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Gertrud Emma Horschitz * 1894
Wellingsbütteler Landstraße 110 (Hamburg-Nord, Ohlsdorf)
1941 Lodz
ermordet 20.04.1942
Weitere Stolpersteine in Wellingsbütteler Landstraße 110:
Elsbeth Marie Horschitz
Gertrud Emma Horschitz, geb. am 21.6.1894 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 in das Getto Litzmannstadt/Lodz, dort umgekommen am 20.4.1942
Elsbeth Marie Horschitz, geb. am 6.11.1895 in Hamburg, am 25.10.1941 deportiert in das Getto Litzmannstadt/Lodz und am 10.5.1942 in Chelmno ermordet
Wellingsbütteler Landstraße 110
Gertrud Emma und ihre jüngere Schwester Elsbeth Marie waren ihr Leben lang eng miteinander verbunden. Ihre Mutter Elsbeth Regine, genannt Ella, geb. Horschitz (geb. 10.7.1869), stammte aus Kassel, aus der zweiten Ehe von Moses Moritz Horschitz mit Emma, geb. Elzbacher, die am 30. September 1866 in Bad Oyenhausen geschlossen worden war. Ihren Großvater hatten die Schwestern nicht mehr kennenlernen können. Am 5. November 1877 war er bereits verstorben, als achtjähriges Kind hatte ihre Mutter schon ihren Vater verloren.
Die Verbindung nach Hamburg bestand durch diesen Großvater, durch Moses Moritz Horschitz (geb. 18.9.1812). Er stammte aus Kassel. Dort hatte die Familie Horschitz sich im Wollhandel einen Namen gemacht und in London und Hamburg Niederlassungen gegründet. Der Großvater war in Hamburg ansässig geworden und dort mit Jacob Arnthal Inhaber der Firma "Arnthal & Horschitz Gebr". Der zehn Jahre jüngere Bruder des Großvaters, Sally Horschitz (geb. 28.4.1822 in Kassel), hatte sich als Kaufmann mit Saaten und Salzhandel ebenfalls in Hamburg etabliert und sich nach den Plänen des aus Kassel stammenden Architekten Albert Rosengarten 1872 eine repräsentative Villa an der Alster, Harvestehuder Weg 8, erbauen lassen; sieben Jahre später eine zweite Villa Nr. 7b.
Die jüdischen Ururgroßeltern mütterlicherseits Moses Machalm Horschitz und Breine, geb. Jesaias, waren noch in Stadtlengsfeld beheimatet. Von dort war ihr Sohn, der Urgroßvater der Schwestern, Jesaias Salomon Horschitz (geb. 1769 in Stadtlengsfeld), nach seiner Heirat in seinem Heimatort am 14. Februar 1827 mit Zerline, geb. Eichengrün (geb. 1789 in Warburg), nach Kassel gezogen und dort nach drei Jahren am 4. Juni 1830 verstorben, seine Ehefrau, die Urgroßmutter, am 14. März 1839.
Aus der ersten Ehe des Großvaters Moses Moritz Horschitz mit Goldchen Wallach (geb. 1813 in Kassel) stammten die in Kassel geborenen Lina Horschitz (geb. 5.2.1840) und Julius Horschitz (geb. 1.4.1838) ab. Die Tante der Schwestern, Lina Horschitz, hatte im Mai 1858 den Bankier Rudolph Arnthal geheiratet und lebte in Kassel. Der Onkel der Schwestern, Julius Horschitz, hatte sich 1873 in Hamburg niedergelassen und war mit der Firma Arnthal & Horschitz, dem Zuckergeschäft, verbunden. Er hatte am 20. September 1877 die in Leipzig geborene Ilka Betty Fleischel (geb. 11.10.1860) geheiratet. Aus dieser Ehe entstammten fünf Kinder: Erwin (geb. 1878), Walter (geb. 1880), Toni Katharina Maria (geb. 1882), Richard (geb. 1884) und Edgar (geb. 1887). Julius Horschitz hatte am 28. Mai 1881 die Hamburger Staatsbürgerschaft erworben und als Kaufmann ein jährliches Einkommen von 35 000,- Mark zu versteuern. Die Familie lebte in der Heimhuder Straße 35. Deren Tochter Toni Katharina Maria, Kitty genannt, heiratete 1905 den Maler Arthur Goldschmidt und lebte mit ihm und den Kindern in Reinbek.
