Namen, Orte und Biografien suchen
Bereits verlegte Stolpersteine
Suche
Kurt Abraham Salnik * 1894
Dammtorstraße 28 (Oper) (Hamburg-Mitte, Neustadt)
1939 Flucht nach Riga verschollen
Weitere Stolpersteine in Dammtorstraße 28 (Oper):
Gustav Brecher, Dr. Max Fraenkel, Hermann Frehse, Camilla Fuchs, Mauritz Kapper, Jacob Kaufmann, Ottilie Metzger-Lattermann, Joseph Schmidt, Magda Spiegel, Viktor Ullmann, Bruno Wolf
Kurt Abraham Salnik, geb. am 17.10.1894 in Riga, deportiert Juli 1941 ins Getto Riga
Dammtorstraße 28 (Oper)
Der jüdische Sänger Abraham Salnik wurde 1894 in Riga geboren, das damals zum zaristischen Russland gehörte. Das Geburtsjahr legt nahe, dass er am Ersten Weltkrieg teilnahm. Seine Gesangsausbildung absolvierte er wahrscheinlich in Riga. In seine Heimat kehrte er nach Gründung der unabhängigen Republik Lettland Ende 1918 aber nicht mehr zurück und wurde so staatenlos.
Seit Juni 1921 war er Mitglied im Chor des Hamburger Stadttheaters. Die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg führte ihn seit 1924 als Mitglied. Seine erste Wohnadresse lag in der Hamburger Neustadt, ganz in der Nähe von Abraham Salniks Arbeitsstelle, in der Drehbahn 25 III zur Untermiete bei Werkführer Julius Barckhan. Seit 1928 war Abraham Salnik dann Hauptmieter im Juliusweg 17 III (Barmbek). Das fünfgeschossige Haus gehörte dem Destillateur Ernst Westphal, dessen Geschäft sich im Erdgeschoss befand; von den 12 Mietpartien waren 1939 vier Arbeiter, vier Angestellte und einer Beamter. Abraham Salnik war inzwischen mit der ebenfalls staatenlosen Frieda Salnik, geb. Kurljantschick (geb. 2.10.1896 in Raban/Litauen) verheiratet, auf der Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde war auch die Tochter Ljuba Angela (geb. 18.5.1923 in Hamburg) vermerkt, die wie ihre Eltern den Status einer Staatenlosen hatte.
Mit der Übertragung der Regierungsgeschäfte an die NSDAP durch Reichspräsident Hindenburg im Januar 1933 wurde der nationalsozialistische Antisemitismus schrittweise auch für die öffentlichen Verwaltungen und staatlichen Einrichtungen verpflichtend. Das Stadttheater Hamburg entließ zum Ende der Spielzeit 1933/34 Angestellte aufgrund ihrer jüdischen Herkunft. Damit endete deren Beschäftigungsverhältnis zum 30. Juni 1934. Abraham Salniks Jahreseinkommen hatte 1933 bei 3400 Reichsmark (RM) gelegen. Die Leitung des Stadttheaters sicherte sich schriftlich beim NSDAP-Senator Hans Nieland bezüglich des finanziellen Procederes ab: "Sehr geehrter Herr Senator! Wie Ihnen bekannt ist, haben wir fünf nichtarische Chormitglieder nicht wieder verpflichtet. Von diesen fünf Mitgliedern ist eines pensioniert worden, zwei wurden von der Pensionskasse ausgezahlt und zwei waren pensionsberechtigt, sind aber noch nicht zu pensionieren, da sie noch nicht 40 Jahre alt sind. Es handelt sich um die Herren Salnik und Fischl. Sie möchten nun freiwillige Mitglieder mit Anwartschaft auf den Staatszuschuss bleiben. (…)"
Laut Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde bezog Abraham Salnik ab 1. Juli 1934 eine monatliche Krisenunterstützung, doch diese war so gering, dass er ab Sommer 1934 keine Beiträge mehr an die Jüdische Gemeinde zahlen musste. Die dreiköpfige Familie lebte in den Jahren 1935 bis 1938 in Hamburg von der monatlichen Rente in Höhe von 121 RM (32 RM Rente aus der Pensionskasse, 89 RM Staatszuschuss) und vermutlich von Erspartem; eine Beschäftigung in seinem Beruf war für Abraham Salnik im judenfeindlichen NS-Deutschland unmöglich, zumal er auch nicht Mitglied der Reichskulturkammer werden konnte, was nun Voraussetzung für seine Tätigkeit gewesen wäre. Perspektivlosigkeit und zunehmende Ausgrenzung in Deutschland führten zu dem Entschluss, NS-Deutschland zu verlassen. Im -November 1937 stellte das Polizeipräsidium in Hamburg Salnik einen sogenannten Nansenpass für Staatenlose aus (benannt nach dem norwegischen Forscher Fridtjof Nansen 1861–1930, auf dessen Initiative hin ab 1922 auch Pässe für Staatenlose ausgegeben wurden), der zwei Jahre gültig war. Salnik stellte für sich und die Familie Visaanträge für die USA, die Schiffsfahrkarten waren am 17. Februar 1939 für eine Passage am 15. August 1939 von Rotterdam nach New York mit der Holland-Amerika-Linie gekauft. Im Februar 1939 beauftragte er die Hamburger Filiale der Speditionsfirma Schenker & Co., einen Liftvan (Holzcontainer) von Hamburg nach Baltimore zu verschiffen. Ein Verwandter der Ehefrau, Samuel Krämer, erhielt die Vollmacht, um die große Transportkiste in Empfang zu nehmen.
