Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Fritz Neuburger * 1876

Woldsenweg 5 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Lodz
1942 weiterdeportiert ???

Weitere Stolpersteine in Woldsenweg 5:
Ella Davidsohn, Walter Davidsohn, Dr. Marie Anna Jonas, Dr. Alberto Jonas, Marie Therese Moser, Bernard Moser, Cloe Neuburger, Ruth Neuhaus, Georg Peters

Fritz Neuburger, geb. 6.5.1876 in Augsburg, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, Anfang Mai 1942 nach Chelmno weiterdeportiert
Chloë Neuburger, geb. Rosenfels, geb. 7.6.1885 in Rouxville, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, Anfang Mai 1942 nach Chelmno weiterdeportiert

Woldsenweg 5

Wie haben sich wohl Chloë Rosenfels, aufgewachsen in dem kleinen Ort Rouxville am Rande der Maluti-Berge in Südafrika, und Fritz Neuburger aus dem bayrischen Augsburg kennengelernt? Vielleicht kannten sich die Eltern? Albert und Rosa Neuburger, geb. Frank, und Jacob und Peppi Rosenfels, geb. Bacharach. Aber vielleicht hatten die Väter auch geschäftliche Be­zie­hungen zueinander? Wir wissen es nicht.

Fritz Neuburger wuchs in Augsburg auf, machte eine kaufmännische Ausbildung und absolvierte, 21 Jahre alt, seinen einjährigen freiwilligen Militärdienst 1897/98 im 3. Infanterie Regiment in Augsburg. Spätestens 1908 zogen Fritz und Chloë Neuburger nach Hamburg, wo sie zunächst eine Wohnung in der Grindelallee 53 mieteten und 1914 in die Klosterallee 5 zogen. In diesem Viertel fühlten sie sich wohl, denn in den nächsten Jahren zogen sie öfters um, aber immer nur ein paar Häuser weiter: im August 1931 in die Werderstraße 34 und im Mai 1933 in die Hansastraße 63, jeweils in den 2. Stock. Für seine Geschäfte unterhielt Fritz Neuburger ein Büro an der Stadthausbrücke 29/26 und Adolfsbrücke 7.

1925 wurde das Ehepaar Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Während des Pogroms im November 1938 wurde Fritz Neuburger im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert und später ins KZ Sachsenhausen verlegt. Hier wurde er unter der Häftlingsnummer 010689 im Häftlingsblock 60 geführt. Nach seiner Entlassung am 23. November 1938 beschlossen die Neuburgers, Deutschland zu verlassen und stellten einen Ausreiseantrag. Sie wollten in die Heimat Chloës, nach Südafrika. Die Genehmigung zog sich jedoch hin und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse wurden schlechter und schlechter. Sie lebten zu der Zeit schon von ihren Ersparnissen und vom Ertrag der Besitztümer, die sie nach und nach verkaufen mussten, wie eine Briefmarkensammlung für 800 RM, zwei Brillantringe und eine Perlenkette für 3000 RM. Außerdem unterstützte Chloës Onkel Max Bacharach aus Wiesbaden sie jeden Monat mit 100 RM. Fritz Neuburger hatte Pfandbriefe der "Hypotheken und Wechselbank" im Wert von 200 RM zuhause aufbewahrt und nicht bei der Vermögensaufstellung angegeben, diese aber im Mai 1939 der Dresd­ner Bank verkauft. Es war jedoch Pflicht für jeden, der auswandern wollte, seine Vermögenswerte bis ins kleinste Detail aufzulisten. Daraufhin leitete die Gewerbepolizei ein Verfahren gegen ihn ein. Am 22. Mai 1939 wurde er in seiner Wohnung vernommen. Seine Aussage:

