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Julius Noah Meyer * 1907
Karolinenstraße 35 (Hamburg-Mitte, St. Pauli)
HIER WOHNTE
JULIUS NOAH MEYER
JG. 1907
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET IN
AUSCHWITZ
Weitere Stolpersteine in Karolinenstraße 35:
Jenny Cohen, Alexander Cohen, Ruth Meyer, Gerda Meyer
Gerda Meyer, geb. Cohen, geb. 31.3.1909 in Düsseldorf, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 30.4.1944
Julius Noah Meyer, geb. 15.5.1907 in Hildesheim, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 28.9.1944 nach Auschwitz, Todesdatum unbekannt
Karolinenstraße 35 (Carolinenstraße 35)
Ruth Meyer, geb. 19.11.1935 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 9.10.1944 nach Auschwitz, Todesdatum unbekannt
Karolinenstraße 35 (Carolinenstraße 35) und Bogenstraße 25
Julius Noah Meyer wurde am 15. Mai 1907 als Sohn der Eheleute David und Golda Meyer, geb. Baumgarten, in Hildesheim geboren. Ein Jahr zuvor war die Schwester Henny zur Welt gekommen, ein Jahr später folgte die Schwester Angela. Bevor die Familie 1910 nach Hamburg umzog, arbeitete David Meyer als "Tapezierermeister, Polsterer, Dekorateur und Möbelhändler", wie es im "Adreßbuch der Stadt Hildesheim" von 1909 verzeichnet ist. In Hamburg meldete sich die Familie in Eimsbüttel in der Wrangelstraße 65a an, wo David Meyer gegenüber der Wohnung eine Werkstatt als Tapezierer und Dekorateur betrieb. Die Geschäfte müssen gut gelaufen sein, denn Bekannte der Familie beschrieben die Lebensverhältnisse als "gutbürgerlich" und "die Kinder als immer gut gekleidet".
Über das Leben des Julius Meyer gab die Schwester Anni (Angela) Böhm im Zuge ihres Wiedergutmachungsverfahrens 1959 ausführlich Auskunft. Sie war bereits im Oktober 1933 nach Palästina ausgewandert und die einzige Überlebende der Familie. Ihren Angaben zufolge hat ihr Bruder Julius "1922 die Talmud Tora-Realschule in Hamburg mit dem Einjährigen verlassen und lernte anschließend das Feinmechaniker-Handwerk bei der Firma Stührmann & Co. Er hat gleichzeitig die technischen Kurse mit Erfolg besucht und gleichfalls 1926 abgeschlossen. Er hat anschließend bei der Deutschen Reichspost und bei verschiedenen Privatfirmen gearbeitet. Zum Schluß war er von 22.6.30 bis 14.7.33 beim Telegrafen-Zeugamt in Lokstedt tätig.
Am Tage seiner Entlassung sollte er in den Beamtenstand erhoben werden, wurde aber stattdessen als Jude entlassen. Ich kann Angaben über seine Gehaltsbezüge nicht machen, weiß aber, daß er ein tüchtiger, theoretisch und praktisch durchgebildeter Handwerker war und sehr fleißig und strebsam. Anschließend hat er nur noch Aushilfsstellungen gehabt, bis er als Jude überhaupt keine Tätigkeit in seinem Beruf mehr finden konnte. Er wurde dann am 1.11.35 Schulwart in der Jüdischen Mädchenschule, die später mit der Talmud Toraschule zusammengelegt wurde."
Nach seiner Heirat 1932 verließ Julius Meyer die elterliche Wohnung in der Wrangelstraße und zog mit seiner Frau Gerda Cohen nach Barmbek in den Pfauenweg 35, in die Nähe seiner Schwiegereltern Alexander und Jenny Cohen. Obwohl er als Mechaniker beim "Telegrafen-Zeugamt" in Lokstedt angestellt war, waren seine Einkünfte augenscheinlich bescheiden, denn im Mai 1932 wandte er sich an die Jüdische Gemeinde mit der Bitte, "aus der Liste der Gemeindemitglieder gestrichen zu werden. Bei dieser hohen Steuer ist es mir nicht möglich, weiter der Gemeinde anzugehören. Meine eigenen Verhältnisse liegen sehr schlecht und ich habe auch meine Eltern noch zu unterstützen". Daraufhin hatte er nur noch eine ermäßigte Gemeindesteuer zu zahlen und in den beiden folgenden Jahren erzielte er aufgrund seiner Erwerbslosigkeit ohnehin nur ein "lohnsteuerfreies Einkommen".
Am 1. November 1935 bekam Julius Meyer eine Anstellung als Hausmeister an der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße. Wenige Wochen später, am 19. November, brachte seine Ehefrau Gerda ihr einziges Kind namens Ruth zur Welt. Die Familie lebte nun in einer Dienstwohnung in der Schule, in der der "Pedell" Julius Meyer, wie er auf seiner Steuerkarte geführt wurde, auch eine kleine, aber gut ausgestattete Werkstatt betrieb. Dort beschäftigte er zeitweilig auch einen nahen Verwandten seiner Frau, der als jüdischer Musiker keine Anstellung mehr in einem staatlichen Orchester fand. Sein Einkommen als Schulwart war den Steuerzahlungen zufolge gering, aber offensichtlich ausreichend für die kleine Familie. Anhand der Wohnungseinrichtung, wie der Vetter von Gerda Meyer sie 1950 detailliert beschrieb, lässt sich erkennen, dass die Familie gut eingerichtet war. Als die gesamte Einrichtung im Juli 1942 "zu Gunsten des Reiches" eingezogen und versteigert wurde, erzielte sie fast 3000 RM.
