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Lucie Salomon (geborene Königswerther) * 1880
St. Benedictstraße 27 (Eimsbüttel, Harvestehude)
Flucht den Tod 22.9.1941
Weitere Stolpersteine in St. Benedictstraße 27:
Paul Salomon, Emil Wolff
Paul Salomon, geb. 29.6.1865 in Halle/Saale, Suizid am 21.9.1941 in Hamburg
Lucie Salomon, geb. Königswerther, geb. 20.12.1880 in Leipzig, Suizid am 21.9.1941 in Hamburg
Jungfernstieg 22 / St. Benediktstraße 27 / Adolphsplatz 1
Paul Salomon wurde als Sohn von David Salomon und Mathilde geb. Frank in Halle an der Saale geboren. Der Vater war schon mit 13 Jahren in die Lehre gegangen, hatte danach einige Jahre als Handlungsgehilfe gearbeitet und dann mit seinem Bruder ein Manufactur-Waren-Geschäft eröffnet. Erstmalig 1859 tauchte er als Mitinhaber der Seiden- und Modewarenhandlung "Gebr. Salomon" mit der Geschäftsadresse Große Ulrichstraße 4 (heute Nr. 3) im Adressbuch der Stadt Halle auf; die Große Ulrichstraße war eine der Hauptgeschäftsstraßen in der Altstadt von Halle/Saale.
Die Eheleute Salomon hatten fünf Kinder: Franziska (geb. 1861), Elise (geb. 1862), Oskar (geb. 1863), Paul (geb. 1865) und Margarethe (geb. 1870). Die Schwestern und Oskar erhielten Klavierstunden, was in den gehobenen Kreisen damals zur Allgemeinbildung gehörte. Nur Paul Salomon verweigerte als einziger die musische Erziehung. Ab 1881 zeichnete der Vater David Salomon als Alleininhaber der Firma Gebrüder Salomon, die mittlerweile in die Leipziger Straße 91 (heute Nr. 90) umgezogen war. 1894 wurde er im Adressbuch von Halle als Kaufmann geführt, der Zusatz der Firma fehlte hingegen, da das Geschäft mittlerweile in Konkurs gegangen war. Das Familienvermögen ging mit dem Konkurs verloren und darüber hinaus blieben noch Schulden, die die beiden Söhne über Jahre abzahlen mussten. 1902 starb David Salomon, seine Ehefrau lebte weiter mit ihren drei unverheirateten Töchtern in der Henriettenstraße 4 (heute Georg-Cantor-Straße), 1926 starb auch sie.
Oskar und Paul Salomon besuchten das Stadt-Gymnasium Halle. "Wir zwei Söhne waren die ersten Kinder jüdischer Eltern, die das Stadtgymnasium meiner Vaterstadt besuchten", erinnerte sich Paul Salomon 1940. Für die schulische Ausbildung der Schwestern wurde Entsprechendes nicht geboten. In Halle absolvierte Paul Salomon eine Lehre beim Halleschen Bankverein von Kulisch, Kaempf & Co., leistete 1888 seinen einjährigen Militärdienst beim Füsilier-Regiment 36 (leichte Infanterie) in Halle ab und nahm 1889 eine Stelle bei der Dresdner Bank in Hamburg an. Dort erhielt er 1895 Prokura, wurde 1907 einer von zwei stellvertretenden Direktoren und Anfang der 1920er-Jahre ordentliches Mitglied im Vorstand am Jungfernstieg 22.
1903 hatte er Martha Lucia, genannt Lucie, Königswerther kennengelernt. Die Heirat fand im Juli 1904 in Berlin-Charlottenburg statt. Die Braut war in Leipzig geboren, wo ihr Vater, der Kaufmann Adolf Heinrich Königswerther (geb. 22.7.1841 in Frankfurt/Main), 1869 ein Bürgerrechtsgesuch gestellt hatte. Hermine Königswerther, geb. Bloch (1851–1913) aus Jungbunzlau war ihre Mutter. Seit 1892 lebte Familie Königswerther in Charlottenburg bei Berlin in der Joachimsthaler Straße 35. Der unverheiratete Bruder Alexander Königswerther (geb. 25.6.1877 in Leipzig) hatte in Darmstadt Elektrotechnik studiert, 1905 bei der AEG in Berlin begonnen, war bis 1933 Oberingenieur und Direktor bei AEG in Berlin und wohnte in Berlin-Niederschönhausen am Bismarckplatz 1 (u.a. 1914–1936). Ihre ältere Schwester, Elise "Elli" Fanta, geb. Königswerther (geb. 19.11.1872 in Leipzig) soll ausgebildete Pianistin gewesen sein und Konzertreisen absolviert haben. Sie war seit 1896 mit Franz Moritz Fanta (geb. 27.8.1865 in Aussig) verheiratet und hatte zwei Kinder (die später nach Nord- und Südamerika emigrierten).
