Namen, Orte und Biografien suchen
Bereits verlegte Stolpersteine
Suche
Sulamith Starke * 1924
Grindelhof 43 (Eimsbüttel, Rotherbaum)
HIER WOHNTE
SULAMITH STARKE
JG. 1924
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET
Weitere Stolpersteine in Grindelhof 43:
Salomon Ceslanski, Henriette Ceslanski, Rita Ceslanski, Artur Schickler, Ruth Starke, Irene Starke, Vera Starke
Ruth Bertha Starke, geb. Speyer, geb. am 8.7.1897 in Hamburg, am 12.2.1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, ermordet
Irene Antoinette Starke, geb. am 14.2.1937 in Hamburg, am 12.2.1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, ermordet
Sulamith Starke, geb. am 18.5.1924 in Hamburg, am 12.2.1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, ermordet
Vera Else Dorothea Lea Starke, geb. am 19.1.1928 in Hamburg, am 12.2.1943 nach Berlin deportiert, von dort am 19.2.1943 in das Vernichtungslager Auschwitz, ermordet am 8.3.1943
Grindelhof 43
Ruth Starkes Ehemann Martin Starke war als Sohn des jüdischen Ehepaars Carl und Cerline Starke, geborene Blättner, in Harburg zur Welt gekommen. Nach der Volksschule besuchte er bis zu seinem 14. Lebensjahr die Mittelschule und fing zu Beginn des Ersten Weltkrieges eine Lehre als Bau- und Kunstglaser an. Von Januar 1916 bis Mai 1919 war er Soldat und kehrte mit Verdienstorden aus dem Krieg zurück. Es folgten drei Jahre als Streckenarbeiter bei der Reichsbahn, wo er eine Ausbildung zum Weichensteller machte. 1922 trat er in das Geschäft seines zukünftigen Schwiegervaters ein, der eine Staatslotterie-Kollekte führte. Im selben Jahr heiratete Martin Starke die Hamburgerin Ruth Bertha Speyer, mit der er drei Töchter hatte: 1924 wurde Sulamith, 1928 Vera und 1937 Irene Antoinette geboren. 1935 bekam seine Freundin Käthe Goldschmidt einen unehelichen Sohn von ihm. Martin Starke war inzwischen als selbstständiger Handelsvertreter tätig. Seit Anfang 1930 arbeitete er als Warenverteiler bei der Firma Theodor Clasen in Hamburg. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde jedoch sein Verdienst gekürzt, er selbst im Mai 1934 wegen seiner Zugehörigkeit zum sozialdemokratisch orientierten Reichsbanner und aus "rassischen" Gründen entlassen. Die Familie lebte zu der Zeit im "jüdischen Viertel" am Grindel; Martin Starkes Kultussteuerkarte bei der Jüdischen Gemeinde verzeichnete ihn mit Adressen im Grindelhof 43, in der Hartungstraße, in der Schlüterstraße 80 und in der Rutschbahn 26.
Als Jude und politischer Gegner des "Dritten Reiches" blieb er arbeitslos, bis er im November 1935 eine Stelle als Hauswart im Verwaltungsgebäude des Jüdischen Religionsverbandes Hamburg in der Beneckestraße 2 annahm, wo Familie Starke Mitte 1935 eine Kellerwohnung bezog. Wie viele jüdische Männer wurde er im Zuge der Pogromnacht verhaftet und saß vom 10. November 1938 bis 8. Januar 1939 im Konzentrationslager Sachsenhausen ein.
Im Oktober 1941 begann die systematische Deportation der Hamburger Juden in den Osten. Als Hausmeister und Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde war Martin Starke bei den Großtransporten anwesend und organisatorisch maßgeblich beteiligt an der Ausstattung der Deportationszüge mit Matratzen, Eimern und Kannen für Trink- und Waschwasser, mit Hygieneartikeln und Medikamenten, und sorgte für die Ausrüstung der Transporte mit Lebensmittelpaketen.
Am 4. November 1942 wurde er denunziert. Nach der Schilderung seines Sohnes hatte er nachts gegen die Vorschriften das "jüdische Viertel" verlassen, ein Motorrad gestohlen, war in die Harburger Berge gefahren und hatte dort Wild geschossen, wie er es schon öfter getan hatte, um sich und Freunde mit Fleisch zu versorgen. Auch in Geschäften und Milchläden hatte er schon mal Lebensmittel für sich und jüdische Freunde entwendet.
Bis zum 4. Februar 1943 saß Martin Starke im Konzentrationslager Fuhlsbüttel ein. Von dort wurde er am 5. Februar 1943 über Berlin, wo er 16 Tage in Quarantäne verbrachte, Breslau, Oppeln und Bromberg nach Auschwitz transportiert. Wie er dort von einem Mithäftling erfahren musste, hatte man seine Familie am 12. Februar aus dem "Judenhaus" Beneckestraße 2 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Seine Frau und seine sechsjährige Tochter Irene Antoinette waren unmittelbar nach der Ankunft für die Gaskammern selektiert worden. Die Töchter Sulamith und Vera gingen zu Fuß in das Frauenlager Birkenau. Er stellte Nachforschungen an, doch auch sie sollte er nie mehr wiedersehen.
