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Bereits verlegte Stolpersteine



Rosa Weinberg (geborene Nathan) * 1877

Großneumarkt 56 (Hamburg-Mitte, Neustadt)

1941 Riga
ermordet

Weitere Stolpersteine in Großneumarkt 56:
Sella Cohen, Bertha Cohen, A(h)ron Albert Cohn, Thekla Daltrop, David Elias, Theresia Elias, Louisa(e) Elias, Helene Martha Fernich, Martha Minna Fernich, Camilla Fuchs, Siegmund Josephi, Robert Martin Levy, Hertha Liebermann, Fritz Mainzer, Elsa Nathan, Ruth Nathan, Siegfried Neumann, Fanny Neumann, Lieselotte Neumann, Mirjam Neumann, Max Leo Neumann, Therese Neumann, Bela Neumann, Josef Polack, Bertha Polack, Eva Samuel, Rosa Therese Weil, Bernhard Weil, Siegfried Weinberg

Rosa Weinberg, geb. Nathan, geb. am 3.10.1877 in Flensburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Siegfried Weinberg, geb. am 22.8.1875 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof

Großneumarkt 56

Rosa Nathan und Siegfried Weinberg heirateten am 8. Februar 1902 in Hamburg. Siegfried lebte zum Zeitpunkt der Eheschließung in Bremen in der Oelmühlenstraße 21 und war als Geschäftsführer tätig. Rosa wohnte mit ihren Eltern im Stadtteil St. Georg am Hansaplatz 2.

Rosas Vater, der Kaufmann Eduard Wolff Nathan (geb. 8.4.1846, gest. 30.5.1930) stammte aus einer jüdischen Familie in Rendsburg. Die Mutter Sophia Dorothea Mathilde Antoinette, geb. Spöring (geb. 10.10.1853, gest. 23.3.1943), die keine Jüdin war, kam ebenfalls aus Schleswig-Holstein, denn ihre Geburtsstadt Altona gehörte damals noch nicht zu Hamburg. Als Eduard Wolff Nathan und Sophie Spöring am 20. Dezember 1876 standesamtlich heirateten, war ihre älteste Tochter Elisabeth Henriette (geb. 18.11.1873) schon auf der Welt. Nach der Geburt von Rosa am 3. Oktober 1877 in Flensburg folgten acht weitere Kinder, drei Söhne und fünf Töchter, die alle in Bremen geboren wurden. Eduard Wolff Nathan war seit 1897 Inhaber der Firma "Sams. Sachs", ein Abzahlungsgeschäft für Möbel, das 1871 von Samson Sachs in der Hamburger Wexstraße 39 gegründet worden war. Das Hauptgeschäft lag wohl am Steindamm 43, ein weiteres in Altona am Schulterblatt. Niederlassungen gab es in Dresden, Hannover und Bremen.

Rosa folgte ihrem Mann nach Bremen. Dort wurden auch ihre Kinder geboren: Else am 29. Dezember 1902 und Herbert/Herz am 19. Januar 1904. Das Bremer Adressbuch aus dem Jahre 1904 verzeichnete Siegfried Weinberg in der Knoopstraße 42. Vielleicht war er im Geschäft seines Schwiegervaters in der Hutfilterstraße 23 tätig. Im Jahre 1910 wurde das Geschäft in Bremen aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben. Seit April 1909 wurde Siegfried Weinberg als Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Hamburg geführt, die erste Kultussteuer zahlte er allerdings erst 1913. Nach den Einträgen der Hamburger Adressbücher betätigte sich Siegfried Weinberg weiterhin als "Geschäftsführer".

Siegfried Weinberg nahm als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil und kämpfte an der Ostfront in der Ukraine. 1918 kehrte er aus dem Kriegseinsatz zurück und wurde für seine Verdienste mit dem Hanseatenkreuz und dem Ehrenkreuz der Frontkämpfer ausgezeichnet. Sein jüngerer Bruder Bernhard Weinberg (geb. 9.4.1883) wurde am 31. August 1918 als Soldat getötet.

