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Bereits verlegte Stolpersteine



Robert Liebermann
© Privatbesitz Renate Thilo

Robert Liebermann * 1883

Im Alten Dorfe 61 (Wandsbek, Volksdorf)


HIER LEBTE
ROBERT LIEBERMANN
1919 – 1941
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET

Robert Salomon Liebermann, geb. 22.5.1883, 1941 hier vertrieben, 1966 gestorben.

Eigentlich erinnern Stolpersteine an Menschen, die während der NS-Zeit ermordet wurden oder in den "Freitod" gingen. In Ausnahmefällen allerdings verlegt der Künstler Gunter Demnig auch Steine für Personen, die einen besonderen Leidensweg gehen mussten, wie hier für Robert Liebermann.

1917 erwarb der Hamburger Bankier Friedrich Salomon Liebermann das Grundstück "Im alten Dorfe " 61 mit dem heutigen um 1912 erbauten Jugendstilhaus.

Sein Sohn Robert studierte Anfang des Jahrhunderts Maschinenbau in München und nahm als Artillerieoffizier am Ersten Weltkrieg teil. Für besondere Verdienste bekam er mehrfach Auszeichnungen, die ihm viel bedeuteten. Während eines Lazarettaufenthaltes lernte er die Krankenschwester Annemarie Stampe (* 1893) kennen. Das Paar heiratete und zog mit dem 1919 geborenen Sohn Rolf in die elterliche Villa nach Volksdorf.

Robert und Annemarie Liebermann fühlten sich in ihrem Vaterland fest verwurzelt. Dazu mag beigetragen haben, dass die weit verzweigte Familie so illustre Namen aufwies wie den Maler Max Liebermann (1847-1935) und den Komponisten und Intendanten Rolf Liebermann (1910- 1999).

Vor der Villa der Liebermanns gab es Mitte der Dreißiger Jahre Randale und Geschrei. Der Mob in den braunen Uniformen drang in das Haus ein, riss Bücher aus den Regalen und verwüstete die Bibliothek.

1931 hatte Robert L. seine Existenzgrundlage verloren, weil die Blechwarenfabrik Cochu, deren Direktor er seit 1913 gewesen war, Konkurs gemacht hatte. Als Jude war es ihm dann nach 1933 nicht möglich, eine entsprechende Position wieder zu finden. Liebermanns gerieten in finanzielle Schwierigkeiten und sahen sich 1935 gezwungen, die Wohnung im Parterre an eine Familie zu vermieten. Ein Lichtblick: Dr. Thilo, der neue Mieter, ließ Liebermanns nicht allein. Wenn die Gestapo nachts zur Hausdurchsuchung erschien, stand er mit auf und machte den Eindringlingen klar, dass er ihr Tun missbilligte.

Im November 1938 fand sich Robert Liebermann als "Schutzhaftgefangener" im KZ Sachsenhausen wieder. Auf Grund eines Himmler-Erlasses wurden Häftlinge über 50 Jahren nach einigen Wochen wieder entlassen. Allerdings hatten sie mit "Konsequenzen" zu rechnen, wenn sie "draußen" etwas über ihre Behandlungen im Konzentrationslager andeuteten. Robert Liebermann hielt sich an die Schweigeverpflichtung.

Inzwischen hatte sich die Hausgemeinschaft in der Villa verändert: Jüdische Familien überbrückten die Zeit vor ihrer Emigration nach England bei Liebermanns. Robert Liebermann hatte eine Art Pension eingerichtet. Die Kinder wurden privat unterrichtet und knüpften auch Kontakte zu Nachbarskindern. Zu deren Bedauern aber waren die Spielkameraden meist ebenso plötzlich verschwunden, wie sie vorher aufgetaucht waren.

Ingeborg Hecht, die als Hamburger Stadtkind mehrere Sommerferien bei Liebermanns verbrachte, erinnert sich: "Wir wurden zu leichteren Gartenarbeiten und zum Gemüseputzen hinzugezogen, denn Tante Anni führte ein strenges Regiment, während Onkel Robert nur versuchte seine Naturbegeisterung auf uns zu übertragen."

Rolf, das einzige eigene Kind der Liebermanns, in der Terminologie der Nationalsozialisten "Mischling ersten Grades", besuchte das "Johanneum" in der Innenstadt. Nach dem Abitur war er bemüht, sich schützend vor seinen jüdischen Vater zu stellen, indem er sich sofort zum Militärdienst meldete. Doch dem nationalsozialistischen Denken entsprechend war er als "Halbjude" dafür nicht gut genug, sondern "wehrunwürdig". So begann Rolf eine Lehre als Flugzeugbauer bei Blohm & Voss. Die Abschlussprüfung bestand er so brillant, dass die Familie es wagte, sich erneut um Rolfs "Wehrwürdigkeit " zu bemühen, auch Beziehungen spielen ließ: Der erste nationalsozialistische Bürgermeister Hamburgs, Krogmann, sowie Hermann Görings Hamburger Schwiegervater Sonnemann bewirkten schließlich, dass der (blonde) Rolf als "wertvoller Volksgenosse" eingestuft wurde. Damit galt er als "Deutschblütigen gleichgestellt" und hätte wohl auch studieren dürfen. Trotzdem schloss er sich dem Regiment 76 als Fahnenjunker-Feldwebel an – mit tödlichen Folgen.

