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Constanze Mathiason (geborene Kalmus) * 1871
Parkallee 7 (Eimsbüttel, Harvestehude)
1942 Theresienstadt
ermordet 03.04.1943
Weitere Stolpersteine in Parkallee 7:
Selly Baruch
Constanze Mathiason, geb. Kalmus, geb. 3.2.1871 in Berlin, deportiert 15.7.1942 nach Theresienstadt, ermordet am 3.4.1943
Parkallee 7 (Harvestehude)
Constanze Mathiason, geb. Kalmus, war die Tochter des Berliner Kaufmanns Julius Kalmus (1839-1917) und dessen aus Märkisch Friedland (Westpreußen) gebürtiger Ehefrau Fanny, geb. Gottschalk (1848-1928) – die jüdischen Eheleute hatten 1868 in Berlin geheiratet. Constanze hatte drei Geschwister: Recha Marck, geb. Kalmus (1869-1942), Ernst Kalmus (später promoviert, 1874-1959) und Alice Süs(s)kind, geb. Kalmus (1875-1936).
Nach dem Abschluss der höheren Töchterschule/ Lyzeum "kam sie zur weiteren Ausbildung in die Lehrpension Leverson in Hannover. Alsdann hat sie den Haushalt erlernt." Pensionsvorsteherin war die britische Dr. Kate Leverson, geb. Hyam (1839-1891), die das Institut in der Thiergartenstraße 3-4 gegründet hatte.
Constanze stammte aus einer wirtschaftlich erfolgreichen jüdischen Familie. Ihr Vater war Prokurist bei dem Berliner Getreidehändler Salomon Lachmann und hatte 1874 ein eigenes "Bank- und Produkten-Kommissionsgeschäft" gegründet. Dessen Fernsprechanschluss datierte von 1888. Es war selbstverständlich, dass Constanze – und auch ihre beiden Schwestern – Männer aus ähnlich situierten Familien ehelichen würden. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass alle drei Schwiegersöhne ein eigenes Bankgeschäft führten und sich in ihrer jeweiligen Jüdischen Gemeinde engagierten.
1897 an ihrem 26. Geburtstag heiratete Constanze in Berlin den 41jährigen Hamburger Börsenmakler Ludwig Mathiason (1855-1925) und zog zu ihm und seinen drei Töchtern nach Hamburg. Ihr Ehemann war in erster Ehe mit der aus Schwerin gebürtigen Toni Mathiason, geb. Pincus (1856-1892) verheiratet gewesen. Aus dieser Ehe stammten die Töchter Jenny Jacobsohn, geb. Mathiason (1883-1979), Elisabeth "Lizzi" Levin, geb. Mathiason (1884-1942) und Leonie Lesser, geb. Mathiason (1889-1942). Die erste Ehefrau war im August 1892 bei der Geburt ihres vierten Kindes gestorben, beide wurden auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf bestattet.
Constanze und Ludwig Mathiason bekamen noch drei eigene Kinder: Mélanie (1897-1980), Alice (1899-1983) und Helmuth Mathias Joachim (1901-1975).
Die Familie wohnte in der Eichenallee 43 I. Stock (1892-1897), die 1899 in Brahmsallee 15 umbenannt wurde, in der Hansastraße 51/ Harvestehude (1897-1900), Hansastraße 63 II. Stock/ Harvestehude (1901-1903), im Mittelweg 104 (1903-1908) und der Isestraße 113 I. Stock/ Harvestehude (1908-1925).
Bei der letztgenannten Adresse handelte es sich um eine 6 bis 7-Zimmer-Wohnung mit geschmackvoller Einrichtung, wie die Nichte Paula Hartstein geb. Mathiason (siehe Anna Mathiason, geb. Spiro in www.stolpersteine-hamburg.de) um 1960 berichtete. Im Esszimmer stand ein langer Auszieh-Tisch mit 18 lederbezogenen Stühlen, in zwei Schränken wurde das Tischsilber aufbewahrt, sie waren im Zuge der Hochzeit 1907 angeschafft worden. Auch das Geschirr reichte für große Gesellschaften, so ein Rosenthal-Service für 18 Personen und ein altes englisches Porzellanservice für 36 Personen. Das Buffet schmückten zwei große Karaffen mit Silberbeschlag. In der Wohnung standen u.a. Bücherschränke, ein Blüthner-Klavier, eine alte englische Mahagoni-Standuhr aus dem 18. Jahrhundert und eine vergoldete Bronzeuhr mit Emailleeinlage. An den Wänden hingen alte Kupferstiche sowie Ölgemälde, die meist Landschaften und Portraits zeigten, zudem zwei alte chinesische Wandteller. Der Salon war mit französischen Empire-Möbeln des 19. Jahrhunderts aus Mahagoni mit Perlmutteinlage eingerichtet, die für die Wohnung Mittelweg oder Isestraße angeschafft worden waren.
