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Bereits verlegte Stolpersteine



Emil Nachum * 1893

Grindelhof 30 (TTS) (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Minsk
ermordet

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Weitere Stolpersteine in Grindelhof 30 (TTS):
Dr. Walter Bacher, Emil Emanuel Badrian, Asriel Brager, Ilse Brager, Sally Brager, Dr. Joseph Carlebach, Dr. Hermann Freudenberger, Josua Falk Friedlaender, Julius Hamburger, Walter Nathan Herz, Bertha Hirsch, Leopold Hirsch, Dr. Alberto Jonas, Benno Kesstecher, Heinz Leidersdorf, Richard Levi, Mathias Stein, Artur Toczek

Emil Eleasar Nachum, geb. am 22.8.1893 in Hamburg, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, ermordet
Sophie Else Nachum, geb. Wendriner, geb. am 19.7.1894 in Adamowitz/Groß Strehlitz/Schlesien, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, ermordet
Rosa Ruth Nachum, geb. am 17.11.1922 in Hamburg, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, ermordet
Günther Nachum, geb. am 31.7.1925 in Hamburg, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, ermordet

Grindelhof 29

Emil Eleasar Nachum war als Kind Schüler der Talmud Tora Schule in Hamburg und wurde dort als Erwachsener Lehrer. Er war das älteste Kind von Nathan Nachum, geboren am 9. Dezember 1854 in Hamburg, und dessen Ehefrau Clara, geborene Gumpel-Fürst, geboren am 26. Juli 1860 in Lübeck. Beide hatten am 3. November 1891 in Hamburg geheiratet und wohnten bei Emils Geburt in St. Georg, am Steindamm 61. Nathan war Kaufmann und handelte zu der Zeit mit emailliertem Kochgeschirr. Emil bekam noch vier jüngere Geschwister: Martin (1894), Johanna (1896), Alexander (1897) und Sarah (1899). Am 8. März 1902 starb Emils Vater Nathan im Alter von nur 48 Jahren und hinterließ die Mutter mit fünf Kindern im Alter zwischen elf und drei Jahren. Mit Klavierunterricht und Hebräischstunden brachte sie die Familie in den nächsten Jahren mehr schlecht als recht über die Runden – wobei diese Berufstätigkeiten darauf schließen lassen, dass sie aus einem bildungsbürgerlichen Haus stammte. Unterstützung bekam Clara Nachum von wohltätigen jüdischen Stiftungen, darunter vor allem der Theresienstiftung. Sie ermöglichten es ihr, mit ihren fünf Kindern in eine Drei-Zimmer-Erdgeschosswohnung im Nanny-Jonas-Stift in der Agathenstraße 3 in Eimsbüttel zu ziehen, wo die Miete lediglich 20 Mark im Monat betrug.

Emil Nachum ging – wie vermutlich seine Brüder auch – auf die Talmud Tora Schule. 1805 gegründet, verband sie als erste jüdische Schule in Deutschland traditionelles Judentum mit moderner Bildung. Jüdische Schüler und erst ab 1933 auch Schülerinnen aller Bevölkerungsschichten lernten dort gemeinsam; besonders fühlte sich die Schule jedoch stets den Kindern und Jugendlichen aus ärmeren Familien verpflichtet. Den Umzug der Talmud Tora Schule von den Kohlhöfen am Großneumarkt zum Grindelhof in Rotherbaum erlebte Emil in seiner Schulzeit allerdings nicht mehr mit. Die Schüler absolvierten die Entlassungsprüfung üblicherweise mit durchschnittlich 15 Jahren und so verließ Emil die Talmud Tora Schule 1908 oder 1909. Der Neubau wurde erst 1911 bezugsfertig.

