesien lange als Berufsunteroffizier gedient.

Nach der Übersiedelung nach Hamburg betrieb das Ehepaar eine "Milchhalle und Speisewirthschaft" im Gängeviertel an der Michaeliskirche am Hafen, Große Michaelisstraße 46. Der Vater arbeitete aber zudem hauptberuflich als Stenotypist in der Anwaltspraxis des späteren Hamburger Bürgermeisters und damaligen Senators Max Predöhl. Ignatius von Ossietzky starb zwei Jahre nach Carls Geburt. Carl wurde katholisch getauft, da die Mutter katholisch war; der Vater war evangelisch.

Nach dem frühen Tod des Vaters führte die Mutter die Speisewirtschaft allein weiter, Carl wurde in die Pflege der Schwägerin Maria von Ossietzky gegeben, einer strenggläubigen Katholikin. Trotz der schwierigen Verhältnisse wünschte die Mutter, dass der Sohn eine gute Bildung als Voraussetzung für einen entsprechenden Beruf erhielte, und so besuchte er die Rumbaumsche Schule, in der wohlhabende Hamburger Familien ihre Söhne erziehen ließen. Das war möglich, weil Senator Predöhl die Familie weiterhin unterstützte.

Nachdem die Mutter wieder geheiratet hatte, kam der mittlerweile zwölfjährige Carl von der Tante zurück in die neue Familie. Sein Stiefvater war der Sozialdemokrat und Bildhauer Gustav Walther. Er führte Carl von Ossietzky an das Gedankengut der Sozialdemokratie heran.

Carl war immer ein schlechter Schüler, der Wunsch der Mutter nach sozialem Aufstieg des Sohnes und eine gesicherte Beamtenstellung sollte sich nie erfüllen. Nachdem er zweimal das Examen als "Einjähriger" nicht bestanden hatte, wurde er für eine dritte Wiederholungsprüfung abgelehnt. Als 18-Jähriger musste er deshalb seinen Lebensunterhalt ohne Berufs- oder Schulabschluss verdienen. 1907 bewarb er sich bei der Justizbehörde, wurde aber zunächst abgelehnt. Erst auf Intervention seines Gönners Max Predöhl stellte man ihn dann doch als Hilfsschreiber ein. Wegen des geringen Gehalts lebte er weiterhin bei der Mutter.

Carl von Ossietzkys Jugend lässt sich als unglücklich und zerrissen beschreiben. Nach außen war er der pflichtbewusste Schreiber, seine Interessen waren jedoch ganz andere. Er setzte sich kritisch mit seiner religiösen Erziehung auseinander; er war der Ansicht, die christliche Ethik vertröste auf den Himmel, um von den Ungerechtigkeiten auf Erden abzulenken. Mit seinen Freunden hing er Träumen und Sehnsüchten nach, verachtete die Welt der Spießer. Als 19-Jähriger ging er tagsüber brav seiner Arbeit als Schreiber im Grundbuchamt nach; abends besuchte er Vorträge, zum Beispiel von Bertha von Suttner, aber auch Veranstaltungen des sozialdemokratischen Politikers August Bebel. Sozialistische Ideen waren jedoch nicht das, wonach er suchte. Er schloss sich dem Monistenbund an. Diese Freidenkerbewegung fühlt sich dem Fortschrittsglauben verpflichtet und setzt und auf die Weiterentwicklung des Wissens und der Naturwissenschaften mit dem Ziel, eine staatenlose, also herrschaftsfreie Gesellschaft zu erreichen. Parteipolitisch legte sich Carl von Ossietzky nicht fest. Nur kurze Zeit war er, von 1908 bis 1910, Mitglied der sozialliberalen Demokratischen Vereinigung.

Seine erste belegte Veröffentlichung war ein Artikel in der Zeitschrift "Das freie Volk", der am 25. Februar 1911 in Berlin erschien.

In Hamburg lernte Carl von Ossietzky Maud Hester Lichfield-Wood kennen, die Tochter eines hohen britischen Offiziers und einer indischen Prinzessin. Sie war in Indien geboren worden, und nach dem Tod des Vaters als Siebenjährige mit ihrer Mutter nach England gezogen, wo diese ein Jahr später Selbstmord beging. Wie die Tochter, Rosalinde von Ossietzky-Palm, später schrieb, litt Maud schon als Kind unter Angstzuständen, die sie mit Alkohol zu betäuben versuchte. Sie hatte eine standesgemäße Ausbildung in englischen Internatsschulen erhalten, ihre Sprachenausbildung in der Schweiz und Paris vervollkommnet und sich in England den Suffragetten angeschlossen, die für das Frauenwahlrecht kämpften. In Hamburg war sie als Gouvernante für die Kinder des Hamburger Ersten Bürgermeisters angestellt. Die Beziehung zwischen Carl von Ossietzky und seiner Frau war, bei allen Schwierigkeiten, intensiv. Sie waren einander wichtige Gesprächspartner.