Ludwig Mathiason war Inhaber des 1883 gegründeten Bank- und Wechselgeschäfts Mathiason & Trier, er betrieb den Kauf und Verkauf von Wertpapieren und Devisen zusammen mit seinem Compagnon Simon Trier. An der Hamburger Börse hatten sie ihren Stand im Neubau bei "Bk.18, Sitz b". Ab 1905 war Ludwig Mathiason alleiniger Inhaber der Firma und Simon Trier nun Prokurist.
Auch seine Brüder, Alfred (1858-1934) und Michael Mathiason (1857-1929), waren als selbständige Kaufleute in Hamburg tätig, Michael Mathiason im Bereich Rohtabakhandel (Firma Mathiason & Co., gegr. 1880) und Alfred Mathiason mit Rosshaaren (Firma Alfred Mathiason, gegr. 1886)
Während des Ersten Weltkriegs wurden Angestellte von Mathiason & Trier zum Kriegsdienst eingezogen. Constanze Mathiason, die bereits durch die vielen geschäftlichen Gespräche mit ihrem Ehemann gut über die wirtschaftlichen Belange der Firma Bescheid wusste, arbeitete nun ständig im Geschäft wie ab 1916 auch die Tochter Alice, die als Sekretärin in der Firma tätig war; sie hatte von 1905 bis 1915 eine Höhere Töchterschule/ Lyzeum und anschließend von 1915 bis 1916 eine Handelsschule besucht, die sie mit Auszeichnung abgeschlossen hatte.
Der Sohn Helmuth meldete sich nach seinem Schulabschluss der Mittleren Reife im März 1917 freiwillig als Rote-Kreuz-Soldat beim Hamburger Marienkrankenhaus, wo er als Krankenpfleger arbeitete - ein Teil des Marienkrankenhauses wurde nach Kriegsbeginn für verletzte Soldaten freigehalten. 1918 begann er eine Lehre in der väterlichen Firma, nach dem Lehrabschluss erhielt er dort Prokura.
Ludwig Mathiason gehörte von 1919 bis 1925 dem Vorstand der Hamburger Wertpapierbörse als Mitglied an. Er war zudem über viele Jahre ein engagiertes Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg. 1892 war er einer der Initiatoren der Einrichtung "Israelitische Höhere Töchterschule" und 1907 einer der Gründer des Unterstützungsvereins für diese Schule. 1923 wurde er stellvertretender Vorsitzender des Deutsch-Israelitischen Waisen-Instituts am Papendamm 3. Ähnliches galt für Constanze Mathiason: Sie amtierte 1927 im "Verband jüdischer Frauen für Kulturarbeit in Palästina" als erste Vorsitzende. Neben ihr, die auf einem Dokument als "Frau Ludwig Mathiason" genannt wurde, war "Frau Aby S. Warburg" (Elly Warburg, geb. Simon 1873-1931) zweite Vorsitzende.
Der 20jährige Helmuth Mathiason war 1925, ein halbes Jahr vor dem Tod des Vaters, als Gesellschafter in die Firma eingetreten. Nach dem Tod ihres Ehemannes trat Constanze Mathiason als weitere Gesellschafterin in die offene Handelsgesellschaft ein. In der Weltwirtschaftskrise lief auch für Mathiason & Trier das Geschäft schlecht. Zusätzlich verlor das Unternehmen im Zuge eines Vergleichsverfahrens der Textil-Handelsgesellschaft E. Kahn & Co. (Admiralitätsstraße 66) 32.000 Reichsmark. Durch die Koalitionsregierung der Nationalsozialisten 1933 wurde den jüdischen Geschäftsinhabern die Beteiligung am Wirtschaftsaufschwung verwehrt. Die Firma wurde ab 1936 durch gezielte staatliche Beschränkungen (u.a. Verbot die Börse zu betreten sowie Entzug der Börsenkarte) vom Markt gedrängt, Ende 1938 musste die Privatbank ihren Geschäftsbetrieb einstellen, da im November 1938 die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" in Kraft trat. Im Januar 1939 erfolgte die Löschung im Handelsregister.
