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Stolpersteine in Hamburg
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Bereits verlegte Stolpersteine



Therese Meier geb. Levin
© Yad Vashem

Therese Meier (geborene Levin) * 1899

Moltkestraße 47 a (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


HIER WOHNTE
THERESE MEIER
GEB. LEVIN
JG. 1899
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Moltkestraße 47 a:
Leopold Meier, Georg Neumark, Blanka Redlich, Hans Redlich

Leopold Meier, geb. am 3.10.1893 in Friedrichstadt, am 8.11.1941 deportiert nach Minsk
Therese Meier, geb. Levin, geb. am 12.5.1899 in Hannover, am 8.11.1941 deportiert nach Minsk
Rolf Meier, geb. am 18.5.1921 in Friedrichstadt, am 8.11.1941 deportiert nach Minsk

Moltkestraße 47 a

Nach den Schrecken des Novemberpogroms 1938 flohen Therese und Leopold Meier aus der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Friedrichstadt nach Hamburg. Keiner der ungefähr 30 jüdischen Bürgerinnen und Bürger blieb nach der Pogromnacht in Friedrichstadt.

Friedrichstadt war der Lebensmittelpunkt von Leopold Meier, hier wurde er geboren, wuchs heran und wurde Geschäftsmann. Seine Eltern waren Josua und Rahel Meier, geb. Heymann. Er hatte zwei Geschwister, Martin und Selma. Zu Os­tern 1899 wurde er in Friedrichstadt eingeschult, ab 1904 besuchte er hier die Rektorschule, eine weiterführende Schule, vergleichbar mit einer Realschule. Ab 1909 absolvierte er in Hamburg eine Kaufmannslehre. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat.

1919 übernahm er das Geschäft seines Vaters Karl Meier Nachf. Dabei handelte es sich um eine Rohproduktenhandlung, d. h., er handelte mit Abfall- und Altstoffen aus Gewerbe und Haushalt. Die Familie besaß ein Haus mit Lagerschuppen Am Markt 6. Das Gebäude ist erhalten; hier liegen heute Stolpersteine für Leopold, Therese und Rolf Meier. 1938 gab es in Friedrichstadt noch fünf jüdische Unternehmer, die mit Tabak- und Manufakturwaren oder – wie Leopold Meier – mit Rohprodukten handelten. Einer betrieb eine Schlachterei.

Vermutlich florierte Leopold Meiers Geschäft. Er hielt zwei Pferde, wohl als Zugpferde für ein Pferdefuhrwerk, mit dem Güter transportiert wurden. 1923 erwarb er einen Führerschein, und im Juni desselben Jahres wurde ein Kraftfahrzeug der Marke "Adler" zugelassen. Anfang 1925 kaufte er für sein Geschäft einen LKW der Marke "Chevrolet". Aber auch auf dem Seeweg wurden Güter transportiert. So geht z. B. aus einer Zeitungsmeldung hervor, dass im August 1933 mit dem Motorsegler "Möwe" Alteisen nach Altona verschifft wurde. Die Firma hatte drei Angestellte. Ein weiteres Haus besaß die Familie am Ostermarkt 10.

Am 17. April 1920 feierte Leopold Meier in Hamburg in der Parkallee 11 seine Verlobung mit der 21 Jahre alten Therese Levin, die in Hannover geboren und in Hamburg aufgewachsen war, am 12. August 1920 fand in Hamburg die Hochzeit statt. Im Frühjahr 1921 wurde der Sohn Rolf in Friedrichstadt geboren und im Januar 1926 die Tochter Rita Helene.

Bis zu ihrer Vertreibung führten die Meiers in Friedrichstadt ein ganz normales bürgerliches Leben. So waren sie beispielsweise Mitglieder im Kegelclub "Neuntöter". Fotos zeugen von Festen und Ausflügen. Der Name Leopold Meier taucht auch auf Spendenlisten oder in der Liste des Elternrats der Schule auf. Leopold engagierte sich außerdem im Vorstand der Jüdischen Gemeinde.

Die Kinder gingen in Friedrichstadt zur Schule. Die Tochter Rita erinnerte sich an eine glückliche und geborgene Kindheit. Auch die ersten Schuljahre waren für sie eine gute Zeit. Sie fand eine nichtjüdische Freundin, eine Freundschaft, die bis heute besteht. Erst Jahrzehnte später erfuhr Rita, dass ihrer Freundin damals in Friedrichstadt eine kleine Führungsaufgabe bei den Jungmädeln angetragen wurde, unter der Voraussetzung, dass sie den Kontakt zu ihrer jüdischen Freundin abbräche. Sie tat das nicht, sondern entschied sich für die Freundschaft. Die Situation in der Schule änderte sich für Rita, als sie einen neuen, antisemitischen Lehrer bekam. Schnell spitzte sich die Situation derart zu, dass ihre Eltern sie von der Schule nahmen und sie einige Wochen Unterricht bei dem Rabbiner Cohen erhielt.

Der 1921 geborene Rolf besuchte in Friedrichstadt die Volksschule. Ostern 1936 wurde er aus der Schule entlassen und begann anschließend eine Lehre zum Großhandelskaufmann bei seinem Vater. Von den 41 Schülern seines Jahrgangs war er der einzige Jude. Alle Mitschüler waren evangelisch-lutherisch. Ende 1937 geriet der 16-jährige Jugendliche mit dem Gesetz in Konflikt: Er war in der Gastwirtschaft "Stadt Flensburg" nach 22 Uhr ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten angetroffen worden. Bestraft wurde er wegen seines jugendlichen Alters, von einer Zuschreibung als Jude war in den Akten keine Rede.

Therese Meier vermisste in Friedrichstadt immer die städtische Atmosphäre, und so unternahm sie ab und zu einen Ausflug nach Husum. Spaß hatte sie am Schwimmen, aber nach 1933 musste sie sich den Spruch "Keine Judenbeene in unserer schönen Treene" anhören. Für alle Familienmitglieder änderte sich nun der Alltag. Leopold Meier wurde zwar schon immer "der Jude Meier" genannt, aber vor 1933 hatte das keinen beleidigenden Klang. Die Tochter erinnerte sich, dass er mit ihr und ihrer Freundin spazieren ging, an jeder Seite eines der Mädchen, und dann die Leute fragte: "Na, wer ist jüdisch?" Seine Tochter hatte nämlich dunkelblonde, die Freundin Hanne Lore schwarze Haare, sah also nach damaligem Verständnis "jüdischer" aus.

In der Pogromnacht im November 1938 kam es in Friedrichstadt zu Ausschreitungen, Leopold Meier wurde verhaftet und bis Dezember 1938 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Schon am 31. Oktober hatte es eine "Sicherungsanordnung" des Oberfinanzpräsidenten Nordmark gegeben. Danach konnte Leopold Meier nur noch mit Genehmigung über seinen Grundbesitz verfügen. Unmittelbar nach der Pogromnacht wurde sein Geschäft geschlossen und sein Grundbesitz "arisiert". Das Grundstück Am Markt kaufte der Hotelbesitzer Curt Jacobi am 6. Dezember 1938 für 10.000 Reichsmark (RM). Das Haus Ostermarkt 10 erwarb der Friseur Max Metzner für 1.900 RM. Das Haus der Meiers wurde verwüstet, so dass es ihnen nach diesen Ereignissen nicht mehr möglich war, in ihrer Heimatstadt zu bleiben. Zwar kamen sie vorübergehend bei einer anderen jüdischen Familie, den Heymanns, unter, übersiedelten dann aber nach Hamburg. Der Gewerbeschein wurde Leopold Meier entzogen. Damit war die Existenz der Familie zerstört. Leopold Meier pendelte möglicherweise noch eine Zeit lang zwischen Hamburg und Friedrichstadt, wo er in der Kirchenstraße 31 wohnte. Im Januar 1939 beantragten Leopold und Therese Meier einen Reisepass zwecks Auswanderung, den sie auch erhielten. Immer wieder mussten sie das Geld, das sie monatlich für ihren Lebensunterhalt benötigten, beantragen. Der Antrag wurde alle drei Monate neu gestellt und verlängert. Zuerst durfte Leopold Meier über 300 RM verfügen, später nur noch über 200 RM. Die ganze Zeit über bemühte er sich vergeblich um eine Auswanderung.

Der Sohn Rolf war bereits am 20. Mai 1938, also vor der Pogromnacht, nach Hamburg gezogen. Wahrscheinlich sah er in der Kleinstadt für sich keine Zukunft, da er als Jude angefeindet wurde. Seine Hamburger Adresse lautete Klosterallee 24. Seine jüngere Schwester Rita zog ein halbes Jahr später, im Dezember 1938, ebenfalls nach Hamburg in die Schlüterstraße 63 I. 1939 wurde sie mit einem Kindertransport nach Holland geschickt und gelangte von dort weiter nach England. Sie lebt heute in Israel.

In Hamburg wohnte Familie Meier in verschiedenen Wohnungen zur Untermiete. Angemeldet wurde die Familie erst am 10. Oktober 1940 unter der Adresse Parkallee 18 I (bei Frau Lewardt). Deren Mann Arthur hatte im Oktober 1940 den "Freitod" gewählt. Aus den Akten ergeben sich vor der Parkallee noch die Adressen Dillstraße 13 parterre, Schlüterstraße 63 I und Hartungstraße 1 II. Von der Parkallee zog die Familie in die Moltkestraße 47a III (bei Bernthal). Das war zugleich die Adresse auf der Deportationsliste. Bernthals waren vermutlich die Schwestern Ilse und Alice.