Beide heirateten 1913 kirchlich in Essex. Die Heirat war damals Thema in der Klatschpresse und führte zum Bruch von Maud Hester Lichfield-Wood mit ihrer Familie. Zurück in Hamburg, lebte das Ehepaar für kurze Zeit zur Untermiete, zog dann aber bei Carl von Ossietzkys Mutter ein. Das Ehepaar lebte in sehr ärmlichen Verhältnissen. Maud überredete Carl, Geschichtsunterricht zu geben, sie selbst erteilte Englisch- und Bridge-Unterricht. Carl von Ossietzky hatte inzwischen eine Stelle in der Justizverwaltung angenommen, die er jedoch im Januar 1914 aufgab, um journalistisch zu arbeiten, unter anderem für den freidenkerischen Deutschen Monistenbund. Der Erste Weltkrieg führte jedoch dazu, dass sich von Ossietzky von dieser Organisation distanzierte, da sie mit Kriegsbeginn ihre pazifistische Grundhaltung aufgab. Nicht so Carl von Ossietzky. Seine Möglichkeiten, durch journalistische Arbeit und Vorträge Geld zu verdienen, schwanden allerdings zunehmend. So musste er Anfang 1915 die ungeliebte Stelle in der Justizverwaltung wieder aufnehmen.

1914 machte er erste Erfahrungen mit der Justiz: Er wurde wegen eines Artikels über ein Urteil des Erfurter Militärgerichts zu einer Geld- bzw. Haftstrafe verurteilt.

1916 wurde Carl von Ossietzky eingezogen und als Armierungssoldat an der Westfront eingesetzt. Er nahm also nicht aktiv an Kampfhandlungen teil, sondern fand beim Bau, bei der Instandhaltung und beim Betrieb der Befestigungsanlagen Verwendung.

Gegen Ende des Krieges kam es zum Bruch zwischen Carl von Ossietzky und seiner Mutter, was bedeutete, dass das junge Paar sich ein neues Zuhause suchen musste. Carl nahm eine schlecht bezahlte Stellung beim Pfadweiser-Verlag an. 1919 trat er der Hamburger Freimaurerloge "Menschentum" bei, 1919 wurde er Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft in Hamburg. Maud war inzwischen schwanger.

Die junge Familie musste häufig die Wohnung wechseln, ihre letzte Adresse in Hamburg war Grindelallee 1, bevor sie im Juni 1919 endgültig nach Berlin umzog, wo Carl von Ossietzky eine Stelle als Sekretär der Deutschen Friedensgesellschaft gefunden hatte. Anschließend wurde er Berliner Mitarbeiter bei der "Berliner Volkszeitung". Die finanzielle Lage des Paares war so schlecht, dass die Tochter Rosalinde am 21. Dezember 1919 in einem Heim von Helene Stöcker, der Pazifistin und Gründerin des Mutterschutzbundes, in Berlin geboren wurde.

Carl von Ossietzky versuchte noch einmal, in die Parteipolitik einzusteigen. Zusammen mit Karl Vetter und Fritz von Unruh gründete er die Republikanische Partei. Diese vertrat ein radikaldemokratisches Programm und wendete sich gegen die "Bonzenpartei" SPD. Bei den Reichstagswahlen 1924 erzielte die Partei jedoch keinen Erfolg, sodass das Projekt schnell wieder aufgegeben wurde.

Am 26. April 1926 trat Carl von Ossietzky als Mitarbeiter in die "Weltbühne" ein, deren Leitung er im Herbst 1927 übernahm. Erst von diesem Zeitpunkt an lebte die Familie in relativ gesicherten finanziellen Verhältnissen und Maud brauchte keinen Englisch- und Bridge-Unterricht mehr zu geben. Allerdings wohnte das Ehepaar mit der Tochter auch jetzt noch "möbliert" und hatte keinen eigenen Hausstand.

Im Jahr 1927 wurde Carl von Ossietzky auf Grund eines Artikels wegen "Beleidigung der Reichswehr" verurteilt, musste die Strafe von zwei Monaten Gefängnis aber nicht antreten. 1929 wurde er erneut wegen eines Beitrags angeklagt, in dem er die heimliche Aufrüstung der Luftwaffe aufdeckte. Erst im November 1931 kam es zum Prozess gegen ihn als verantwortlichen Redakteur und Walter Kreiser als Autor des Artikels, wobei der Prozess aus "sicherheitspolitischen Gründen" hinter verschlossenen Türen stattfand. Carl von Ossietzky wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Im Zuge der Weihnachtsamnestie 1932 und auf Grund öffentlicher Proteste kam er vorzeitig frei, allerdings nur für kurze Zeit.

Am 28. Februar 1933, unmittelbar nach dem Reichstagsbrand, wurde er erneut verhaftet und in Spandau bei Berlin interniert. Im Februar 1934 überführte man ihn ins KZ Esterwegen im Emsland. Freunden gelang es, seine Tochter Rosalinde 1933 nach England zu bringen, seine Frau Maud blieb in Berlin.

Carl von Ossietzkys Freunde und Weggefährten initiierten 1934 eine Kampagne, durch die ihm der Friedensnobelpreis verliehen werden sollte. Ein erster Versuch scheiterte aus formalen Gründen, da der Antrag zu spät eingereicht worden war und die Antragsteller überdies kein Antragsrecht besaßen. Der zweite Versuch war erfolgreich. Der Antrag wurde unterstützt von Albert Einstein, Ernst Toller, Aldous Huxley, Bertrand Russell, Virginia Woolf, Willy Brandt und vielen anderen Prominenten aus Europa und den USA. Unter den Emigrantinnen und Emigranten war die Initiative allerdings umstritten, weil viele Freunde davon ausgingen, dass sich damit die Situation des Gefangenen verschlimmern würde. So versuchte die Gestapo mit allen Mitteln, Carl von Ossietzkys Nominierung zu verhindern – bis hin zu einem fingierten Interview, in dem der Gefangene angeblich von den guten Haftbedingungen und seinem guten Gesundheitszustand berichtete. Die deutsche Regierung drohte nicht nur dem Nobel-Komitee, sondern versuchte zudem, Druck auf die norwegische Regierung auszuüben. Carl von Ossietzky nahm trotz allem den Preis an. Auch die Tatsache, dass Reichsmarschall Hermann Göring ihn zu einem Gespräch einbestellte, konnte daran nichts ändern. Allerdings konnte er den Preis am 23. November 1936 nicht persönlich entgegennehmen, da ihm die Ausreise verwehrt wurde. Das Preisgeld wurde einem Rechtsanwalt ausgehändigt, der es dann veruntreute, sodass sich weder die Situation Carl von Ossietzkys noch die seiner Frau Maud verbesserte.

Carl von Ossietzky wurde am 28. Mai 1936, bereits todkrank, aus dem KZ Esterwegen ins Krankenhaus Nordend in Berlin-Niederschönhausen verlegt, seine Frau war ständig bei ihm. Am 4. Mai 1938 starb er an Tuberkulose. Vierzehn Tage später wurde er in Berlin auf dem Friedhof Buchholzer Straße beigesetzt. Er erhielt keinen Grabstein. Heute befindet sich sein Grab als Ehrengrab auf dem Städtischen Friedhof in Berlin-Pankow.

In der Bundesrepublik begann die Auseinandersetzung um Carl von Ossietzky und seinen Lebensweg erst spät. Anfang der 1980er-Jahre bildete sich an der damaligen Hamburger Fachhochschule eine Initiative, die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg nach ihm zu benennen. Umbenannt wurde sie nicht. Am 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennung 1983 wurde sie lediglich mit dem Zusatz "Carl von Ossietzky" versehen. Vorausgegangen war eine Unterschriftenaktion mit mehreren Tausend Unterschriften. Sowohl der damalige Direktor der Staats- und Universitätsbibliothek, Professor Horst Gronemeyer, als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sprachen sich vehement gegen eine Umbenennung aus, wie aus einem Vermerk vom 3. Dezember 1982 hervorgeht. Lediglich ein einzelner Raum sollte Ossietzkys Namen tragen. Der damalige Kultursenator Wolfgang Tarnowski setzte sich dagegen engagiert für die Umbenennung ein. Er schrieb an den jüdischen Hamburger Schriftsteller Arie Goral-Sternheim, einen der Initiatoren: "Ich bekomme soeben das Original Ihres Schreibens vom 31. Dezember vorigen Jahres, das ich in seiner tiefen Resignation gleichzeitig als so etwas wie eine Aufkündigung von Vertrauen empfinde. Sie werden sicher verstehen, dass ich betroffen bin." Er erwähnte, dass sich zwar der Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi öffentlich gegen die Umbenennung ausgesprochen habe, der Senat aber "nach wie vor frei [sei], in seiner Gesamtheit anders zu votieren". Das gelte auch, wenn dazu ein "Meinungsumschwung" einiger, die sich bereits öffentlich festgelegt haben, nötig sei.

Dieser Meinungsumschwung trat ein und die Bibliothek gegenüber der letzten Hamburger Adresse des von den Nationalsozialisten ermordeten Friedensnobelpreisträgers trägt nun im Zusatz seinen Namen: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. In der DDR und der Bundesrepublik wurden zudem vielerorts Straßen, Plätze und Schulen nach Carl von Ossietzky benannt.

Stand: Juli 2017
© Charlotte Wilken

Quellen: 1; StaH 363–6 Ii Kulturbehörde II 363; Goral-Sternheim: Der Hamburger Carl von Ossietzky; Vinke: Carl von Ossietzky; Suhr: Carl von Ossietzky; https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Ossietzky (letzter Aufruf: 7.3.2016); Fromm: Eine Kampfnatur.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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