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Herbert Klein und Mutter Agnes Martha
Herbert Klein und Mutter Agnes Martha, auf der Rückseite handschriftlich: "Deine Mutter – 1944 – Vergiß mich nie"
© Privat

Herbert Klein * 1922

Neuer Höltigbaum (Wandsbek, Rahlstedt)


HERBERT KLEIN
JG. 1922
DESERTIERT 1944
VERHAFTET 18.12.1944
"HOCHVERRAT"
KRIEGSGERICHT NEUMÜNSTER
TODESURTEIL 30.1.1945
HINGERICHTET 10.3.1945
SCHIESSPLATZ
RAHLSTEDT–HÖLTIGBAUM

Weitere Stolpersteine in Neuer Höltigbaum :
Willi Dittmann, Fritz Freitag, Hans Müller, Erwin Pepper

Herbert Klein, geb. 8.2.1922 in Hamburg, hingerichtet am 10.3.1945

Herbert Klein, geboren am 8.2.1922 in Altona, war 17 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg begann. Zwei Jahre später, am 3. Dezember 1941, wurde er Soldat. Das Ende des Krieges erlebte er nicht. Am 10. März 1945, 10:12 Uhr, wenige Wochen vor Kriegsende, stand der gerade 23jährige Herbert Klein zusammen mit drei weiteren Soldaten auf dem Richtplatz des Standortschießplatzes Höltigbaum vor einem Erschießungskommando unter Leitung des Korvettenkapitäns Maurer, Wehrbereichskommando 4 bis 6 in Altona (WBK. 4 bis 6, WBK.V).

Der Oberstabsrichter des Gerichts der Wehrmachtkommandantur Hamburg, Heinrich (?) Suhr, verlas die Urteilsformel, "Der Angeklagte wird wegen Fahnenflucht mit dem Tode bestraft", und die Bestätigungsverfügung des Reichsführers SS und Oberbefehlshabers des Ersatzheeres, Heinrich Himmler, vom 23. Februar 1945: "Einen Gnadenerweis lehne ich ab. Das Urteil ist zu vollstrecken".

Herbert Klein verzichtete auf ein letztes Wort. Ein anwesender Geistlicher hatte Gelegenheit für einen letzten Zuspruch, bevor um 10:15 Uhr der Befehl "Feuer" erfolgte. Damit endete das Leben von Herbert Klein. Es wurde ausgelöscht, weil die Militärjustiz im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre gnadenlosen Vollstrecker die Todesstrafe zur "Aufrechter-haltung der Manneszucht" für unerlässlich hielten.

Herbert Kleins Mutter wurde am 21. März 1945 durch das Gericht der Division Nr. 490 in Neumünster über die Vollstreckung der Todesstrafe an ihrem Sohn informiert – und erhielt den Hinweis, dass Todesanzeigen oder Nachrufe in Zeitungen und dergleichen verboten seien.

Alles, was wir über Herbert Klein und die letzten Tage und Stunden seines kurzen Lebens wissen, beruht auf Dokumenten in der Militärgerichts-Akte des gegen ihn am 30. Januar 1945 wegen "Fahnenflucht" ergangenen Todesurteils. Dort sind seine persönlichen Erklärungen und protokollierten Aussagen in Vernehmungen sowie aktenkundig gemachte Angaben seiner Mutter Agnes Martha Klein, geb. Kwidzinski, geboren am 31.1.1893 in Hamburg enthalten.

Herbert Klein galt zunächst als uneheliches Kind. Sein Vater, der Mühlenarbeiter Wilderich Joseph Klein, geboren am 25.8.1883 in Großleinungen im heutigen Sachsen-Anhalt, hatte in Hamburg als Schaffner bei der Straßenbahn gearbeitet. Er war bereits am 17. März 1923 im 39. Lebensjahr in der damaligen ehelichen Wohnung in Altona, Gustavstraße 18 (heute Gilbertstraße) verstorben. Eine Notiz auf dem Sterberegistereintrag weist auf einen möglichen Selbstmord hin. Der gerade mal einjährige Herbert Klein wuchs ohne Vater auf. Er hatte keine Geschwister.