Seit 1907 war Paul Salomon im Hamburger Fernsprechbuch verzeichnet, im Jahre 1924 erstmalig mit der Berufsbezeichnung "Direktor der Dresdner Bank". Entsprechend seiner gehobenen Stellung befanden sich auch die Wohnungen der Salomons in guten Wohngegenden. Nach der Heirat hatten die Eheleute eine Wohnung im Uhlenhorsterweg 15 (Uhlenhorst) bezogen; 1906 wurde dort die Tochter Hilde geboren. Nur zwei Jahre später zog die Familie in die nahegelegene Wohnung Papenhuderstraße 35, ebenfalls im Stadtteil Uhlenhorst gelegen. Die Geburt der zweiten Tochter Lotte im Jahre 1913 machte einen weiteren Umzug erforderlich; ab 1915 lautete die Wohnadresse Sierichstraße 82 (Winterhude). In dieser "mit allen modernen Einrichtungen versehene(n)" hochherrschaftlichen Etagenwohnung wurde 1918 der Sohn Helmut geboren.
Nach Paul Salomons Beförderung zu einem von drei Direktoren der Hamburger Niederlassung der Dresdner Bank folgte 1925 der Umzug nach Hamburg-Harvestehude in die St. Benedictstraße 27. Das von Emil Wolff (geb. 7.4.1866 in Mannheim), Mitinhaber der Kaffee-Im- u. Exportfirma Firma J. Deutschmann & Co., erworbene großbürgerliche Stadthaus besaß einen rückwärtigen Garten mit Veranda und einen seitlichen Lieferanteneingang. Der Hauskauf war um so erstaunlicher, da die Familie bei der Inflation im Jahre 1923 den Großteil ihres Vermögens eingebüßt hatte. Im Souterrain befanden sich die Küche mit Speiseaufzug bis zum 2. Stock, Speisekammer mit Eisschrank, Kohlenkeller, Heizkeller, Waschkeller und Nähstube. Vom Foyer im Erdgeschoss gingen das Herrenzimmer mit Schreibtisch, Ledersessel und Bücherschränken sowie das Damenzimmer mit Steinway-Flügel und das Speisezimmer für Abendessen und besondere Anlässe ab. Im 1. Stock lagen Fremdenzimmer, Schlafzimmer der Eltern und das kombinierte Ess- und Wohnzimmer der Familie. Im 2. Stock befanden sich die Kinderzimmer und die Zimmer des Kochs und des Dienstmädchens. Auch eine "Tagesfrau" war angestellt, die nicht im Haus wohnte. Um die Kommunikation zu erleichtern, wurde ein Haustelefon in fast jedem Zimmer installiert. Lucie Salomon und ihre beiden Töchter spielten Tennis und besuchten auch als Zuschauerinnen Turniere. Der Sohn beschrieb die Zeit in diesem Haus später als "komfortabel, sicher, vernünftig und kultiviert."
Die Salomons waren assimilierte Juden ohne Verbindung zu der Religion ihrer Eltern. Den Tempel in Halle besuchte Paul Salomon mit seinen Eltern nur zu den höchsten jüdischen Feiertagen. Auf Verlangen des Schuldirektors hatte er zwar mit 19 Jahren für das Abiturzeugnis "eine Unterweisung in der (jüdischen) Religion und über sittliche Reife" durch einen Rabbiner erhalten, doch zu diesem Zeitpunkt war Paul Salomon nach eigenem Bekunden dem jüdischen Glauben bereits völlig entfremdet. Dennoch sind ab 1914 auf seiner Kultussteuerkarteikarte der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg jährliche Mitgliedszahlungen notiert. Der später im Hause von Paul und Lucie Salomon aufgestellte Weihnachtsbaum war dabei weniger christliches Symbol als vielmehr bürgerliches Brauchtum.
Die jüngere Tochter Lotte (geb. 22.3.1913 in Hamburg) besuchte in Hamburg eine Oberschule und anschließend eine Handelsschule, wo sie Stenographie, Schreibmaschine sowie englische und französische Handelskorrespondenz erlernte. Sie absolvierte die Fahrprüfung und ein Volontariat bei der Hamburger Niederlassung der Lloyds Bank. Von 1934 bis zu ihrer Emigration in die USA im Februar 1938 war sie Fremdsprachenkorrespondentin bei der Holzimportfirma Ernst Souza (Kattrepel 2).