Aus der zweiten Ehe des Großvaters der Schwestern Moritz Horschitz mit Emma, geb. Elzbacher, gingen der Sohn Otto am 2. Oktober 1867 und nach Elsbeth Regine, der Mutter der Schwestern, der Sohn Fritz Wilhelm am 24. Januar 1874 hervor.
Zwischen den Großeltern der Schwestern bestand ein reger, liebevoller brieflicher Gedankenaustausch, wenn sich der Ehemann auf seinen häufigen Geschäftsreisen zwischen Hamburg, London und Paris befand. Erhaltene Briefe geben Einblicke in die Bemühung der Ehefrau um eine gute Erziehung und Ausbildung der Kinder – auch im musischen Bereich – und die Anstrengungen des Ehemannes, die Wünsche von Frau und Töchtern nach Bekleidung in neuester Mode zu erfüllen.
In Kassel hatte Elsbeth Regine Horschitz am 23. August 1893 Emil Otto Seckel (geb. 26.2.1861 in Diez) geheiratet. Beide waren Mitglieder der Jüdischen Gemeinde. Emil Otto Seckel war seit Ende 1887 Hamburger Staatsbürger und ein selbstständiger Kaufmann.
In den zwei darauffolgenden Jahren wurden die beiden Schwestern Gertrud Emma am 21. Juni 1894, und Elsbeth Marie, am 6. November 1895, in Hamburg geboren. Noch vor der Geburt ihrer zweiten Tochter ließen sich die Eltern zusammen mit ihrer Erstgeborenen in der Kirche St. Gertrud am 6. September 1895 taufen. In dieser Kirche wurde dann auch Elsbeth Marie noch 1895, ihr Onkel Julius Horschitz am 12. April 1897 und die jüngere Schwester Lena, drei Jahre nach Elsbeth, am 2. September 1898 getauft.
Noch im Säuglingsalter, mit vier Monaten, verstarb Lena. Eine Familiengrabstätte mit vier Grabstellen wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf reserviert, dort fand sie ihre letzte Ruhe, Grablage M 22 I, zwischen 278/80. Die Familie wohnte zu dieser Zeit in der Körnerstraße 13.
Die Familie lebte wohlsituiert, und die Eltern konnten sich weite Reisen erlauben wie z.B. eine auf die Insel Capri, wo sie am 11. März 1899 in der Villa Allers, gegründet von dem Maler C. W. Allers, abstiegen.
Auch guten Kaffee wird es in der Familie der Schwestern stets gegeben haben. Der Vater Emil Otto Seckel hatte am 29. Dezember 1887, zusammen mit seinem älteren Bruder Robert Seckel (geb. 11.3.1857 in Diez), die Kaffee Import und Großhandelsfirma R. & E. Seckel am Sanddorquai 23 mit Börsensitz, Pfeiler 4, Sitze f und g, gegründet. Deren Vater, der Großvater der Schwestern väterlicherseits, August Seckel, der wie seine Großeltern, die Urgroßeltern der Schwestern, Moses Seckel und Johanna, geb. Meyer, aus Diez stammte, war bereits am 10. Dezember 1889 in Frankfurt am Main mit 61 Jahren verstorben.
Als Gertrud und Elsbeth ins schulpflichtige Alter kamen, lebte die Familie in der Rothenbaumchaussee 71. Ihr Onkel Robert Seckel wohnte seit 1889 mit seiner Ehefrau Maria, geb. Neumann, die aus Frankfurt am Main stammte, nicht weit entfernt im Eigenheim in der Klosterallee 7.
Eineinhalb Jahre hatte die Großmutter der beiden Schwestern noch in Hamburg gelebt, dann war Emma Horschitz, geb. Elzbacher, am 10. Mai 1905 in der Curschmannstraße 14, verstorben, Gertrud war fast elf und Elsbeth neun Jahre alt.
