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Jenny Landjung * 1875
Rothenbaumchaussee 31 (Eimsbüttel, Rotherbaum)
Freitod 2.12.1941 Hamburg
Weitere Stolpersteine in Rothenbaumchaussee 31:
Edgar Horschitz, Erwin Horschitz, Helene Lurie, Hertha Wohl, Erich Wohl
Jenny Landjung, geb. 1.10.1875 in Hamburg, Suizid 2.12.1941 in Hamburg
Rothenbaumchaussee 31
Jenny Landjung wurde am 1. Oktober 1875 in Hamburg als Tochter des Steinkohlenhändlers Markus Landjung (1844–1903, Sohn von Hirsch und Sara Landjung) und Rosalie Landjung, geb. Breslauer aus Sandersleben (1845–1891) geboren. Ihr Vater stammte aus Warschau, das 1795 nach der dritten polnischen "Teilung" Preußen zugeschlagen worden war und ab 1815 von Russland okkupiert wurde. Die Eltern hatten im Juni 1873 in Magdeburg geheiratet, der Vater war zwei Monate zuvor nach Hamburg gezogen.
Ein Jahr nach der Heirat wurde in Hamburg die Tochter Regine (25.6.1874) geboren. Bei den Hausgeburten war der Arzt Levy anwesend, wofür er privat bezahlt wurde. Er konnte aber auch nicht verhindern, dass 1879 eine Schwester von Jenny Landjung tot geboren wurde.
Im selben Jahr starb auch der aus Grzeszow (Galizien) stammende Großvater Hirsch Landjung 76jährig in Hamburg.
Die beruflichen Aktivitäten von Markus Landjung lassen sich anhand seiner Adressbucheinträge nachvollziehen: aus dem Steinkohlen-Commissionsgeschäft (Ein- und Verkauf von Steinkohle für Rechnung des Auftraggebers) wurde der Haus- und Steinkohlenmakler (Vermittlung von Verträgen für wechselnde Kundschaft) (1886–1889), dann der Haus- und Assekurranzmakler (1890–1891) und schließlich der Hausmakler (1892–1903). Dass diese berufliche Entwicklung mit einem steigenden Einkommen einherging, dokumentieren die Angaben zum 1888 von Markus Landjung (geb. 9.12.1844 in Warschau) erworbenen Hamburger Bürgerrech:. Bereits dreißig Jahre vor ihm hatte der Zigarrenfabrikant und spätere Auktionator Leon Landjunk (geb. 26.1.1833 in Warschau, Sohn von Herschkowicz Landjunk, gest. 20.4.1909 in Hamburg), der seinen Familiennamen mit einem k schrieb, das Bürgerrecht der Hansestadt erworben. 1897 war die Firma "Arthur Landjunk Auctionator u. Taxator" in Hamburg von dessen Adoptivsohn Arthur J. Landjunk ehemals Bormann (1867–1920) gegründet worden. Obwohl die Schreibweise der Familiennamen abweicht, dürfte es sich wohl um Verwandte gehandelt haben (auch Markus Landjung wurde in den Adressbüchern von 1877–1878 und 1883–1885 mit einem k geschrieben).
Die erste Wohnung von Markus Landjungs Familie lag in der Hamburger Neustadt in der Wexstraße 36 (1874–1877). Nach drei bis vier Jahren zog die Familie in das Karolinenviertel des angrenzenden St. Pauli. Hier fanden sie in der Glashüttenstraße 28 (1878–1892) ein kleines Haus, dessen einzige Mieter sie waren, das Adressbuch gab den Namen Landjung als einzigen Hauptmieter an. Vermutlich handelte es sich noch um ein Gebäude aus der Zeit, als dieses Gebiet noch vor der Stadt lag und die Stadttore abends geschlossen wurden. Schrittweise wurden ab circa 1900 auch im Karolinenviertel höhere Mietshäuser anstelle der Gartenhäuser errichtet. Die Folge war eine deutliche Bevölkerungszunahme, was auch an der steigenden Zahl an Schulbauten im Karolinenviertel erkennbar war. Ob Jenny Landjung eine staatliche Schule oder die Israelitische Töchterschule in der nahegelegenen Karolinenstraße 35 (ab 1882) besuchte, ist nicht bekannt.
Im März 1891 starb Jennys Mutter an Lungen-, Darm- und Bauchfelltuberkulose in der Privatklinik des Frauenarztes und Geburtshelfers L. Prochownick (An der Alster 60). Rund ein Jahr danach bezogen Landjungs eine Wohnung in der Glashüttenstraße 6 (1892–1903) im 1.Stock eines neu errichteten Mietshauses zwischen Mathildenstraße und Marktstraße. Hier befanden sich im Souterrain und Erdgeschoss Handwerker-Werkstätten. Das fünfgeschossige Haus mit seinem schmalen und steilen Treppenhaus existiert noch heute.
