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Bereits verlegte Stolpersteine



Deportationsliste vom 8.11.1941 nach Minsk
© StaH

Franziska Lorenz (geborene Müller) * 1877

Marienthaler Straße 126 (Hamburg-Mitte, Hamm)

1941 Minsk
ermordet

Weitere Stolpersteine in Marienthaler Straße 126:
Elsa Bettelheim, Paul Bettelheim, Max Lefébre, Adolf Lorenz, Erika Lorenz

Adolf Lorenz, geb. 28.4.1877, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Erika Lorenz, geb. 27.6.1916, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Franziska Lorenz, geb. Müller, geb. 3.5.1877, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Marienthaler Straße 124 (Marienthaler Straße 126)

"Was bei dieser Angelegenheit von Ihnen erledigt werden kann, nehme ich entgegen. Es ist ein trauriges Geld, …" schrieb Ludwig Lorenz am 28. Mai 1965 an das Amt für Wiedergutmachung.

Sein Vater Adolf Lorenz stammte aus Opitten, Kr. Preußisch Holland, dessen Mutter aus Eisenach. Er war Kaufmann. Sie kamen im Oktober 1912 mit den beiden Kindern Henny, geb. am 13.5.1901 in Berlin, und Ludwig, geb. 7.6.1911 in Charlottenburg, nach Hamburg und traten in die hiesige Jüdischen Gemeinde ein. Erika wurde mitten im Ersten Weltkrieg, am 27.6.1916, geboren. Vater Adolf nahm von 1914 bis 1918 am Krieg als Unteroffizier der Infanterie teil und kam kriegsversehrt zurück, blieb aber arbeitsfähig und war bis 1930 selbstständig tätig. Familie Lorenz besserte ihr Einkommen durch Untervermietung auf.

Tochter Henny wurde eine vielseitige, lebenstüchtige Frau. Sie hatte schon einige Grundschuljahre hinter sich, als sie nach Hamburg kam. Sie besuchte bis zum Abschluss die "Privatschule Frl. Osthoff" – das war die Mädchenschule Peterskampweg 23. Damit erwarb sie die Voraussetzungen zum Besuch einer Handelsschule. Bis 1917 war sie "bei Berlitz". Ihre Berufstätigkeit begann sie bei der Dresdner Bank. Sie heiratete Max Gabel, einen Angestellten und Kraftwagenfahrer aus der weitverzweigten Familie Gabel aus der Wendenstraße 337, die dort einen Fettwarenladen betrieb. Max Gabel wurde am 27.3.1899 in Hamburg geboren. Die beiden wohnten in der Marienthaler Straße 127. Am 6.11.1924 bekamen sie einen Sohn, Gerhard. Die Ehe wurde später geschieden. Alle Mitglieder der Familie Gabel emigrierten.

Henny arbeitete als Verkäuferin bei Karstadt, erwarb einen Gewerbeschein als Haus- und Grundstücksverwalterin, wurde Privatsekretärin für die Anwaltskanzlei Fülleborn und heiratete 1932 den ein Jahr jüngeren Erwin Broder.

Adolf Lorenz arbeitete von 1930 bis 1936 als Vertreter bei Delft, einer "Spezialfabrik für Qualitätskakao".

Sein Sohn Ludwig, zehn Jahre jünger als Henny, besuchte das Gymnasium bis zur Mittleren Reife und absolvierte dann ab Oktober 1926 bei der Textil-Firma Laco eine Lehre. Er sollte 1934 deren Vertretung in Brasilien übernehmen, aber ein Geschäftsführer verhinderte Ludwigs Ausreise mit der Begründung, ein Jude solle keine deutsche Firma im Ausland vertreten.