Ihr Onkel Fritz Horschitz, bei dem die Großmutter zuletzt wohnte, verzog nach Antwerpen. Auch die Großmutter väterlicherseits Jakobine Seckel, geb. Landsberg, die nach dem Tod des Großvaters in Frankfurt geblieben war, wurde am 12. Juli 1909 dort in ihrer Wohnung tot aufgefunden. Der Onkel der Schwestern, Julius Horschitz, verstarb in London im Oktober 1910.
Kurze Zeit später, nachdem der Onkel der Schwestern Robert Seckel aus der Firma ausgeschieden war, wurde Emil Otto Seckel am 22. Dezember 1910 alleiniger Inhaber der Firma R. & E. Seckel. Im August 1911 zog Robert Seckel mit seiner Ehefrau Maria, geb. Neumann, zunächst nach Bremen, dann nach Frankfurt am Main, in die Heimatstadt seiner Ehefrau. Dort verstarb er am 21. Mai 1914 im Alter von 57 Jahren in der Schumannstraße 29.
Ab 1915 lebten Gertrud und Elsbeth mit ihrer Mutter Ella Seckel in Winterhude, Andreasstraße 31, 2. Stock. Denn die Eltern hatten sich getrennt. Über die Ausbildung der Schwestern konnte nichts in Erfahrung gebracht werden. Überliefert ist, dass eine der Schwestern Klavierstunden gab. Bereits die Mutter hatte eine musikalische Ausbildung erhalten.
Elsbeth Seckel ging Ende des Jahres 1915 für zwei Jahr in das Pastorat, Kirchwärder Heerweg 84, zu Pastor Grau. Vermutlich nahm sie dort eine Arbeitsstelle an. Danach war sie zeitweise in Friedrichsroda und Oldesloe gemeldet. Der Bruder der Mutter, ihr Onkel Fritz, kam zurück aus Antwerpen und wohnte im März 1916 bei ihrer Mutter, vermutlich, um sie in der Trennungsphase zu unterstützen. Die Eltern von Gertrud und Elsbeth Seckel wurden im April 1916 geschieden. Anschließend ging Fritz Horschitz zurück nach Brüssel (Er starb am 1.8.1925 in Rotterdam).
Noch im Scheidungsjahr heiratete Emil Otto Seckel in zweiter Ehe am 1. April 1916 in Hamburg die 19 Jahre jüngere, katholische, aus Köln stammende Margaretha Wortmann.
Wie aus einem Passprotokoll von 1917 zu erfahren ist, war die Mutter der Schwestern mittelgroß, hatte braune Augen und war dunkelblond. Ein Passprotokoll der 27-jährigen Gertrud beschreibt sie als mittelgroß, mit dunklen Haaren und braunen Augen.
Nach der Scheidung hatten Ella Seckel, geb. Horschitz, Gertrud und Elsbeth Seckel entschieden den Nachnamen Seckel abzulegen. Durch Senatsbescheid vom 13. August 1920 wurde ihnen gestattet, den Familiennamen Horschitz zu führen. Unter diesem Namen erfolgte der Erwerb der Villa in der Wellingsbütteler Landstraße 110. Dort zogen am 1. April 1921 Gertrud und Elsbeth Horschitz mit ihrer Mutter ein.
Ihr Onkel Fritz Horschitz verstarb nach längerem Leiden am 1. August 1925 in Rotterdam, sein letzter Wohnort war Haag gewesen. Die Einäscherung fand am 4. August 1925 im Krematorium Mainz statt. Die Überführung der Urne erfolgte in das Park Hotel in Frankfurt. Möglicherweise wohnten die Schwestern und ihre Mutter der Beisetzung drei Tage später um 14:00 Uhr auf dem neuen Jüdischen Friedhof an der Unteren Zahlbacher Straße 11 in Mainz bei. Eugen Salberg aus Köln betrauerte seinen guten Freund in einer Traueranzeige im "Algemeen Handelsblad", wie auch die Direktion und das Personal seiner Firma N. V. Veemesta.
Der Vater Emil Otto Seckel ist im Hamburger Adressbuch bis 1929 in der Rothenbaumchaussee 24, 1. Stock, zu finden. Die Firma R. & E. Seckel ist am 1. April 1930 im Handelsregister erloschen. Emil Otto Seckel war mit seiner zweiten Ehefrau nach Dresden gezogen. Dort wohnten seine Schwiegereltern.