"Vom 10.11.38 bis 23.11.38 befand ich mich im Konzentrationslager Oranienburg. Während meines dortigen Aufenthaltes erkrankte ich an Kehlkopfkatarrh und an einer Schleimbeutelentzündung. Auch nach meiner Entlassung befand ich mich in ärztlicher Behandlung bei Dr. med. Axem, Beim Schlump. Ich war damals körperlich und seelisch derart herunter, dass ich keine Zeitung lesen konnte. Aus diesen Gründen war ich auch nicht über die Tagesneuigkeiten resp. über das fragliche Gesetz orientiert. Meine Entlassungspapiere vom Lager befinden sich bei der Gestapo. Ich darf wohl noch darauf hinweisen, dass es sich bei den frag­lichen 200 RM um erspartes Geld meiner Frau handelte. Wegen so einer geringen Sum­me würde ich mich nie strafbar machen. In Würdigung meines seinerzeitigen schlechten Gesundheitszustandes nach der Entlassung aus dem Lager bitte ich die Angelegenheit milde zu beurteilen. Böse Absicht lag bestimmt nicht vor. Meine Auswanderung nach Südafrika habe ich in die Wege geleitet. Fritz Israel Neuburger".

Er wurde zu 50 RM Geldstrafe "und falls sie nicht beizutreiben ist", zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Am 31. Juli 1939 konnte Fritz Neuburger 52 RM bei der Gerichtskasse Hamburg einzahlen und damit die drohende Haft abwenden.

Im Lauf der nächsten Monate löste das Ehepaar Neuburger die Wohnung auf. Die Möbel wurden als Umzugsgut in den Freihafen geschafft. Die geforderte Degoabgabe von 275 RM hatten sie bezahlt. Im Juli 1940 zogen sie als Untermieter zur Familie Moser (s. dort) in den Woldsenweg 5. Es sollte nur eine Übergangsstation zur Ausreise werden. Aber dazu kam es nicht mehr. Den wenigsten Juden und Jüdinnen wurde im Frühjahr 1941 noch die Ausreise erlaubt. Im März 1941 wurde ihr Umzugsgut vom Freihafenlager wieder ins Zollinland eingeführt, auch die Abgabe wurde ihnen von der deutschen Golddiskontbank Berlin durch Postbarscheck zurückerstattet.

Am 25. Oktober 1941 wurden sie zusammen mit Bernhard und Marie Therese Moser nach Lodz deportiert. Im Getto Lodz lebten sie in der Wohnung 39 mit dreizehn Menschen in zwei Zimmern ohne Küche in der Rubensstraße Nr. 2. Chloë Neuburger arbeitete als Näherin. Fritz Neuburger war bettlägerig, als sie den "Ausreisebefehl" ins Vernichtungslager Chelmno bekamen. In seinem Brief an die Aussiedelungskommission bat er um Einweisung in ein Altenheim, da sein "körperliches Befinden einen Transport unmöglich macht. … Jeder Versuch von Gehversuchen endet durchweg mit einer Ohnmacht. … Ich bemerke noch höflich, dass meine Ehefrau … aufopfernde Pflege mir angedeihen lässt, obwohl meine Frau selber an einer Lähmung des Fußes leidet und sich in den letzten Tagen außerdem noch einer Operation unterziehen musste – Es geht bei mir buchstäblich um Sein oder Nichtsein oder mit anderen Worten, ein Abtransport hätte meinen unmittelbaren Tod im Gefolge. … Mein Herz und meine Blase sind stark in Mitleidenschaft gezogen, ersteres vornehmlich wegen meiner übersteigerten körperlichen Abmagerung." Dieser Bittbrief wurde mit "Odmowa", "abgelehnt", gestempelt und mit dem Zusatz versehen, für den Transport werde ein Wagen gebraucht.

Anfang Mai 1942 wurden Fritz und Chloë Neuburger nach Chelmno deportiert. Dort kamen die Opfer im "Schloss", einem alten polnischen Herrenhaus, an. Sie mussten sich entkleiden, um vor der angeblichen Weiterreise desinfiziert zu werden. Eine Rampe führte direkt in die Ladeflächen der LKW, auf denen sie mit Auspuffgasen getötet wurden.

© Maria Koser

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; 9; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 6214/39; StaH 314-15 OFP, R 1939/129; StaH 314-15 OFP, Fvg 7714; StaH 314-15 OFP, R 1940/873; schriftl. Auskunft Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen vom 6.11.2008, AZ 2-10/5; USHMM, RG 15.083, M300/358-360, Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 9.6.2010; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht-Verwaltung, Abl. 2 451a, E1, 1c; Löw, Das Getto Litzmannstadt, in: Feuchert/Leibfried/Riecke, Chronik, Bd. 5, 2007, S. 158f.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang