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Dr. Joseph Norden und seine Braut Emilie, geb. Meseritz
Dr. Joseph Norden und seine Braut Emilie, geb. Meseritz
© Sammlung Hochfeldt-Renning, Alte Synagoge Wuppertal

Dr. Joseph Norden * 1870

Brahmsallee 8 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1942 Theresienstadt
ermordet 07.02.1943

Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 8:
Johanna Bernstein, Victor Cohn, Thekla Cohn, Else Levy, Louis Nathan Levy, Anna Rothenberg

Dr. Joseph Norden, geb. am 17.6.1870 in Hamburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 7.2.1943

Kielortallee 13 / Brahmsallee 8, Harvestehude

Der Rabbiner Joseph Norden wurde in Hamburg als Sohn von Moses und Bertha Norden, geb. Levy, geboren. Er besuchte die Talmud Tora Schule (die sich in seiner Kindheit noch am Kohlhöfen 19–20 befand), später bis 1890 das Johanneum. Nach dem Abitur studierte er in Berlin an der Friedrich-Wilhelm-Universität Philosophie und ließ sich gleichzeitig am orthodoxen Rabbinerseminar ausbilden. In Halle wurde er 1895 zum Dr. phil. mit einer Arbeit über die Ethik Henry Homes promoviert. Die Dissertation widmete er "seinen geliebten Eltern in kindlicher Dankbarkeit".

Joseph Norden war in seiner gebildeten und religiösen Familie orthodox erzogen worden, und auch das Hildesheimersche Rabbinerseminar in Berlin war orthodox. Trotzdem entwickelte er sich zu einem Vertreter des liberalen Reformjudentums. Nach dem 1896 bestandenen Rabbinatsexamen war er ab 1897 Rabbiner in Neustettin (Szczecinek) in Pommern, dann von 1899 bis 1907 in Myslowitz, Oberschlesien, und von 1907 bis zu seiner Pensionierung am 31. März 1935 in Elberfeld, wo er am 6. September 1907 seine Arbeit als Gemeinderabbiner in der Nachfolge von Zacharias Auerbach aufgenommen hatte. Somit war Elberfeld sicher die entscheidende Station in seinem Leben. 1929 wuchs diese Gemeinde durch den Zusammenschluss der Städte Barmen und Elberfeld mit den Gemeinden Cronenberg, Ronsdorf und Vohwinkel auf mehr als 3.000 Mitglieder an.

Als Joseph Norden nach Elberfeld kam, hatte er bereits eine große Familie. Er war verheiratet mit Emilie, geb. Meseritz (geb.1876, gest. 1931), und vier Kinder waren schon geboren: Bertha (geb. 1898), Hans (geb. 1899), Elfriede (geb. 1901) und Albert (geb. 1904). Nach dem Ersten Weltkrieg, 1919, kam noch die Tochter Hanna dazu. Der Sohn Hans war siebzehnjährig Soldat geworden und hatte schwere Schussverletzungen erlitten, die u. a. seine Nase zerstört hatten. Sein schreckliches Siechtum dauerte bis 1926. Hans Norden wurde auf dem Jüdischen Friedhof am Weinberg in Wuppertal begraben.

Nordens wohnten in Elberfeld im Nachbarhaus der Synagoge in der Genügsamkeitsstraße 7. Ende der 1920er Jahre, als die älteren Töchter schon verheiratet waren, zogen sie in die Zietenstraße 11, kurz darauf ins Nachbarhaus Nr. 9 (heute Stephanstraße).

Joseph Nordens Sohn Albert schrieb in seinen Er­in­nerungen: "Im Elternhaus herrschte eine Atmosphäre des liberalen Monarchismus, dessen Glaubensartikel den allwöchentlichen Aufsätzen entnommen wurden, die Chefredakteur Theodor Wolff im ‚Berliner Tageblatt‘ niederlegte, der tonangebenden Zeitung der ‚linken‘ Bourgeoisie in den ersten Dezennien unseres Jahrhunderts: Monarchie – aber temperiert durch Konstitution, allgemeines und gleiches Wahlrecht, Aufklärung und Toleranz, Ausschaltung der Antisemiten und Einschränkung des Einflusses der Junker. Liberalismus – aber mit Monarchie, die nun freilich nicht von Gottes Gnaden, sondern verfassungsmäßig regieren sollte." Joseph Nordens Verehrung für Kaiser Wilhelm II. veranlasste ihn sogar, eine Broschüre "Unser Friedenskaiser" zu veröffentlichen. Der Sohn schilderte ihn als völlig blind und ahnungslos allen politisch-ökonomischen Zusammenhängen gegenüber.

