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Bereits verlegte Stolpersteine



Dr. Charlotte Friedmann * 1903

Simon-von-Utrecht-Straße 4 (Hamburg-Mitte, St. Pauli)


HIER WOHNTE
DR. CHARLOTTE
FRIEDMANN
JG. 1903
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
24.2.1939

Weitere Stolpersteine in Simon-von-Utrecht-Straße 4:
Rosa Bernstein

Dr. Charlotte Friedmann, geb. 7.7.1903 in Mannheim, Flucht in den Tod am 24.2.1939

Eckernförder Straße 4
Simon-von-Utrecht-Straße 4


Charlotte Margarete Eva Friedmann erblickte das Licht der Welt am 7. Juli 1903 in Mannheim. Ihr Vater Dr. Max Friedmann war ein bekannter Nervenarzt in Mannheim und Politiker der Nationalliberalen Partei, später der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Zusammen mit Frau Emilie geb. Neumann und der bereits im Juni 1900 geborenen Tochter Gertrud Anna lebte die Familie in der Rheinstraße 1 in Mannheim.

Charlotte besuchte in Mannheim zwei Jahre die höhere Tochterschule und anschließend das Karl-Friedrich-Gymnasium, an dem sie im März 1921 Abitur ablegte. Schon im Wintersemester 1921 nahm sie - die sich fortan nur noch Lotte nannte - das Medizinstudium an der Universität Heidelberg auf. Im Juli 1923 bestand sie die ärztliche Vorprüfung, im Frühjahr 1926 die Staatsprüfung. Das praktische Jahr absolvierte sie anschließend in der medizinischen und chirurgischen Klinik Heidelberg und an der medizinischen Poliklinik in Bonn.

Die Eltern Friedmann verstarben, als Lotte noch studierte (die Mutter im Juli 1922, der Vater im Februar 1925). Sie lebte fortan mit der Schwester Gertrud im geerbten Haus in der Rheinstraße, wo nach deren Hochzeit mit Prof. Dr. Felix Wassermann 1926 auch dieser mit einzog. Gertrud war Kunsthistorikerin und führte nach den Äußerungen von Freunden (im Wiedergutmachungsverfahren von Felix Wassermann) ein großbürgerliches und gastfreundliches Haus.

Im März 1927 legte Lotte Friedmann ihre Dissertation mit dem Titel "Die Herznerven und der Sauerstoffverbrauch des Herzens" vor, die mit summa cum laude bewertet und in Pflügers Archiv veröffentlicht wurde. Im Anschluss an die Promotion publizierte Lotte gemeinsam mit ihrem Würzburger Doktorvater Prof. Dr. Bohnenkamp. In den folgenden Jahren lernte und arbeitete sie als Assistenzärztin an verschiedenen Krankenhäusern im Deutschen Reich und qualifizierte sich zur Fachärztin für Innere Medizin-

1927 nahm sie die Arbeit am Städtischen Krankenhaus in Altona auf. Ab 1929 führte die Gesellschaft für Innere Medizin sie im Mitgliederverzeichnis auf, zunächst an der Medizinischen Poliklinik in Bonn. Nach einem wohl nur kurzen Zwischenspiel im Frankfurt/Main kehrte sie im April 1930 nach Altona ins Städtische Krankenhaus zurück.

Der nächste berufliche Wechsel brachte Lotte Friedmann wiederum an das andere Ende des Reichs, nämlich ins badische Villingen. Dorthin zog sie im November 1932 und arbeitete - wohl als angestellte Ärztin - in der Praxis des praktischen Arztes Dr. Johann Nepomuk Hässler. Dieser Johann N. Hässler (siehe dessen Wikipedia - Eintrag) ist bis heute eine unvergessene Persönlichkeit Villingens. Er wird als aufopfernder Arzt und engagierter Katholik geschildert, der nach 1933 in den Augen der Nationalsozialisten als unzuverlässig und verdächtig galt. Da er aber Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs war, hohes Ansehen in der Bevölkerung genoss und vor allem über weite Strecken der einzige Arzt in Villingen und weiteren Schwarzwaldtälern im Umfeld war, blieb er von Maßnahmen der nationalsozialistischen Verwaltung verschont.

Charlotte Friedmann jedenfalls wohnte ab November nahe der Praxis in der Niederen Str. 24 (die Praxis befand sich in der Niederen Str. 3) und erlebte dort die Machtübergabe 1933. Warum sie im März 1934 dann Villingen wieder verließ und nach kurzem Aufenthalt in Mannheim erneut nach Hamburg zog, ist nicht dokumentiert. Vielleicht hat der Umstand, dass Johann N. Hässler unter "Beobachtung" stand, dabei eine Rolle gespielt, vielleicht hoffte sie, in einer Großstadt eher vor Anfeindungen und Diskriminierungen geschützt zu sein oder plante vielleicht keinen längeren Aufenthalt in einer Arztpraxis anstatt an einem Krankenhaus - wir wissen es nicht.