Seine Mutter Martha Klein war nur etwa sechs Monate mit Joseph Klein verheiratet, als sie den Ehemann verlor. Wie sie später am 20. Januar 1945 bei der Kriminalpolizeileitstelle Hamburg ausführte, hatte das Paar am 25. November 1922 nur wegen ihres gemeinsamen Kindes Herbert geheiratet. Auf Betreiben der Mutter hatte die Vormundschaftsbehörde am 24. Mai 1923 beschieden, die Geburt von Herbert Klein nachträglich als ehelich anzuerkennen.

Martha Klein hatte den Beruf der Schneiderin gelernt. Zum Zeitpunkt des Kriegsgerichtsverfahrens gegen ihren Sohn arbeitete sie jedoch schon seit einigen Jahren als Küchenhilfe im Krankenhaus Barmbek in der Fuhlsbüttler Straße 33. Sie hatte dort inzwischen aucheine Notunterkunft bezogen, nachdem ihre Wohnung in Barmbek im Juli 1943 während der Luftangriffe auf Hamburg (Operation "Gomorrha") zerstört worden war. Dabei gingen fast alle persönlichen Unterlagen über ihre Familie und den Werdegang ihres Sohnes verloren.

Es ist anzunehmen, dass Herbert Klein in Barmbek aufgewachsen ist und auch seine Schul- und Jugendzeit dort verbracht hat. Dorthin flüchtete er auch, nachdem er desertiert war, wie er nach seiner Festnahme im Dezember 1944 vor dem Gericht der Division Nr. 190 in Neumünster am 5. Januar 1945 angab. Er habe sich im "zerstörten Viertel unserer früheren Wohnung" aufgehalten und auch im dortigen Luftschutzbunker (Tiefbunker Weidestraße 13–15) übernachtet. (Das Gericht der Division Nr. 190 in Neumünster hatte auch eine Zweigstel-le in Hamburg; es wurde Ende 1944 in "Gericht der Division Nr. 490" umbenannt.)

Herbert Klein wurde mit sechs Jahren 1928 in eine katholische Volksschule eingeschult. Nach Angaben seiner Mutter blieb er jedoch hinter den Leistungen seiner Mitschüler zurück und wechselte dann mit ihrem Einverständnis in der zweiten Klasse in die damalige Hilfsschule. Möglicherweise hatte Herbert wegen eines Sprachfehlers, dessen Ursache seine Mutter in einem Unfall in früher Kindheit vermutete, Schwierigkeiten, in der Lernentwicklung mit seinen Mitschülern mitzuhalten. Die Schule verließ er mit dem allgemeinen Abschluss der 8. Klasse im Jahre 1936 nach Vollendung seines 14. Lebensjahres. Der Hitlerjugend gehörte Herbert Klein nicht an.

Als Herbert Klein im Reservelazarett V in Hamburg Wandsbek (heutiges Bundeswehrkrankenhaus Wandsbek) im Januar 1945 auf seine Schuldfähigkeit untersucht wurde, schilderte er, dass ihm das Lernen schwer gefallen sei und er auch in der Hilfsschule nicht zu den guten Schülern gezählt habe. Wegen seines Stotterns sei er von den Kameraden oft gehänselt worden. Prügeleien sei er immer aus dem Weg gegangen, er sei ängstlich, "weich", weine schnell und sei leicht beeinflussbar. Häufig habe er die Schule geschwänzt, wenn Arbeiten und Aufgaben anstanden, vor denen er sich fürchtete.

Herbert Klein berichtete weiter, nach der Schule zunächst als Bote, dann als Gläserspüler und schließlich als Gastwirtsgehilfe gearbeitet zu haben. Die letzte Tätigkeit hätte ihm Spaß gemacht, vor allem, weil er dabei auch ordentlich verdient habe. Möglicherweise spielte auch eine Rolle, dass er mit siebzehn Jahren unter dem Einfluss seines homosexuellen Onkels sexuelle Kontakte mit anderen Männern aufnahm und sich dafür bezahlen ließ. So war er schließlich recht schnell auch in die Fänge der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung geraten. Das Amtsgericht Hamburg verurteilte ihn wegen Unzucht in vier, teilweise fortgesetzten Fällen zu sechs Monaten Gefängnis, die Herbert Klein dann am 21. Juni 1940 auch verbüßt hatte. Was für ihn selbst offensichtlich nur eine Episode im Leben gewesen war, kehrten die Richter, vor denen er später stand, dann gegen ihn, werteten ihn als Person ab und verurteilten ihn zum Tode.