Das Umfeld des Karolinenviertels änderte sich in den 25 Jahren, die die Landjungs hier wohnten, stark: im Westen und Süden des Wohnviertels erfolgte über den Central-Schlachtviehmarkt für Rinder und Schafe auf dem Heiligengeistfeld (erbaut 1886–1889) und den Central-Schlachthof für Schweine, Ochsen und Kleinvieh (erbaut 1889–1892) eine massenhafte Unterbringung und Schlachtung tausender Tiere. Im Norden wurde in der Karolinenstraße 36/Ecke Kampstraße 1894/1895 ein großes Heizkraftwerk erbaut.
In der Generation von Jenny Landjung war es nicht üblich, dass Frauen eine berufliche Ausbildung erhielten. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1891 dürften die 16jährigen Töchter Jenny und Selma Landjung sowie die 17jährige Regine Landjung den Haushalt zumindest teilweise geführt haben. Denkbar ist, dass sie auch in der väterlichen Firma aushalfen oder dort sogar kontinuierlich Aufgaben übernahmen, was zuem die späteren Berufsangaben von Jenny Landjung erklären würde. Seit Ende September 1903 war der Vater wegen Lungentuberkulose (Tbc) bei dem praktischen Arzt Hugo Fischer (Marktstraße 142) in Behandlung; zwei Monate später starb er laut Todesbescheinigung in seiner Wohnung an Bluthusten (Hämoptoe). Sofern nach dem Tod des Vaters und der Auflösung der Firma noch Geld vorhanden war, wurde dies vermutlich durch die Inflation von 1923 vernichtet.
Jennys Schwester Regine Landjung (geb. 25.6.1874 in Hamburg) heiratete im November 1902 in Hamburg den Geschäftsreisenden Leon Fränkel (geb. 26.7.1862 in Leipzig) und zog zu ihm nach Leipzig, wo sie am 9. Oktober 1916 starb. Sie wurde auf dem Alten Israelitischen Friedhof in Leipzig (Berliner Straße) beerdigt. (Leon Fränkel wurde am 20. September 1942 von Leipzig (Auenstraße 14) ins Getto Theresienstadt deportiert, wo er am 14. November 1942 laut Todesfallanzeige an Altersschwäche starb.)
Nach dem Tod ihres verwitweten Vaters im Jahr 1903 waren Jenny Landjung und ihre ebenfalls unverheiratete Zwillingsschwester Selma Landjung allein in der nun zu großen und zu teuren Wohnung zurückgeblieben. In den folgenden rund fünfundzwanzig Jahren (1905–1929) lebten sie zusammen in der Wrangelstraße 20 (Hoheluft-Ost).
Auf der Sterbeurkunde ihres Vaters, der neben seiner Ehefrau auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf beerdigt wurde, ist Jenny Landjung mit der Berufsangabe Buchhalterin vermerkt und wurde nur im Hamburger Adressbuch von 1931 als kaufmännische Angestellte bezeichnet. In der Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg, der sie seit 1924 als Mitglied angehörte, wurde sie seit einem nicht näher benannten Zeitpunkt als Rentnerin geführt. Auf der Sterbeurkunde ihrer 54-jährigen Schwester Selma wurde diese mit der Berufsbezeichnung Haushälterin angegeben.
Jenny Landjungs Wohnadressen als Hauptmieterin in Hamburg lauteten Wrangelstraße 20 (1905–1931) und Krochmannstraße 54 (1932–1938). Die im Laufe des Jahres 1938 bezogene kleine Dachwohnung in der Rothenbaumchaussee 31 II.Stock (Hauseigentümer Frauenarzt Adolf Calmann, geb. 15.2.1871 in Hamburg, emigriert November 1940) war bereits keine frei gewählte Unterkunft mehr, sondern dem massiven antisemitischen Druck und der zunehmenden Separierung von Juden geschuldet.
Die jüdischen Unternehmen waren erst wirtschaftlich geschädigt und dann unter ökonomischem und auch physischem Druck verkauft oder geschlossen worden. Arbeitnehmer entließen jüdische Beschäftigte, Pensionszahlungen an Juden wurden gekürzt. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurden die Zwangsmaßnahmen mit immer schneller aufeinander folgenden Vorschriften weiter verschärft bzw. neue geschaffen. Mit dem "Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden" (Entmietungsgesetz) vom 30. April 1939 wurde der Mieterschutz entzogen und die Möglichkeit einer zwangsweisen Wohnungszuweisung gesetzlich festgeschrieben. Ab September 1939 galt auch für Jenny Landjung eine nächtliche Ausgangssperre und mit Erlass vom 1. September 1941 musste sie den gelben "Judenstern" an ihrer Kleidung tragen.
Jenny Landjung wurde schriftlich der "Evakuierungsbefehl" zugestellt, mit dem ihre Deportation für den 3. Dezember 1941 angekündigt wurde (die dann auf den 6.12.1941 verschoben wurde). Sie entschied sich jedoch, diesem letzten Befehl nicht nachzukommen. Jenny Landjung legte den "Evakuierungsbefehl", ihr Sparbuch der Dresdner Bank, Lebensmittelkarten sowie ein Schreiben zu ihrem Nachlass deutlich sichtbar auf einen Tisch. Dann begab sie sich in den Dachboden neben ihrer Wohnung und erhängte sich dort am 2. Dezember 1941. Die Nachbarin Elli Horschitz, geb. Reimann (geb. 21.12.1885 in Berlin) fand sie dort.