Helmuth Mathiason (geb. 16.12.1901 in Hamburg) beantragte 1925, vier Wochen nach dem Tod seines Vaters, dessen Vornamen "als zusätzlichen und letzten Vornamen" führen zu dürfen – diesem Wunsch wurde stattgegeben. Er heiratete im Juni 1929 in Breslau Gerda Oschinsky (geb. 1905 in Breslau). Sie war die Tochter des Grundstücksmaklers und Vorstandsmitgliedes des Israelitischen Krankenhauses Breslau Heinrich Oschinsky (geb. 17.2.1870 in Breslau). Nach Abschluss des Ilming’schen Lyzeums Breslau, hatte sie von 1921 bis 1922 die Handelsschule in Breslau besucht und 1926 einen Kursus für die Neumann-Neurode-Säuglings-Gymnastik in Berlin absolviert. Seit 1935 lebte das Ehepaar in einer Erdgeschosswohnung in der Isestraße 96. Sie stellten Anfang 1937 einen Antrag für die Ausreise nach Palästina. Hierfür beantragten sie eine Ausfuhrgenehmigung für das Vorzeigegeld der Kategorie A 1 in Höhe von 1.000 Palästinensischen Pfund (etwa 12.500 RM). In das britische Mandatsgebiet waren bereits die Schwiegereltern Heinrich Oschinsky und Käthe Oschinsky, geb. Pollack und deren Sohn emigriert. Das Vorhaben scheiterte. Der Auswandererakte ist nicht zu entnehmen, warum diese Emigration von Helmuth und Gerda Mathiason nicht zustande kam. Unter dem Eindruck der Ereignisse des Novemberpogroms 1938 wurden sie im Februar 1939 erneut bei der Devisenstelle Hamburg vorstellig. Diesmal lautete das Ziel auf dem Auswandererfragebogen USA. Da ihre rechtliche Situation im Deutschen Reich ständig durch neue Verordnungen und Gesetze weiter entwertet wurde und der Ausreisezeitpunkt in die USA noch ungewiss war, entschieden sie sich im April 1939 erst einmal zur Flucht in die Niederlande, wo in Leiden (Rijnsburgerweg 163) der Onkel Kurt Pollack (1879-1945) und die Tante Gertrud Pollack, geb. Simons (1891-1945) der Ehefrau lebten. (Für sie wurden 2023 Stolpersteine in Leiden verlegt.) Im Mai 1939 gelang Helmuth und Gerda Mathiason mit ihrer Tochter Helen die Emigration in die USA.
Nach dem Tod des Ehemannes war Constanze Mathiason laut Kultussteuerkartei unter wechselnden Adressen gemeldet: Breitenfelderstraße 70/ Eppendorf (1932-1934), Parkallee 7 Hochparterre/ Harvestehude (bis 1938) sowie ab April 1938 zwei Zimmer in der Hansastraße 57 II. Stock (Harvestehude) bei Julius Lewandowski (1868-1938) und Emma Lewandowski (1875-1942). (Der "Privatier" Julius Lewandowski wurde im Juni 1938 ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt und starb dort zwei Monate später.)
Die Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden durch das NS-Regime beinhaltete auch eine zwangsweise Umquartierung und den Verlust des bisherigen Wohnraums. Die letzten Adressen von Constanze Mathiason in der Innocentiastraße 21 (1940), Rothenbaumchaussee 217 und der Beneckestraße 6 bedeuteten bereits den erzwungenen Umzug in "Judenhäuser".