In der Hartungstraße 12 wohnten auch ein Onkel und eine Tante von Leopold Meier, nämlich Goldine Meier, geb. Nathan (geb. 1865 in Hamburg) und Jacob Meier (geb. 1872 in Schleswig). Beide starben in Theresienstadt. Im Hamburger Anzeiger vom 9./10. April 1938, also noch vor der Pogromnacht, stand ein Artikel mit der Überschrift "Jüdische Preistreiber verhaftet. Säuberungsaktion im Hamburger Rohproduktenhandel". Darin war auch die Rede von einem jüdischen Hauptschuldigen namens Jacob Meyer, Hartungstraße 13. Es ging um Leopold Meiers Onkel.

Der Sohn Rolf arbeitete schon im Herbst 1939, also direkt im Anschluss an die Übersiedlung der Familie nach Hamburg, im Ernteeinsatz in dem Dorf Garzin, östlich von Berlin. Von dort kommend traf er am 13. November 1939 mit sieben oder acht anderen Jugendlichen im Umschulungslager Grüner Weg in Paderborn ein. Zu der kleinen Gruppe gehörte auch Moritz Wilhelm Beer (s. Familie Beer). Von Paderborn gelangte er am 25. Januar 1941 ins Umschulungslager Schlosshofstraße 739 nach Bielefeld und von dort wieder nach Hamburg. Zuletzt wohnte er in der Heinrich-Barth-Straße 8 b (bei Loeb), von wo er deportiert wurde. In seinen Akten findet sich die Berufsbezeichnung "Schlosser". Vielleicht hatte er in Paderborn und Bielefeld in einer Lehrwerkstatt Schlosser gelernt.

Die Eltern und der Sohn Rolf Meier wurden am 8. November 1941 nach Minsk deportiert. Ihre Namen hatten schon auf der Reserveliste für die Deportation am 25. Oktober 1941 nach Lodz gestanden, aber sie wurden zurückgeschickt, weil die geplante Anzahl der Deportierten bereits erreicht war. Regina van Son, die bei Verwandten von Meiers zur Untermiete lebte, schrieb am 29. Oktober 1941 nach Amsterdam: "Leopold und Resi und der 20-jährige Sohn von ihnen – L. und R. sind Neffe und Nichte meiner Wirte – sind das erste Mal alle drei zurückgekommen, weil L. im vorigen Krieg schwer kriegsverwundet war. Der Sohn hatte sich freiwillig gemeldet, um die Eltern nicht allein zu lassen. Nun muß wohl der Sohn umziehen, und Resi, seine Mutter, reißt sich die Haare einzeln aus. Sie will, dass ihr Mann mit dem Sohn geht, und sie will dann folgen, etwas später, eine Woche darauf. Eben höre ich, dass der Umzug des Sohnes 8 Tage verschoben ist." Auf der Deportationsliste für den 8. November 1941 nach Minsk waren die Namen der Meiers in der Rubrik derer verzeichnet, die sich "freiwillig" für den Transport gemeldet hatten. Vielleicht wollten sie nicht länger in der Un­ge­wissheit leben und waren des Wartens überdrüssig, da sie die Deportation in jedem Fall auf sich zukommen sahen. Regina van Son lebte bei Meiers Verwandten in der Hartungstraße zur Untermiete und erwähnte in ihren veröffentlichten Familienbriefen Therese und Leopold Meier. Nach einem Brief zu urteilen, scheint es so gewesen zu sein, dass Meiers ihre Wohnung schon vor der Deportation im Oktober aufgeben mussten. Als sie dann zunächst nicht deportiert wurden, übernachteten sie bei Onkel und Tante in der Hartungstraße und suchten sich ein neues Zimmer.

Jacob und Goldine Meier wurden am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo Jacob am 1.1. und Goldine am 10.1.1943 starben.

© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 2 (R1940/454); 4; 5; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1 Browne, Rita 300126; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992e2 Band 3 Deportationsliste; Jürgen Sielemann, Aber seid alle beruhigt, S. 117 , S. 123, S. 126 und S. 148, S. 149; Peter Offenborn, Jüdische Jugend, S. 523 und S. 1225; Brief von Rita Bar-On (ehemals Rita Meier) vom 10.7.2009; Stadtarchiv Friedrichstadt M14 und M17; Landesarchiv Schleswig 320 Schleswig L/359; IZRG, Schleswig; Hamburger Anzeiger 51 (1938, Nr. 84) (9./10.4.1938), S. 3.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

Stolpersteine in Hamburg
Stand: © 29.03.2024 08:24:46