Die herbeigerufene Polizei zog die vorgefundenen Dokumente ein und veranlasste die Überführung der Leiche ins Hafenkrankenhaus. Die Beerdigung übernahm die Jüdische Gemeinde, die Mendel Josias (Grindelallee 23), den ersten Beamten der orthodoxen Beerdigungs-Brüderschaft der Gemeinde "Chewra Kadischa", beauftragte. Eine Zeugin hatte gegenüber der Polizei bezüglich der Familie angegeben: "es wohnen die direkten Angehörigen der Landjung im Ausland", allerdings ohne Namen und Emigrationsländer zu nennen.
Als Nachlassverwalter wurde vom Amtsgericht Hamburg Carl Albrecht (1871–1942), wohnhaft St. Benedictstr. 29 II.Stock bei Frank, bestimmt, der bis zum Berufsverbot am 30. November 1938 als Rechtsanwalt tätig gewesen war (Er starb am 14. April 1942 in Hamburg an einem Herzinfarkt.).
Stand: Mai 2018
© Björn Eggert
Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 332-3 (Zivilstandsaufsicht 1866–1875), A Nr. 180 (Geburtsregister 1874, Nr. 4568 Regine Landjung); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht 1866–1875), A Nr. 212 (Geburtsregister 1875, Nr. 7429 Jenny Landjung, Nr. 7430 Selma Landjung); StaH 332-5 (Standesämter), 1953 u. 1804/1879 (Geburtsregister, Totgeburt Mädchen, Eheleute Landjung); StaH 332-5 (Standesämter), 69 u. 1547/1879 (Sterberegister 1879, Hirsch Landjung); StaH 332-5 (Standesämter), 288 u. 604/1891 (Sterberegister 1891, Rosalie Landjung geb. Breslauer); StaH 332-5 (Standesämter), 8622 u. 781/1902 (Heiratsregister 1902, Leon Fränkel u. Regine Landjung); StaH 332-5 (Standesämter), 7971 u. 1064/1903 (Sterberegister 1903, Markus Landjung); StaH 332-5 (Standesämter), 9843 u. 2053/1929 (Sterberegister 1929, Selma Landjung); StaH 332-5 (Standesämter), 8179 u. 190/1942 (Sterberegister 1942, Dr. jur. Carl Albrecht); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A I e 40 Band 7 (Bürgerregister 1845–1875, Buchstaben L-R), Leon Landjunk (geb. 9.4.1833 in Warschau, Cigarrenfabrikant, 18.3.1859 Hamburger Bürgerrecht Nr. 349); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A I e 40 Band 10 (Bürgerregister 1876–1896, Buchstaben L-Z), Markus Landjung (geb. 9.12.1844 in Warschau, Kaufmann, 29.6.1888 Hamburger Bürgerrecht Nr. 14779); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A I f 166 (Nr. 14779, Markus Landjung); StaH 332-8 (Melderegister), Alte Einwohnermeldekartei (1892–1925), K 6479 (Markus Landjung, Leon Landjunk), 6701 (Johann Palme), 7219 (Christian Zethner); StaH 352-5 (Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen), 1891, Sta. 1, Nr. 604 (Rosalie Landjung); StaH 352-5 (Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen), 1903, Standesamt 20, Nr. 1064 (Markus Landjung); StaH 352-5 (Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen), 1929, Sta. 3a, Nr. 2053 (Selma Landjung); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Jenny Landjung; Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Gräberverzeichnis (Max Landjung A11-33, Rosalie Landjung geb. Breslauer A11-34); Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig (Regina Fränkel Grablage Abt: IV Nr. 3); Nationalarchiv Prag, Getto Terezin (Todesfallanzeige Leon Wilhelm Fränkel); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 378 (Arthur Landjunk, gegr. als Firma Arthur Bormann); Adressbuch Hamburg (Landjung) 1877–1878, 1883–1887, 1889–1893, 1896, 1900, 1905, 1910, 1914, 1918, 1921, 1925, 1927, 1928, 1930–1932, 1935, 1937–1939; Adressbuch Hamburg (Adolf Calmann) 1934; Adressbuch Hamburg (Dr. Hugo Fischer) 1903; Wilhelm Melhop, Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1880 bis 1895, Hamburg 1895, S. 233, 256/257, 259, 260 (St. Pauli, Karolinenviertel); Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Hamburg 2003, S. 114 (Dr. Carl Martin Gustav Albrecht); Anna von Villiez, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg/ München 2009, S. 239/240 (Adolph Calmann); www.tracingthepast.org (Volkszählung Mai 1939) Adolph Calmann, Leon Fränkel, Elli Horschitz; http://www.steg-hamburg.de/architektur-stadtplanung/Marktstrasse_24.html (denkmalgerechte Sanierung 2015/2016, eingesehen 25.1.2018).