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Frida Haarburger * 1872
Husumer Straße 19 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)
HIER WOHNTE
FRIDA
HAARBURGER
JG. 1872
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
7.11.1941
Weitere Stolpersteine in Husumer Straße 19:
Selma Löwenstein, Bernhard Schwarz, Toni Schwarz
Frida Haarburger, geb. 6.3.1872 in Hamburg, gestorben 7.11.1941 in Hamburg (Suizid)
Husumer Straße 19 (Hoheluft-Ost)
Als Tochter des aus Altona stammenden Hartwig Simon Haarburger (1833-1907) und der in Kassel geborenen Miriam, genannt Amalie, Haarburger, geb. Leviseur (1840-1921) wurde Frida Haarburger 1872 in der Hamburger Vorstadt St. Pauli in der Carolinenstraße 11 geboren. Die Eltern hatten im Dezember 1864 vor dem Standesamt in Kassel und am 22. Januar 1865 in der Kasseler Synagoge geheiratet. Der erstgeborene Sohn Simon starb im April 1866 in Hamburg. Fridas Bruder Iwan Haarburger (geb. 1869) reiste 1893 als Kaufmann nach Südafrika und wurde nicht wieder im Hamburger Melderegister vermerkt.
Hartwig S. Haarburger und dessen Großvater Simon Wolff Haarburger waren "Lotteriekollekteure" und auch Fridas Bruder Emil Hartwig Haarburger (1867-1919) übte diesen Beruf zeitweilig aus. Hartwig S. Haarburger gehörte die Firma Haarburger & Co., die bereits vor 1835 von seinem Vater gegründet worden war und den Verkauf der "Lotterie-Collecte, An- u. Verkauf von Staatspapieren" (1872) betrieb. 1884 wurde die Firma als "Bank und Lotteriegeschäft" im Hamburger Adressbuch notiert. (1612 war in Hamburg die staatliche Lotterie eingeführt worden, deren Losverkauf wohl auf Provisionsbasis von "Kollekteuren" besorgt wurde; 1879 erhielt ein Konsortium aus dem Bank- und Handelshaus L. Behrens & Söhne (gegr. 1796) sowie dem Bankgeschäft Hardy & Hinrichsen (gegr. 1879) in öffentlicher Ausschreibung den Zuschlag für die Hamburger Stadtlotterie.)
Die Geschäftsadressen von Haarburger & Co. waren 1870 und 1884-1889 identisch mit den Wohnadressen, dazwischen hatte die Firma ein Büro am Alten Steinweg 65 (u.a. 1872-1873) und Neuen Wall 32 (u.a. 1878) angemietet. 1867 hatte Hartwig S. Haarburger das Hamburger Bürgerrecht erworben, was auf gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse schließen lässt.
Wie eng die religiöse Bindung von Frida Haarburgers Eltern zum Judentum war, ist nicht bekannt. In der Einwohnermeldekarte von 1892 ließ Hartwig S. Haarburger keine Religionszugehörigkeit vermerken. Auch bei der Mutter hatte das Meldeamt die Spalte "Religion" 1908 unausgefüllt gelassen. Die Mutter wurde 1921 aber auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. Ihre Tochter Frida hingegen trat der evangelisch-lutherischen Kirche bei, während Sohn Emil von mindestens 1913 bis 1919 Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg war.
Die Familie wohnte im Alten Steinweg 24 (1865-1867), Alten Steinweg 54 (u.a. 1869-1870), in der Carolinenstraße 11 (1871-1889), Hochallee 35 (1890-1897), Schlüterstraße 58 (1897-1903) und Klosterallee 13 (1903-1908). An den Wohngegenden ist der soziale Aufstieg ablesbar: von der Neustadt zur Vorstadt St. Pauli, nach Harvestehude und Rotherbaum.
Über Frida Haarburgers Kindheit und Jugend ist uns nichts bekannt. Sie blieb unverheiratet, muss allerdings eine musikalische Ausbildung erhalten haben, denn sie wurde im Hamburger Adressbuch von 1911 bis 1918 als "Musiklehrerin" mit der Adresse Husumerstraße 19 (Hoheluft-Ost) geführt. Hier hatte ihr fünf Jahre älterer und unverheirateter Bruder Emil seit September 1908 eine Wohnung gemietet, seine 1892 gegründete namensgleiche Firma unter dieser Adresse eingetragen, und hier lebte auch beider Mutter nach dem Tod ihres Mannes. Durch den Tod des 52jährigen Bruders Emil 1919 in der Privatklinik von Marie und Paul Linke (Moltkestrasse 31 u. 39, Hoheluft-West), der vermutlich auch Mutter und Schwester finanziell unterstützt hatte, löste sich der enge Wohnzusammenhang auf. 1919 lautete Frida Haarburgers Wohnadresse Hansastraße 33 (Harvestehude). Danach führte sie das Adressbuch nicht mehr als Hauptmieterin.
Im Schuldienst scheint Frida Haarburger nicht als Musiklehrerin gearbeitet zu haben, jedenfalls findet sich ihr Name nicht in den Lehrerverzeichnissen.
20 Jahre nach ihrer letztmaligen Erwähnung im Hamburger Adressbuch von 1919 wurde Frida Haarburgers Adresse in der Volkszählung vom 17. Mai 1939 erfasst: Sie wohnte zu diesem Zeitpunkt in Hamburg-Volksdorf in der Farmsener Landstraße 73.