Als sie nach Hamburg zurückkehrte, galt jedenfalls bereits die VO des Reichsarbeitsministeriums vom 22. April 1933, nach der allen kassenärztlichen Vereinigungen die Aufgabe übertragen worden war, den jüdischen Ärzten (mit Ausnahme der Frontkämpfer) die Kassenzulassung zu entziehen. Lotte Friedmann konnte sich damit nicht mehr mit einer eigenen Praxis niederlassen. Ob und wann ihr die Kassenzulassung entzogen worden ist oder ob sie diese gar nicht erst erhalten hatte, lässt sich nicht feststellen.

In Hamburg, wo Lotte Friedmann am 10. Mai 1934 bei der Jüdischen Gemeinde registriert wurde, arbeitete und wohnte sie im Israelitischen Krankenhaus in der heutigen Simon-v.-Utrecht-Str. Dort trat sie am 2. April 1934 als "Lehrschwester" ein, erst später hat jemand auf ihren Papieren den Zusatz "Ärztin" notiert. Sie arbeitete aber am Israelitischen Krankenhaus nie als Ärztin, sondern nach einer 6monatigen "Lehrzeit" als Krankenschwester.

Aus den Jahren 1935 bis 1938 sind keine Spuren von ihr in den hamburgischen Dokumenten zu finden, außer dass sie regelmäßig die Kultussteuer an die Jüdische Gemeinde zahlte. Das Elternhaus in der Rheinstraße 1 in Mannheim mussten die Schwestern allerdings 1935 unter Druck an den Staat verkaufen; die Schwester Gertrud und ihr Ehemann zogen von dort im November 1935 nach Heidelberg.

Nach den Angaben anderer Krankenhausschwestern war Lotte Friedmann sehr beliebt in der Klinik, aber auch immer wieder sehr deprimiert und unglücklich über die fehlende Möglichkeit, als Ärztin zu arbeiten. Mehrfach hatte sie "mit den Nerven zu tun" und war selbst in ärztlicher Behandlung. Nach § 1 der 4.VO zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938 erloschen die Approbationen jüdischer Ärzte am 30. September 1938. Damit war auch für Charlotte Friedmann der Weg als Ärztin zu arbeiten endgültig versperrt.

Am 24. Februar 1939 nahm sie sich das Leben.

Sie war zu diesem Zeitpunkt wegen "Schwermut" nicht arbeitsfähig. Morgens noch war sie einer Mitarbeiterin begegnet, die später aussagte: "Ich bin Schwester Charlotte heute Vormittag hier im 4. Stock begegnet. Sie sprach mit mir, ich solle morgen zu ihr kommen und ihre Strümpfe stopfen, die sie heute gewaschen habe. Sie ging hierauf fort, kam aber gleich wieder zurück in einer vollständig gebückten Stellung, vollständig weissem Gesicht und ging ohne ein Wort zu sagen an mir vorbei Richtung Treppe."

Charlotte Friedmann sprang vom Dach des Israelitischen Krankenhauses und war sofort tot.

Ob eine unter dem 1. Juni 1939 abgesandte Aufforderung der Devisenstelle, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen, ihr noch zugestellt worden war, lässt sich nicht aufklären.

Im Anschluss an ihren Tod wurde ihr nicht unbeträchtliches Vermögen beschlagnahmt, anstatt der eigentlichen Erbin - ihrer Schwester - zugute zu kommen.

Charlotte Friedmann ist wie ihre Eltern auf dem jüdischen Mannheimer Hauptfriedhof begraben worden. Ihr Grabstein trägt die Inschrift

Wie vor des Frühlings lichter
holder Gewalt
Schwand Trübe und Schmerz
wo dein Augenblau strahlt
als heiligen Frühling in
Wintersnacht
Rief Dich Gott zu sich
bis in all Deiner Kraft und
Klarheit
Er uns wieder wird wecken dich.


Ihre Schwester Gertrud wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Dem Schwager Felix Wassermann gelang die Emigration in die USA.

Stand: November 2025
© Carola von Paczensky

Quellen: StAHH 314-15_R1940/559 und /1024; 331-5,2730; 332-8 A34/1; 522-1 Jüdische Gemeinden 992b; Universitätsarchiv Heidelberg studA Friedmann, Lotte (1927) und H-III-862/51 fol.80-88; Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Mitgliederverzeichnisse 1929 - 1934; Adressbuch Bonn 1929, digitale-Sammlungen.ulb.uni-bonn.de (zuletzt abgerufen 31.10.2025); Stadtarchiv Villingen-Schwenningen Bestand 1.11; Landesarchiv Baden-Württemberg Generallandesarchiv Karlsruhe 276-1_17591; 276-1_24402; 276-1_25074; 508_4232; MARCHIVUM, Online-Datenbank Jüdischer Friedhof: https://www.marchivum.de/de/archiv/recherche/juedischer-friedhof/g2-b-09-03-friedmann-charlotte-dr (zuletzt abgerufen am 31.10.2025).

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