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Bereits verlegte Stolpersteine



Rudolf Lindau
Rudolf Lindau
© VVN/BdA

Rudolf Lindau * 1912

Wichernsweg 28 (Hamburg-Mitte, Hamm)


HIER WOHNTE
RUDOLF LINDAU
JG. 1912
VERHAFTET 20.10.1933
KZ FUHLSBÜTTEL
HINGERICHTET 10.1.1934

Weitere Stolpersteine in Wichernsweg 28:
Max Blaeser

Rudolf, "Rudi", Lindau, geb. 18.5.1912 in Hamburg, hingerichtet 10.1.1934 im Hamburger Untersuchungsgefängnis

Wichernsweg 28

Rudolf Ernst Lindaus Lebensweg war offenbar durch den seiner sozialistischen Eltern, Rudolf und Auguste Lindau, vorgezeichnet.

Rudolf Lindaus Vater war neun Jahre nach seiner Schwester Emma Friederike Sidonie, geb. 27.12.1879, als Paul Rudolf Lindau am 28.3.1888 in Riddagshausen bei Braunschweig geboren worden. Die Eltern waren der Sattlergeselle Hermann Wilhelm Otto Lindau und seine Ehefrau Henriette Dorothee Sidonie, geb. Rindermann. Auf seiner Wanderschaft als Sattlergeselle soll sich Friedrich Ebert, der spätere Vorsitzende der SPD und erste Reichspräsident Deutschlands, um 1890 auch bei ihnen aufgehalten haben, als er sich als politisch Verfolgter auf der Flucht vor der Polizei befand und häufig seinen Wohnsitz wechseln musste.

Auch Familie Otto Lindau blieb nicht an einem Ort. Sohn Rudolf wurde in Braunschweig eingeschult und besuchte danach eine Volksschule in Hildesheim. Die Eltern trennten sich.

Nach der Schulzeit arbeitete sich Rudolf Lindau vom einfachen Arbeiter zum Journalisten und Publizisten hoch. Seine politische Karriere begann er als Sechszehnjähriger, indem er der Gewerkschaft beitrat. Mit seinem Umzug nach Hamburg 1907 wurde er zugleich Mitglied der SPD und 1911 Redakteur bei deren Tageszeitung, dem "Hamburger Echo". Im selben Jahr verzeichnet das Hamburger Adressbuch ihn erstmals als "Sekretär" mit der Adresse Laufgraben 29, ebenso wie seine Mutter Sidonie. Dies blieb ihr einziger Eintrag im Hamburger Adressbuch. Rudolf Lindau zog dann zum Kämmererufer 4 in Winterhude.

Am 28. Februar 1912 heiratete Rudolf Lindau Auguste Frieda Wilhelmine Helms, geb. 15.11.1883 in Schwerin, aus der Weidestraße 67 in Barmbek-Süd. Als sein Beruf wurde auf der Urkunde "Berichterstatter" eingetragen, während Augustes Berufsangabe – Korbflechterin - fehlt. Sein Vater lebte zu der Zeit in Braunschweig. Bei der Trauung trat niemand aus den Familien als Zeuge auf.

Am 18.5.1912 wurde der einzige Sohn, Rudolf Ernst genannt Rudi, geboren. Er verbrachte seine Kindheit am Kämmererufer.

Rudolf Lindau wandte sich 1916 dem Spartakusbund zu. Am Ersten Weltkrieg nahm er lediglich in den beiden letzten Kriegsjahren teil. Als "Armierungssoldat", d.h. Soldat, der im rückwärtigen Raum für Befestigungs- oder Bauarbeiten eingesetzt war, stand er nicht an der Front. Während seiner Abwesenheit hielt seine Ehefrau Auguste Kontakt zur Zentrale des Spartakusbundes in Berlin.

Rudolf Lindau, der die illegale Jugendarbeit des Spartakus leitete, trat 1919 der neugegründeten KPD bei. Bei seiner journalistischen Tätigkeit wurde er unvermeidlich in die Richtungsstreitigkeiten der Linken einbezogen.

Bald nach der Rückkehr seines Vaters aus dem Krieg wurde Sohn Rudi in die achte Klasse der Volksschule in der Schleidenstraße in Barmbek-Süd eingeschult und schloss sich der sozialdemokratischen Kinderorganisation an. (Die damalige Jahrgangszählung begann bei Acht und ging bis Eins, woraus im Gymnasium die Prima wurde).