Auch wenn sich wenig über das Familienleben der Eheleute Meyer und ihrer Tochter Ruth sagen lässt, liefert die Beschreibung der Wohnungseinrichtung den Hinweis, dass Musik und Musizieren für die Familie einen großen Stellenwert hatte. So besaß sie neben einem Klavier ein "Koffergrammophon mit ca. 80 Platten". Und in ihrem ersten und einzigen Zeugnis, das Ruth in ihrem kurzen Leben erhielt, wurde ihre musikalische Begabung besonders hervorgehoben.
Am 29. April 1942 verfügte der Hamburger Reichsstatthalter Kaufmann, dass "eine Unterrichtung von Judenkindern in Schulen ab sofort aufzuhören hat". Anfang Mai 1942 zogen die letzten jüdischen Schulkinder mit ihren Lehrern in das Knaben-Waisenhaus am Papendamm 3 und das Schulgebäude wurde zur weiteren Nutzung an die Stadt übergeben. Reichsweit wurden die jüdischen Schulen im Juni 1942 geschlossen. Somit musste auch das Hausmeisterehepaar Meyer ebenso wie die Eltern von Gerda, die dort 1939 mit untergekommen waren, ihre Wohnung in der Schule aufgeben und in das "Judenhaus" Bogenstraße 25, das ehemalige "Maystift", umziehen. Von dort schrieb Julius Meyer am 15. Juli 1942 über das Deutsche Rote Kreuz eine kurze Nachricht, die nicht mehr als 25 Worte umfassen durfte, an seine Schwester Anni in Haifa: "Sind gesund, Eltern Dezember nach Riga, …, wir Sonntag nach Theresienstadt … Hoffen gesundes Wiedersehen. Innigste Küsse, Julius, Gerda, Ruth".
Wie Julius Meyer seiner Schwester mitteilte, waren die Eltern David und Golda Meyer bereits am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert worden. Sie hatten seit 1939 im "Judenhaus" Kleiner Schäferkamp 32 unterkommen müssen. Julius Meyer mit seiner Familie und den Schwiegereltern standen – wahrscheinlich wegen seiner langjährigen Tätigkeit für die Jüdische Gemeinde – auf der Transportliste für Theresienstadt, wohin sie am 19. Juli 1942 vom Hannoverschen Bahnhof aus gebracht wurden. Ein letztes Lebenszeichen stammt vom 2. Februar 1942, als Julius erneut an seine Schwester schrieb: "Alle 3 gesund. Gerda Julius arbeiten. Hoffen Euch gesund. Gebt uns Antwort. Theresienstadt L 229".
Gerda Meyer starb am 30. April 1944 im Getto Theresienstadt. Ihr Ehemann Julius wurde am 28. September 1944 mit rund 2500 Personen nach Auschwitz weiterdeportiert. Ob er wie die überwiegende Mehrheit noch am gleichen Tag in den Gaskammern getötet wurde oder aber ins Lager Birkenau gebracht wurde, lässt sich nicht mehr klären. Eventuell wurde er aufgrund seines Alters und seiner handwerklichen Ausbildung noch als arbeitsfähig eingestuft.
Am 9. Oktober 1944 verließ auch die neunjährige Tochter Ruth das Getto Theresienstadt und wurde mit rund 1600 Personen nach Auschwitz gebracht, wo sie am 12. Oktober eintrafen. Vermutlich wurde sie noch am selben Tag oder aber am darauffolgenden Tag ermordet, denn das "Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945" enthält für diesen Tag den Eintrag: "In der Gaskammer des Krematoriums II werden 2.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder getötet. Sie stammen aus Transporten des RSHA (= Reichssicherheitshauptamt) aus der Slowakei und aus dem Getto Theresienstadt und wurden tags zuvor selektiert." Für das "musikalisch begabte" Mädchen, das "gut erzählen" konnte und "schnell und sicher rechnete", wurde ein Stolperstein sowohl vor der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße 35 als auch an ihrer letzten Wohnadresse in der Bogenstraße 25 verlegt.
Henny Meyer, die ältere Schwester von Julius, wurde am 23. September 1940 aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die Tötungsanstalt Brandenburg gebracht und ermordet. Sie fand in den verschiedenen Wiedergutmachungsanträgen, die die Angehörigen der Familie Meyer in den 1950er Jahren stellten, keinerlei Erwähnung.
© Gunhild Ohl-Hinz
Quellen: 1; 7; 8; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 d Band 23, Steuerakte; StaH 351-1 AfW, Abl. 2008/1 020808 Böhm, Anni; StaH 314-15 OFP, Abl. 1998/1 J7/517/19; StaH 362-6/10 Talmud-Tora-Schule, TT 26; Randt, Carolinenstraße, 1984; Czech, Kalendarium, 1989, S. 889 u. 905.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".