Im Anschluss an die allgemeinbildende Schule besuchte Emil Nachum bis März 1913 die Bildungsanstalt für jüdische Lehrer in Hannover. Nach der ersten Lehrerprüfung arbeitete er als stellvertretender Lehrer an der jüdischen Volksschule in Beuthen, Oberschlesien. Anschließend leitete er von April 1914 bis Oktober 1914 die einklassige jüdische Privatschule in Hersten/Westfalen – und zwar deshalb nur so kurzzeitig, weil er zwei Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs im Oktober 1914 zum Heer einberufen wurde. Ein Jahr später wurde sein Bruder Martin eingezogen und auch der dritte Sohn der Familie Nachum, Alexander, musste Soldat werden. Martin Nachum starb am 16. August 1918; er wurde nur 24 Jahre alt. Emil und Alexander überlebten den Krieg, Alexander befand sich jedoch bis 1919 in Gefangenschaft. Emil legte nach seiner Rückkehr aus dem Heeresdienst – er hatte es bis zum "Vicefeldwebel" gebracht – im Dezember 1918 die zweite Lehrerprüfung ab. Im April 1920 bekam er eine Stelle an "seiner" alten Schule, die sich inzwischen am Grindelhof 30 befand. Als seminaristisch gebildeter Volksschullehrer unterrichtete er sowohl an der Grundschule als auch in der Oberstufe.

Schon um 1917 hatten sich Emil Nachum und die rund ein Jahr jüngere Sophie Else Wendriner verlobt. Nach Kriegsende heirateten sie vermutlich an Elses Geburtsort, das genaue Datum ist nicht bekannt. 1922 bekamen beide eine Tochter, die sie Ruth nannten. Ab etwa 1924 lebte die dreiköpfige Familie in Eilbek, am Tiecksweg 2. Dort wurde das zweite Kind der Familie geboren, ein Junge, dem die Eltern den Namen Günther gaben. Ende 1927 zog Familie Nachum an den Grindelhof 29. Nun hatte Emil Nachum einen sehr kurzen Schulweg, sein Wohnhaus lag praktischerweise fast direkt gegenüber der Schule.

Emils Mutter Clara und seine Schwester Johanna lebten bereits seit dem Ersten Weltkrieg in ärmlichen Verhältnissen, sodass Clara Nachum 1917 erstmals Wohlfahrtsunterstützung beantragte. Das einzige ihrer Kinder, das sie über die Jahre unterstützen konnte, war Emil. Johanna hatte 1902, mit 16 Jahren, eine Ausbildung zur Kontoristin begonnen, sich aber, so ihre Mutter einige Jahre später gegenüber dem Wohlfahrtsamt, an ihrer damaligen Stelle überarbeitet, sodass sie seitdem nicht mehr erwerbsfähig war. Die Hauptursache dafür bestand allerdings darin, dass sie an starkem Asthma litt. Immer wieder verließ sie Hamburg, um sich gesundheitlich zu erholen. 1923 konnte sie dank der Unterstützung von Bekannten der Familie sogar nach Davos reisen, dem bekannten Lungenkurort in der Schweiz. Johanna Nachum starb am 12. April 1935 im Alter von nur 39 Jahren.

Emils jüngste Schwester Sarah hatte Verkäuferin gelernt, sah jedoch für sich in Deutschland keine Zukunft. Sie war Anhängerin des Zionismus – einer Bewegung, deren Ziel in der Errichtung und Bewahrung eines jüdischen Nationalstaats in Palästina bestand. 1925 wurden in Deutschland erstmals Hachscharastätten eingerichtet, um junge Männer und Frauen systematisch auf eine Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. So arbeitete Sarah Nachum zwar noch Anfang 1925 bei der jüdischen Buchhandlung Lubinski an der Rutschbahn 11, Ende des Jahres wanderte sie jedoch nach Palästina aus.

Bei Alexander Nachum wiederum wechselten sich seit seiner Entlassung aus der Gefangenschaft 1919 Zeiten der Beschäftigung immer wieder mit Zeiten der Erwerbslosigkeit ab, sodass auch er seiner Mutter keine Hilfe sein konnte. Er suchte Arbeit auch außerhalb Hamburgs, in Göttingen, Frankfurt am Main und auf einem Schiff der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft; 1924 wanderte er sogar vorübergehend nach Buenos Aires, Argentinien, aus. Doch nirgends fand er "sein Fortkommen", wie seine Mutter es einmal beschrieb. Ab 1934 wohnte er wieder bei Mutter und Schwester in der Stiftswohnung an der Agathenstraße.