1939 musste sie der Zwangsvereinigung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland trotz ihrer evangelischen Regionszugehörigkeit beitreten. Zu dieser Zeit lebte sie als Untermieterin in der Isestraße 37 (Harvestehude), seit November 1940 in der Westerstraße 27 in Hauptbahnhofnähe im Daniel-Wormser-Haus (für Durchreisende und Obdachlose Juden) und zuletzt in der Curschmannstraße 31 (Hoheluft-Ost) im Parterre bei Bertha Cassel, geb. Eggers (geb. 8.9.1879 in Wilhelmsburg, gest. 1965). Bertha Cassel hatte nach dem Suizid ihres jüdischen Ehemannes Leopold Cassel (geb. 5.3.1874 in Stettin) am 6. Juni 1941 und ihrer angespannten finanziellen Situation mit der Untervermietung begonnen.
Die Hauskartei Isestraße 37 vermerkte Frida Haarburger dann als Untermieterin bei Ina Frey geb. Nehemias (geb. 3.6.1883 in Hamburg) für den kurzen Zeitraum 1. Mai 1941 bis 1. Juli 1941.
Wie alle Juden wurde Frida Haarburger gezwungen, ab 1939 den zusätzlichen Vornamen "Sara" anzunehmen, durfte ab 20 Uhr das Haus nicht mehr verlassen und musste ab September 1941 den "Judenstern" deutlich sichtbar an ihrer Kleidung tragen. Ihre finanzielle Situation war angespannt, seit September 1940 war sie auf Fürsorgeleistungen der Jüdischen Gemeinde angewiesen.
Die 69-jährige Frida Haarburger nahm am 3. November 1941 eine Überdosis Schlaftabletten, was im Zusammenhang mit der bevorstehenden Deportation vom 8. November 1941 (ins Getto Minsk) stehen dürfte. Da sie von einem Gelingen ihres Suizids ausging, hatte sie per Post an eine Freundin geschrieben; diese informierte früh am nächsten Tag den jüdischen Arzt Eugen Klewansky (1883-1954), der die bewusstlose Frida Haarburger ins Israelitische Krankenhaus (Johnsallee 54) einliefern ließ, wo sie am 7. November 1941 an Schlafmittelvergiftung starb.
Das Amtsgericht Hamburg ernannte den Rechtsanwalt Hugo Möller (1881-1951), seit Dezember 1938 als "Konsulent" (Rathausstraße 27 III. Stock) nur noch für jüdische Klienten zugelassen, zum Nachlasspfleger. Frida Haarburger wurde laut Kultussteuerkartei auf dem "Zentralfriedhof" beerdigt.
Für ihre Cousine Alice Baum, geb. Haarburger (1873-1941) wurde im Mai 2010 vor dem Haus Efeuweg 16 (Winterhude) ein Stolperstein verlegt (siehe www.stolpersteine-hamburg.de).
Stand: Dezember 2021
© Björn Eggert
Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 331-5 (Polizeibehörde – unnatürliche Todesfälle), 1941/1857 (Frieda Haarburger); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht), C Nr. 6 (Sterberegister 1599/1866, Simon Haarburger 5 Monate); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht), A Nr. 31 (Geburtsregister 2702/1867, Emil Haarburger); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht), A Nr. 66 (Geburtsregister 1698/1869, Iwan Haarburger); StaH 332-5 (Standesämter), 7989 u. 586/1907 (Sterberegister 1907, Hartwig Haarburger); StaH 332-5 (Standesämter), 8057 u. 370/1919 (Sterberegister 1919, Emil Haarburger); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), AIe 40 Bd. 6 (Bürger-Register 1845-1875 G-K), Hartwig Simon Haarburger (Nr. 1504, 9.8.1867), Joseph Isaac Haarburger (Nr. 1208, 1.2.1867), Isaac Wolff Haarburger (Nr. 1002, 13.9.1850), Israel Haarburger (Nr. 858, 27.6.1856); StaH 332-8 (Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925), Hartwig Simon Haarburger, Miriam Amalia Haarburger, Emil Haarburger; StaH 332-8 (Hausmeldekartei), Isestr. 37 (Untermieterin Frieda Haarburger bei Ina Frey geb. Nehemias vom 1.4.1941 – 1.7.1941); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 4248 (Bertha Cassel geb. Eggers); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Frieda Haarburger, Emil Haarburger; StaH Bibliothek, A 555/0001 Kapsel 01, Denkschrift der Lehrerkammer bei der Berufsschulbehörde, betr. die Durchführung der Personalabbauverordnung, Hamburg März 1924, 16 Seiten; Gedenkbuch Koblenz; Gedenkbuch Hamburg; Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 235 (Emil H. Haarburger); Adressbuch Hamburg (Namensverzeichnis Haarburger) 1835, 1842, 1855, 1860, 1863, 1865, 1867, 1870-1873, 1878, 1884, 1887, 1889, 1890, 1909, 1911-1915, 1918-1919; Max G. A. Predöhl, Die Entwicklung der Lotterie in Hamburg, Hamburg 1908, S. 11, 50; Nordwestdeutsche Klassenlotterie, 350 Jahre Staatslotterie, Hamburg 1962; Anna von Villiez, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, 2009, S. 323 (Eugen Klewansky); Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Gräberverzeichnis im Internet (Amalie Haarburger geb. Leviseur, Grablage A 10-138).