In einer Vermögenserklärung zum 31. August 1938 gab die verwitwete 67jährige Constanze Mathiason an, lediglich über Bargeld in Höhe von 120 RM zu verfügen; Wertpapiere und Grundvermögen seien nicht vorhanden, ihre 1/3-Beteiligung an Mathiason & Trier sei wertlos. Im Mai 1939 beantragte das Bankhaus M. M. Warburg & Co. bei der Devisenstelle Hamburg, 500 RM vom gesperrten Konto des bereits emigrierten Sohnes auf das Konto von Constanze Mathiason umbuchen zu dürfen. Die handschriftliche Bearbeitungsnotiz der Devisenstelle auf dem Schreibmaschinenbrief ließ sich nicht entziffern.
Mindestens seit September 1938 gibt es Hinweise auf Ausreisebemühungen von Constanze Mathiason, die zu diesem Zeitpunkt allerdings keinen Reisepass besaß. Auf ihrer Kultussteuerkarte wurde zwar bereits für Februar 1939 ihre Emigration in das britische Mandatsgebiet Palästina notiert und dann noch einmal für Juli 1939. Auch war bereits eine staatliche Unbedenklichkeitsbescheinigung (U.B.) für den 20. Juni 1939 erteilt und dort vermerkt. Doch die Eintragungen führen in die Irre, denn ihre Emigration kam nicht zustande. Die Ursachen für das Scheitern ihrer Ausreise dürften neben den fehlenden finanziellen Mitteln auch in den Spannungen im Mandatsgebiet gelegen haben. Die britischen Einwanderungszertifikate wurden entweder nach der beruflichen Eignung oder nach dem mitgeführten Kapital (mindestens 1.000 Palästina-Pfund, was rund 12.500 RM entsprach) ausgegeben, während der NS-Staat sich gleichzeitig systematisch jüdisches Vermögen aneignete. Im Frühjahr 1939 wurde von Großbritannien die bestehende jüdische Einwanderungsquote aufgrund des arabischen Widerstands gesenkt und ab Oktober 1939 eine Einwanderungssperre für Jüdinnen und Juden verhängt.
Im Oktober 1941 erließ das Deutsche Reich ein Ausreiseverbot für Juden und begann mit ihrer Deportation und systematischen Ermordung. So scheiterte auch Constanze Mathiasons letzter Versuch auszuwandern: Noch am 28. Oktober 1941 erstellte der Kaufmann James Wiener (geb. 24.7.1873 in Altona) aus der Isestraße 80 als Bevollmächtigter für Constanze Mathiason ein "Umzugsgutverzeichnis" und füllte den "Fragebogen für die Versendung von Umzugsgut" aus. Ein aktualisierter "Fragebogen für Auswanderer" mit dem Ausreiseziel fehlt in der Akte ebenso wie eine Reaktion der Devisenstelle. Drei Tage zuvor hatte der erste Deportationszug den Hannoverschen Bahnhof in Hamburg Richtung Lodz verlassen.
Constanze Mathiason wurde am 15. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert, wo sie aufgrund der dort von den deutschen Besatzern und der Lagerbürokratie bewusst herbeigeführten Zustände am 3. April 1943 starb. Ein Stolperstein wurde für Constanze Mathiason im März 2009 in der Parkallee 7 verlegt.
Auch James Wiener wurde am 15. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert, wo er nach fünf Monaten starb. An ihn erinnert ein Stolperstein in der Isestraße 80.
Zum Schicksal der Angehörigen:
Tochter Jenny heiratete 1907 in Hamburg den Augenarzt Leo Jacobsohn (1875-1934). Dem Entschädigungsamt Berlin schilderte sie 1960 ihren Werdegang: "Ich habe als beste Schülerin die höhere (Mädchen-) Schule von (Ida) Platzmann in Hamburg absolviert und da ich die Tochter eines sehr wohlhabenden Bankiers war, wurde ich zur Erlernung von Sprachen nach England und in die Schweiz geschickt. Viel lieber hätte ich studiert, denn mein Interesse für Medizin war immer schon sehr groß, aber leider erlaubte man mir es nicht. Vom Ausland zurückgekehrt, ging ich nach Berlin, wo ich den Augenarzt Dr. Leo Jacobsohn, Berlin, heiratete." Sie arbeitete 20 Jahre lang als Sprechstundenhilfe in seiner Augenarztpraxis, die seit 1908 in der Prenzlauerstraße 19 (Prenzlauer Berg) lag. Die Wohnung war u.a. mit Teppichen, Gemälden, Bronzen, zwei japanischen Cloisonné Vasen und einer Bar ausgestattet. Zudem besaß Ehepaar Jacobsohn ein Automobil Marke Buick. Jedes Jahr unternahmen sie mindestens zwei Urlaubsreisen. Nach dem natürlichen Tod ihres Ehemannes 1934 wurde ihr die Veräußerung der Praxis samt Inventar von der Gestapo Berlin untersagt. Nach Zahlung von 20.000 RM "Reichsfluchtsteuer" durfte sie 1935 über Triest nach Palästina auswandern und überlebte dort.
