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Marie Therese Moser mit Sohn Wolfgang
© Privatbesitz

Marie Therese Moser (geborene Strohmberg) * 1884

Woldsenweg 5 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Lodz
1942 weiterdeportiert

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Weitere Stolpersteine in Woldsenweg 5:
Ella Davidsohn, Walter Davidsohn, Dr. Marie Anna Jonas, Dr. Alberto Jonas, Bernard Moser, Cloe Neuburger, Fritz Neuburger, Ruth Neuhaus, Georg Peters

Bernard Moser, geb. 20.7.1882 in Vechta, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, dort am 8.7.1942 gestorben
Marie Therese Moser, geb. Srohmberg, geb.31.12.1884 in Darmstadt, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, am 10.10.1942 nach Chelmno weiterdeportiert

Woldsenweg 5

Bernard Moses wurde am 20. Juli 1882 in Vechta bei Oldenburg geboren. Der Grund für seinen untypischen Vornamen Bernard anstatt Bernhard: Die Hebamme war schlecht in Rechtschreibung! Er fand das erst 37 Jahre später heraus, als seine Geburtsurkunde für seine Hochzeit gebraucht wurde. Bernard arbeitete sein ganzes Leben als Textilkaufmann (Textilien, Unterbekleidung, Handschuhe etc.) wie sein Vater Julius vor ihm.

Marie Therese Moses, geb. Strohmberg, wurde am 31. Dezember 1884 in Darmstadt (Hessen) geboren. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges war ihr Vater Eugen ein erfolgreicher Produzent von Strohhüten. Marie, eine sehr gebildete junge Frau, arbeitete als Begleitperson und Sekretärin für wohlhabende Familien. Als sie Bernard kennenlernte, war sie gerade bei der Familie von Max Robinsohn, Mitinhaber eines der größten Kaufhäuser Hamburgs, engagiert.

Marie war 35 und Bernard 37 Jahre alt, als beide im Jahr 1919 heirateten. Sie praktizierten ihren Glauben nicht und fühlten sich eher als patriotische Deutsche. Bernard hatte sogar als Gre­nadier gekämpft, zuerst 1914 an der russischen Front in Ostpreußen (Schlacht bei Tannenberg), nach 1917 an der Westfront. Ihm wurde das Eiserne Kreuz, II. Klasse verliehen. Sein Bruder Gustav fiel 1915 im Kampf gegen die Briten in Arras.

Wolfgang Moses (Spitzname Wölfchen) kam am 25. November 1920 zur Welt. Nach Familienberichten soll er als Einzelkind extrem verwöhnt und verzogen gewesen sein. Marie, eine ausgezeichnete Näherin und Strickerin, steckte "Wölfchen" in die niedlichste Kleidung. 1930 trat Wolfgang in das älteste und renommierteste örtliche Gymnasium ein, die Gelehrtenschule des Johanneums, gegründet 1529 von Johannes Bugenhagen, einem Anhänger Martin Luthers.

In jener Zeit verlebten sie noch glückliche Tage: Urlaub am Timmendorfer Strand in Schleswig-Holstein mit Sandburgen, Strandkörben und einem bequemem Hotel. Oder Urlaub in Oberstdorf im Allgäu mit Wilderdbeeren sammeln, Klettern in Schluchten und Bernards dickköpfigem Solo-Aufstieg zum Nebelhorn, während eine sehr besorgte Marie unten auf ihn warten musste. Später konnten sie wegen der Nationalsozialisten ihren Urlaub in Deutschland kaum mehr genießen, denn Jüdinnen und Juden durften die meisten Bäder nicht mehr betreten. So bereisten sie andere Länder wie Dänemark, Schweden und Italien. Wolfgang erinnerte sich später, dass es die einzige Zeit gewesen sei, in der seine Eltern glücklich und entspannt zu sein schienen.

Wolfgang war 13 Jahre alt, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Die Veränderungen im Land kamen schleichend, waren zunächst kaum spürbar. Die Einschränkungen richteten sich zu Beginn primär gegen politisch Aktive, Intellektuelle und große jüdische Firmen; daher fühlte sich Bernard als mittelständischer Textilkaufmann relativ sicher. 1934 folgte die Familie dem Beispiel der übrigen Verwandtschaft und änderte den Familiennamen von MOSES in MOSER, der nicht sofort als jüdischer Name erkennbar war. An­sonsten versuchten sie, als "normale Juden" unauffällig zu bleiben.

Aber die Einführung der Rassengesetze und anderer Vorschriften erschwerte das Leben zusehends. Hakenkreuzflaggen hingen in den Fluren der Gelehrtenschule des Johanneums, und mancher Lehrer trug sogar die Uniform der SA oder SS. Jüdische Männer und Jungen durften nicht einmal mehr mit "arischen" Frauen und Mädchen ausgehen. Auch ein Kinobesuch war für Wolfgang unmöglich geworden. An der Abiturfeier 1938 durfte er mit fünf anderen jüdischen Jungen nicht mehr teilnehmen. Nur weil Bernard im Ersten Weltkrieg an der Front gedient hatte, durfte sein Sohn überhaupt eine Universität besuchen. Doch schon im Herbst 1938, nach nur einem Semester in Chemie, wurde er von der Hochschule verwiesen.

All diese Einschränkungen und Strafmaßnahmen führten zur Isolation der jüdischen Bevölkerung. Marie und Bernard, die nie zuvor etwas mit der jüdischen Religion zu tun gehabt hatten, begannen, die reformierte Synagoge zu besuchen. Wolfgang wurde zum jüdischen Tanzunterricht und zu Bergwander-Vereinen und Ferienaufenthalten geschickt.

Das Geschäft und Vermögen der Familie wurden Stück für Stück beschlagnahmt. Bernard verlor langsam aber sicher seine nichtjüdischen Kunden und Marie ihre nichtjüdischen Freunde. Die Familie musste im Woldsenweg 5 Untermieter aufnehmen. Was die finanzielle Notlage erzwang, entpuppte sich später als Glück. Eine Untermieterin war eine Engländerin namens Elizabeth Lavina Botfield. Ganz Dame, trug sie zu ihren flammend roten Haaren Tweed und Pullover und war stets perfekt geschminkt. Als die politische Lage in Deutschland eskalierte, finanzierte Bernard mit letzten Mitteln Elizabeths Rückkehr in ihre Heimat. Als Gegen­leistung sollte sie dort für Wolfgang einen Vormund und einen Studienplatz suchen. Denn zu der Zeit nahm Großbritannien nur noch Flüchtlinge auf, die eine Bürgschaft für ihren Lebensunterhalt vorweisen konnten.

Wie durch ein Wunder gelang es Elizabeth Botfield, Dudley Joel als Vor­mund zu finden. Dudley war ein konservatives Parlamentsmitglied, Millionär und Rennpferd-Besitzer. Er und seine Frau waren kinderlos und unterstützten Wolfgang sowie drei andere jüdische Jungen durch Studienplätze in England und ermöglichten ihnen so die Flucht aus Deutschland. Mit zwei liebevoll von seiner Mutter gepackten Truhen gelangte Wolfgang im Januar 1939 per Schiff nach London. Er war 18 Jahre alt und sollte seine Eltern nie wiedersehen.

Elizabeth Botfield versuchte auch für Bernard und Marie Stellungen als Haushaltshilfen in Großbritannien zu finden, und sie bemühte sich mit mehreren Flüchtlingsorganisationen, sie außer Landes zu schaffen; leider vergeblich. Wegen der vielen bürokratischen Hürden lief ihnen die Zeit davon. Und nach Kriegsausbruch im September 1939 war es nicht mehr möglich, das Land zu verlassen. Sie waren gefangen. Wolfgang und seine Eltern konnten sich nur über das Rote Kreuz Briefe schicken. Sie waren auf 25 Wörter pro Brief begrenzt. Es waren ganz "normale" Briefe an den Sohn, der im Ausland studierte, in denen man sich darüber austauschte, wie es ihm ging, was er so machte und ob er fleißig in seinem Studium sei. Kein Wort von der immer gefährlicher werdenden Situation. Man hoffte, dass es nicht schlimmer kommen würde.

Die Zeit der Deportationen begann. Üblich war die Einbestellung der Jüdinnen und Juden per Einschreibebrief zum Sammelplatz, um am nächsten Tag von dort deportiert zu werden. Der Hausmeister Kalmaier erzählte jedoch nach dem Krieg, dass Wolfgangs Eltern im Woldsenweg 5 von der SS verhaftet, abgeführt und abtransportiert worden seien, wahrscheinlich folgten Bernard und Marie dem "Evakuierungsbefehl" nicht. Bernard hatte die Nacht zuvor Herrn Kalmeier die Familienbibel in Verwahrung gegeben. Dieser erzählte auch, dass Bernard die SS-Männer mit seinem Eisernen Kreuz und dem seines gefallenen Bruders beworfen habe. Er soll gebrüllt haben: "… so, das ist, was man kriegt, wenn man fürs Vaterland kämpft!" Herr Kalmaier rettete am Tag darauf noch Fotoalben aus der Wohnung im Woldsenweg, dabei sah er, wie die beschlagnahmten Habseligkeiten von Marie und Bernard für die geplante Versteigerung auf Tische gestapelt waren. Bibel und Alben sind bis heute im Familienbesitz.

Nach den Todesunterlagen des Krankenhauses in Lodz starb Bernard am 8. Juli 1942 im Getto an Unterernährung. Seine "Abmeldung" wurde schon am 10. Juni 1942 registriert. Marie wurde am 15. September 1942 weiterdeportiert, aller Wahrscheinlichkeit nach ins Ver­nichtungslager Kulmhof (Chelmno). Ihre "Abmeldung" wurde am 10. Oktober 1942 registriert.

In Kulmhof wurden "Gaswagen" benutzt, um die Menschen zu ermorden. Jeweils 50 bis 70 Menschen wurden im Laderaum eines Lkw eingeschlossen, dann leitete man die Ab­gase des Auspuffs hinein, und innerhalb von etwa zehn Minuten waren alle an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung gestorben. Zwischen dem 7. Dezember 1941 und März 1943 wurden auf diese Weise ungefähr 145000 Menschen in Kulmhof ermordet. Fast alle waren Jüdinnen und Juden aus dem Getto in Lodz. Von Marie konnten bisher keine Dokumente gefunden werden, die ihren Tod belegen, aber alles spricht dafür, dass sie dort ermordet wurde.

Wolfgang schwieg Jahrzehnte lang über sein Leben vor und während des Krieges. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er nicht mehr hatte tun können, um seine Eltern zu retten. Englisch sprach er perfekt und akzentfrei. Er änderte seine Staatsangehörigkeit und wurde später sogar Christ. Deutschland hat er nach Kriegsende öfter besucht, leben wollte er hier nicht mehr, zu sehr schmerzten ihn seine Erinnerungen.

Wolfgang, später Wolf genannt, hatte selbst vier Kinder und vier Enkelkinder. Er starb am 14. Juni 1996 im Alter von 75 Jahren in Großbritannien.

© Paula Frances Moser

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH 314-15 OFP, Fvg 7652; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992e2 Band 1; AB 1933; Verzeichnis Hamburger Börsenfirmen; Archiwum Panstwowe Lodz.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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