Zu der Zeit waren in Deutschland die Nationalsozialisten bereits seit einem Jahr an der Macht. Wenige Wochen nach der Machtübergabe hatten sie in Hamburg die bislang hohen staatlichen Subventionen für die Talmud Tora Schule gestrichen. Die Folge war, dass auch die Gehälter der Lehrkräfte stark gekürzt werden mussten. Auch verließen seit 1933 immer mehr Schülerinnen und Schüler die Schule, um aus Deutschland zu fliehen. Gleichzeitig wechselten viele jüdische Schülerinnen und Schüler von staatlichen Schulen, wo sie zunehmend antisemitischer Schikane ausgesetzt waren, auf die Talmud Tora Schule.

Nach zehn Jahren, während derer Familie Nachum am Grindelhof gewohnt hatte, zog sie 1937 in den Grindelberg 5, kurz vor der Einmündung der Hallerstraße. Inzwischen war Ruth, die Ältere, schon fünfzehn, ihr Bruder Günther zehn Jahre alt. Günther Nachum besuchte wie sein Vater die Talmud Tora Schule, er ging in eine Klasse mit Schlomo Schwarzschild (s. auch den folgenden Text). Beide erlebten den Novemberpogrom mit und sahen erschüttert die direkt neben ihrer Schule gelegene, verwüstete Bornplatzsynagoge und wie überall Scherben und zerrissene Torarollen auf dem Boden lagen.

Emil Nachums Lehrpensum wuchs von Jahr zu Jahr. So leitete er 1940 eine 7. Klasse mit 23 Jungen und 25 Mädchen und erteilte 33 Wochenstunden. 1939 war die jüdische Mädchenschule in der Karolinenstraße mit der Talmud Tora Schule zusammengelegt worden – für kurze Zeit noch in den Räumen am Grindelhof, dann wieder in der Karolinenstraße.

Emil und Elses inzwischen 18-jährige Tochter Ruth Nachum besuchte ab 1940 die Schneiderfachschule der Jüdischen Gemeinde und wurde seither auch als eigenes Mitglied der Gemeinde geführt, obwohl sie keine Kultussteuer bezahlte.

Ab September 1941 mussten Emil, Else, Ruth und Günther Nachum den gelben Stern auf ihre Kleidung nähen und durften sich ohne diesen nicht mehr auf der Straße bewegen. So waren sie noch deutlicher als Zielscheibe für antisemitische Pöbeleien und Gewalttaten zu erkennen.

Am 8. November 1941 wurden Emil, Else, Ruth und Günther Nachum nach Minsk deportiert und ermordet.

In demselben Transport befand sich auch Emils Bruder Alexander Nachum, der die Shoah ebenfalls nicht überlebte.

Ihrer beider Mutter Clara Nachum wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Von dort wurde sie drei Monate später, am 21. September 1942, ins Vernichtungslager Treblinka gebracht und dort ermordet.

Für Emil Eleasar Nachum liegt ein weiterer Stolperstein am Grindelhof 30, vor der Talmud Tora Schule, an der er als Lehrer arbeitete.

Stand: Juli 2017
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 4; 5; 7; 8; 9; StaH 332-5 Standesämter 2774 u. 1057/1891; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge – Sonderakten 1623; Hamburger Adressbücher; General-Anzeiger für Hamburg-Altona, Nr. 286, 14.11.1891, Beilage, S. 5; Neue Hamburger Zeitung, 16.3.1902, S. 3; Randt: Die Talmud-Tora-Schule, S.145–184, 256; http://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/25939-clara-nachum (letzter Aufruf: 1.7.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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