Zur Hochzeit der Tochter Leonie im März 1912 mit dem Apotheker Benno Lesser (geb. 30.5.1874 in Neustettin) kamen im Januar 1912 auch die Großeltern Julius und Fanny Kalmus aus Berlin angereist. Sie wohnten die nächsten sieben Monate bei ihrem Sohn Ernst Kalmus in der Behnstraße 1 I. Stock/ Ecke Rothenbaumchaussee (heute Hermann-Behn-Weg). Fußläufig entfernt von der Wohnung befand sich die 1906 eingeweihte Bornplatzsynagoge. Neben dem Brautvater Ludwig Mathiason war Julius Kalmus der zweite Trauzeuge bei der standesamtlichen Heirat. Die Hochzeit in der Synagoge dürfte einige Wochen später erfolgt sein. Die Mitgift von Leonie betrug 100.000 Mark. Leonie Lesser, geb. Mathiason zog nach der Heirat nach Berlin, wo ihr Ehemann Ende der 1920er Jahre eine Apotheke in der Hohenstaufenstraße 29 (Schöneberg) besaß, zuletzt befand sich seine Apotheke im Stadtteil Wilmersdorf in der Kaiserallee 172 (heute Bundesallee). Die Wohnung lag nebenan in der Kaiserallee 176. Leonie Lesser arbeitete in Vollzeit in der Apotheke, die Ende 1938/ Anfang 1939 auf staatlichen Druck hin verkauft werden musste. Leonie und Benno Lesser wurden am 18. Oktober 1941 ins Getto Lodz deportiert und am 8. Mai 1942 weiter ins Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) verschleppt. Leonie Lesser wurde in den 1950er Jahren für tot erklärt auf den 31. Dezember 1945.
Elisabeth "Lizzie" heiratete 1908 den Berliner Hypotheken- und Gütermakler Siegfried Lewin (geb. 10.4.1875 in Rogowo/ Posen). Zum Zeitpunkt der Volkszählung vom Mai 1939 lebten sie in Berlin-Charlottenburg in der Marburger Straße 13. Die Eheleute wurden am 11. August 1942 ins Getto Theresienstadt und am 26. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet.
Constanze Mathiasons Bruder, der Nervenarzt Dr. Ernst Kalmus (geb. 1.1.1874 in Berlin), hatte in Berlin-Tiergarten das Königliche Wilhelms Gymnasium besucht und an der Universität Berlin Medizin studiert. 1904 zog er von Lübeck nach Hamburg. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs wechselte er im Juni 1915 mit Ehefrau und zwei Töchtern nach Hannover in den Warmbüchenkamp 4. Von hier aus meldete er sich - vermutlich kriegsbedingt - mehrfach ab: im August 1915 nach Bad Nenndorf, im Juli 1917 nach Crantz und im Mai 1918 nach Königsberg/Ostpreußen. Zuletzt führte er in Hamburg eine Praxis in den Colonnaden 9 Parterre rechts (Neustadt) und wohnte in der Brahmsallee 23 II. Stock (Harvestehude). Auch er war in der Jüdischen Gemeinde sehr aktiv und u.a. Mitglied des Repräsentanten-Kollegiums der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburgs (u.a. 1920 bis 1933), Mitglied der Henry-Jones-Loge, Mitglied der Hamburger Zionistischen Vereinigung (HZV) sowie Vorstandsmitglied der Talmud-Tora-Schule am Grindelhof und der Israelitischen Mädchenschule Karolinenstraße. Er wurde im April 1933 nach einer Denunziation verhaftet und konnte nach seiner Freilassung mit seiner Ehefrau Agnes, geb. Federlein (geb. 1884), im September 1933 nach Palästina emigrieren. Die palästinensischen Behörden hatten ihnen am 20. August 1934 eine Daueraufenthaltsgenehmigung der Kategorie A erteilt. Über Rechtsanwalt Bernhard David (1878-1949), der im Herbst 1939 ebenfalls nach Palästina emigrierte, konnte Ernst Kalmus sein in Hamburg gesperrtes Vermögen von 21.000 RM über ein Sonderkonto der Treuhand- und Transferstelle Haavara Ltd. (Tel Aviv) überweisen.
