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© Yad Vashem
Aron Adolf Stoppelmann * 1894
Grindelberg 90 (Eimsbüttel, Harvestehude)
1939 Flucht Holland
interniert Westerbork
deportiert 1943
KZ Bergen-Belsen
ermordet 23.04.1945
Weitere Stolpersteine in Grindelberg 90:
Werner Beit, Bertha Beit, Berl Beit, Louise Loevy, Sophie Loevy, Vera Neustadt, Paula Stoppelmann, Leonhard Weinberg
Aron Adolf Stoppelmann, geb. am 28.5.1894 in Hamburg, deportiert 1943 nach Bergen-Belsen, gestorben am 23.4.1945 bei Tröbitz
Paula Stoppelmann, geb. Delmonte, geb. am 20.1 1896 in Altona, deportiert am 15.2.1944 nach Bergen-Belsen, dort gestorben am 6.11.1945
Grindelberg 90
Aron Adolf Stoppelmann besuchte in seiner Jugend die Hamburger Talmud Tora Schule. Zwischen 1909 und 1912 machte er eine Lehre in dem Textilunternehmen A. Katzenstein, in dem er anschließend bis 1914 als Lagerist und Stadtreisender (Vertreter im Stadtgebiet) arbeitete. Im Februar 1914 erhielt Aron einen eigenen Gewerbeschein. Zwischen Oktober 1914 und August 1919 war er im Militärdienst und kämpfte während des Ersten Weltkriegs an der Ostfront. Er wurde während des Krieges zweimal verwundet und erhielt zwei Auszeichnungen, das Ostfrontkreuz und das Ehrenkreuz für Frontkämpfer.
Paula Stoppelmann, geborene Delmonte, war die Tochter der Textilhändlerin Johanna Delmonte. Wahrscheinlich hieß ihr Vater John Delmonte. Er ist in den Altonaer Adressbüchern in diesem Zeitraum in der Königsstraße 28 vermerkt, direkt neben dem Geschäft von Johanna. Auch dass Aron und Paula Stoppelmann ihren Sohn John nannten, lässt darauf schließen. 1920 heirateten Aron und Paula. Aron siedelte nach der Hochzeit nach Altona über und zog zu den Delmontes. Er wurde Teilhaber und Geschäftsführer im Laden für Kinderkonfektionen, den seine Schwiegermutter in der Königsstraße 32 führte. Während seiner Zeit in Altona betätigte sich Aron auch ehrenamtlich in der Jüdischen Gemeinde, so war er zeitweise Mitglied der Grundstücks- und der Einschätzungskommission.
Am 21. Dezember 1921 wurden Aron und Paula Eltern eines Sohnes, John Hans. Am 5. Dezember 1924 kam Tochter Vera zur Welt. 1922 wurde Aron Teilhaber an der Firma Gabriel & Belzinger und trat im April 1928 als Gesellschafter in die Handelsgesellschaft Wilhelm A. Rudermann in der Mönckebergstraße 10 ein. 1932 machte er sich selbstständig.
Im selben Jahr siedelte die Familie nach Hamburg über, in die Bundesstraße 38 in eine moderne Fünfzimmerwohnung. Neben seinen Teilhaberschaften arbeitete Aron in den 1920er- und 1930er-Jahren als Vertreter für verschiedene Firmen, darunter für Max Neuber (1925–1936), für B. Finkert & Co. (1933–1936) und für Karl Hensel (1936–1938). Bei allen handelte es sich um große Textilunternehmen in Hamburg und Norddeutschland. Für diese besuchte er zum Teil regelmäßig etwa 250 Kaufhäuser, in Hamburg beispielsweise Karstadt, das Alsterhaus und das Ost-Indien-Haus. Für die getätigten Verkäufe in seiner Vertreterzeit erhielt Aron meist eine Provision von acht Prozent, in manchen Fällen aber auch nur sechs oder drei Prozent. Auch die Dienstreisen, die er mit dem eigenen Auto unternahm, finanzierten seine Auftraggeber. Laut seinem Sohn dürfte Aron Stoppelmann 12.000 bis 16.000 Reichsmark im Jahr verdient haben.
