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Bereits verlegte Stolpersteine



Fiete Schulze nach seiner Verhaftung April 1933
© Privatbesitz

Fiete Schulze * 1894

Schiffbeker Weg 9 (Hamburg-Mitte, Billstedt)


HIER WOHNTE
FIETE SCHULZE
JG. 1894
INHAFTIERT
GEFÄNGNIS HAMBURG
ENTHAUPTET
6.6.1935

Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Schiffbeker Weg 9:
Rudolf Krooß

Fiete Schulze, geb. 22.10.1894 in Schiffbek, hingerichtet am 6.6.1935 im UG Hamburg

Schiffbeker Weg 9

"Seine Zunge ist gefährlicher als Kugeln", schätzte Staatsanwalt Stegemann die Gefahr, die von Fiete Schulze als kommunistischem Funktionär ausging, in seinem Plädoyer für die Todesstrafe ein.

Am 22. Oktober 1894 wurde Fritz Karl Franz Schulze in Schiffbek geboren, als Fiete Schulze wurde er bekannt. Seine Eltern, Karl Schulze und Auguste, geb. Pallwitz, arbeiteten beide in der Norddeutschen Jute-Spinnerei und Weberei, "der Jute", in Schiffbek. Neun Geschwister starben bereits im frühen Kindesalter, und Fiete wuchs mit drei Brüdern und einer Schwester auf. Sein Vater war in der SPD organisiert. Fiete besuchte die Volksschule und setzte sich schon dort für Schwächere ein. Er schloss sich dem Arbeitersportverein "Frei Heil" an. Nach Abschluss seiner Schulausbildung 1909 wollte er zur See fahren, fand aber kein Schiff und begann stattdessen eine Schlosserlehre. Als Nieter auf der Werft "Blohm und Voß" kam er seinem Traum etwas näher. Noch während seiner Lehrzeit trat er der Gewerkschaft bei, danach 1913 der SPD. Zwei Jahre später heiratete er Johanna Schröder, die in einer Wollfabrik arbeitete. Sie bekamen drei Kinder, von denen die beiden Söhne im Kindesalter starben, nur Wilma, ge­boren am 2. Februar 1914, erreichte das Erwachsenenalter. Im Ersten Weltkrieg wurde Fiete Schulze eingezogen und in Rumänien schwer verwundet. 1918 kehrte er nach Hamburg zurück. Geprägt durch die Kriegserlebnisse, den Tod zweier Brüder und die Novemberrevolution 1918 sowie den schlechten Lebensbedingungen in Schiffbek, entschloss er sich 1919, die SPD zu verlassen und der USPD beizutreten, von der er sich mehr versprach.

Fiete Schulze bildete sich durch Selbststudium, ideologische Auseinandersetzungen und seine Erfahrungen in der Arbeitswelt eine eigene Meinung.

Am 4. Februar 1920 trat das Betriebsrätegesetz in Kraft. Die ersten Betriebsratswahlen bei der Vereinigten Jute-Spinnerei und Weberei sowie der Zinkhütte gewannen die USPD-Kandidaten. Da die von den Belegschaften erwarteten Verbesserungen ausblieben, streikten die Arbeiter dieser Betriebe sowie die der Müllentladung Moorfleth noch im selben Jahr. Nach fast drei Monaten endete der Streik erfolgreich, nicht zuletzt dank der Solidarität der Schiffbeker Bevölkerung. Fiete Schulze beteiligte sich auch an der Niederschlagung des Kapp-Putsches. Nach der Vereinigung von KPD und der linken Mehrheit der USPD im Dezember 1920 wurde auch in Schiffbek eine Ortsgruppe der KPD gegründet, der Fiete Schulze beitrat. Er übernahm den Aufbau des militärischen Ordnerdienstes. In dieser Zeit, den Inflations- und Hungerjahren, wurde er für viele Menschen zum Berater und Vertrauensmann. Fiete Schulze war als Vize (Vorarbeiter) auf der Veddeler Reismühle beschäftigt. Um den Erwerbslosen von Schiffbek zu helfen, beschlagnahmte er gemeinsam mit Kollegen eine Schute mit Reis. Als sie dabei festgenommen wurden, nahm er die Schuld auf sich, um die anderen zu schützen.

Mitte Oktober 1923 spitzte sich die politische Lage in Deutschland zu, als die Stresemann-Regierung mit Hilfe der Reichswehr versuchte, die Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen zu Fall zu bringen. Dagegen wurde ein Aufstand geplant. Am 23. Oktober sollte Hamburg das Signal für eine bewaffnete Erhebung in Deutschland geben. Der dazu erwartete Aufruf einer Konferenz in Chemnitz blieb aber aus. In Unkenntnis dessen rief die Hamburger Parteiorganisation den bewaffneten Aufstand aus. Fiete Schulze leitete die Aktionen in Schiffbek und sammelte seine Leute. Waffen wurden aus den Verstecken geholt, die beiden Polizeiwachen in Schiffbek besetzt und die Polizisten verhaftet. Auch das Postamt wurde besetzt und sämtliche Fernverbindungen abgeschaltet. Die Schiffbeker Zeitung wurde unter Zensur gestellt. Fiete Schulze ließ die Fernverkehrsstraße aufreißen, wodurch die Verbindung nach Berlin unterbrochen wurde. Teile der Bevölkerung unterstützten die Aufständischen. Dennoch konnten sie der staatlichen Übermacht nicht lange trotzen. Am 25. Oktober 1923 war der Aufstand niedergeschlagen, die Mehrheit der Aktivisten verhaftet. Fiete Schulze entwich mit Zustimmung der Partei ins Ausland.