Was die jüdische Religion betrifft, war Joseph Norden jedoch fortschrittlich, gehörte der World Union for Progressive Judaism an und übersetzte Bücher von Claude Montefiore (1858 bis 1938), der zu den Führern des Reformjudentums in England zählte. Im Laufe seines Berufslebens hatte Norden viele Ehrenämter inne und erhielt etliche Ehrungen und Auszeichnungen. Dem Zionismus stand er fern. Bei seiner Arbeit interessierten ihn das Neue Testament und das Christentum. Er verfügte über eine profunde Kenntnis der jüdischen und christlichen Literatur und publizierte zahlreiche Schriften.

Am 1. April 1935 wurde Joseph Norden pensioniert. Gleich im April 1935 kehrte er in seine Vaterstadt Hamburg zurück, trat am 17. April 1935 der Deutsch-Israelitischen Gemeinde bei und bezog eine Fünfzimmerwohnung in der Brahmsallee 8. Zwei Brüder, die Zwillinge Alexander und Carl (geb. 10.10.1875), lebten mit ihren Familien ebenfalls in Hamburg. Joseph Norden erhielt eine Pension, die aber erheblich gekürzt wurde. 1937 wurde er Mitglied im Rab­binatsgericht am Israelitischen Tempelverband, 1939 übernahm er die Rabbinatsstelle beim Hamburger Tempel als Nachfolger von Bruno Italiener, der nach der Pogromnacht nach England geflohen war. Der Tempel in der Oberstraße war in der Pogromnacht äußerlich unversehrt geblieben, allerdings wurde der Innenraum zerstört. Danach wurde das Gotteshaus des Tempelverbandes beschlagnahmt und stand als jüdischer Versammlungsraum nicht mehr zur Verfügung. Joseph Norden hielt nun liberale Gottesdienste im ehemaligen Bne-Brit-Logensaal in der Hartungstraße ab. Sein Sohn Albert schrieb, einflussreiche Engländer, deren Schriften er übersetzt hatte, hätten ihm ein Visum und Arbeitsmöglichkeiten in England angeboten. Joseph Norden habe aber abgelehnt, weil er seine Gemeinde nicht im Stich lassen wollte.

In Hamburg hatte Joseph Norden im Sommer 1939 die sehr viel jüngere Regina Jonas (geb. 1902) kennen und lieben gelernt, die in Berlin tätig war und als erste Frau den Rabbinertitel erhielt. Im Dezember 1935 wurde sie ordiniert und unterrichtete Religionslehre an Schulen der Berliner Jüdischen Gemeinde. Im August schrieb Joseph Norden an Regina Jonas: "Von der ersten Stunde, als ich Dich im vorigen Sommer kennenlernte, hatte ich Dich lieb. Schade, dass ich ein Mann von 70 Jahren bin. Denn wäre ich 20 Jahre jünger, so hätte ich Dich zur Frau begehrt und geheiratet." Für Regina Jonas war diese Liebesbeziehung nicht unproblematisch, da sie hohe moralische Ansprüche an sich stellte und ehelos und keusch leben wollte. Zumindest hätte sie wohl eine Ehe einem unehelichen Verhältnis vorgezogen, und möglicherweise kam es Ende 1941 zu einer Verlobung. Aber die politischen Verhältnisse machten diese Verbindung unmöglich.

Max Plaut, ein weitläufiger Verwandter Joseph Nordens, gab an: "Während des Krieges musste er die Wohnung auf Anordnung der Aufsichtsbehörde räumen und wurde von der Gemeinde in das Gemeindehaus Kielortallee eingewiesen. In diesem Haus wohnte in der 1. Etage meine Mutter mit zwei weiteren Frauen. Da Herr Dr. Norden inzwischen im Tempelverband als Rabbiner wieder fungierte, durfte er seine Bibliothek dorthin mitnehmen. Den größten Teil seiner Einrichtung jedoch musste er in dem dafür vorgesehenen Verfahren veräußern. Anlässlich seiner Deportation wurde sein vorhandenes Vermögen beschlagnahmt und seine Wohnung versiegelt."

Am 15. Juli 1942 wurde Dr. Joseph Norden nach Theresienstadt deportiert. Zu diesem Zeit­punkt war er 72 Jahre alt. In Theresienstadt starb er am 7. Februar 1943. Auch sein Bruder Carl lebte damals in Theresienstadt. Er starb dort ein knappes Jahr nach Joseph Norden. Regina Jonas wurde im November 1942 von Berlin nach Theresienstadt deportiert und von dort 1944 nach Auschwitz gebracht, wo sie im Dezember desselben Jahres ermordet wurde. Ob sich Joseph Norden und Regina Jonas in Theresienstadt sehen konnten? An Regina Jonas erinnert eine Tafel in der Ausstellung im Berliner Haus der Wannsee-Konferenz.