1936 kündigten ihm fast alle Firmen – wie sein Sohn später meinte, aus rassistischen Gründen. Als einziger Arbeitgeber verblieb ihm Karl Hensel, der ihn 1938 zu seinem Vertreter in Holland ernennen wollte, wo er jedoch keine Arbeitserlaubnis erhielt.
1935 bezog Familie Stoppelmann in einem Neubau am Grindelberg 90 eine Sechszimmerwohnung mit Fahrstuhl und Heizung. Solange es gesetzlich erlaubt war, beschäftigten die Stoppelmanns außerdem ein nichtjüdisches Dienst- und ein Kindermädchen. Zwischen 1933 und 1938 wohnte außerdem auch Paulas Mutter Johanna bei ihnen. Neben den großen Wohnungen gab es noch andere Dinge, die auf den Wohlstand der Stoppelmanns verwiesen. So sollen sie im Umfeld von Altona zusätzlich ein Wochenendhaus besessen und in den Ferien regelmäßig große Reisen ins Ausland unternommen haben, unter anderem nach Frankreich, Dänemark und Holland, wo sie stets in guten Hotels wohnten.
Der Sohn John besuchte in Hamburg die jüdische Oberrealschule und die Tochter Vera, die infolge einer Operation wegen einer Mittelohrentzündung im ersten Lebensjahr taubstumm war, erhielt zuerst Unterricht von einem Privatlehrer und ging anschließend auf die Taubstummenschule in Hamburg. John war sehr sportlich und Mitglied im jüdischen Sportverein Schild, wo er turnte, schwamm, Fußball und Handball spielte sowie Wandersport betrieb. Schon früh machte er erste Erfahrungen mit nationalsozialistischer Verfolgung, auf seinem Schulweg wurde er regelmäßig von HJ-Mitgliedern verprügelt.
Im April 1938 schickten die Stoppelmanns zunächst ihren Sohn John in die Niederlande, ehe Ende 1938 oder Anfang 1939 auch die übrige Familie Hamburg endgültig den Rücken kehrte, um den härter werdenden Repressionen des NS-Regimes zu entgehen. Diese Auswanderung war schon vorher bekannt, sie war in der Kultussteuerkarte bereits Monate zuvor vermerkt worden. John hatte an der Talmud Tora Schule mit einer "Not-Reifeprüfung" noch gerade sein Abitur abgelegt. Die Stoppelmanns waren nicht die einzigen Auswanderer. Zwischen 1933 und 1937 wanderten jährlich etwa 10 Prozent der jüdischen Bevölkerung Hamburgs aus, bevorzugt nach Palästina oder in westeuropäische Länder. 1938 erhöhte sich der jährliche Anteil auf 24 Prozent. Sofern Aron zum Zeitpunkt der Auswanderung noch über seine Teilhaberschaften an den Geschäften verfügte, musste er sie wohl spätestens jetzt verkaufen, dazu zwangen ihn die NS-Gesetze, die dies von allen Emigrantinnen und Emigranten verlangten.