Im folgenden Jahr, am 12. Oktober 1919, verstarb Siegfrieds Mutter Rosalie Weinberg, geb. Schoeneberg (geb. 5.3.1848), die in der Bartelsstraße 95 ein "Lotterie- und Annoncen-Büro" geführt hatte, im Alter von 71 Jahren. Rosalie Weinberg wurde neben ihrem Ehemann Hermann/Herz Weinberg (geb. 18.4.1845, gest. 9.2.1895) auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf beerdigt.

Am 6. August 1926 heiratete Rosas und Siegfrieds Tochter Else den Kieler Handelsvertreter Iwan Jacobsohn (geb. 20.7.1899), Enkelsohn Rolf wurde am 28. Dezember 1926 geboren. Familie Jacobsohn zog in die Hansastraße 47 in den Stadtteil Harvestehude. Elses Bruder Herbert lebte noch unverheiratet bei seinen Eltern in der Bartelsstraße 88 und hatte eine kaufmännische Ausbildung erhalten. Herbert wurde nur 25 Jahre alt, er starb am 21. März 1929 an Tuberkulose. Am 30. Mai 1930 verstarb auch Rosas Vater Eduard Wolff Nathan.

Seine Firma "Sams. Sachs" übernahm der zweitälteste Sohn Julius Nathan (geb. 2.4.1884). Der älteste, Iwan Nathan (geb. 2.2.1882), war 1912 in die USA ausgewandert. Der Kontakt zu ihm riss 1924 ab. Julius Nathan wurde von seinem jüngeren Bruder Norbert Nathan (geb. 17.6.1890, gest. 4.3.1952) im Betrieb unterstützt. Die Geschäftsräume befanden sich nun in der Hammerbrookstraße 22, wo Julius Nathan mit seiner Familie auch wohnte. Julius hatte am 8. Dezember 1920 Clara Mendel (geb. 9.7.1887) geheiratet (s. auch den Text zu ihren Schwestern Minna Heilbut und Gertha Seligsohn). Sohn Henry kam am 30. Mai 1924 zur Welt.

Rosa und Siegfried Weinberg zogen 1937 nach Eimsbüttel, in die zweite Etage Weidenstieg 14. Siegfried Weinberg war jetzt als selbstständiger Handelsvertreter tätig. Im folgenden Jahr konnte das Ehepaar keine ausreichende Lebensgrundlage mehr erwirtschaften und war auf die Hilfe der Jüdischen Gemeinde angewiesen.

Rosas Bruder Julius Nathan konnte seine Schwester nicht unterstützen. Ihm wurde durch die NS-Behörden die Lebensgrundlage entzogen. Ebenso wie alle anderen jüdischen Firmeninhaber wurde er gezwungen, sein Geschäft aufzugeben. Die Möbelhandlung "Sams. Sachs" wurde im November 1938 liquidiert und das Warenlager weit unter Preis von einem Möbelhändler übernommen. Noch im Oktober 1939 war die Abwicklung des Unternehmens nicht beendet, fünf "Kassierer" waren mit der Einziehung der Außenstände von weit mehr als 1000 Schuldnern beschäftigt. Laut der Abwicklungsbilanz wurde das Firmenvermögen nach Bürgersteuern, "Judenvermögensabgabe" und Honorarkosten auf einem Sperrkonto hinterlegt. Julius Nathan konnte über sein Vermögen nicht mehr frei verfügen. Seinem Bruder Norbert Nathan war es im Mai 1939 gelungen, nach seiner Entlassung aus dem KZ Buchenwald nach Shanghai zu emigrieren.

Rosa und Siegfried Weinberg wurden am 31. Januar 1939 über die Rappstraße 16 in das Hertz-Joseph-Levy-Stift am Großneumarkt 56 einquartiert. In unmittelbarer Nachbarschaft, in der Schlachterstraße 46/47 im Lazarus-Gumpel-Stift, wohnte Siegfrieds Schwester Frieda Dannenberg (s. dort). Beide Einrichtungen standen zuletzt unter Aufsicht der Gestapo und wurden zur Vorbereitung der Deportation als "Judenhäuser" genutzt. Seit dem 1. Januar 1939 mussten die Weinbergs die Zwangsnamen "Israel" und "Sara" führen.