Rudolf Lindau wurde 1921 als Abgeordneter der KPD in die Hamburger Bürgerschaft gewählt. Die Familie zog etwa zur gleichen Zeit in das "rote" Barmbek-Süd in die Friedrichsbergerstraße 43. Als Nachrücker sollte Rudolf Lindau später in den Reichstag einziehen, kam aber stattdessen als Mitglied des Zentralrats der KPD, die nach den Aufständen im Oktober 1923 verboten wurde, im Mai 1924 in Untersuchungshaft.

Ohne angeklagt zu sein, wurde er nach eineinhalb Jahren Ende 1925 entlassen und stand als geschiedener Mann da: Am 30. Oktober 1925 war die Ehe rechtskräftig geschieden worden.

Rudolf Lindau kehrte zu seiner journalistischen Tätigkeit und 1926/27 noch einmal als Abgeordneter in die Bürgerschaft zurück.

Mit zwölf Jahren begann Sohn Rudi in sozialdemokratischen Jugendgruppen aktiv zu werden und trat danach in den Jung-Spartakusbund ein. Er schloss Ostern 1927 seine Volksschulausbildung mit der ersten Klasse ab und begann eine Lehre als Zementfacharbeiter bei der Firma Dyckerhoff & Widmann. Zur gleichen Zeit wechselte er in den "Kommunistischen Jugendverband Deutschland" (KJVD) und betätigte sich bald dort als Funktionär. Nach Abschluss seiner Ausbildung arbeitete er bis Mitte 1932 bei seiner Lehrfirma.

Das Hamburger Adressbuch von 1929 verzeichnet Auguste Lindau mit der Berufsangabe "Korbflechterin", im Wichernsweg 28 Hs 2 Nr. 4, in der unmittelbaren Nachbarschaft von Max Blaeser und seiner Familie. (s. www.stolpersteine-hamburg.de)

Im KJV in Eilbek hatten sich Rudi Lindau und Liselotte Schlachcis (s. www.stolpersteine-hamburg.de), die jüdischer Herkunft war, kennen gelernt und sich verlobt. Beide arbeiteten als Jugendfunktionäre und traten 1932 der KPD bei, er mit knapp 20, sie mit 22 Jahren. Sie zogen gemeinsam nach Barmbek. Später nahm Rudi Lindau aus konspirativen Gründen nicht weit entfernt von Max Blaeser ein Zimmer im Kentzlersweg 17, während Liselotte vorübergehend auch in den Wichernsweg 28 zog.

Als die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen SA und Kommunisten zunahmen, bildeten Jugendfunktionäre in verschiedenen Stadtteilen Jugend-Selbstschutz-Gruppen. Rudi Lindau wurde in der Schutzorganisation der KPD Wasserkante aktiv, die bei Demonstrationen und Versammlungen für den Schutz des KPD-Parteihauses am Valentinskamp zuständig war. Er nahm an militärischen Schulungen teil und wurde selbst Ausbilder.

Für die gewalttätige Auseinandersetzung mit der SA fehlte es den Selbstschutzgruppen an Waffen. Wenn kein Geld für den Kauf vorhanden war, mussten sie jemandem entwendet werden. Auch daran beteiligte sich Rudi Lindau. Offenbar versuchte er am späteren Abend des 27. August 1931 in der Chateauneufstraße in Hamburg-Hamm -zusammen mit Albert Malachowski (s. www.stolpersteine-hamburg.de) und Friedrich Winzer- einen Polizisten zu entwaffnen. Als ihnen das misslang, flohen sie.

Vierzehn Tage später, am 10./11. September 1931, klebte Rudi Lindau an der Ecke Kant- und Schellingstraße in Eilbek Wahlplakate der KPD. Dabei wurde er verhaftet. Da er ein Dolchmesser bei sich trug, lautete die Anklage nicht nur auf illegales Plakatieren (Geldstrafe von 20 RM, ersatzweise fünf Tage Gefängnishaft), sondern auch auf Waffenmissbrauch (drei Monate Gefängnis). Hinzu kam, dass er die Verfahrenskosten übernehmen musste.

Am 27. Januar 1932 wurde er aus der Haft entlassen und verlor seinen Arbeitsplatz. Er fand bei der Firma Holzmann eine neue Anstellung als Eisenflechter, die er jedoch bald wieder verlor.

Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, nahmen sie die Verfolgung von vermeintlichen oder tatsächlichen Straftaten aus der Zeit der Weimarer Republik auf, die sich gegen sie gerichtet hatten bzw. die sie so einschätzten. Der bekannteste dieser Fälle betraf den "Altonaer Blutsonntag" (siehe als Beispiel Karl Wolff www.stolpersteine-hamburg.de).