Von den nationalsozialistischen Verfolgungen blieb Ella Horschitz verschont. Sie verstarb am 3. Juli 1931 an "Herzschlag", sieben Tage vor ihrem 62. Geburtstag bei ihren Töchtern in ihrer Villa in Klein Borstel. Ihre letzte Ruhe fand Ella Horschitz in der Familiengrabstätte Seckel neben ihrer als Säugling verstorbenen Tochter Lena auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Grablage M 22, Nr. 278. Die von Gertrud Horschitz verlängerte Ruhezeit ist 1971 abgelaufen.
Der Grundbesitz ging nach dem Tod der Mutter an Gertrud über, Elsbeth wurde von Gertrud wiederum als Alleinerbin eingesetzt.
Dr. jur. Hans Arnthal, Sohn von Gustav Adolf Arnthal und Toni, geb. Fleischel, stand den Geschwistern in dieser Zeit zur Seite. Mit ihm waren sie auch verwandtschaftlich weitläufig verbunden. Die langjährige Verbindung der Familien bestand durch die gemeinsame Firma beider Großväter Jacob Arnthal und Moritz Horschitz.
Hans Arnthal (geb. 26.1.1883 in Hamburg) lebte mit seiner Ehefrau Fränzel, geb. Scheerbarth (geb. 9.1.1895 in Lindenthal, Köln), und den beiden in Hamburg geborenen Söhnen Hans Werner (geb. 15.10.1923) und Ernst Günther (geb. 10.3.1927) seit 1930 ganz in der Nähe, in der Hamburger Straße 70 (heute Wellingsbüttler Weg) in Wellingsbüttel. Die Schwestern pflegten zur Familie täglichen Kontakt und waren durch ihre Musikliebe verbunden. Fränzel Arnthal war Opernsängerin und Gertrud oder auch Elsbeth erteilten dem musikalisch begabten Ernst Günther Klavierunterricht. Hans Arnthal gab gezwungenermaßen seine Anwaltspraxis am Speersort 6 auf, seine Söhne mussten ihre Schulen verlassen. Die Familie Arnthal emigrierte 1939 über die Schweiz nach Australien.
Noch 1936 ließ Gertrud Horschitz in ihrer Villa eine neue Holzveranda im Erdgeschoß bauen. Die nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen, die Gesetze und Auflagen gegen die Juden verschärften sich aber zunehmend auch für die beiden Schwestern. Im Dezember 1938 wurden von Gertrud und Elsbeth Horschitz "Judenvermögensabgaben" von insgesamt 14.750,- RM verlangt. Um diese leisten zu können, musste Gertrud einen Kredit von 2.500,- RM bei C. Reincke aufnehmen. Wie alle Jüdinnen und Juden wurden sie gezwungen, ihre silbernen Kannen und Bestecke mit einem Gesamtgewicht von 9 1/2 kg abzuliefern, sowie drei Ringe, zwei Nadeln mit Edelsteinen und zwei Kettchen. Der Wert wurde von Juwelier Wilckens auf insgesamt 585,- RM taxiert.
Obwohl Gertrud und Elsbeth Horschitz als Kinder evangelisch getauft waren, wurden sie 1939 aufgrund der nationalsozialistischen "Rassengesetze" der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zugeordnet und mussten deshalb Mitglied des Jüdischen Religionsverbandes e.V. werden.
Gertrud und Elsbeth spielten in der Zeit ihrer Verfolgung Klavier für die Jüdische Gemeinde und erteilten den jüdischen Kindern Klavierunterricht, nachdem ihnen die Unterrichtung von Nichtjuden verboten war.
Der Vater der Schwestern, Emil Otto Seckel, verstarb in Dresden am 21. Januar 1941. Er war 79 Jahre alt. (Seine nichtjüdische Witwe verstarb im Oktober 1972 in Dresden.)