Constanze Mathiasons Schwester Recha hatte sich im November 1889 mit dem Bankier Moritz Marck (1857-1941) verlobt und war nach der Heirat 1890 zu ihm nach Breslau gezogen. Moritz Marck, Sohn des Bankiers Albert Hermann Marck, war um 1918 zusammen mit seinem Bruder Ernst Marck (1866-1935) Inhaber des 1818 gegründeten Bankgeschäfts Prinz & Marck jr. in der Schweidnitzer Straße 19 im Zentrum der Breslauer Altstadt geworden. Nach der Übernahme durch die Disconto-Gesellschaft im Jahre 1920 war er Mitglied im Ausschuss der Disconto-Gesellschaft, Filiale Breslau sowie 1. Stellvertretender Vorsitzender in der Zulassungsstelle für Wertpapiere der Industrie- und Handelskammer Breslau. Der Jüdischen Gemeinde war er eng verbunden, wie seine Ämter und Mitgliedschaften belegen: Mitglied des Ausschusses für die Alte Synagoge Breslau (1894-1923), Gemeindevorsteher und Vorsitzender des Ritual-Ausschusses in Breslau (1920-1923), ordentliches Mitglied des Rabbiner-Seminars Berlin (u.a. 1911/12). Sein Kunstinteresse verdeutlicht die Tatsache, dass er 1928 für das geplante, aber nicht realisierte, Jüdische Museum in Breslau Exponate zur Verfügung stellte. Es ist davon auszugehen, dass seine Wohnung entsprechend eingerichtet war. Die Wohnadresse des Eheleute Marck befand sich um 1918 am Kaiser-Wilhelm-Platz 7, später lautete die Adresse Reichspräsidentenplatz 7 und danach Hindenburgplatz 7. Ihr Ehemann starb am 22. Mai 1941 in Breslau. Recha Marck wurde am 27. Juli 1942 von Breslau ins Getto Theresienstadt, und am 23. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet.
Stand: September 2024
© Björn Eggert
Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 231-7 (Handelsregister), A 1 Band 1 (A3, Mathiason & Trier); StaH 231-7 (Handelsregister), A 33 Band 5 (Prokuristenkartei nach Firmen sortiert, Mathiason); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1938/1795 (Constanze Mathiason); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), FVg 6092 (Constanze Mathiason); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident),F 1646 (Helmuth Ludwig Mathiason u. Gerda Mathiason); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 1243 (Ernst Kalmus); StaH 332-5 (Standesämter), 2057 u. 3712/1883 (Geburtsregister 1883, Jenny Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter), 208 u. 3855/1886 (Sterberegister 1886, Matthias Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter), 7866 u. 2096/1892 (Sterberegister 1892, Toni Mathiason geb. Pincus); StaH 332-5 (Standesämter), 9134 u. 2122/1897 (Geburtsregister 1897, Mélanie Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter), 13087 u. 964/1899 (Geburtsregister 1899, Alice Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter), 13618 u. 2990/1901 (Geburtsregister 1901, Helmuth Mathias Joachim Mathiason, mit Namenszusatz Ludwig 1925); StaH 332-5 (Standesämter), 8650 u. 43/1907 (Heiratsregister 1907, Dr. med. Leo Jacobsohn u. Jenny Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter), 8657 u. 364/1908 (Heiratsregister 1908, Siegfried Lewien u. Elisabeth Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter),8682 u. 71/1912 (Heiratsregister 1912, Benno Lesser u. Leonie Mathiason); StaH 332-5(Standesämter), 8742 u. 564/1920 (Heiratsregister 1920, Wilhelm Kahn