Der Sohn Helmut (geb. 4.12.1918 in Hamburg) besuchte nach der Bertram-Vorschule für Knaben (1925–1929) das renommierte Johanneum in Winterhude (1929–1936), das er mit dem Abiturzeugnis abschloss und anschließend eine Lehre bei der Hamburger Niederlassung des Essener Bankhauses Simon Hirschland begann (die Firma wurde 1938 "arisiert"). Ende 1932 schlug Paul Salomon seinem 14-jährigen Sohn Helmut vor, sich taufen zu lassen. Am 16. November 1932 wurde dieser in der evangelischen Johannis-Kirche Eppendorf getauft.
Die ältere Tochter Hilde heiratete im Juni 1932 in der Hansestadt den Hamburger Kaufmann Franz Hermann Friedländer (geb. 28.2.1900 in Hamburg) (der im August 1937 nach der Emigration nach Großbritannien seinen Namen in Francis George Freeman änderte). Das Ehepaar lebte in Hamburg zuletzt in der Gryphiusstraße 8 in Winterhude und hatte ein Kind.
Im Januar 1927, Januar 1931 und Januar 1932 wurde Paul Salomon, zusammen mit 17 weiteren Herren aus dem Kreditgewerbe, für jeweils ein Jahr in den Börsenvorstand "Abteilung für Wertpapiere, Wechsel, Geld und Edelmetalle: Vertreter des Handels mit Wertpapieren" gewählt. Mitglieder dieses Gremiums waren u.a. George E. Behrens (L. Behrens & Söhne), Max Rosenbaum (Rosenbaum & Wolff), Max M. Warburg (M. M. Warburg & Co.) und Cäsar Wolf (Bankgeschäft A. Wolf), die im Juni 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft aus ihren Ehrenämtern entlassen wurden.
1931 war Paul Salomon in seiner Funktion als Bankdirektor auch Aufsichtsratsmitglied von vier Firmen: der Gesellschaft für Automatische Telefonie AG, Hamburg (dessen Vorsitz er inne hatte); der Hanseatischen Kredit-Anstalt für Verkehrsmittel AG (Jungfernstieg 22); der Neptunus Assecuranz-Compagnie, Hamburg (gegr. 1842) sowie der Deutsch-Westafrikanischen Handelsgesellschaft (Kolonialgesellschaft) Hamburg (gegr. 1903).
Nach der turnusmäßigen Wahl der Mitglieder des Börsenvorstandes übernahm Anton Hübbe, Mitglied im Direktorium der Dresdner Bank Hamburg, am 7. Januar 1933 den Sitz von Paul Salomon in der "Abteilung für Wertpapiere, Wechsel, Geld- und Edelmetalle". Anton C. Hübbe (geb. 30.4.1872 in Hamburg, gest. März 1942), seit 1911 Vorstandsmitglied der Dresdner Bank in Hamburg und von 1927 bis 1931 Präses der Handelskammer, wurde nach den Ausschlüssen der jüdischen Handelskammer-Mitglieder am 16. Juni 1933 im Rahmen der zwangsweisen "Neubildung der Handelskammer Hamburg" als Handelskammer-Mitglied bestätigt. Sein Sohn Hermann Victor Hübbe (geb. 11.6.1901 in Mexico City) war seit 1932 Direktor der Deutsch-Südamerikanischen Bank (1906 u.a. von der Dresdner Bank gegründet) und seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP – er wurde im Juni 1933 zum neuen Präses der Handelskammer berufen.
Der Machtantritt der Nationalsozialisten bedeutete für Paul Salomon die zwangsweise Zugehörigkeit des von den Nationalsozialisten definierten "Rassemerkmals Jude" und damit die berufliche und gesellschaftliche Stigmatisierung. Ab 1933 begann die Dresdner Bank sich systematisch von jüdischen Beschäftigten zu trennen. Der "Arier-Paragraph" (§ 3) des "Gesetzes für die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (7.4.1933), eigentlich nur für staatliche Stellen vorgesehen, war im Mai 1933 auf Firmen und Einrichtungen ausgedehnt worden.
Die Dresdner Bank befand sich nach der Bankenkrise seit Mitte 1931 mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand, die ihren Einfluss bei Besetzungen von Leitungspositionen geltend machte. Im Juni 1933 begann sie per Fragebogen mit der systematischen Überprüfung aller Mitarbeiter/innen. Vermutlich als direktes Ergebnis wurde Paul Salomon noch im selben Monat in den Ruhestand verabschiedet.