Am Abend des 5. Januar 1941 wurden Rosa Weinberg und ihre ältere Schwester Henriette Stöhlker, geb. Nathan, gemeinsam mit ihrer Schwägerin Clara Nathan, der Ehefrau ihres Bruders Julius Nathan, auf der unbeleuchteten Grindelallee von einem motorisierten Polizei-Oberwachtmeister angehalten, weil sie ihn angeblich mit einer mitgeführten Taschenlampe blendeten.

Da sie bei der Aufnahme ihrer Personalien den Zwangsnamen "Sara" nicht angaben und sich somit nicht sofort als Jüdinnen zu erkennen gaben, wurden sie am 2. April 1941 in einem Schnellverfahren zu je zwei Wochen Gefängnis verurteilt und hatten die Kosten des Verfahrens zu tragen. In der Urteilsbegründung hieß es, als Jüdinnen deutscher Staatsangehörigkeit zur Annahme des zusätzlichen Vornamen Sara gesetzlich verpflichtet, hätten sie sich offensichtlich vorsätzlich dieser Pflicht entziehen wollen. Ihren Einwand, sie seien so erschreckt gewesen, dass sie vergessen hätten, den Vornamen Sara zu nennen, ließ der Amtsgerichtsrat Bayer nicht gelten. In einem Gnadengesuch bewirkte der Rechtsanwalt Edgar Fels (geb. 20.9.1885, gest. 22.5.1942 in Lodz), der sich als "jüdischer Konsulent" bezeichnen musste und nur noch zur rechtlichen Beratung und Vertretung jüdischer Mandantinnen und Mandanten befugt war, die Umwandlung der Gefängnis- in eine Geldstrafe.

Am 9. April 1941, sieben Tage nach der Gerichtsverhandlung, verstarb Iwan Jacobsohn, Rosas und Siegfrieds Schwiegersohn, an einem (nicht näher erklärten verfolgungsbedingten) Herzmuskelriss. Else und Iwan hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Wohnung in der Hansastraße 47 bereits aufgeben müssen und lebten in einem "Judenhaus" in der Rutschbahn 15.

Else Jacobsohn musste mit ihrem Sohn Rolf und der Familie ihres Onkels Julius Nathan am 25. Oktober 1941 ihrem Deportationsbefehl Folge leisten. Sie wurden ins Getto "Litzmannstadt" nach Lodz deportiert.

Siegfried und Rosa Weinberg erhielten ihre Deportationsbefehle nur wenig später, sie sollten am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert werden. Weil die Mordaktion der SS an den lettischen Gettobewohnern und einem aus Berlin eingetroffenen Transport noch nicht abgeschlossen war, wurde der Hamburger Transport zunächst ins provisorisch eingerichtete Gut Jungfernhof außerhalb Rigas gebracht, wo sich die Spur der Weinbergs verlor.

An das Ehepaar Weinberg erinnern heute Stolpersteine am Großneumarkt 56 vor dem ehemaligen jüdischen Hertz-Joseph-Levy-Stift, von wo sie deportiert wurden. Ihr Lebensmittelpunkt lag aber viele Jahre in der Bartelsstraße 88, in einer gutbürgerlich eingerichteten Dreizimmerwohnung im Stadtteil St. Pauli.

Nach ihrer Deportation erhielt der Auktionator Carl F. Schlüter, Alsterufer 12, den Auftrag, "die zugunsten des Deutschen Reichs eingezogene Wohnungseinrichtung der Weinbergs, wohnhaft gewesen in Hamburg, in freiwilliger Versteigerung zu verkaufen". Er erzielte die Summe von 320,35 Reichsmark, die an die Kasse des Oberfinanzpräsidenten abgeführt wurde. Wertgegenstände wie Gold und Silber hatte das Ehepaar schon lange vorher bei den dafür vorgesehenen staatlichen Stellen abgeben müssen.

Tochter Else und Enkelsohn Rolf Jacobsohn wurden am 15. Mai 1942 aus dem Getto "Litzmannstadt" ins ca. 60 Kilometer von Lodz entfernte Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof weiterdeportiert und in einem Gaswagen ermordet. Eine Schwägerin hinterließ bei der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel Gedenkblätter. In Hamburg erinnern Stolpersteine in der Hansastraße 47 an sie.

Rosas Bruder Julius Nathan starb am 21. Mai 1944 im Krankenrevier des Gettos "Litzmannstadt", er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Lodz beerdigt.

Seine Frau Clara erlitt das gleiche Schicksal wie ihre Nichte Else: schwer an der Ruhr erkrankt, kam sie am 23. Juni 1944 in das Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof.

Ihr Sohn Henry, der im Getto in einem Wehrmachtsbetrieb arbeitete, wurde 1942, ohne sich von seinen Eltern verabschieden zu können, mit einem Transport nach Posen-Demsen gebracht, wo er beim Eisenbahnbau eingesetzt wurde. Von dort nach Auschwitz gebracht und in der Selektion für arbeitsfähig erklärt, musste er in einem Kohlebergwerk arbeiten. Henry Nathan wurde am 30. April 1945 im Getto Theresienstadt befreit. Über Tschernowitz und Prag kehrte er nach Hamburg zurück und ging später in die USA.

Für seine Eltern Clara und Julius Nathan werden demnächst Stolpersteine in der Hammerbrookstraße 22 (s. Stolpersteine in Hamburg-St.Georg) verlegt.

Rosas Schwester Henriette Stöhlker, seit 1914 Witwe, erlangte im September 1942 die Anerkennung als "Mischling ersten Grades", da ihre Mutter keine Jüdin war und Henriette mit dem nichtjüdischen Hermann Wilhelm Stöhlker verheiratet gewesen war. Henriette Stöhlker starb am 1. Oktober 1945 in Hamburg.

Ihre Tochter Irma Oppenheim, geb. Stöhlker (geb. 12.8.1903), wurde jedoch mit ihrem Ehemann Friedrich/Fritz Oppenheim (geb. 1.9.1896) und Sohn Hermann (geb. 26.11.1927) am 8. November 1941 ins Getto Minsk deportiert, wo sie ums Leben kamen (s. Edith Sandner). Ihr Sohn Adolf Nathan (geb. 22.11.1896 in Bremen), im Ersten Weltkrieg als Soldat schwer verwundet, überlebte die Verfolgungszeit.

Siegfried Weinbergs verwitwete Schwestern Frieda Dannenberg und Dina Adloff (geb. 11.6.1878 in Hamburg; s. Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel und Hamburg-Hoheluft-West) wurden am 18. November 1941 ins Getto Minsk deportiert.

Eine weitere Schwester Paula Lenz (geb. 24.6.1886, gest. 25.12.1969) überlebte das NS-Regime, geschützt durch eine "Mischehe".


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 351-11 AfW 2852 (Weinberg, Siegfried); StaH 351-11 AfW 1312 (Jacobsohn, Martha); StaH 351-11 AfW 7169 (Nathan, Bertha); StaH 351-11 AfW 18076 (Oppenheim, Friedrich); StaH 332-5 Standesämter 8588 u 650/1874; StaH 332-5 Standesämter 2563 u 1721/1876; StaH 332-5 Standesämter 1932 u 2730/1878; StaH 332-5 Standesämter 2053 u 1748/1884; StaH 332-5 Standesämter 2129 u 3130/1886; StaH 332-5 Standesämter 2405 u 3008/1886; StaH 332-5 Standesämter 2977 u 54/1902; StaH 332-5 Standesämter 5330 u 2614/1918; StaH 332-5 Standesämter 810 u 621/1919; StaH 332-5 Standesämter 3387 u 901/1920; StaH 332-5 Standesämter 3533 u 473/1926; StaH 332-5 Standesämter 8174 u 131/1941; StaH 332-5 Standesämter 9960 u 1890/1945; StaH 352-5 Todesbescheinigung 1929, Sta 3 Nr. 814; StaH 213-11 Amtsgericht Hamburg 4410/41; StaH 522 -1 Jüdische Gemeinden 477; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 1; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 2; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 3; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer Iwan Jacobsohn (Gedenkblatt); Riegel: Leidensweg, S. 66, S. 77; Behrens: Stolpersteine, S. 143; Auskunft von Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 16.4.2014 und 18.4.2014; http://www.jewishlodzcemetery.org/EN/CemeteryPlan/Default.aspx?Q=true&SearchPhrase=nathan (Zugriff 4.10.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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