Gertrud und Elsbeth Horschitz wurden mit der ersten Deportation am 25. Oktober 1941 in das Getto Lodz verschleppt. Aus dem Archivum Lodz geben letzte Dokumente der Anmeldung und Abmeldung in Litzmannstadt Zeugnis der Verbrechen an den beiden Schwestern. Noch auf diesen Papieren gaben sie als Religionszugehörigkeit "evangelisch" an. Aus den Anmeldezetteln ist zu ersehen, dass die Schwestern am 8. Januar 1942 in die Wohnung 20 in der Franciskanska 30 verbracht wurden, in der sie gemeinsam mit sechs Personen ein Zimmer mit Küche teilen mussten. Der Abmeldezettel dokumentiert, dass sie am 6. März wegen Platzmangel und der Einrichtung einer ärztlichen Praxis weiter umquartiert wurden, in die Cranachstraße 9, Wohnung Nr. 28, in ein Zimmer ohne Küche. Für Gertrud Horschitz führten die unsäglichen Bedingungen im Getto zum Tod. Sie verstarb am 20. April 1942 im Alter von 47 Jahren.
Drei Wochen später musste Elsbeth Horschitz die gefürchtete "Aussiedelung" antreten; am 10. Mai 1942 wurde sie ins Vernichtungslager Chelmno transportiert und ermordet. Elsbeth Horschitz war 46 Jahre alt.
Am Tag ihrer Deportation wurden die Schwestern Elsbeth und Gertrud auch ihres Vermögens beraubt. Die Grundstücksanteile der Häuser Andreasstraße 35, Dorotheenstraße 59, Bismarckstraße 116, Wrangelstraße 2 und Osterstraße 3, die aus dem Erbe der Mutter zu je einem Achtel auf die Schwestern übertragen worden waren, gingen an das Deutsche Reich über. Aus dem Bericht vom 31. Dezember 1941 der Grundstücksverwaltungsgesellschaft Lange & Garber, die diese Häuser verwaltete, ist zu ersehen, dass die Schwestern zusammen mit Fritz und Otto Horschitz, den Brüdern der Mutter, Anteilseigner waren. Im Januar 1942 ging auch die Villa der Schwestern in die Liegenschaftsabteilung des Oberfinanzpräsidenten über.
Der gesamte Hausstand der beiden Schwestern war nach ihrer Deportation von der Firma Schlüter & Co in der Wellingsbütteler Landstraße versteigert bzw. verschleudert worden. In der Abrechnung vom 30. Dezember 1941 für den Oberfinanzpräsidenten sind die Haushaltsgegenstände penibel aufgeführt. Allerdings fehlt das gesamte Esszimmer in der Aufstellung und für einige Gegenstände ist kein Gegenwert angegeben. Damenschuhe, eine Reiseschreibmaschine, ein Stadtbild, eine Tischlampe, ein Damenfahrrad und ein Kanu gingen ohne jegliche Vergütung an Angestellte der Oberfinanzbehörde und an Mieter der Villa. Die Gegenstände aus der Liste, wie Teppiche, ein Mahagonitisch, Ölgemälde, ein Opernglas, alte Silberuhren, ein Totem und eine Bronzefigur "Nike" zeugen von dem vergangenen bürgerlichen Leben der zwei Schwestern. Der Stutzflügel Marke Riedel war mit anderen Gegenständen an Mieter der Villa verkauft worden. Der Gesamterlös betrug 371,50 RM.
Der weitere Schicksalsweg der Familienangehörigen und Freunde
In Nachbarschaft mit der Familie des Onkels Robert Seckel in der stattlichen Villa in der Klosterallee 8 wohnte Gustav Adolph Arnthal (geb. 10.4.1856 in Hamburg), der Sohn von Jacob Arnthal, Mitinhaber der Firma Arnthal & Horschitz. Er hatte am 23. April 1882 Toni, geb. Fleischel (geb. 22.1.1863), geheiratet, die Schwester der Ehefrau von Julius Horschitz, dem Onkel der beiden Schwestern. Toni Arnthal nahm sich am 6.8.1904 das Leben.
Die Großmutter und Witwe Emma Horschitz, geb. Elzbacher (geb. 22.3.1841 in Münster, Westfalen), verzog 1903 im Alter von 62 Jahren von Kassel nach Hamburg, um den Lebensabend in der Nähe ihrer Kinder Ella und Fritz zu verbringen. Sie war jüdischer Herkunft und protestantischer Religion, Tochter der bereits in Münster verstorbenen Eheleute Regine, geb. Eichengrün, und des Kaufmannes Jacob Elzbacher. In Hamburg wohnte sie in der Gellertstraße 16 bei ihrem Sohn Fritz Horschitz (geb. 24.1.1874 in Kassel); er hatte sich im Oktober 1901 in Hamburg niedergelassen und führte im Dovenhof eine Firma für Düngemittel gemeinsam mit dem Mitinhaber H. Staackmann aus Antwerpen.