Ebenfalls entlassen wurde der stellvertretende Direktor Norbert Kleve (geb. 26.4.1895 in Lübeck). Er hatte bei der Bank gelernt, war Prokurist, 1928 Abteilungs-Direktor und 1930 stellvertretender Direktor geworden. Bereits 1932 wurde ihm und seinem Kollegen Albert Levy nahegelegt, freiwillig auszuscheiden. Nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" musste Kleve die Dresdner Bank Hamburg am 13. Oktober 1933 verlassen. (Norbert Kleve wurde von Oktober 1936 bis März 1937 in Hamburg inhaftiert und floh nach seiner Entlassung nach Antwerpen (Belgien). Hier wurde er am 10. Mai 1940 in der Leman Kaserne inhaftiert und fünf Tage später nach Frankreich abgeschoben, wo er in den Lagern St. Livrade (15.5.–25.5.1940), Ville Neuve (25.5.–6.6.1940), St. Cyprien (Juni–Oktober 1940) und Les Miles (Januar–April 1941) interniert wurde. Am 30. April 1941 konnte er in die USA emigrieren.)
Auch Georg Eberstadt (geb. 28.7.1887 in Frankfurt/Main) musste als "Nichtarier" das Direktorium der Dresdner Bank in Hamburg verlassen, der zum Direktorium der Dresdner Bank Hamburg gehörte. Georg Eberstadt emigrierte im Juni 1936 nach London.
Personalunterlagen, die das Vorgehen der Bank gegen die jüdischen Mitarbeiter dokumentieren könnten, existieren nicht mehr. Auf der Generalversammlung in Dresden am 1. Juli 1933 wurden die Entlassungen in der Zentrale mit den Floskeln bemäntelt: "Der Herr Vorsitzende sprach den ausgeschiedenen, heute nicht wiedergewählten Aufsichtsratsmitgliedern den Dank der Verwaltung aus, ebenso dem aus dem Vorstand ausgeschiedenen Herrn Direktor Dr. h. c. Kleemann." Wilhelm Kleemann (geb. 17.12.1869 in Forchheim), der auch Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin war, musste die Dresdner Bank zum 31. März 1933 verlassen. Er emigrierte mit seiner Ehefrau 1937 in die Niederlande und von dort 1940 weiter in die USA.
In den Leitungsebenen von stellvertretenden Direktoren, Abteilungs-Direktoren und Prokuristen setzte nun eine rege Eintrittswelle in die NSDAP ein. Der Abteilungsdirektor Wilhelm Kiemer (geb. 1888 in Hamburg) schrieb 1947 gegenüber dem Entnazifizierungs-Berufungsausschuss, "daß ich im Jahre 1933 zusammen mit ca. 150 Kollegen gewissermaßen zum Eintritt in die NSDAP veranlasst worden bin und diesem Druck nachgegeben musste, um meine Stellung nicht zu gefährden." Die leitenden Mitarbeiter waren von Direktor Anton Hübbe zum Beitritt beordert worden, der selbst parteilos blieb. Ernst Kock (geb. 1891 in Altona), seit seiner Lehrzeit 1907 bei der Dresdner Bank tätig, trat zum 1. Mai 1933 in die NSDAP ein und wurde zwei Monate später zum Abteilungsdirektor und 1936 zum Stellvertretenden Direktor befördert. Nach dem Tod von Hübbe 1942 fungierte er auch als "Betriebsführer".
Paul Salomon verabschiedete sich im Juli 1933 bei Ernst Kock schriftlich und dankte ihm für sein "faires Verhalten". Einen gänzlich anderen Eindruck von Kock hatte dagegen der Betriebsratsvorsitzende der Jahre 1927 bis 1933, Otto Mittrach, der von finanziellen Nachteilen der Nichtparteimitglieder unter Kock und dessen Auftreten in Uniform bei offiziellen Anlässen zu berichten wusste. (Mittrach verweigerte den NSDAP-Eintritt, musste sein Amt aufgeben und wurde von der Hamburger Zentrale zur Filiale Harburg abgeschoben.) Der Aufsichtsrat der Dresdner Bank bestand bereits 1933 zu 67% aus NSDAP-Partei- und SS-Mitgliedern, darunter auch höhere Ränge.
Die hohe Verantwortung und Wertschätzung, die Paul Salomon in der Dresdner Bank über Jahre genossen hatte, galt ab 1933 nichts mehr. Paul Salomon beschrieb seine Enttäuschung rückblickend im Jahre 1940 so: "Die Aufgabe meiner Tätigkeit, die ja schließlich erst im hohen Alter erfolgte, hat mich nicht sehr geschmerzt; sehr empfindlich war die Treulosigkeit von Menschen, mit denen ich freundschaftlich verbunden gewesen war, sowie die Behandlung durch die Bank, der ich nach besten Kräften 44 Jahre lang gedient hatte."
