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Regina Mendelsohn (geborene Jaffe) * 1873
Goldbekufer 19 (Hamburg-Nord, Winterhude)
1942 Theresienstadt
1942 Treblinka ermordet
Weitere Stolpersteine in Goldbekufer 19:
Bernhard Bästlein
Regina Mendelsohn, geb. Jaffé, geb. 24.8.1873 in Schwersenz, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 21.9.1942 nach Treblinka, Todesdatum unbekannt
Regina Mendelsohn wurde im preußischen Regierungsbezirk Posen als Tochter von Julius Jaffé und Susanne Jacobsohn geboren. Ihr späterer Ehemann Salomon (genannt "Sally") Mendelsohn (geb. 31.3.1864) stammte aus dem ostpreußischen Allenstein. Im Januar 1915 zog das Ehepaar von Oliva bei Danzig nach Hamburg und konnte im Oktober 1915 eine Wohnung im 2. Stock des gerade fertiggestellten Etagen-Putzbaus Goldbekufer 19 beziehen. Im Hamburger Adressbuch des Jahres 1920 finden sich für beide Eheleute Eintragungen: Kaufmann Sally Mendelsohn und Frau R. Mendelsohn, Strickerei. Der Beitritt der kinderlosen Eheleute Mendelsohn zur Deutsch-Israelitischen Gemeinde erfolgte im November 1920. Sally Mendelsohn war bei der "Auskunftsstelle des Kartells der Auskunfteien Bürgel" (Rathausmarkt 8) als Büroleiter tätig. Die 1885 gegründete Firma hatte sich als Handelsauskunftei u. a. auf Kreditauskünfte spezialisiert. Sally Mendesohn starb im Mai 1924 im Israelitischen Krankenhaus.
Nach dem Tod ihres Mannes verdiente Regina Mendelsohn als Strickerin mit häuslichen Arbeiten etwas Geld zu der kleinen Witwenrente von monatlich 38,70 Mark hinzu. Die Hamburger Adressbücher von 1926 und 1937 vermerkten hinter ihrem Namen "Maschinenstrickerei". Allerdings waren die Einnahmen so bescheiden, dass keine Beiträge an die Deutsch-Israelitische Gemeinde gezahlt werden mussten. Für 1941 wurde auf der Kultussteuerkarteikarte notiert: "Wird nicht mehr geführt, da steuerlich belanglos." Im August 1938 musste Regina Mendelsohn die Wohnung Goldbekufer 19 aufgeben. Sie zog zur Untermiete in die Dillstraße 3 (Rotherbaum) zu dem Ehepaar David und Deborah Ehrenzweig, die beide Mitglied der Jüdischen Gemeinde waren und im April 1939 nach Polen abgeschoben wurden. Vier Monate später musste Regina Mendelsohn in die Bundesstraße 43 (Harvestehude), in ein sogenanntes Judenhaus (ehemals John R. Warburg Stiftung), umziehen. Der Eintrag im Adressbuch 1941 lautete: "Mendelsohn, Wwe, Sara, Bundesstraße 43, Zimmer 14". Am 15. Juli 1942 wurde sie mit weiteren 106 BewohnerInnen des Stifts mit "Transport VI/1" nach Theresienstadt deportiert. Am Tag des höchsten jüdischen Feiertages Jom Kippur (Versöhnungstag), der 1942 auf den 21. September fiel, folgte die Weiterdeportation nach Treblinka. In diesem Todeslager, rund 65 km von Warschau entfernt, wurden allein im Oktober 1942 rund 8000 Juden aus dem Getto Theresienstadt mit Gas ermordet. Das genaue Todesdatum von Regina Mendelsohn ist nicht bekannt.
