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Bereits verlegte Stolpersteine



Bianca Levy, geb. von Halle
© Yad Vashem

Bianca Levy (geborene von Halle) * 1882

Haynstraße 7 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Riga
ermordet

Weitere Stolpersteine in Haynstraße 7:
Gertrud Blut, Hannchen Fromme, Ilse Victor, Manfred Victor

Abraham Levy, geb. 1.8.1873 in Samter/Posen, am 6.12.1941 nach Riga deportiert
Bianca Levy, geb. von Halle, geb. 4.10.1882 in Hamburg, am 6.12.1941 nach Riga deportiert

Haynstraße 7

Abraham Levy, Sohn von Tobias und Dora Levy, geborene Zöllner, kam um 1900 als gelernter und erfahrener Handelskaufmann aus Samter – einer Kreisstadt in der damals preußischen Provinz Posen, dem heutigen Poznan/Polen – nach Hamburg. Hier heiratete er die Hamburgerin Bianca von Halle, Tochter des John und der Jenny von Halle. Abraham wie auch Bianca waren jüdischen Glaubens. Aus der jungen Ehe gingen zwei Söhne hervor. 1905 wurde Theodor geboren, 1909 Fritz (Frederic).

Warum Abraham Levy der Jüdischen Gemeinde in Hamburg erst 1911 beitrat, ist unbekannt. Doch aus den Unterlagen der Gemeinde geht hervor, dass er auf einem weiten Tätigkeitsfeld mit großem Erfolg vorangekommen war.

Er war im Exportgeschäft aktiv, betrieb eine Flussschifffahrt und besaß eine Spedition. Der Firmensitz war in dem Kontorhaus Deichtorstraße 8, dem sogenannten Ibsenhaus, gleich hinter dem Oberhafen. Die Familie wohnte zunächst am Grindelberg 70, dann in der Hartungstraße 12, neben dem späteren jüdischen Gemeindehaus, den heutigen "Kammerspielen".

1933, dem Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, standen die beiden Söhne beruflich so weit auf eigenen Beinen und waren hellsichtig genug, ihre feindselige Heimat frühzeitig zu verlassen. Theodor, mit 27 Jahren der ältere der beiden, hatte die Oberrealschule in Eppendorf besucht, war Handlungsgehilfe in der Firma des Vaters geworden und dort schließlich zum Prokuristen aufgestiegen. Er verließ Deutschland bereits 1934. Vorübergehend lebte er in Frankreich, wanderte aber 1936 nach Chicago aus und wurde Grundstücksverwalter und Makler.

Der vier Jahre jüngere Fritz hatte Wollkaufmann gelernt. Er folgte seinem Bruder bald nach Frankreich und ließ sich in Marseille nieder. Aus Fritz wurde der für französische Ohren angenehmere Frederic.

Die Eltern dachten zunächst nicht an Auswanderung. 1933 war Abraham Levy 60, er war rüstig, die Arbeit machte ihm Freude und er wollte noch lange dabeibleiben. In seinem fortgeschrittenen Alter das Land zu verlassen, so bedrückend es aktuell sein mochte, hielt er nicht für nötig.

Die "Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens" vom 3. Dezember 1938 machte es Jüdinnen und Juden unmöglich, eine selbstständige Erwerbstätigkeit auszuüben. So wurde auch Levys erfolgreiche Firma zwangsweise "arisiert"; sie ging unter Wert an einen "arischen" Abnehmer. Wir kennen den Preis nicht, und im Grunde war die Höhe für Levys auch ohne praktischen Belang: Ihr Konto bei der Commerz- und Privatbank, auf das der Betrag ging, wurde durch die "Sicherungsanordnung" ohnehin ihrer Verfügung entzogen. Die neuen Besitzer der Firma, die Dampfschiffs-Reederei GmbH, Landsberg/Warthe, Zweigniederlassung Hamburg, hatten sich immerhin verpflichtet, pro Monat eine Rente von 400 RM auf dieses Konto zu überweisen, solange Levys das Land nicht verließen. Diese 400 RM waren zugleich der Betrag, der ihnen monatlich zum Leben gestattet war. Weitere Ausgaben bedurften jeweils einer Sondergenehmigung des Oberfinanzpräsidenten.

Bianca Levy hatte von ihren Eltern ein Grundstück am Steindamm 99 geerbt, das im März 1939 ebenfalls in "arische" Hände überging, der Verkaufserlös wurde ihrer Verfügung entzogen.

Ein, im Vergleich zu den Verbrechen, die dem Ehepaar Levy damit bereits angetan worden waren, geringfügiger Vorgang sei hier erwähnt: Unter Kontrolle eines Finanzbeamten hatte Bianca Levy am 20. März 1939 ihr Schließfach 224 bei der Compribank zu öffnen und den Inhalt zu zeigen. Es waren persönliche Schmuckstücke wie eine Krawattennadel mit Perle, ein Medaillon mit Rose und einige schöne Ringe und Armbänder darin. Von diesem Augenblick an gehörten die Stücke nicht länger ihrer Eigentümerin. Sie waren umgehend bei der Staatlichen Leihanstalt abzuliefern.