Das Ehepaar Salomon wurde in den folgenden Jahren systematisch immer weiter in die Isolation getrieben, bis es schließlich komplett vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen war. Noch 1935 hatten die Eheleute Salomon nach bestandener Fahrprüfung ein Automobil erworben. So konnten sie sich immerhin noch ein wenig ungestört von den nationalsozialistischen Reglementierungen bewegen, bis auch dies durch einen Erlass vom 3. Dezember 1938 untersagt wurde ("Die Führerscheine und Kraftwagenzulassungsbescheinigungen der Juden werden für ungültig erklärt und ihre Ablieferung angeordnet.") und wenige Tage später der Zwangsverkauf der Kraftfahrzeuge angeordnet wurde.
Zum 31. Dezember 1938 wurde das Stadthaus St. Benedictstraße 27 über die Maklerfirma Arnold Hertz & Co. an Oberingenieur Herbert Böttcher verkauft. Ehepaar Salomon zog nun zur Miete in die Erdgeschosswohnung des Nachbarhauses Nr. 29. Als Paul und Lucie Salomon schließlich 1939 zwangsweise als Mitglieder im Jüdischen Religionsverband Hamburg geführt wurden, waren ihre drei Kinder bereits nach England und in die USA emigriert. Erfolglos hatte die zweitälteste Tochter noch 1937 versucht, ihre Eltern zum Verlassen Deutschlands zu überreden. Doch Paul Salomon fühlte sich gegenüber Mutter und Schwestern verpflichtet und fürchtete, im Exil zwangsläufig bedürftig zu werden, und entschied, es "würde mir heute leichtfertig erscheinen, das Leben der Kinder vielleicht für lange Jahre der bescheidenen Behaglichkeit und zugleich der Aufstiegsmöglichkeit zu berauben." Er versuchte sich mit seinem entrechteten Leben in Deutschland abzufinden.
Aber die Zwangsmaßnahmen gegen Juden steigerten sich. Ab Ende der 1930er Jahre begann der NS-Staat mit der kühl kalkulierten finanziellen Ausplünderung jüdischer Bürger. Das ersparte Guthaben der Salomons fiel Sondersteuern und speziell für Juden erlassenen Abgaben zum Opfer. Der ehemalige Arbeitgeber von Paul Salomon, die Dresdner Bank, hatte sich zu dieser Zeit bereits mit Darlehen bei großen "Arisierungs-Geschäften" engagiert und 1937/38 hierfür in der Berliner Zentrale eine "Arisierungsabteilung" geschaffen. Über stattliche Provisionen und Firmenbeteiligungen profitierte die Dresdner Bank von der "Arisierung", deren Ziel es war, im Besitz deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens befindliche Unternehmen zu günstigen Preisen an Nichtjuden zu verkaufen. Darüber hinaus hatte sich die Dresdner Bank mit Millionenkrediten an die SS den Ruf einer "SS-Bank" erworben.
In dieser deprimierenden Situation boten Paul Salomon in den Jahren 1940 und 1941 wenigstens die regelmäßigen Schachpartien (montags) und Skatabende (donnerstags) bei dem ehemaligen Textilfabrikanten Franz Rappolt (siehe dort) in der Haynstraße 10 ein wenig Zerstreuung. Die Bekanntschaft der beiden dürfte über Kontakte in der Handelskammer Hamburg entstanden sein. Auch zu dem Universitäts-Professor (Öffentliches Recht) Rudolf Laun (1882–1975) und seiner Ehefrau, deren Sohn Kurt ein Klassenkamerad von Helmut Salomon war, sowie zu Bankier Cornelius von Berenberg-Goßler (geb. 1876), der als vorgeschobener Universalerbe die noch vorhandenen Werte der Salomons vor dem Zugriff des NS-Staates sichern sollte, bestand ein sehr freundschaftlicher Kontrakt.
Am 21. September 1941 setzten die Eheleute Salomon gemeinsam ihrem Leben ein Ende. Aus Angst vor einer zu frühen Entdeckung ihres Suizids und einer möglichen "Rettung" ihres Lebens, bat Paul Salomon den Arzt in einem deutlich sichtbar platzierten Brief, ihre Entscheidung zu respektieren:
"Sehr geehrter Herr Doktor. Meine und meiner Frau Widerstandskraft gegen Leid und Qual, die über uns hereingebrochen sind, ist erschöpft. Wir werden heute Abend den hoffentlich gelingenden Versuch machen, unser Leben durch Veronal zu beenden. Haben Sie die Güte, den hoffentlich eingetretenen Tod festzustellen, gegebenenfalls aber um Gottes Willen keine Versuche zu machen, uns ins Leben zurückzurufen. – Unser Testamentsvollstrecker wird für alles Erforderliche sorgen. Mit aufrichtigem Danke. P. Salomon."