u. Alice Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter), 8081 u. 157/1925 (Sterberegister 1925, Ludwig Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter),1024 u. 225/1934 (Sterberegister 1934, Alfred Mathiason); StaH 332-5 (Standesämter),9880 u. 194/1936 (Sterberegister 1936, Alice Süskind geb. Kalmus); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), AIe40 Bd.10 (Bürgerregister 1876-1896 L-Z), Ludwig Mathiason, Fondsmakler (13.5.1881 Bürgerrecht Nr. 9686), Michael Mathiason, ohne Berufsangabe (14.8.1885 Bürgerrecht Nr. 12290), Alfred Mathiason, Kaufmann (21.10.1892 Bürgerrecht Nr. 19951); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925, K 6571 (Ludwig Mathiason, Melanie Mathiason, Jenny Mathiason, Alice Mathiason); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925, Rollfilm K 6345 (Julius u. Fanny Kalmus); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 1669 (Constanze Mathiason); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 21788 (Alice Kahn geb. Mathiason); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 25542 (Helmuth Mathiason); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 29371 (Gerda Mathiason geb. Oschinsky); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 2304 (Ernst Kalmus); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 31926 (Kurt Süsskind); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Ludwig Mathiason, Constanze Mathiason, Kurt Süsskind (Neffe); Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Gräberverzeichnis (Toni Mathiason geb. Pincus, gestorben 30.8.1892, Grablage B 11 Nr. 197; N.N. Mathiason, 2 Tage alt, gestorben 31.8.1892, Grablage B 11 Nr. 197; Ludwig Mathiason gestorben 7.4.1925, Grablage B12 Nr. 113; Alice Süsskind geb. Kalmus, gestorben 13.3.1936, Grablage O 3 Nr. 106); Bundesarchiv Berlin, R 1509 (Reichssippenamt), Volks-, Berufs-, u. Betriebszählung am 17. Mai 1939 (Constanze Mathiason, Hamburg, Hansastr. 57; Emma Lewandowski geb. Netter, Hamburg, Hansastr. 57; James Wiener, Hamburg, Isestr. 80; Recha Marck geb. Kalmus, Breslau, Hindenburgplatz 7; Leonie Lesser geb. Mathiason, Berlin, Kaiserallee 172; Elisabeth Levin geb. Mathiason, Berlin-Charlottenburg, Marburger Str. 13); Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) Berlin, Entschädigungsbehörde Berlin, Akten 264.199 (Jenny Jacobsohn geb. Mathiason), Akte 261.289 (Leonie Lesser geb. Mathiason); Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Stadtgericht Berlin (Heirat 1868, Julius Kalmus u. Jenny Gottschalk); Landesarchiv Berlin, Heiratsregister 1890 (Moritz Marck u. Recha Kalmus); Landesarchiv Berlin, Heiratsregister 55/1897 (Ludwig Mathiason u. Constanze Kalmus); Landesarchiv Berlin, Heiratsregister Berlin 1903 (Isaak Süskind u. Alice Kalmus); Landesarchiv Berlin, Sterberegister 442/ 1917 (Julius Kalmus); Stadtarchiv Hannover, Einwohnermeldekarte Dr. Ernst Kalmus (1915-1918); Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (Julius Lewandowski, Häftlingsnummer 006275); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Mathiason & Trier); Handelskammer Hamburg, Archiv 53D.3.2.8 (Bekanntmachung der Mitglieder des Vorstands der Wertpapierbörse, Ludwig Mathiason, 1919, 1925); Hamburger Börsenfirmen, 1910, S. 427 (Mathiason & Trier, gegr. 