Vor dem Amt für Wiedergutmachung berichtete Martin Starke nach dem Krieg nur knapp von Misshandlungen in Auschwitz wie "Stockhiebe, Pfahlhängen, Stehbunker, Hundehütte, Stöße vor den Leib, Ohrfeigen täglich und vieles andere". Genauer beschrieb er die "Hölle" Auschwitz 1947 in einem Bericht für Freunde und Bekannte in Südamerika. Er überlebte Zwangsarbeit in verschiedenen Arbeitskommandos, "schlimmer als Sklavenarbeit in den dunkelsten Tagen der Sklaverei", er baute mit an den Krematorien und Lagern von Auschwitz-Birkenau. "Hier hat man fast geglaubt, es gibt keinen Gott, etwas Schlimmeres kann nicht gedacht werden."
Als heimlicher Augenzeuge erlebte er eine Massenerschießung im Winter 1944, als ein Transport dem anderen folgte. Häftlinge hatten außerhalb des Lagers lange Gräben ausheben müssen. "Nun kam das Grauen. Vom Dach eines Krematoriums, auf dem ich noch mit zwei Kameraden arbeitete, sah ich, was mir unauslöschlich im Gedächtnis haften blieb. Männer, Frauen und Kinder mussten sich in der Eiseskälte nackt ausziehen und wurden mit Lederpeitschen in die Gräben gejagt und dann mit Maschinengewehren von der SS erschossen. Wie die Menschen fielen, ob tot oder verwundet, man warf sie in die Gruben und bedeckte sie mit den harten Erdschollen. Als alles vorüber war, hob und senkte sich der Boden über den Begrabenen. Es lebten noch sehr viele."
Martin Starke überlebte die Zwangsarbeit in Buna, dem Arbeitslager der IG-Farben-Werke, überlebte die Bombenangriffe der Russen, entging nach einem missglückten Fluchtversuch nur knapp seiner Hinrichtung, weil er einem Untersturmführer bei einer Bombardierung das Leben gerettet hatte. Er überlebte auch die Strafkompanie im polnischen Bergwerk Fürstengrube, den Todesmarsch nach Gleiwitz nach der Räumung des Lagers am 17. Februar 1945 und die anschließende zweiwöchige Irrfahrt mitten im Winter auf offenen Kohlewaggons durch Deutschland, Österreich und die Tschechoslowakei bis nach Berlin, den Transport nach Flossenbürg bei Bayreuth, das Arbeitskommando in Plattling in Niederbayern und einen weiteren Todesmarsch in Richtung Österreich, bis er nahe der österreichischen Grenze von den Amerikanern befreit wurde.
"Frei!!! Aber ich habe es erst viel später begriffen. Es gab Zigaretten – ein lang entbehrter Genuss für uns. Mit der Truppe war das Sanitätspersonal gekommen. Die Kranken, darunter auch ich, kamen auf die Wagen und wurden – ins Paradies gefahren. Auf einer Wiese im Schnee war ein großes Zelt aufgebaut. Saubere, weißbezogene Betten standen da. Benzinöfen strahlten wohlige Wärme aus, wir wurden ,Sie‘ genannt. Die schmutzige, verlauste Häftlingskleidung fällt. Ein nackter hilfloser Mensch wird von zart zufassenden Händen in ein laues Bad, in eine Gummiwanne gesetzt, und wie ein Baby gebadet, sanft frottiert, mit einem Handtuch bekleidet und in ein weißes Bett gelegt. Ein Arzt kommt, ein kaum fühlbarer Stich und schon versinkt alles in einem Nebel. Wie lange ich dieses erste Mal seit Jahren so entspannt und befreit geschlafen habe, weiß ich nicht. Als erste Nahrung nach dem Erwachen bekam ich eine Schnitte geröstetes Weißbrot. Langsam durften wir essen. Langsam musste jeder Bissen zerkaut werden. Dann wurden wir gewogen. Ich wog 35 kg bei einer Länge von 1,85 m. Wer das nicht gesehen hat, glaubt es nicht. In den ersten Tagen wurde geschlafen, immer nur geschlafen. So haben wir, die Letzten von Buna, unsere Freiheit und allmählich das Leben wiedergewonnen."
Nach dem Aufenthalt im Lazarett einer amerikanischen Einheit folgte der Rückmarsch nach Hamburg, wo Martin Starke Mitte Juni 1945 eintraf. Ab 1947 lebte er in Groß Flottbek und war als Angestellter bei verschiedenen Behörden und schließlich beim Bezirksamt Altona für die Wohnungsabteilung Blankenese tätig. 1948 und 1949 war er Zeuge in Verfahren gegen Gestapobeamte, er sagte im Auschwitz-Prozess in Dortmund aus. 1950 heiratete er Käthe Goldschmidt, die das Getto Theresienstadt überlebt hatte, und lebte mit ihr, ihrem gemeinsamen 1935 geborenen Sohn Pit Goldschmidt und seiner Schwägerin Erna Goldschmidt in der Grottenstraße 9 in Othmarschen. Er litt unter Herzproblemen, eine Folge der 44 Monate langen Haftzeit in den Konzentrationslagern. Am 11. März 1957 starb er im Alter von 58 Jahren.
Stand: Juli 2017
© Birgit Gewehr
Quellen: 1; 4; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 22550 (Starke, Martin); Starke: Bericht, S. 124ff.; Gespräch mit Pit Goldschmidt, 7.10.2007.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".