Die sicher geglaubten Visa für die USA trafen jedoch nicht rechtzeitig ein, die Schiffsfahrkarten verfielen und der Ausweis wurde im November 1939 ungültig. In dieser Notsituation entschieden sich die Salniks, per Bahn nach Riga zu fahren. In dem seit Ende 1918 unabhängigen Lettland herrschte seit 1934 das autokratische Regime des "Führers" Ulmanis mit Unterstützung des Militärs. Familie Salnik wollte mit der Übersiedlung dem Verfolgungsdruck und einer möglichen Ausweisung aus Deutschland entgehen. In Riga wohnte sie anfänglich in der Marijas iela 56/58 dz. 11 und wartete weiter auf ihre US-Visa.
Die Jüdische Gemeinde in Hamburg notierte in ihrer Kultussteuerkartei, Abraham Salnik sei durch Umzug ins Ausland am 3. Juni 1939 schriftlich aus der Gemeinde ausgeschieden. Das Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz vermerkt ein abweichendes Datum: Danach emigrierte er im Februar 1939 in seine Heimatstadt Riga. In der Volkszählung vom Mai 1939 tauchte der Name Salnik bereits nicht mehr auf.
Als in Riga die Visa für Abraham Salniks Ehefrau (am 5.12.1939) und seine Tochter (am 30.11.1939) endlich eintrafen, befand sich sein Visum immer noch in der Bearbeitung. Die Familie entschied sich, dass die 42-jährige Frieda Salnik und die 17-jährige Angela Salnik vorausreisen sollten und Abraham Salnik nachkommen sollte. Durch den Kriegsbeginn im September 1939 und die etwas abgelegene Lage Rigas erschwerte und verteuerte sich die Emigration: per Flugzeug gelangten Ehefrau und Tochter von Riga nach Stockholm, von Göteborg aus nahmen sie am 18. Januar 1940 eine Schiffspassage 3. Klasse nach New York auf der "S.S. Drottningholm". Der zurückgebliebene Abraham Salnik erlebte nun die Besetzung des Baltikums im Sommer 1940 durch die Sowjetunion und im Sommer 1941 durch NS-Deutschland.
In der zweiten Julihälfte 1941 mussten sich alle Juden Rigas auf Anordnung der deutschen Besatzer bei den lettischen Polizeirevieren melden, um sich für eine Gettoeinweisung registrieren zu lassen. Noch im Juli 1941 soll Abraham Salnik aufgrund der Sanktionsdrohungen in das Gebiet des künftigen Gettos umgezogen sein.
Die endgültige Fertigstellung der Abriegelungsmaßnahmen des Gettos wurde am 23. Oktober 1941 in der lettischen Presse veröffentlicht. Auf Anweisung der Gestapo war in der Moskauer Vorstadt Rigas ein Areal ausgewählt worden, das, umgeben von einem doppelten Stacheldrahtzaun und gesichert von Wachen, für die Juden Rigas als Getto diente. Die meist ein- und zweistöckigen ärmlichen Holzhäuser hatten oft weder eine Toilette noch einen Anschluss an die Kanalisation. Im Getto Riga wurden rund 30.000 Menschen, und damit dreimal so viele Menschen wie vor der Abriegelung, eingepfercht. Die Rigaer Stadtverwaltung lehnte die Betreuung des Gettos ab. Alle arbeitsfähigen Gettobewohner waren zudem verpflichtet, für die deutschen Besatzer zu arbeiten. Am 29. November 1941 drangen deutsche Polizeioffiziere, lettische Polizei und lettische Erschießungskommandos ins Getto ein und ermordeten vor Ort und auch außerhalb vor ausgehobenen Massengräbern bis zum nächsten Abend rund 15.000 Menschen. Einer zweiten Vernichtungsaktion des Sicherheitsdienstes der SS am 8. Dezember 1941 fielen 11.000 Menschen zum Opfer, die meisten in Massengräbern im Wald von Rumbula.
Diese Massaker überlebte Abraham Salnik. Wie alle Häftlinge musste er Zwangsarbeit leisten, doch in welchen Arbeitskolonnen er ausrückte, wissen wir nicht. Laut Häftlingspersonalkarte der Sipo Riga wurde er am 9. August 1944 von Riga (Gertrud Straße 83 Wb) ins Konzentrationslager Stutthof verschleppt und erhielt dort die Häftlings-Nummer 56689. Die genauen Umstände seines Todes in dem heillos überfüllten und mangelhaft versorgten Lager und das Todesdatum sind unbekannt.
2007 wurde für ihn vor seiner ehemaligen Hamburger Wirkungsstätte ein Stolperstein verlegt.
Die Schreibweise seines Namens weicht in den eingesehenen Quellen teilweise voneinander ab. Als Vorname wurde in der Kultussteuerkartei Abraham notiert, im Hamburger Adressbuch wurde der Vorname mit "A" abgekürzt, das Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz führt ihn als Kurt Abraham. Auch beim Familiennamen gab es zwei Schreibweisen: Salnik und Salnick.
Stand: August 2018
© Björn Eggert
Quellen: 1; 5; StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 16475 (Abraham Salnik); Adressbuch Hamburg 1928, 1930, 1933, 1935, 1938, 1939; Hamburger Abendblatt, Der Fall Abraham Salnik, 19.10.2006 (Abschrift des Schreibens an Dr. Nieland vom 3.11.1934); Heer/Kesting/Schmidt (Hrsg.): Stimmen, S. 50 (Kurzbiografie Abraham Salnik); Landeszentrale für politische Bildung Hamburg (Hrsg.): Hamburg im Dritten Reich, S. 97 (Hans Nieland); Press: Judenmord, S. 66, 68, 71, 73, 89, 90, 91 (Getto Riga); www.ancestry.de (Passagierliste der S.S. Drottningholm, Januar 1940; US-Grabindex 1. Mai 1985 South Hills Hebrew Cemetery, Frieda Salnik, eingesehen 17.10.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".