Nachtrag:
Wahrscheinlich hat Regina Mendelsohn auch Untermieter oder Pensionsgäste
aufgenommen, um ihre Rente aufzubessern. Im Frühjahr 1933 wohnte Jan A. Jolles bei ihr,
ein Sohn von Mathilde Wolff-Mönckeberg aus ihrer geschiedenen Ehe mit dem Kunst- und
Literaturhistoriker André Jolles. Jan Jolles hatte sich den Kommunisten zugewandt und
jahrelang in Südamerika gelebt. 1933 wurde er aus politischen Gründen nach Deutschland
ausgewiesen. Seine Mutter schrieb in einem Brief über seine Unterkunft bei Regina
Mendelsohn: "Jan ist jetzt in einem stillen netten Zimmer am Goldbeckufer 19 bei Frau
Mendelsohn untergebracht, aber freier und mit einem kl. Balkon & er ist anscheinend ganz
gerne dort & mag auch Frau M. gerne, die sehr viel bessere Zeiten gekannt hat, eine
gebildete Frau ist & Verständnis ohne viel Fragen für ihn hat."
Jan Jolles, dessen Vater Professor in Leipzig war, wurde vom "Kreisführer" des Kreises IV
des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, zu dem Sachsen gehörte,
schriftlich bei der Hamburger SA denunziert: "In Hamburg hält sich zur Zeit ein Mann
namens Jan A. Jolles auf. Er wohnt Goldbeckufer 19 III bei Frau Mendelsohn. Dieser ist
seit einiger Zeit aus Südamerika eingewandert, um nach seinen eigenen Angaben, sich
hier kommunistisch zu bestätigen. Sein Vater ist Professor an der Leipziger Universität und
Parteigenosse. Dieser, sowie seine übrige Familie, sind jederzeit bereit, die Angaben über
diesen Jan A. Jolles zu bestätigen und weitere Auskunft über den Vorgenannten zu geben.
Ich bitte die Untergruppe Hamburg, diesen Jan A. Jolles überwachen zu lassen und, wenn
nötig, in Schutzhaft zu nehmen. [...] Heil Hitler! Wolf Friedrich"
Am 23. Mai bestätigte die Standarte 45 der NSDAP: "Auf Schreiben der Untergruppe vom
18.5.33 betr. Jan A. Jolles ist festgestellt worden, dass derselbe bei der Jüdin Frau
Mendelsohn Goldeckufer 19, 3. Etg. wohnt. Dieselbe hat eine Maschinenstrickerei." Jan
Jolles blieb aber offenbar unbehelligt und konnte sich im Barmbeker Krankenhaus einer
Behandlung unter der Obhut seiner Schwester Jacoba Hahn unterziehen, die Ärztin war.
Nach einigen Monaten verließ er Hamburg wieder und ging zurück nach Südamerika. Am
26. Juli 1933 stellte die Standarte 45 dann fest, dass Jolles "seit etwa 14 Tagen dort
[Goldbekufer] ausgezogen ist. Angeblich soll er nach Frankfurt am Main gefahren sein."
Ulrike Sparr
© Björn Eggert
Quellen: 1; 4; 5; 7; Bezirksamt Hamburg-Nord, Bauamt/Bauprüfabteilung, Akte Goldbekufer 18–20; StaH, 741-4, Alte Einwohnermeldekartei (Salomon Mendelsohn); AB 1920, 1926, 1937, 1939, 1941 (Bd.1); Wilhelm Mosel, Wegweiser zu ehemaligen jüd. Stätten in Hamburg, Heft 2, Hamburg 1985, S. 93 (Wohnstift Bundesstraße 43); Hamburger Börsenfirmen, 34. Auflage, Hamburg Februar 1933, S. 31 (Bürgel); Generalregister der hamburgischen Standesämter, Auskunft zur Sterbeurkunde von Salomon Mendelsohn vom 13.9.2007; Amtliche Fernsprechbücher Hamburg 1916, 1925; Martin Gilbert, Endlösung – Die Vertreibung und Vernichtung der Juden, Reinbek 1982, S. 108, 124, 129.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".
Quellen zum Nachtrag: B 201 StaH 614-2/5, B 201; Mathilde Wolff-Mönckeberg, Briefe, die sie nie erreichten, Hamburg 1980; Walter Thys, André Jolles (1874–1946): "gebildeter Vagant", brieven en documenten, Leipzig 2000, S. 838