Die seit vier Jahren für die Salomons tätige 54-jährige Hausangestellte Marie Wilhelmine Seebach fand die Toten und den Abschiedsbrief und eilte damit zu Frau Meyer, einer nahen Bekannten der Salomons. Der herbeigerufene praktische Arzt Max Sohege (Isestraße 109) stellte den Tod fest. Die Toten wurden in die Leichenhalle des Hafenkrankenhauses überführt. Beerdigt wurden Paul und Lucie Salomon auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf. Alexander Königswerther, der Bruder von Lucie Salomon, geb. Königswerther, hatte die Genehmigung erhalten, dafür von Berlin nach Hamburg zu fahren (für Juden galt seit September 1939 eine nächtliche Ausgangssperre und seit September 1941 das Verbot öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen) und kümmerte sich um Beerdigung und Wohnungsauflösung. Er wohnte zuletzt in Berlin-Pankow in der Florastraße 59 zur Untermiete bei Familie Rosenthal, wo er am 21. August 1942 nach Erhalt seiner Deportationsmitteilung Gift nahm und drei Tage später im Jüdischen Krankenhaus (Exerzierstraße) starb. Bei welcher seiner zwei erzwungenen Umzüge der NS-Staat sich Königswerthers Hausrat und seine wertvolle wissenschaftliche Bibliothek aneignete ist nicht bekannt – die Wohnungen mussten geräumt werden, da Nationalsozialisten sie für sich beanspruchten.
Als Testamentsvollstrecker für Paul und Lucie Salomon waren Rudolf Herms, seit 1931 persönlich haftender Gesellschafter des Bankhauses Jonas Söhne & Co. (1941 umbenannt in Herms & Co.) sowie Walter Rudolphi (siehe dort), entlassener Oberlandesgerichtsrat und seit 1939 im Vorstand des Jüdischen Religionsverbandes bestellt worden. Mit der Wahl dieser in ihren Positionen und Möglichkeiten sehr unterschiedlichen Personen dürfte Paul Salomon den Versuch unternommen haben, seinem Testament auch im Juden gegenüber rechtlich unzuverlässigen NS-Staat Gültigkeit zu verschaffen.
Der ledige Elektrotechniker Arnold Zeckendorf (geb. 5.7.1893 in Altona), seit 1921 Mitglied einer Freimaurerloge und ein Bekannter der Salomons, schrieb Ende September 1941 an eine dänische Freundin: "Übrigens haben sich in der letzten Woche Herr Salomon und Frau (früher Direktor der Dresdner Bank in Hamburg) gemeinschaftlich mit Veronal vergiftet, es gehören wirklich sehr starke Nerven dazu alles dies zu ertragen." (Zehn Monate später sah auch er keinen anderen Ausweg mehr als den Suizid. Er hatte schriftlich seinen Deportationsbefehl erhalten. Die Polizei öffnete drei Tage nach dem angeordneten Termin die Tür zu seiner Unterkunft, der Polizeibericht vermerkte zur Wohnsituation: "Der Verstorbene wohnte in einem Hause, in dem nur Juden gewohnt haben. Diese waren teils verstorben, teils bereits evakuiert, so daß der Verstorbene zuletzt dort allein gewohnt hat. Die Wohnung des Zeckendorf liegt im 1. Stock des Hauses und zwar bewohnte Zeckendorf hier ein Zimmer mit Küchenbenutzung. Die beiden anderen Zimmer der Wohnung waren bereits von der Behörde versiegelt worden, weil hier Hausrat von evakuierten Juden lagert. (…) Da auf dem Tische ein Evakuierungsbefehl der Geheimen Staatspolizei zur Evakuierung für den 18. Juli 1942 lag, die Wohnungstür erst heute morgen in Gegenwart des Oberwachtmeisters Seifen von einem Schlosser geöffnet wurde, liegt einwandfreier Selbstmord vor. (…)".) Für Arnold Zeckendorf wurde in der Hohen Weide 4 (Eimsbüttel) ein Stolperstein verlegt.