Ihre zwei jüngsten, in Hamburg geborenen Töchter, Gertrud Arnthal (geb. 4.5.1890) und Wera Arnthal (geb. 18.6.1892), waren erst 16 und 12 Jahre alt und wurden danach in Berlin von ihrer Tante Johanna, geb. Arnthal (geb. 14.6.1859 in Hamburg), und ihrem Ehemann Eduard Arnhold (geb. 10.6.1849 in Dessau), liebevoll angenommen. Eduard Arnhold, der sich im Kohlenhandel zum führenden Energieversorger für das gesamte Kaiserreich etabliert hatte, engagierte sich mit einem großen Teil seines Vermögens in der Förderung einer Vielzahl sozialer Vereine, für Kunst und Kultur. Als Kunstmäzen bestückte er die Berliner Gemäldegalerie und die Museen mit Gemälden von Manet, Monet, Cézanne und Renoir. Ein Heim für Waisen und Kinder aus schwierigen Verhältnissen, heute die Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein, wurde von ihm als Stiftung gegründet, wie auch die dem preußischen Staat 1910/11 gestiftete Villa Massimo in Rom. Für einen Studienaufenthalt dort, September bis spätestens Juli, werden noch heute Stipendien an ausgewählte, vorwiegend junge deutsche Künstler vergeben. Später finanzierte er großzügig einer Gruppe um den Maler Emil Nolde die Expedition nach Neuguinea, an der auch Gertrud Harriet Arnthal, die angenommene Tochter aus Hamburg, als Krankenschwester für Noldes Ehefrau teilnahm. Tragischerweise verstarb Gertrud Harriet Arnthal während dieser Reise im April 1914 in Rabaul, Neuguinea, an Malaria, einen Monat vor ihrem 24. Geburtstag. Auf seinen Südseegemälden hat Emil Nolde sie gleichsam verewigt.
Margareta (geb. 29.9.1886 in Hamburg), die ältere Tochter von Toni und Gustav Arnthal, heiratete im Juli 1906 Dr. phil. Johann Schiff und zog ebenfalls nach Berlin. Dort, in Charlottenburg, verstarb ein Jahr später am 31. März 1907 ihr Vater Gustav Arnthal an einem Herzschlag im Alter von 50 Jahren. Die Trauerfeier fand am 3. April im Krematorium Ohlsdorf in Hamburg statt. Sicher nahm die gesamte Familie Horschitz, so auch die Schwestern, daran teil.
Wera Arnthal heiratete noch vor dem Ersten Weltkrieg den Oberlandesgerichtspräsidenten Wilhelm Martens (geb. 1889) und bekam mit ihm die Töchter Edith (geb. 1913), Gertrud (geb. 1917) und Ursula (geb. 1919).
Der älteste Sohn von Toni und Gustav Arnthal, der Jurist Hans Arnthal (geb. 26.1.1883 in Hamburg), heiratete 1922 und blieb mit seiner Familie den Schwestern Horschitz bis zum Ende eng verbunden.
Der Cousin Edgar Horschitz war am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert und ermordet worden; sein Bruder Erwin Horschitz (Biographien siehe www.stolpersteine-hamburg.de) wurde am 24. März 1943 nach Theresienstadt deportiert und nahm sich dort am 31. März 1943 das Leben. Stolpersteine erinnern an beide in der Rothenbaumchaussee 31.
Margareta Schiff, geb. Arnthal, verstarb am 21. März 1942 in Berlin-Wedding. Ihr Ehemann Johannes, ihre Kinder Kurt, Ernst, Eva (geb. 1918) sowie Werner überlebten den Krieg.
Wera Martens, geb. Arnthal, von ihrem nichtjüdischen Ehemann Wilhelm geschützt und versteckt, konnte mit ihren Töchtern Edith (geb. 1913), Gertrud (geb. 1917) und Ursula (geb. 1919) ebenfalls das Kriegsende erleben.