Am 26. Oktober 1933 wurde Rudi Lindau in der Wohnung von Liselotte Schlachcis festgenommen. Nach Verhören bei der Staatspolizei wurde er in das Kola-Fu überstellt. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn des "gemeinschaftlichen Mordes" an dem Polizisten Perske Ende August 1931 an.

Wie aus dem späteren Gerichtsverfahren hervorgeht, war der Tatbestand folgender: Er habe am 27. August 1931 mit zwei anderen dem auf dem Weg zum Dienst befindlichen Polizeimeister Perske die Dienstwaffe abgenommen. Er solle dem Polizisten zugerufen haben: "Hände hoch". Als dieser sich umdrehte und anscheinend nach seiner Pistole greifen wollte, habe Rudolf Lindau laut Aussage entgegen seiner Absicht geschossen. Polizeimeister Perske wurde durch einen Bauchschuss schwer verletzt. Er starb am 31. August 1931 im Krankenhaus.

Das Hanseatische Sondergericht bezeichnete in seinem Urteil vom 30. Dezember 1933 als Motiv der Tat die Absicht, "sich möglichst viele Waffen zur Vorbereitung der Machtübernahme [durch die Kommunisten] zu beschaffen." Weiter heißt es dort: "Diese Pläne wurden auch in der J.S.S.-Gruppe von Lindau erörtert, die nur zum Teil bewaffnet war und eine vollständige Bewaffnung anstrebte. Man sprach zunächst von Ankäufen, kam dann aber, weil kein Geld vorhanden war, auf den Gedanken der Entwaffnung von Polizeibeamten."

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Rudolf Ernst Lindau, Friedrich Winzer und Albert Malachowski körperliche Gewalt anwenden bzw. auch hätten töten wollen, denn sie seien bewaffnet gewesen. Den Angeklagten Malachowski und Winzer konnte zwar eine Teilnahme an der Ausführung des Überfalls nicht nachgewiesen werden, wohl aber die Teilnahme an vorangegangenen Besprechungen über die Pläne. Sie wurden am 30. Dezember 1933 vom Hanseatischen Sondergericht wegen Landfriedensbruchs und gemeinschaftlich begangenen Mordes zu vier Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt.

Das Hanseatische Sondergericht verurteilte Rudi Lindau am 30. Dezember 1933 zum Tod.

Über Abschiedsbriefe ist nichts bekannt. Ein Gnadengesuch wurde "wegen der Gemeingefährlichkeit seiner Tat" abgelehnt.

Rudolf Ernst Lindau, noch nicht 22 Jahre alt, wurde am 10. Januar 1934, 7 Uhr, im Hof des Untersuchungsgefängnisses Hamburg am Holstenwall im Beisein von 16 Zeugen mit dem Fallbeil enthauptet.

Im Amtlichen Anzeiger vom 12. Januar 1934, Nr. 10 S. 41, erschien die übliche öffentliche Bekanntmachung, außerdem wurden 30 großformatige rote Plakate ausgehängt.

Rudolf Ernst Lindaus Leichnam wurde in Ohlsdorf eingeäschert, die Urne der Mutter übergeben und am 19. Februar 1934 bei Kapelle 13 beigesetzt. (Das Grab wurde Ende der 1940er Jahre aufgelassen.)

Am 10. Mai 1964 wurde ein Gedenkstein in Erinnerung an Rudolf Ernst Lindau im Ehrenhain der Widerstandskämpfer auf dem Ohlsdorfer Friedhof enthüllt

Vater Paul Rudolf Lindau emigrierte Ende Februar 1934 in die UdSSR. Ob es nur einen zeitlichen oder auch einen kausalen Zusammenhang gab, ließ sich nicht klären. Er überlebte die stalinistischen Säuberungen, kehrte nach Deutschland in die sowjetische Besatzungszone zurück und starb am 18. Oktober 1977 in Ost-Berlin.
Todesdatum und -ort der Mutter Auguste Lindau sind uns nicht bekannt.

Stand: August 2021
© Hildegard Thevs

Quellen: AB; StaHH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, AO1950/32, L0004/38 (Rudolf Lindau und andere), 50874, 76292; 241-1 I, 2542; 241-1, Justizverwaltung, 2542; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Abl. 13, U-Haft, Abl. 16; 332-5 Standesämter 1023-10/1934; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 36590; Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, Archiv, 11/306 (Nachlass Walter Bunge); VVN-Hamburg, Archiv; Hochmuth, Ursel: Ehrenhaingedenkbuch; https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/rudolf-lindau; https://www.dhm.de/lemo/biografie/friedrich-ebert; https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Lindau_(Politiker), Aufrufe 22.7.2021; persönliche Mitteilungen von Angehörigen (Birte Green).

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