Wohl nur kurze Zeit nach der Verbüßung seiner Gefängnisstrafe lernte Herbert Klein als Achtzehnjähriger eine siebenunddreißigjährige Gastwirtin kennen, mit der er dann recht schnell und – wie er angab – unter Alkoholeinfluss ein Liebesverhältnis aufnahm. Anna Theresia Ruech, geboren 15.6.1903 in Murnau, betrieb eine Gaststätte in der Neustadt, Dovestraße 10 (heute Bereich Kuhberg/Ecke Venusberg), während ihr Ehemann an der Front stand. Sie hatten Gefallen aneinander gefunden und Herbert Klein konnte sich auch nach der Einberufung zur Wehrmacht nicht gänzlich von ihr lösen. Dies mag seine mehrmalige unerlaubte "Entfernung von der Truppe" mit erklären.

Nicht zuletzt wegen dieser Beziehung, so Herbert Klein, sei er bei seinen Anstellungen im Cafe Schircksin Blankenese und im "Berliner Hof" (St. Georg) säumig gewesen und habe diese verloren. Etwa in der zweiten Jahreshälfte 1941 (August/September) wurde Herbert Klein dann durch das Arbeitsamt als Arbeiter in den damaligen Rüstungsbetrieb Heidenreich & Harbeck vermittelt. Allerdings spricht alles dafür, dass es eine verpflichtende Zuweisung in den Betrieb war. Dort geriet Herbert Klein bereits kurze Zeit nach Arbeitsaufnahme in Konflikt. Herbert Klein erwähnte dazu später, die Arbeit in dem Rüstungswerk sei für ihn nicht leistbar gewesen und er habe sich deshalb krank gemeldet. Zeitgleich sei er aber mit einer Ersatzsteuerkarte, die er mit falschen Angaben beschafft hatte, seiner gewohnten Tätigkeit als Gehilfe in einer Gastwirtschaft nachgegangen. Wegen dieses "Arbeitsvertragsbruchs", der in den Jahren zwischen 1933 und 1945 unter Strafe gestellt war, wurde Herbert Klein am 17. Oktober 1941 vom Amtsgericht Hamburg zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt, die er verbüßte.

Kurz zuvor war er zum Wehrdienst nach Neumünster einberufen worden. Dort trat er am 3. Dezember 1941 beim Grenadier-Ersatzbataillon 46 [Gren.Ers.Batl.46] seinen Dienst an. Noch während der Ausbildungszeit in der Hindenburg-Kaserne in Neumünster entfernte er sich im Januar 1942 mit Unterstützung von Anna Theresia Ruech, die ihn offenbar auch an seinem Standort besuchte, zum ersten Mal unerlaubt von seiner Einheit. Er hatte "trotz wiederholten Bittens" keinen Urlaub bekommen. Anna Theresia Ruech schickte ihm deshalb ein fingiertes Telegramm mit der Nachricht der Erkrankung seiner Mutter und der Aufforderung "gleich nach Hamburg" zu kommen. Seine Mutter wusste offensichtlich nichts davon. Dieser "Schwindel" flog auf, nachdem Herbert Klein im Anschluss an den erschlichenen Urlaub verspätet in die Kaserne zurückgekehrt war.

Das oben erwähnte Gericht der Division Nr. 190 in Neumünster verurteilte ihn daraufhin am 28. Februar 1942 wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe und Erschleichens einer Bahnfahrt zu neun Monaten Gefängnis. Die Strafe saß Herbert Klein im Wehrmachtsgefängnis in Torgau am 8. Dezember 1942 ab.