Am 16. Mai 1942 schrieb Robert Liebermann aus Hamburg an die Berliner Freunde Alenfeld :

"Lieber Erich, liebe Sabine!
Schweres Leid ist über uns gekommen. Unser Junge, unser Ein & Alles, ist gefallen. - Gestern bekamen wir von dem Kp. Chef die Mitteilung. Er hat am 25.4. einen Spähtrupp geführt und erlitt dabei den tödlichen Kopfschuss; gelitten hat er nicht mehr .Unsere einzige Hoffnung, der Inhalt unseres Lebens ist damit zerstört."

Inzwischen blieben die Eltern in ihrer Villa von Belästigungen weitgehend verschont.

Seit dem 1. Januar1939 mussten alle Juden zusätzlich den Vornamen Israel (Frauen: Sara) tragen. Robert Liebermann weigerte sich, was ihm Anfang 1941 mehrere Wochen "Schutzhaft" im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel einbrachte.

Im selben Jahr begann die Stadt Hamburg, Druck auf die jüdischen Hausbesitzer auszuüben. Sie sollten dazu gebracht werden, ihr Eigentum unter Preis der Stadt zu übereignen. Um dem zu entgehen, versuchte Robert Liebermann, Villa und Grundstück auf Rolf zu übertragen. Da die Gemeinde Volksdorf jedoch selbst auf die Immobilie "Im alten Dorfe" reflektierte, scheiterte Liebermanns Antrag. Im selben Jahr zogen Liebermanns aus, sie hatten einen Bruchteil des Preises bekommen, den der Vater 1917 gezahlt hatte. 7500 RM davon gingen als "Reichfluchtsteuer" auf das Sperrkonto "Robert Israel Liebermann".

Von Mai 1943 bis Mai 1945 zeigt sein "Arbeitsbuch", mit einer Unterbrechung im Herbst 1943, dass Liebermann Zwangsarbeit in einem Schuhwarengroßhandel in der Innenstadt leisten musste. Dort fungierte als Bauhilfsarbeiter und schleppte Kisten. Das Ehepaar wohnte nun in Hummelsbüttel. Da Juden jedoch nur eingeschränkt die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen durften, bedeutete dies zweimal drei Stunden Fußmarsch für den 60jährigen Liebermann.

Nach dem Kriege bot man Liebermanns das Haus "Im alten Dorfe" 61 wieder an. Doch nach all dem, was geschehen war, wollten sie nicht zurückkehren. Sie wurden mit einem Haus am Volksdorfer Damm "entschädigt", zogen aber selbst in den Sarenweg in Ohlstedt.

Bis an ihr Lebensende hielten Liebermanns Kontakt zu Eva Löwenthal, der Freundin ihres Sohnes, die 1938 nach England emigrieren konnte. Auch als später verheiratete Eva Scott besuchte sie jedes Jahr zu Weihnachten Rolfs Eltern. Robert Liebermann lebte bis 1966. Nach dem Tode von Annemarie Liebermann, 1987, löste Eva Scott den Liebermannschen Haushalt auf. Das Grab des Ehepaars Liebermann befindet sich auf dem Friedhof Wohldorf. Es läuft im Jahr 2012 aus.

Obwohl das Haus " Im Alten Dorfe 61" seit 1941 der Stadt Hamburg gehört, die es an die Polizei weitervermietet hat, spricht man in Volksdorf immer noch von der "Liebermann-Villa". Da die Polizeidienststelle Anfang 2008 ausgezogen ist, erscheint die Zukunft der Jugendstilvilla und des Grundstücks wieder fraglich. Das beunruhigt viele Volksdorfer, denn sie halten das Haus, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Erinnerung an eine Nachbarsfamilie, die hier entrechtet und vertrieben wurde, für bewahrenswert.

© Ursula Pietsch

Quellen: AFW, Aktennr.220583; Regina Scheer, Liebermanns, S. 387; Pietsch, Volksdorfer Schicksale, in: Unsere Heimat die Walddörfer, Nr.4/2004, S. 47; Briefe von Rolf, Annemarie und Robert Liebermann an Familie Alenfeld; Interviews mit Ingeborg Hecht, Renate Thilo, Henry Hartjen 2003–2006.

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