Alle drei Schwestern von Paul Salomon lebten unverheiratet in Halle. Zum 1. Dezember 1941 zogen sie in die zu einem Altenheim umgebaute Trauerhalle der Jüdischen Gemeinde in die Boelckestraße 24 (heute Dessauer Straße) um. Für das Wohnrecht mussten sogenannte Heimeinkaufsverträge abgeschlossen werden. Jede der Schwestern zahlte hierfür rund 40.000 RM – eine verdeckte Form der Ausplünderung älterer jüdischer Bewohner.
Elise Salomon (geb. 14.8.1862 in Halle/Saale), mit finanzieller Unterstützung des Bruders Paul ausgebildete Gesangslehrerin, beging am 16. September 1942 Selbstmord. Einen Tag später nahm sich Margarete Salomon (geb. 26.1.1870 in Halle/Saale), die jüngste Schwester, in Halle das Leben. Franziska Salomon, genannt Fränze (geb. 2.5.1861 in Halle/Saale), ehemals Chormitglied und Angestellte in einem kaufmännischen Büro, wurde am 29. März 1943 ins Getto Theresienstadt deportiert, wo sie am 31. März 1944 starb.
Oskar Salomon (geb. 21.9.1863 in Halle), Facharzt für Haut- und Harnkrankheiten, hatte sich circa 1902 mit seiner Familie in Gera/Thüringen niedergelassen und besaß dort ein Haus und eine Praxis in der Adelheidstraße 12 (heute Clara-Zetkin-Straße). Er nahm sich am 18. September 1941 zusammen mit seiner Ehefrau Martha, geb. Heilbrun (geb. 6.9.1873 in Eisleben) und dem Sohn Hans Salomon (geb. 17.4.1898 in Geringswalde/Saale) das Leben. Hans Salomon, dessen linker Arm nach schwerer Kriegsverletzung amputiert werden musste, war ab 1926 in Gera Hilfsrichter am Landgericht und wurde 1932 zum Amtsgerichtsrat befördert. Zum 31. Dezember 1935 wurde er vom Reichsjustizminister entlassen. In einem Abschiedsbrief verwies Oskar Salomon auf die Verordnung zum Tragen des "Judensterns" als letztem Anlass für die Tat: "Sie kennen die neuen Verordnungen, die über uns verhängt worden sind: es geht über unsere Kraft, sie zu ertragen; wir wollen und können die Entehrung, die uns durch den Zwang einen handtellergroßen gelben Stern auf der linken Brustseite zu tragen auferlegt worden ist, nicht auf uns nehmen, ohne uns selbst verachten zu müssen. Wir scheiden aus dieser Welt in dem Bewußtsein jahrelang erduldet zu haben, was fast unerträglich war, aber Alles hat seine Grenzen. Wir scheiden aber auch in dem festen Bewußtsein erfüllter Pflichten von Mensch zu Mensch und in jedem andern Sinne."
Die Familie wurde auf dem evangelischen Ostfriedhof in Gera beerdigt, da sie lange konvertiert war. Für sie wurden 2008 Stolpersteine in Gera in der Laasener Straße 16 verlegt. Der Sohn Fritz Salomon (geb. 30.5.1895 in Geringswalde/ Saale) war Student, er wurde für den Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg zum Geraer Infanterieregiment 96 einberufen und bei Molenhoek an der Westfront so schwer verwundet, dass er am 6. September 1917 an den Folgen in einem Bremer Lazarett starb.
Seit 2005 erinnern Stolpersteine vor dem Wohnhaus St.Benedictstraße 27 an Paul und Lucie Salomon. Vor der ehemaligen Dresdner Bank Niederlassung in Hamburg (Jungfernstieg 22) wurde 2010 ein Stolperstein verlegt mit dem Schriftzug "Hier wirkte von 1907 bis 1933 Paul Salomon"; die Dresdner Bank hat seinerzeit nicht auf die Anfrage reagiert, ob sie die Patenschaft für die Stolpersteinverlegung übernehmen möchte.