Ludwig war seit Anfang der 1930er Jahre mit einer Nichtjüdin verlobt. 1936 wurden die beiden von der Gestapo wegen "Rassenschande" belangt und angeklagt. Nach einem achtstündigen Verhör beschloss Ludwig, nicht noch einmal etwas mit der Gestapo zu tun haben zu wollen. Da seine Verlobte einen Zusammenbruch erlitten hatte, erhielten sie bis zum Prozesstermin Haftverschonung und nutzten diese zur Flucht nach Amsterdam, ohne die Eltern in Kenntnis zu setzen. In den Niederlanden erkannte das Flüchtlingskomitee "Rassenschande" nicht als Fluchtgrund an, so dass sie keine Unterstützung erhielten und sich mühsam durchschlagen mussten. Sie heirateten am 7. November 1936 in Belgien und gelangten im April 1937 nach Brasilien. Im Juli 1937 wurde ihre Tochter in Rio geboren. Ludwig Lorenz arbeitete später 16 Jahre lang als Minimax-Vertreter. 1958 trennte sich das Ehepaar; sie kehrte 1963 allein nach Deutschland zurück. Dort hatte sie 1936 ihre Aussteuer bei den Schwiegereltern zurück gelassen. Sie fand nichts und niemand, nicht einmal mehr deren Wohnhaus wieder; es war im Feuersturm 1943 zerstört worden.

Henny und Erwin Broder reisten 1936 mit ihrem Sohn Gerhard mit einem Touristenvisum nach Uruguay. Das bedeutete, dass sie ihre Haushaltseinrichtung zurück lassen mussten. Nach Ablauf des Visums im April 1936 schlugen sie sich nach Argentinien durch und lebten 60 Jahre lang in Buenos Aires, wo sie 1996 an zwei aufeinander folgenden Tagen starben.

Adolf Lorenz’ Tochter Erika war 1933 aus der Untertertia der Realschule am Lübeckertorfeld abgegangen. Sie hatte Schulschwierigkeiten, deren Ursachen vielfältig waren. Statt in eine Lehre zu gehen, arbeitete sie als Kinderpflegerin in einer Heilstätte für jüdische Kinder in Wyk auf Föhr, danach als Pflegerin im Jüdischen Altersheim in Altona in der Grünestraße 5, wo sie auch wohnte. Erika bemühte sich ebenfalls auszuwandern.

Adolf Lorenz verlor Mitte 1936 sein bescheidenes Einkommen als Vertreter. Die Kinder waren aus dem Haus, die Untermieter Bettelheim und Lefébre waren auch ausgezogen; von neuen Untermietern ist nichts bekannt. Im Herbst 1936 zogen Adolf und Franziska Lorenz in die Langereihe 11 und von dort in die Rutschbahn 25 ptr. und lebten von Erspartem, der Vermietung eines Zimmers und Adolf Lorenz’ Tätigkeit ab 8. März 1938 als Erdarbeiter. Sie betrieben ihre Auswanderung nach Argentinien, erhielten auch die Unbedenklichkeitsbescheinigungen, doch dann zerschlug sich die Möglichkeit zur Emigration.

Adolf Lorenz beantragte 1939 Wohlfahrtsunterstützung. Er wurde zur Pflichtarbeit beim Bau der Reichsautobahn in Tangendorf herangezogen. Um die leisten zu können, musste er die Bezahlung eines medizinischen Hilfsmittels, eines Bruchbands, das er seit dem Krieg zu tragen hatte, extra beantragen. Sie wurde ihm gewährt. Dann durften Juden aber nicht mehr an der Autobahn mitbauen. Also wurde er für eine tägliche Prämie von 20 Pfg. zur Arbeit nach Tiefstack geschickt und weiter auf das Gut Wulfsdorf. Da war die Prämie verdoppelt und das Fahrgeld für die Wochenkarte auf 2,70 RM angehoben worden. Im Sommer 1939 musste er, mit Arbeitszeug und Schaufel oder Spaten, die er selbst zu beschaffen hatte, fünf Tage lang am Moorredder in Wilhelmsburg arbeiten. Damit wurde die Wohlfahrtsunterstützung eingestellt.

1940 leistete er von April bis Oktober Pflichtarbeit in Otterndorf, vermutlich beim Torfstechen. Zwei weitere Monate übte er eine andere Tätigkeit für einen Bruttolohn von 30,– RM aus.

Zusammen mit ihrer Tochter Erika wurden Adolf und Franziska Lorenz am 8. November 1941 in das Getto von Minsk deportiert. In der Transportliste steht Adolf Lorenz’ bürgerliche Berufsbezeichnung "Reisender", bei Franziska keine.


© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; StaH, 522-1, Jüdische Gemeinden, o. Sign. Mitgliederzählung der DIGH 1928; 390 Wählerverzeichnis 1930; 391 Mitgliederliste 1935; 992 e 2 Deportationslisten Bd. 2; BA Bln., Volkszählung 1939; HA 1933 und 1938; AfW 070611.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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