In den Niederlanden siedelte sich die Familie in Den Haag an. Ob Aron dort nochmal beruflich tätig wurde, ist nicht bekannt. Seine Tochter Vera war ein Jahr auf einer Haushaltsschule und besuchte dann wieder eine Taubstummenschule. Der Sohn John begann eine Lehre als Automechaniker oder Autoschlosser bei der "Internationale Automobiel Maatschappij", konnte sie aber nicht beenden. Vermutlich verließ er nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 seine Familie. Er gab später an, er habe sich häufig versteckt und viele Nächte außerhalb des Elternhauses verbracht. 1941 wurde er nach Utrecht evakuiert. Er fand eine Arbeitsstelle bei einem Bauern in Nord-Holland und hielt lediglich Briefkontakt zu seinen Eltern. Mitte März 1942 fuhr er nach Amsterdam und lebte dort zweieinhalb Monate illegal, bevor er weiter nach Brüssel zog. Dort soll er sich falsche Ausweispapiere auf den Namen Henry Schmidts besorgt haben und im Juli 1942 ins unbesetzte Südfrankreich gereist sein. Im Oktober 1942 floh er weiter in die Schweiz, wo er in verschiedenen Flüchtlingslagern lebte. Er machte sich später große Vorwürfe, seinen Eltern davon abgeraten zu haben, nach Brüssel zu gehen, weil er sie so möglicherweise vor der Deportation hätte bewahren können. Aron, Paula und Vera hatten Den Haag inzwischen ebenfalls verlassen, lebten von 1941 bis 1942 in Utrecht und zogen dann nach Amsterdam, wo sie in der Rapenburgerstraße 90 wohnten. Unter der gleichen Adresse waren auch Daniel und Röschen Leers gemeldet. Möglicherweise gehörten sie zur Familie von Aron, denn er hatte entfernte Verwandtschaft mit diesem Nachnamen. Außerdem ist für diese Zeit bekannt, dass Aron als Schuster arbeitete.
Die genauen Wege der restlichen drei Familienmitglieder lassen sich nur schwer nachvollziehen. Wahrscheinlich wurden Aron, Paula und ihre Tochter Vera am 25. März 1943 in dem KZ Herzogenbusch bei Vught inhaftiert, das erst zu Jahresbeginn eingerichtet worden war. Es diente vor allem als "Durchgangslager". Viele Insassen wurden weiter nach Westerbork gebracht, auch dies ein "Durchgangslager". Dazu gehörten am 17. September 1943 die Stoppelmanns. In Westerbork arbeitete Aron für den Judenrat, erneut als Schuster. Von dort wurden viele Häftlinge weiter in die Konzentrationslager in Deutschland oder Osteuropa verbracht. Aron, Paula und Vera wurden am 15. Februar mit 770 anderen Menschen ins KZ Bergen-Belsen deportiert. Wie bereits zuvor in Herzogenbusch und Westerbork musste Paula Stoppelmann auch in Bergen-Belsen Zwangsarbeit leisten. Dort erkrankte sie an Flecktyphus.
Am 6. November 1944 starb Paula Stoppelmann in Bergen-Belsen an Kreislaufschwäche. Das KZ Bergen-Belsen war von Beginn an auch für sogenannte Austauschjüdinnen und -juden konzipiert worden. Dabei handelte es sich um Häftlinge, die für wichtig genug gehalten wurden, um sie gegen im Ausland festgesetzte Reichsdeutsche austauschen oder gegen Zahlung von Devisen freilassen zu können. Auch Jüdinnen und Juden, die Kontakte oder Verwandtschaft im Ausland hatten, konnten zu dieser Gruppe gehören. Es waren also praktisch jüdische Geiseln. Zwischen dem 6. und 10. April 1945 hatten drei Züge mit insgesamt etwa 6700 "Austauschjuden" das KZ Bergen-Belsen verlassen. Sie sollten vermutlich nach Theresienstadt fahren. Dort kam jedoch nur einer der Züge am 21. April an. Ein zweiter war bereits am 13. April bei Farsleben von den amerikanischen Streitkräften befreit worden. Der dritte legte eine tagelange Irrfahrt zurück und ging schließlich als der "verlorene Zug" in die Geschichte ein. Es dauerte bis zum 23. April, ehe die Rote Armee ihn bei Tröbitz, einem Ort im südlichen Brandenburg, befreite. In diesem Zug befand sich auch Aron Stoppelmann. Er war offenbar für privilegiert genug gehalten worden, um als "Austauschjude" dienen zu können. Aron Stoppelmann überlebte die Strapazen und die Krankheitsepidemien nicht. Den Angaben seiner Tochter Vera zufolge starb er am 23. April 1945 in Tröbitz. Vera überlebte, allerdings musste sie nach eigener Aussage den Tod ihres Vaters mit ansehen, wodurch sie später unter gesundheitlichen Problemen litt.