Seine Tochter Wilma war damals neun Jahre alt. Sie sah ihren Vater erst Ende 1925 wieder. Fiete Schulze fuhr als Matrose auf dem Großsegler "Flora" der Südamerika-Linie nach Chile, wo er als Hafenarbeiter und im Bergbau Beschäftigung fand. Nach seiner Rückkehr lebte er illegal in Hamburg. Wilma erlebte mehrfach, wie intensiv ihr Vater gesucht wurde. Einmal sprach ein Polizist sie an und versprach ihr eine Tafel Schokolade, wenn sie ihm verriete, wo sich ihr Vater aufhalte. Wie sie später immer wieder berichtete, widerstand sie der Verlockung und schwieg. Doch sie hatte nicht lange Gelegenheit, ihren Vater zu sehen, denn er reiste in die Sowjetunion, wo er Gesellschaftswissenschaften studieren konnte. Nach erfolgreichem Studienabschluss blieb er als Dozent an der Universität und lehrte außerdem an der Moskauer Parteischule. Während dieser Zeit war er in der KPdSU ebenso aktiv wie im Deutschen Arbeiter-Klub. Im Juli 1932 kehrte er nach Hamburg zurück, wo Provokationen und Schlägereien zwischen NSDAP und KPD an der Tagesordnung waren. Obwohl illegal in Hamburg, trat er oft als Redner auf. Fiete Schulze errichtete im Auftrag der KPD-Bezirksleitung Wasserkante eine Selbstschutzstaffel, die er dazu anhielt, sich nicht auf Schlägereien mit Angehörigen der SA einzulassen. Er lehnte individuellen Terror und "Knüppelpolitik" ab: "Meint ihr, das wäre schon ein Klassenfeind, weil er die SA-Jacke angezogen hat? Nein, Genossen, ... er weiß nur nichts von dieser Welt. Man hat ihn auf einen falschen Weg gelockt. Ihr aber wisst Bescheid. Bringt ihn auf den richtigen! Das ist Heldentum. Schießen ist keins."

Am 16. April 1933 wurde Fiete Schulze aufgrund einer Denunziation in seiner illegalen Unterkunft festgenommen, im Stadthaus verhört und ins Untersuchungsgefängnis gebracht. Bis August erhielt niemand Erlaubnis, ihn zu besuchen, jedoch durfte er schreiben. Die Briefe, die Wilma von ihrem Vater erhielt, schulten ihren Blick für die politischen Verhältnisse. Trotz seiner Isolierung in Einzelhaft nahm Fiete Schulze regen Anteil an den politischen Veränderungen, die im Land vorgingen. Als Wilma Schulze ihren Vater später besuchen konnte, erfuhr sie von der Folter, die er erlitt, und dem Versuch, ihn zu bestechen.
Am 13. Februar 1935 eröffnete das Hanseatische Oberlandesgericht den Prozess wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" und Landfriedensbruchs gegen Fiete Schulze. Wilma war in den fünf Wochen mit ca. 80 bis 90 anderen Beobachtern ständig dabei. Häufig wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen, da Fiete Schulze sich nicht einschüchtern ließ und unbeirrt seine Meinung sagte. Es gab Menschen, denen er Mut machte. Und sie zeigten, dass sie zu ihm standen: z. B. waren einmal alle Straßenschilder beim Oberlandesgericht mit "Fiete-Schulze-Platz" überklebt.

Am 18. März 1935 wurde Fiete Schulze dreimal zum Tode und zu 260 Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Staatsanwalt Stegemann sagte in seinem Plädoyer: "Es gibt kein objektives Recht. Strafrecht ist heute Kampfrecht!", und schloss mit den Sätzen: "Es wäre eine schreiende Ungerechtigkeit, wenn dieser Mann mit dem Leben davonkäme. Seine Zunge ist gefährlicher als Kugeln." Internationale Proteste, Kundgebungen in Paris, Amsterdam und in anderen Orten hatten keinen Einfluss auf dieses Urteil. Ohne die Möglichkeit zu haben, sich von seiner Familie zu verabschieden, wurde Fiete Schulze am 6. Juni 1935 um 6.00 Uhr im Hof des Untersuchungsgefängnisses in Hamburg mit dem Handbeil hingerichtet. Seine Tochter Wilma verließ mit Mann und Tochter Deutschland. Rudolf Krooß (s. S. 34) starb als Interbrigadist im Spanischen Bürgerkrieg, Wilma und Rita Krooß blieben bis zum Kriegsende in der Sowjetunion.

Im Februar 1981 hob die Staatsanwaltschaft beim Hanseatischen Oberlandesgericht das Todesurteil gegen Fiete Schulze auf – ein Erfolg des jahrelangen Kampfes seiner Tochter und vieler Unterstützer um Gerechtigkeit.

© Christiane Chodinski

Quellen: VAN-Liste 1968; StaH, 351-11 AfW, 020214; Hamburger Anzeiger, Nr. 56, 7.3.1933; Schulze, Briefe; Hochmuth, Fiete Schulze; dies., Niemand und nichts wird vergessen; S. 114ff.; dies./Meyer, Streiflichter; Günther Schwarberg: Justizmord Freispruch nach der Hinrichtung, Stern-Artikel vom 4.6. 1981; Geschichtsgruppe des Stadtteilprojekts Sonnenland, Billstedt’s "vergessene" Geschichte; o.J.; Voß/Büttner/Weber, Hamburger Aufstand; Karl Hipler, Meine letz­te Begegnung mit Fiete Schulze, Ge­denkstätte Ernst Thälmann, Ham­burg; mündliche Mitteilungen von Angehörigen.

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