1883, Bank- u. Wechselgeschäft, Kauf- u. Verkauf von Wertpapieren, Inhaber Ludwig Mathiason, Prokurist Simon Trier); Hamburger Börsenfirmen, 1926, S. 675 (Mathiason & Trier, gegr. 1883, Bank- u. Wechselgeschäft, Inhaber Helmut Ludwig Mathias Mathiason u. Constanze Mathiason geb. Kalmus, Große Bleichen 23, Zimmer 1-3); Hamburger Börsenfirmen, 1935, S. 552 (Mathiason & Trier, gegr. 1883, Bankgeschäft, Fondsbörse, Inhaber Helmut Ludwig Mathiason u. Constanze Mathiason geb. Kalmus, Isestr. 96 Parterre); Handbuch der Industrie- und Handelskammer Breslau 1927, S. 32 (Zulassungsstelle für Wertpapiere: Bankier Moritz Marck, Reichspräsidentenplatz 7); Adressbuch Hamburg (Ludwig Mathiason, Mathiason & Trier) 1885, 1895-1901, 1905; Adressbuch Hamburg (Constanze Mathiason) 1928-1932, 1934; Adressbuch Hamburg (Behnstr. 1/ Rotherbaum) 1912, 1913; Adressbuch Hamburg (Isestraße 96), 1935; Adressbuch Hamburg (Ernst Kalmus) 1930; Adressbuch Hamburg (I. u. Kurt Süsskind, Eppendorfer Landstr. 30) 1935; Adressbuch Hamburg(Julius Lewandowski, Privatm., Hansastr. 57) 1939; Adressbuch Hamburg (Emma Lewandowski, Witwe, Hansastr. 57); Adressbuch Hamburg (Aby S. Warburg, Alsterufer 18, in Firma M. M. Warburg & Co.) 1927, 1932; Adressbuch Berlin 1890 (Julius Kalmus, Bank- u. Produkt-Kommiss.-Geschäft, Berlin W, Magdeburgerstr. 32); Adressbuch Berlin 1900 (Julius Kalmus, Bank-Geschäft, Berlin W, Winterfeldstr. 18); Adressbuch Berlin 1910 (J. Kalmus, Rentier, W 30, Eisenacher Str. 98); Adressbuch Berlin 1908, 1910, 1920 (Dr. Leo Jacobsohn); Fernsprechbuch Berlin (Julius Kalmus, Bank- u. Producten-Commission) 1888, 1890 (Magdeburgerstr. 32), 1897 (Bülowstr. 21), 1902 (Winterfeldtstr. 13); Adressbuch Breslau (Moritz Marck) 1918, 1931; Adressbuch Hannover (Leverson), 1888; Königlich Preußischer Staats-Anzeiger 1866 (Prokura für Julius Kalmus bei Firma Salomon Lachmann in Berlin, 30.1.1866); Nationalzeitung Juni 1868 (Verlobungsanzeige von Fanny Gottschalk, Märkisch Friedland und Julius Kalmus, Berlin); Breslauer Jüdisches Gemeindeblatt, 17. Januar 1927 (Würdigung zum 70. Geburtstag von Moritz Marck); Maike Bruhns, Geflohen aus Deutschland. 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Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, München/ Hamburg 2009, S. 314 (Ernst Kalmus); Jüdisch-librale Zeitung, Breslau 1.7.1921 (Breslau, Israelitische Gesundheitseinrichtung: Heinrich Oschinsky); Breslauer Jüdisches Gemeindeblatt, Breslau 19.3.1926, Nr. 3, S. 35 ("… Die Religions-Unterrichtsanstalten … der liberalen Richtung … unterhält … zwei (Zweiganstalten) … für die Südvorstadt im Ilming’schen Lyzeum, Kleiststraße 4, und für die Odervorstadt in der Bender-Oberrealschule, Lehmdamm 3."); https://digital.zlb.de (Verzeichnis der in das Handelsregister Berlin 1870 eingetragenen Firmen, KP Julius Kalmus in lig. Gebrüder Lachmann); www.geni.com (Fanny Kalmus, Kate Leverson, Ludwig Eliezer Mathiason, Alice Süsskind, Mélanie Oppenhejm geb. Mathiason); https://www.oorlogsbronnen.nl/tijdlijn/Kurt-Pollack; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ (Recha Marck; Elisabeth Lizzie Levin geb. Mathiason); https://www.stolpersteine-hamburg.de (Anna Mathiason geb. Spiro, James Wiener, Erich Alexander Heilbut, dort Nachtrag zu Dr. Ernst Kalmus).