Auch für Anna Theresia Ruech hatte ihre Mitwirkung strafrechtliche Folgen. Sie wurde vom Amtsgericht Hamburg (mit Rechtskraft vom 30. März 1942) "wegen Zersetzung der Wehrkraft in Tateinheit mit Urkundenfälschung gemäß § 5 Abs. 1 Ziff. 3, Abs. 2 Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 17.8. 1938, §§ 267, 73 StGB, zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt und hatte die Kosten zu tragen." Gericht erkannte auf einen minder schweren Fall der Zersetzung der Wehrkraft und hielt der Angeklagten ihre bisherige strafrechtliche Unbescholtenheit zugute. "Jedoch kann ein solches Vergehen im Kriege nicht bagatellisiert werden. Sechs Wochen Gefängnis erschienen angemessen." Im November 1945 wurde die gegen Anna Theresia Ruech erkannte Strafe dann im Gnadenwege erlassen.

Nach Verbüßung seiner Strafe in Torgau kehrte Herbert Klein zu seiner Einheit in Neumünster zurück. Er entfernte sich nur wenige Monate später erneut unerlaubt aus der Kaserne und fuhr nach Hamburg. Er hielt sich nach eigenen Angaben zwei Tage wiederum bei Anna Theresia Ruech auf. Erneut kam er vor das Gericht der Division 190 und wurde nun am 23. März 1943 zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt. Sechs Monate nach Antritt der Strafe, am 4. September 1943, wurde die Vollstreckung der zweijährigen Gefängnisstrafe unterbrochen und die Unterbringung in einer "Feldstraf-Gefangenenabteilung" an der Ost-front (Kiew) angeordnet. Im Frühsommer 1943 wurde Herbert Klein dort vom Gericht der Stadtkommandantur Kiew zu drei Wochen "geschärftem Arrest" wegen militärischen Diestahls bestraft. Später im Verlauf des Jahres 1944 kam er "zum Fronteinsatz in der Partisanenbekämpfung". Im Mai 1944 wurde Herbert Klein verwundet und zur Genesung in ein Reservelazarett nach Posen verlegt. In der späteren Kriegsgerichtsverhandlung räumte er ein, die Schussverletzungen nicht im Fronteinsatz, sondern bei einem gescheiterten Fluchtversuch am 30. April 1944 erlitten zu haben.

Aus dem Lazarett in Posen setzte man ihn im Juli 1944 über eine Krankensammelstelle nach Schleswig zurück in Marsch. Herbert Klein wählte aber nicht den direkten Weg zur Einheit nach Schleswig, sondern einen Umweg über Hamburg. Hier blieb er zunächst noch vier Tage bis zum 31. Juli 1944. Bei seiner Einheit kam es deshalb erneut zu einem Disziplinarverfahren gegen ihn. Dessen Ergebnis, die am 22. August 1944 ergangene Disziplinarstrafe von zwei Wochen "geschärftem Arrest", erreichte ihn aber nicht mehr, weil er sich bereits wenige Tage zuvor am 18. August 1944 erneut unerlaubt nach Hamburg abgesetzt hatte.

Vier Monate später, am 18. Dezember 1944, wurde Herbert Klein dann bei einer Kontrolle durch eine Wehrmachtsstreife in einem Lokal in Hamburg-St. Pauli in ziviler Kleidung aufgegriffen, festgenommen und in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Hamburg-Altona, Gerichtsstraße 2, überstellt. Vor der Streifenkommandantur Hamburg gab er an, sich in Hamburg und Umgebung planlos herumgetrieben zu haben und seine Wehrmachtsuniform in einer Höhle/Waldhütte in Wellingsbüttel (vermutlich im Bereich des Alsterlaufes) versteckt zu haben. Zuvor habe er sich Zivilkleidung auf dem Schwarzmarkt beschaffen können.

Als Herbert Klein zu seiner Einheit, der Genesenden-Kompanie des Füsilier-Ersatzbataillons 26 [Füs.Ers.Btl.26] in Schleswig, zurück gebracht werden sollte, versuchte er trotz seiner Fesseln auf dem Bahnhofsgelände in Altona zu fliehen, was jedoch bereits nach wenigen Metern scheiterte.