Joseph Nordens Kinder überlebten – mit Ausnahme des früh verstorbenen Hans – die Zeit des Nationalsozialismus im Exil. Als Politfunktionär der DDR bekannt wurde der Sohn Albert, der schon als Schüler unter dem Eindruck der politischen Unruhen während der Weimarer Republik Kommunist geworden war. Er musste aus politischen Gründen das Realgymnasium in Elberfeld verlassen, machte eine Schreinerlehre und schlug später eine journalistische Laufbahn im Dienste der Kommunistischen Partei ein. Er arbeitete für die KPD-Presse, u. a. zwischen 1925 und 1928 in Hamburg. Das Exil verbrachte er in Dänemark, der Tschechoslowakei, Frankreich, und in den USA. Immer wieder wurde er inhaftiert. 1946 kehrte er nach Ostdeutschland zurück, und wurde 1953 Professor für die Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen an der Berliner Humboldt-Universität. Von 1955 bis 1981 war er Mitglied und Sekretär des ZK und von 1958 bis 1981 Mitglied des Politbüros des ZK der SED. Er starb 1982 in Berlin. Seine Ehefrau hieß Hertha, geb. Fischer, und stammte aus Hamburg. Die beiden hatten einen Sohn.

Joseph Nordens Töchter emigrierten. Bertha war verheiratet mit Professor Werner Rohnstedt und lebte 1944 in Ohio. Elfriede Meinrath, geb. Norden, lebte 1944 in Tel Aviv. Von der Tochter Hanna wissen wir, dass sie 1935 mit dem Vater nach Hamburg übersiedelte, nachdem sie die Schule in Wuppertal hatte verlassen müssen. 1939 heiratete sie in Hamburg den Apotheker Josef Hochfeld, mit dem sie 1940 nach Tientsin in China emigrierte und 1948 in die USA übersiedelte. Sie starb hochbetagt im Februar 2011.

Auch Joseph Nordens beide Brüder und ihre großen Familien wurden Opfer der Verfolgung. Alexander Norden emigrierte mit seiner zweiten Ehefrau Caroline, geb. Mindus, im Dezember 1938 in die Niederlande. Er hatte fünf Kinder: Max Moses (geb. 1907), Leo Alexander (geb. 1912), Bertha Victoria (geb. 1914), Carl (geb. 1921) und Siegfried (geb. 1924). Für Alexander, Caroline, Max Moses, Carl und Siegfried liegen Stolpersteine in der Grindelallee 73. Sie wurden alle von den Niederlanden aus deportiert. Der Bruder Carl Norden war verheiratet mit Betty, geb. Jaffé. Das Ehepaar hatte vier Kinder: Erica (geb. 1906), Manfred (geb. 1907), Mar­tin (geb. 1911) und Josef (geb. 1913). Für Carl, Betty, Manfred und Josef liegen Stolpersteine in der Amelungstraße 6. Sie wurden wie Joseph Norden nach Theresienstadt deportiert.

Zum Andenken an Joseph Norden wurde 1982 in Hamburg eine Straße nach ihm benannt, der Joseph-Norden-Weg in Niendorf.

Stand: August 2013
© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 3; 5; StaH 214-1 Gerichtsvollzieherwesen, 542; StaH 351-11 AfW, AZ 070119 und AZ170670; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 992e 2 Band 5 (Deportationslisten); StaH 622-1, Familie Plaut; Wegweiser zu ehemaligen jüdischen Stätten, Heft 2; Ulrike Schrader, Rabbiner Dr. Joseph Norden; Ulrike Schrader, Tora und Textilien, S. 87ff.; Peter Offenborn, Jüdische Jugend; E. G. Lowenthal, Bewährung im Untergang, S. 138/139; Biographisches Handbuch der Rabbiner Teil 2, S. 463ff.; Joseph Norden, Die Ethik Henry Homes; Elisa Klapheck, Fräulein Rabbiner Jonas; Katrin Nele Jansen, "Norden, Joseph", in: Das jüdische Hamburg, S. 199; www.ns-gedenkstaetten.de; www.musenblaetter.de; Manuskript Rundfunksendung "Gott und die Welt" über Regina Jonas, Autor Michael Hollenbach, Sendetermin 2.1.2011; Todesanzeige im "Aufbau" am 24.11.1944.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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