Stand: April 2017
© Björn Eggert
Quellen: 1, 4; 5; Staatsarchiv Hamburg (StaHH) 213-4 (Landgericht Hamburg), 530 (Prof. Dr. Rudolf von Laun); StaHH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), F 16749 (Hermann Victor Hübbe); StaHH 221-11 (Entnazifizierung), F 13307 (Ernst Kock); StaHH 221-11 (Entnazifizierung), F 11841 (Wilhelm Kiemer); StaHH 231-7 (Handels- u. Genossenschaftsregister), B 1980-12 Band 8 (Dresdner Bank in Hamburg, 1933–1939); StaHH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 401 (Georg Eberstadt), 1. Band (1936–1939); StaHH 331-5 (Polizeibehörde – unnatürliche Sterbefälle), 1941/1599 (Paul u. Lucie Salomon); StaHH 331-5 (Polizeibehörde – unnatürliche Todesfälle), 1943/161 (Arnold Zeckendorf); StaHH 332-5 (Standesämter), 13799 u. 33/1932 (Heiratsregister 1932, Hilde Salomon u. Franz Friedländer); StaHH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 42059 (Ernest Sanders); StaHH 351-11 (AfW), 38927 (Lotte Hellman geb. Salomon); StaHH 351-11 (AfW), 10066 (Georg Eberstadt); StaHH 351-11 (AfW), 55179 (Arnold Zeckendorf); StaHH 351-11 (AfW), 17767 (Norbert Kleve); StaHH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei) Leo Gabriel (Dresdner Bank), Max Rosenbaum (Bankier), Ernst Solmitz (Bankier), Paul Salomon, Emil Wolff, Arnold Zeckendorf; StaHH 731-8 (Zeitungausschnitt-Sammlung), A 758 (Anton Cornelius Hübbe); Stadtarchiv Leipzig, Bürgerrechtsgesuch 1862 (Meyer/Martin Königswerther *1837), 1869 (Adolph Heinrich Königswerther *1841); Stadtarchiv Halle, E-Mail-Auskunft vom 15.8.2008; Stadtarchiv Gera, E-Mail-Auskunft vom 14.11.2008 (zu Oskar Salomon) und 7.11.2016 (zu Fritz und Hans Salomon); Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) Berlin, Entschädigungs-Akte 210 623 (Alexander Königswerther); Bundesarchiv Berlin, NSDAP-Mitgliederkartei, BArch 9361-VIII Kartei, 12691475 (Hermann Victor Hübbe); Bundesarchiv Berlin, Parteistatistische Erhebung, BArch 9361 I/ 1391 (Hermann Victor Hübbe); Janna Warberg Schous arkiv, opbevaret af Selskabet for Dansk-Jodisk Historie (Brief von Arnold Zeckendorf); Briefe von Franz Rappolt an seinen Sohn in die USA, 28.9.1941, Privatbesitz; Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 180 (Dresdner Bank); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 214 (Deutschmann & Co.), S.229 (Dresdner Bank); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 185 (Dresdner Bank), S. 163 (Deutsch-Westafrikanische Handelsges.); Mitteilungen der Handelskammer Hamburg, Nr. 1 vom 9.1.1932, Nr. 1 vom 7.1.1933, Nr. 12 vom 17.6.1933; Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Dresdner Bank in Hamburg); Fernsprechbücher Hamburg 1906–1940 (Paul Salomon); Adressbuch Hamburg (Straßenverzeichnis St. Benedictstr. 27) 1925, 1926; Adressbuch Hamburg 1941 (Dr. Max Sohege); Adressbuch Berlin 1892, 1894 (Adolf Königswerther); Adressbuch Berlin 1910, 1914, 1920, 1924, 1932, 1934–1936 (Alexander Königswerther); Adressbuch Berlin 1932, 1941 (Dr. Hans Pilder); Adressbuch Leipzig 1883, 1887, 1890 (Adolph Königswerther); Gräberkartei des jüdischen Friedhofs Ohlsdorf (Grablage C 9 Nr. 127 Paul Salomon, C 9 Nr. 128 Lucie Salomon); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg, Hamburg 1998, S. 57, 79, 81, 245, 256, 321; Björn Eggert, Stolpersteine in Hamburg St. Benedictstraße, Paul u. Lucie Salomon, in: Maajan – Die Quelle, Zeitschrift für jüdische Familienforschung, Heft 92, September 2009, S. 3373–3377; Beate Meyer, Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945, Hamburg 2006, S. 56/57 (mit Abb. von Paul u. Lucie Salomon); OMGUS, Ermittlungen gegen die Dresdner Bank, Frankfurt/M. 1987, S. XLII, 83–88, 251–255; Manfred Pohl, Hamburger Bankengeschichte, Hamburg 1986, S. 61, 91, 132, 134, 136; Ernest H. Sanders (= Helmut Salomon), Heil und Unheil. Eine Hamburger Familie 1904–1941, Berlin 2005, insbes. S. 61–72 (Autobiografie von Paul Salomon), S. 21 (Oskar Salomon und Familie), mit Abb.; Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 47/1999, S. 187–216, Dieter Ziegler, Die Verdrängung der Juden aus der Dresdner Bank 1933–1938; www.stolpersteine-gera.de (Oskar, Martha u. Hans Salomon, eingesehen 13.9.2016); www.ancestry.de (Familiennamen Königswerther und Fanta, eingesehen 17.10.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".