Nach Kriegsende kehrte Vera zunächst nach Amsterdam zurück, wo sie in einem Krankenhaus behandelt wurde. Anschließend absolvierte sie noch in Holland eine Lehre in den Bereichen Haushalt und Landwirtschaft. 1947 verließ sie Holland und wanderte nach Palästina aus, wo sie sich in Jerusalem niederließ. Dort besuchte sie zunächst bis 1948 die Taubstummenschule. Aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse fühlte sie sich nicht in der Lage, den Berufswunsch ihres Vaters zu erfüllen, nämlich Zahntechnikerin zu werden. Stattdessen lernte sie bei der Women’s International Zionist Organisation (WIZO) den Beruf der Schneiderin. Nach der Ausbildung übte sie ihren Beruf in einem Babyheim in Jerusalem aus. Am 12. April 1954 heiratete sie Schmuel Grinbaum, der in einer Wäscheannahmestelle arbeitete. Er war 1907 geboren worden, Witwer und Vater von zwei Söhnen. Ihren Beruf gab Vera im selben Jahr auf. Der Grund dafür waren ihre körperlichen und vor allem psychischen Leiden infolge ihrer Erlebnisse während der NS-Zeit. Bei ihr war ein "erlebnisreaktiver Persönlichkeitswandel mit seelischen und psychosomatischen Störungen" diagnostiziert worden. Mit ihrem Mann Schmuel hatte sie eine Tochter, doch die Ehe war nicht glücklich und der Kontakt zur Tochter aufgrund Veras psychischer Störungen belastet.
Veras Bruder John war bereits 1945 nach Palästina ausgewandert. Er lebte zunächst einige Zeit in einem Kibbuz und machte eine Ausbildung als Traktorist und Schlosser. 1950 heiratete er Gisela Bienenstock, die er bereits in Holland kennengelernt hatte. Im selben Jahr wurde ihr Sohn Michael geboren. Ab 1953 arbeitete John als Angestellter im Büro einer Jerusalemer Berufsschule. Ähnlich wie seine Schwester hatte auch John mit körperlichen und psychischen Problemen zu kämpfen. Bereits ab 1948 traten bei ihm Störungen auf. 1952 erlitt er während einer Europareise, die ihn unter anderem nach Holland führte, eine "reaktive Angstneurose mit depressiven Zügen und neuro-vegetativen Begleiterscheinungen". Während sein Sohn Michael später Arabisch und Staatswissenschaften studierte, musste John seinen Beruf 1970 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Er kümmerte sich jedoch mit viel Energie um seine Schwester.
John Stoppelmann starb am 25. Juni 1980 in Jerusalem. Der weitere Lebensweg seiner Schwester Vera ist nicht bekannt.
Stand: Juli 2017
© Fabian Boehlke
Quellen: Archief Amsterdam A01232_0787_0049, Einwohnermeldekartei von Amsterdam, Aron Stoppelmann; StaH 351-11_700, Amt für Wiedergutmachung, Victor Leers; StaH 351-11_16714, Amt für Wiedergutmachung, Aron Adolf Stoppelmann; StaH 351-11_18580, Amt für Wiedergutmachung, Paula Stoppelmann; StaH 351-11_44850, Amt für Wiedergutmachung, John Stoppelmann; StaH 351-11_46474, Amt für Wiedergutmachung, Vera Grinbaum; StaH 522-1, Jüdische Gemeinden, Kultussteuerkarte Nr. 5647, Aron Adolf Stoppelmann; Altonaer Adressbücher; Hamburger Adressbücher, E-Mail von José Martin, Mitarbeiterin Herinneringscentrum Kamp Westerbork, vom 26.4.2016; Yad Vashem – List of persecuted persons: Aron Stoppelmann, online: http://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html? language=en&s_lastName=stoppelmann&s_firstName=aron&s_place=&itemId=6766005&ind=0&wi nId=–5722382450274504230 (letzter Aufruf: 17.4.2016); Hájková: Das polizeiliche Durchgangslager, S.217–248; Meyer: Die Verfolgung, S. 15–24; de Vries: Das Konzentrationslager, S. 197–216; Rahe: Bergen-Belsen, S. 187–217.