Der weitere Ablauf ist klar dokumentiert:
Nach Verkündung des Haftbefehls am 12. Januar 1945 kam Herbert Klein in die Untersuchungshaft der Arrestanstalt des Füsilier-Ersatzbataillons 26 in Schleswig. Zuvor hatte er darum gebeten, seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen, da er "in der ganzen Zeit seiner Entfernung (von der Truppe) keinen klaren Gedanken hätte fassen können" und nicht verstehen könne, warum er überhaupt weggelaufen sei.

In einer knappen Stellungnahme führte sein Kompanieführer aus: "Klein, dem schon in seiner Jugend die feste Hand eines Vaters fehlte, ist besonders durch seinen Beruf, den er in Gaststätten einer Großstadt ausführte, vollkommen von dem rechten Weg abgekommen. Da sich die schweren Verfehlungen trotz schwerster Bestrafungen des Klein ständig wiederholt haben, ist die Kompanie der Ansicht, dass es sich um einen unverbesserlichen Menschen handelt. Seine völlige Unzuverlässigkeit schließt jegliche weitere Verwendung in der Wehrmacht aus."

Am 16. Januar 1945 lag dem Divisionsgericht das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung durch Prof. Hans Büssow, Stabsarzt im Reservelazarett Vin Wandsbek zur Schuldfähigkeit von Herbert Klein vor. Es bestätigte die Schuldfähigkeit eindeutig. Zwar begann es: "Seine intellektuellen Fähigkeiten haben es ihm ermöglicht, in einem Beruf zu arbeiten, der nicht als ganz primitiv bezeichnet werden kann". Doch im Weiteren argumentierte der Gutachter ähnlich wie Herbert Kleins Vorgesetzter: "Er ist ein weicher, ängstlicher und schüchterner Mensch, dabei sicher haltlos und verführbar. Es spricht nichts dafür, dass er bei seinen zahlreichen Vorstrafen eine wesentliche verbrecherische Initiative an den Tag gelegt hat. Ein großer Teil seiner Delikte, insbesondere die unerlaubten Entfernungen, sind als Folge seiner Haltlosigkeit anzusehen. Auch wenn nicht der Wille, sondern mehr seine ‚Haltlosigkeit‘ für die Tat entscheidend gewesen sei, sei Klein für sein Tun voll verantwortlich."

Am 19. Januar 1945 erließ das Gericht die Anklageverfügung gegen den "Füsilier" (Infanterist) Herbert Klein, "weil er hinreichend verdächtigt ist, am 18. August 1944 zu Schleswig in der Absicht, sich der Verpflichtung zum Dienste in der Wehrmacht dauernd zu entziehen, seine Truppe verlassen zu haben".

Am 30. Januar 1945 fand die Feld-Kriegsgerichtsverhandlung unter Leitung von Oberfeldrichter Georg Gersdorf gegen Herbert Klein in Neumünster statt. Als Beisitzer fungierten Ritt-meister Eggert und Obergefreiter Heermeyer. Vertreter der Anklage war Oberleutnant Carius, Verteidiger von Amts wegen Rechtsanwalt Thode, Neumünster.

Nach Verlesung der Anklageverfügung erklärte Herbert Klein wie schon vorher, "Ich wollte mich nicht für dauernd dem Wehrdienst entziehen …" und: "Im Übrigen war ich kopflos und wusste überhaupt nicht mehr, was ich tat."

Der Anklagevertreter beantragte dennoch "wegen Fahnenflucht Todesstrafe, Verlust der Wehrwürdigkeit und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit". Der Pflichtverteidiger von Herbert Klein hielt eine Zuchthausstrafe für angemessen. Herbert Klein selbst erklärte: "Ich bereue meine Tat und bitte um Frontbewährung".

Oberfeldrichter Gersdorf verurteilte Klein zum Tode. In der schriftlichen Begründung vom 31. Januar 1945 führte er aus:"Im Hinblick auf die Persönlichkeit des Angeklagten und die gesamten Tatumstände hat das Gericht die Todesstrafe für geboten gehalten. Der Angeklagte hat sich wiederholt von seiner Truppe entfernt und ist deswegen bestraft worden. Er hat wiederholt Fluchtversuche unternommen. Als Soldat hat er sich denkbar schlecht geführt. Er macht einen in jeder Hinsicht unglaubwürdigen und verlogenen Eindruck. Er ist offenbar unverbesserlich, wie aus seinem Werdegang und seinem Verhalten unbedenklich geschlossen werden kann. Unter diesen Umständen bedeutet er lediglich eine Belastung für die Truppe und die Gesamtheit. Nach der besonderen Lage des Falles hielt das Gericht die Todesstrafe für unerläßlich, um die Manneszucht aufrecht zu erhalten."

Unmittelbar nach seiner Urteilsverkündung widerrief Herbert Klein seine Aussagen und nannte die Beziehung zu der Frau als Hauptgrund für seine Desertion. Deshalb beantragte sein Verteidiger am 1. Februar 1945 die Umwandlung der Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe mit Frontbewährung, "da es nicht als ausgeschlossen angesehen werden [kann], dass er, in besondere strenge Zucht genommen, noch besserungsfähig ist."

Doch zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kam es nicht. Generalmajor Ernst Wisselinck, Kommandeur und zugleich Gerichtsherr der Division in Neumünster, wollte keinen Gnadenerweis befürworten, "da der Verurteilte mehrfach einschlägig vorbestraft und eine völlig asozial eingestellte Persönlichkeit ist, deren Erziehbarkeit zu einem ordentlichen Menschen und Soldaten nach seinem Vorleben aussichtslos erscheint." Wisselinck als Gerichtsherr besaß umfangreiche Vollmachten: Er konnte über die Aufnahme eines Verfahrens bestimmen. Ankläger und Richter einsetzen, musste die Urteile bestätigen oder mildern, zur Bewährung aussetzen oder sogar aufheben. Nach eigenem Ermessen konnte er auch ein neues Gericht bestimmen, wenn das Urteil nicht seinen Vorstellungen entsprach.

In seiner verzweifelten Lage offenbarte Herbert Klein nun in einer weiteren Vernehmung seine Beziehung mit Anna Theresia Ruech, ihre Unterstützung seines unerlaubten Aufenthaltes und alle Umstände seines Fernbleibens in Hamburg. Leutnant Lau fertigte ein zweieinhalb Seiten eng beschriebenes Vernehmungsprotokoll.

Anschließend durfte er noch einmal 10 Minuten mit seiner Mutter sprechen. Diese schilderte in einem Brief an den Verteidiger, dass ihr Sohn "dermaßen erregt war und er zur Sache kaum reden konnte". Die verzweifelte Mutter hoffte auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens und bat den Rechtsanwalt inständig um Aufklärung, ob ihr Sohn "mit Gnade davon kommt oder doch zum Tode bestimmt wird. Ich bitte Sie recht herzlich mir doch offen zu sagen, wie es wird mit meinem Sohn."

Am 23. Februar 1945 jedoch bestätigte der Reichsführer SS und Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, Heinrich Himmler, das Urteil: "Einen Gnadenerweis lehne ich ab. Das Urteil ist zu vollstrecken." Das Gericht der Wehrmachtskommandantur Hamburg verfügte am 7. März 1945 die Strafvollstreckung.

Am 10. März 1945 wurde Herbert Klein aus dem Wehrmachtuntersuchungsgefängnis in Altona zum Höltigbaum bei Rahlstedt überführt und hingerichtet. Er hatte zuvor noch von seiner Mutter Abschied nehmen dürfen.

Sein Leichnam wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf bestattet. Die Nachricht von der Hinrichtung ging "per Einschreiben – mit Soldbuch Klein anbei" an das Gericht der Division Nr. 490 in Neumünster und dort zur Akte, ebenso wie die Verfügung zur Vollstreckung und die gefertigten Niederschriften, Todesbescheinigung und Bestattungsschein.

Herbert Klein war zweifelsohne kein Held und auch kein Widerstandskämpfer mit politischen oder moralischen Motiven. Angesichts bereits erlittener Strafen war sein Handeln dennoch mutig, selbst wenn er die schrecklichen Folgen seines Tuns nicht übersehen konnte. Er war ein junger Mann, der es in seinem Leben sicherlich nicht einfach gehabt hatte, und ihm wurde durch die Wehrmachtsjustiz schwerstes Unrecht angetan.

Herbert Kleins Erschießung war kein Einzelfall. Für Adolf Hitler waren Wehrmachtsdeserteure Feinde schlechthin. "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben" lautete seine Weisung. Über 30.000 Soldaten und Zivilisten, Männer und Frauen, auch aus den besetzten Ländern Europas, ließen deutsche Wehrmachtsgerichte während des Zweiten Weltkrieges hinrichten. Von März bis Mitte April 1945 wurden mindestens fünfundsechzig meist in Rahlstedt/Höltigbaum erschossene namentlich bekannte Wehrmachtsangehörige auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet. 1960 wurden deutsche Opfer des Naziregimes, darunter auch erschossene Deserteure wie Herbert Klein auf den dortigen deutschen Soldatenfriedhof 1939–1945 umgebettet.

Herbert Kleins Mutter Agnes Martha Klein verstarb am 28. Januar 1966 in Hamburg. In ihrem Todesjahr galten verurteilte Deserteure, die überlebt hatten, gemeinhin immer noch als Verräter und Drückeberger. Erst 2002 erklärte der Deutsche Bundestag die Schandurteile der NS-Militärrichter gegen Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer für null und nichtig. Weitere sieben Jahre und endlose Debatten im Deutschen Bundestag mussten vergehen, bis schließlich im September 2009 die in dem Beschluss von 2002 noch nicht er-fassten Urteile gegen sog. Kriegsverräter aufgehoben wurden. Mehr als sechzig Jahre nach Kriegsende wurde damit endlich der Weg für eine Anerkennung und Rehabilitierung dieser Opfergruppe der Militärjustiz – neben anderen Opfern des Naziterrors – bereitet.

Feldrichter Georg Gersdorf (geb. am 3. April 1889–Todesdatum unbekannt) trat am 1. Februar 1946 auf eigenen Antrag mit gutachtlich bestätigter Begründung "dauerhaft arbeitsunfähig" in den Ruhestand. Mit Ausnahme einer kurzfristigen vorübergehender Einstellung der Ruhegeldzahlungen erhielt er seine Rente bis zu seinem Lebensende. Er wurde nie wegen seiner Tätigkeit als Kriegsrichter zur Verantwortung gezogen.


Stand: Oktober 2019
© Hans-Joachim Klier

Quellen: Bundesarchiv-Militärarchiv, Gericht der Division Nr. 490, Akte Nr. 483 (Verfahrensakte Strafsache gegen Herbert Klein); StaH 213-11 Zivil- und Strafgerichtsbarkeit 2726/44 (Strafsache gegen Ruech, Anna Theresia, wg. Wehrkraftzersetzung, Urkundenfälschung); Claudia Bade zu Feldrichter Georg Gersdorf; Landeszentrale für politische Bildung Hamburg "Gedenken am Höltigbaum" 10.01.2013 (Detlef Garbe zu Herbert Klein und ein Gespräch mit dessen Cousin am 5. März 1988); https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Wisselinck; KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Januar 2013 "Deserteure und andere Verfolgte der NS-Militärjustiz: Die Wehrmachtsgerichtsbarkeit in Hamburg"; Herbert Diercks "Friedhof Ohlsdorf. Auf den Spuren von Naziherrschaft und Widerstand", Ergebnisse Verlag 1992; Standesamt Hamburg-Barmbek/Uhlenhorst Geburtsregister 299/1893, Standesamt Altona Sterberegister 509/1923, Standesamt Altona Heiratsregister 1440/1922. KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg "Rücksichten auf den einzelnen haben zurückzutreten", Hamburg 2019. Mein besonderer Dank gilt Dr. Claudia Bade für ihre Unterstützung bei der Recherche und der Bereitstellung der Militärgerichtsunterlagen.https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/nachrichten/news/forschungsprojekt-militaerjustiz-und-stadt-im-krieg/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=a2f7e2e413a86109e8c5be11756f0154.

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