Hans Arnthal, der mit seiner Familie zunächst nach Australien emigriert war, ging nach dem Krieg nach England und blieb dort unter dem Namen Harold Andry zusammen mit seiner Ehefrau France. Hans Werner und Ernst Günther Arnthal, die von Gertrud und Elsbeth als Alleinerben eingesetzt worden waren, wohnten nach dem Krieg zeitweilig in der Villa der beiden Schwestern.
Ernst Günther Arnthal, nach der Auswanderung Peter Edward Andry, studierte in Melbourne Klavier und Komposition und machte sich als Flötist in Australien einen Namen. 1953 ging er zum Kompositionsstudium nach England und wurde später ein anerkannter Musikproduzent bei Decca, EMI und Warner Classics. Unter anderem arbeitete er mit Bernstein, Karajan und Maria Callas zusammen. Am 7. Dezember 2010 verstarb Peter Edward Andry in London.
Hans Werner Arnthal, später Robert Georg Andry, wurde Psychologieprofessor und blieb in Australien, wo er eine Familie gründete. An seinem Lebensende erkrankt, wurde er von seiner Tochter Fiona betreut und konnte noch das Foto der Schwestern Horschitz identifizieren. Er verstarb Ende 2014 in seiner Exilheimat.
Stand: Januar 2023
© Margot Löhr
Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH, 211-3 Oberappelationsgericht, H I 1871 Arnthal & Horschitz; StaH, 213-13 Landgericht Hamburg, Rückerstattung, 2002 Gertrud u. Elsbeth Horschitz, 10987 Harold Andry, 19394 Harold Andry, 26606 Gertrud Horschitz Erben; StaH, 214-1 Gerichtsvollzieherei, 636 Jane Seckel; StaH, 231-3 Handelsregister, B 18699 Sally Horschitz; StaH, 231-7 Handelsregister, A 1 Bd 19 Nr. A 5141, A 13 Bd. 10 Nr. G 25148, B 1963-106 Horschitz & Co AG; StaH, 232-3 Testamente, H 4228 Jacob Arnthal; StaH, 314-15 Oberfinanzpräsident, V 1-321 Bd. 1 u. Bd. 2 Lange & Garber, F 47 Hans Jacob Arnthal, R 1939/2392 Elly Horschitz; StaH, 332-3, Zivilstandsregister, C 202 Nr. 668; StaH, 332-5 Standesämter, Geburtsregister, 8932 u. 2985/1878 Erwin Horschitz, 8947 u. 1853/1880 Walter Horschitz, 8964 u. 587/1882 Toni Horschitz, 8973 u. 390/1883 Hans Arnthal, 8992 u. 4637/1884 Richard Horschitz, 9013 u. 4388/1886 Margaretha Arnthal, 9025 u. 3722/1887 Edgar Horschitz, 9054 u. 586/1890 Gertrud Harriet Arnthal, 9075 u. 944/1892 Wera Elisabeth Arnthal, 9063 u.179/1891 Helene Arnthal, 9098 u. 1120/1894 Gertrud Emma Seckel/Horschitz, 9112 u. 2021/1895 Elsbeth Marie Seckel/Horschitz, 9145 u. 1848/1898 Lena Seckel; StaH, 332-5 Standesämter, Heiratsregister, 8486 u. 609/1877 Julius Horschitz u. Ilka Betty Fleischel, 8504 u. 212/1882 Gustav Arnthal u. Toni Fleischel, 8644 u. 166/1906 Joh. Theodor Schiff u. Margaretha Arnthal, 6528 u. 83/1916 Emil Otto Seckel u. Margaretha Wortmann; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 7923 u. 21/1899 Lena Seckel, 7975 u. 1992/1904 Toni Fleischel, 9657 u. 1117/1905 Emma Horschitz, 9845 u. 42/1931 Elsbeth Regina Horschitz; StaH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, AIf Bd. 157 Nr. 8145 Gustav Adolph Arnthal, B III 17425/1881 Julius Horschitz, B III 57465/1887 Emil Otto Seckel, B