Erst jetzt begannen die Levys, sich um ihre Auswanderung zu bemühen. Ihr Ziel waren die USA, von wo aus sich Theodor um ihre Einreise bemühte. Die Vorbereitung einer Auswanderung war eine zeitaufwendige und sehr teure Prozedur. Es waren Bestätigungen und Genehmigungen einzuholen, die "Judenabgabe" und die Reichsfluchtsteuer mussten entrichtet werden, sämtliche anfallende Kosten mussten im Voraus bezahlt und die Ausgabe belegt werden, bevor überhaupt die abschließende Einwilligung erteilt wurde, und für jeden Pfennig war beim Oberfinanzpräsidenten der Antrag auf Freigabe zu stellen.

Der früheste Hin­weis auf Auswanderungspläne des Ehepaars ist am 30. Januar 1940 dokumentiert. Unter diesem Datum meldete das Finanzamt Rechtes Alsterufer der Geheimen Staatspolizei Hamburg, Steuerfahndungsdienst, den "Verdacht", Abraham und Bianca Levy träfen "vorbereitende Maßnahmen zur Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland". Aber Levys schafften es nicht mehr. Vom Wohnungspflegeamt wurden sie gezwungen, zum 26. Februar 1941 ihre Wohnung in der Hartungstraße zu räumen und in die Agnesstraße 39 zu ziehen, das Haus der jüdischen Familie Rosenbacher, in das bereits andere Jüdinnen und Juden eingewiesen worden waren (siehe Rosenbacher, Charlotte). Levys erhielten die Sondergenehmigung, ein Zimmer unterzuvermieten, bestimmte zusätzliche Dienste zu erledigen und den Betrag von 65 RM bar in Empfang zu nehmen – doch zugleich wurde ihnen ihr monatlicher Freibetrag von 400 auf 370 RM gekürzt.

Nach kaum neun Monaten in der Agnesstraße wurde ein erneuter Umzug befohlen, dieses Mal in die Haynstraße 7, Parterre links, bei Fromme. Hier zog das Ehepaar am 10. November 1941 ein. Haynstraße 5 und 7 waren "Judenhäuser", Sammelstellen vor der Deportation. Bald erfuhren Levys, dass sie sich für den 6. Dezember zur "Evakuierung" bereitzuhalten hatten.

Angesichts der jede Vorstellung übersteigenden Verbrechen wie Deportation, Vergasung, Massenerschießung usw. übersieht man leicht die tagtäglichen Peinigungen, Demütigungen, die Akte der Willkür, die Menschen über Jahre hinweg angetan wurden.

Am 24. November trafen aus Marseille 102,35 RM ein, mit denen Fritz, der selbst äußerst knapp bei Kasse war, seine Eltern beim Umzug unterstützen wollte. Levys baten die Devi­sen­stelle, das Geld behalten zu dürfen. – "Abgelehnt!" Die 102,35 RM mussten auf das "Sicherungskonto" eingezahlt werden.

Am 25. November 1941 stellte Abraham Levy den Antrag auf Freigabe von 600 RM "für Anschaffungszwecke, da unsere Evakuierung demnächst bevorsteht." – "Genehmigt!"

Am 6. Dezember 1941 verließ ein Deportationszug mit 753 Menschen den Hannoverschen Bahnhof im Hamburger Hafen mit dem Ziel Getto Riga, unter ihnen Abraham und Bianca Levy. Nur wenige überlebten.

In den ungeheizten Unterkünften des Jungfernhofs bei Riga, z. T. offenen Scheunen, herrschten in jenem Winter Temperaturen von bis zu minus 35 Grad.

Fritz (Frederic) wanderte in den sechziger Jahren von Frankreich nach Israel aus. Seit der Emigration aus Deutschland und besonders nach der Ermordung der Eltern ging es ihm psychisch und körperlich oft sehr schlecht. Das beeinträchtigte sein berufliches Fortkommen. Anträge, die er nach dem Krieg beim Hamburger Amt für Wiedergutmachung stellte, ihn bei der Finanzierung von Kuren zu unterstützen, wurden negativ beschieden. Ein Attest darüber, dass seine gesundheitliche Situation "verfolgungsbedingt" war, konnte er nicht vorlegen.

© Johannes Grossmann

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH 351-11 AfW, 2029 Theodore Levy; StaH 351-11 AfW, 2030 Fred Levy; StaH 314-15 OFP, R 1939/2179; Meyer (2006), S.65 und 74; StaH 332-8 Meldewesen, A 51/1.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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