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Bereits verlegte Stolpersteine



Julius Hirschfeldt
© Thomas Wolgast
Fotograf/in: Repro Gesche Cordes

Julius Hirschfeldt * 1864

Hallerstraße 25 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
JULIUS HIRSCHFELDT
JG. 1864
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
4.10.1943

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 25:
Clara Joel

Julius Hirschfeldt, geb. am 19.7.1864 in Hamburg, gestorben durch Suizid am 4.10.1943 in Hamburg

Hallerstraße 25

Der Stolperstein vor dem stattlichen Mehrfamilienhaus mit dezentem Gründerzeitdekor wird regelmäßig von einem älteren Herrn gereinigt. Thomas Wolgast, ein bekannter Rundfunkjournalist, ist der Enkel von Julius Hirschfeldt, der hier im Jahre 1943 von den Nazis "gedemütigt, entrechtet" und zur "Flucht in den Tod" getrieben wurde, wie es der Stolperstein bekundet. Wolgast wohnte früher in der alten Wohnung seiner Großeltern im ersten Stock, jetzt ist er ins Erdgeschoss umgezogen. Bei der Pflege des Steins fragen ihn Passanten manchmal danach und erhalten bereitwillig Auskunft. Allerdings hat Wolgast seinen Großvater nicht mehr gekannt und weiß nur wenig über dessen Leben und Sterben. Dem Biographen hat er mit zeitgeschichtlichen Hinweisen geholfen.

Julius Hirschfeldt war 79 Jahre alt, als er Anfang Oktober 1943 eine Überdosis der Schlaftabletten "Veronal" einnahm und damit sein Leben beendete. Seine Frau Theresie Lydie, geb. Thierfelder, mit der er seit 1895 verheiratet war, war für ein paar Tage verreist. Er hatte ihr das Abschied nehmen wohl ersparen wollen. Sie war "deutschblütig" und diesem Umstand verdankte er es, dass er bis dahin von der Deportation verschont geblieben war und in seiner vertrauten Wohnung hatte bleiben können. Aber das Gespenst einer drohenden Verschleppung verfolgte ihn. Zwei Schwestern und zwei Schwägerinnen hatte dies Schicksal bereits ereilt. Ob er je wieder von ihnen hörte und ob auch ihn bereits Gerüchte über das Schicksal der Deportierten erreicht hatten, ist nicht bekannt. Aber für den fast 80-Jährigen war die Angst vor dem Transport in ein Arbeitslager, vor Erniedrigung, Sklavenarbeit und Elend wohl Grund genug, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden, so wie es viele Juden vor ihm getan hatten.

Die Familie Hirschfeldt war seit Generationen in Hamburg ansässig gewesen. Julius‘ Vater, Louis Hirschfeldt (1821–1893) und sein Großvater Jäkel Hirschfeldt waren Kaufleute, und diesen Beruf wählte auch er. Den "mosaischen" (jüdischen) Glauben seiner Vorfahren hatte er nicht abgelegt, seine Verbindung zur Jüdischen Gemeinde jedoch gelöst. Er besuchte das Gymnasium in Wandsbek, machte dort sein Abitur und begann seine berufliche Laufbahn als Volontär in einer Hamburger Farbholz-Importfirma. Danach arbeitete er bei der Gerbstoff-Importfirma Blau und Schindler und stieg dort 1895 zum Prokuristen auf. 1904 wurde er Teilhaber der Firma Carl E. Bonn Nachf. (Hamburg Zollenbrücke 3), die ebenfalls Außenhandel mit Gerbstoffen betrieb. 1915 wurde er ins Kriegsministerium nach Berlin berufen und leitete dort bis Kriegsende die Abteilung, die den Gerbstoff für das vom Heer benötigte Leder zu beschaffen hatte. Diese Aufgabe führte ihn zu Dienstreisen auf den Balkan, nach Luxemburg und Belgien. Nach Kriegsende kehrte er in seine Firma zurück, die während seiner Abwesenheit von seiner Frau als Prokuristin weitergeführt worden war. 1931 wurde er alleiniger Inhaber. Bis einschließlich 1937 konnte er noch Gewinne erwirtschaften. Dann kam das Geschäft zum Stillstand: Der Betrieb erhielt keine Außenhandelskonzession mehr. "Arisierungsversuche" scheiterten. 1938 wurde die Firma liquidiert.

Im selben Jahr begann Julius Hirschfeldt, sein Vermögen auf seine Frau und seine Tochter zu übertragen. Zunächst wurden die einzelnen Vermögensposten unter den Eheleuten aufgeteilt. Julius schenkte sodann seiner 1905 geborenen einzigen Tochter Annemarie seine Wertpapiere. Annemarie hatte 1935 den "deutschblütigen" Carl Wolgast geheiratet. Die Übertragung war größtenteils als nachträgliche Mitgift deklariert und wurde von der Oberfinanzdirektion genehmigt. Außerdem vereinbarten die Eheleute Hirschfeldt im Februar 1943 Gütertrennung. Bei der vertraglichen Aufteilung des Vermögens wurden die verbleibenden Werte im Wesentlichen der Ehefrau zugeteilt.

Damit hatte Julius Hirschfeldt seine finanziellen Angelegenheit geregelt und allen Besitzansprüchen entsagt. Die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Fortleben hatte er verloren. Wenig später, am 4. Oktober 1943, nahm er sich das Leben.

Stand: September 2016
© Jürgen Kühling

Quellen: 1; 2; StaH: 231-7 Handelsregister B1955-335,314-15 Oberfinanzpräsident R1939/3054; 331-5 Unnatürliche Todesfälle 1205;351-11 Amt für Wiedergutmachung_1754 Hirschfeldt, Therese; 332-5 Personenstandsregister 8186 645/1943.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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