III 17425/1881 Julius Horschitz; StaH, 332-8 Meldewesen, A 24 Bd. 111 Nr. 2564/1911 Robert Seckel, A 24 Bd. 134 Nr. 2572/1916 Elsbeth Regine Horschitz, A 24 Bd. 149 Nr. 4548/1917 Elsbeth Regine Horschitz, A 24 Bd. 240 Nr. 315/1921 Gertrud Emma Horschitz, A 24 Bd. 328 Nr. 17192/1925 Gertrud Emma Horschitz, A 24 Bd. 333 Nr. 2864/1926 Elsbeth Regine Horschitz; StaH, 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 16264 Gertrud Horschitz, 16991 Elsbeth Horschitz, 45928 Robert Andry; StaH, 352-5 Gesundheitsbehörde, Todesbescheinigungen, 1931, Sta 19, Nr. 42 Elsbeth Regine Horschitz; StaH, 376-2 Gewerbepolizei, Spz VIII C 9 Nr. 2084/1873 Julius Horschitz, Spz VIII C 34 Nr. 5520/1887 Emil Otto Seckel; StaH, 522-1 Jüdische Gemeinden, Heiratsregister, 702 c Nr. 71/1853 Jacob Arnthal u. Berta Levy; StaH, 621-1/87, 51 "Konsulent" Dr. Walter Wulff Forderung von Gertrud u. Elsbeth Horschitz an Barmenia; StaH, 741-4, Fotoarchiv, K 6285, K 6964; Standesamt Berlin-Wedding, Sterberegister, Nr. 1899/1942 Margareta Schiff; Auskünfte Standesamt Dresden, Sterberegister, Nr. 1251/1972 Margaretha Seckel; Standesamt Frankfurt, Sterberegister, Nr. 732/1909 Johanette Jacobine Seckel, Nr. 92/1914 Julius Seckel, Nr. 524/1914 Robert Seckel; Standesamt Kassel, Heiratsregister, Nr. 361/1893 Otto Seckel u. Elsbeth Regine Horschitz; Hessische Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden (HHStAW), Nr. 242/1867 Abt. 365 Nr. 494 Standesregister der jüdischen Gemeinden, Geburtsregister der Juden von Kassel, Nr. 242/1867 Otto Horschitz, Nr. 289/1869 Elsbeth Regine Horschitz, Nr. 453/1874 Kassel Fritz Horschitz; Archiwum Panstwowe Lodzi, An-, und Abmeldungen Getto Lodz/Litzmannstadt, Elsbeth und Gertrud Horschitz; Auskünfte Barbara Schulze, Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof e. V., Grabstätte Seckel; Archiv Friedhof Ohlsdorf, Beerdigungsregister, Nr. 104/1899 Lena Seckel, Nr. 7169/1931 Elsbeth Regine Horschitz, Grabbrief Nr. 22300/1899; Auskünfte Frau Krug, Stadtarchiv Dresden, Personenstandsregister, Sta Dresden Ost Nr. 1251/1972; Peter Jacubowsky, Gelnhausen, Sally Horschitz-Forschung, Stand 1.6.2009; Auskünfte Krematorium Mainz, 28.7.2021; Peter von Becker: Eduard Arnold. Reichtum verpflichtet – Unternehmer und Kunstmäzen (Jüdische Miniaturen, Bd. 237), Berlin/Leipzig 2019; Peter von Becker: Der Magnat als Mäzen, in: Der Tagesspiegel, 9.8.2015; Detlef Landgrebe: Kückenallee 37. Eine Kindheit am Rande des Holocaust, hrsg. von Thomas Hübner, Rheinbach 2009; Rolf Ernst Martin Arnthal, http://www.hohenemsgenealogie.at/gen/ahnentafel.php?personID=I20253&tree=Hohenems&generations=, eingesehen am: 20.3.2022; Juden in Kassel 1866–1878. Briefkonvolut Ehepaar Horschitz, ca. 200 Briefe und Postkarten, http://www.cassiodor.com/Artikel/4891.aspx, eingesehen am: 20.3.2022; Moses (Moritz) Horschitz, http://www.blankgenealogy.com/getperson.php?personID=I9538&tree=Blank1, eingesehen am: 20.3.2022. Vielen Dank an Fiona Andry!
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".