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Bereits verlegte Stolpersteine



Ilse Angelika Schultz * 1940

Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


ILSE ANGELIKA
SCHULTZ
GEB. 27.9.1940
ERMORDET 23.9.1944

Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Andreas Ahlemann, Rita Ahrens, Ursula Bade, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Helga Deede, Jürgen Dobbert, Anneliese Drost, Siegfried Findelkind, Rolf Förster, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Renate Pöhls, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Brunhild Stobbe, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft

Kinderkrankenhaus Rothenburgsort

Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.

Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:

In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.



Weitere Informationen im Internet unter:

35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009

Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009

Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009

Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009

35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009


Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt

Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999

Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010

Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
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Ilse Angelika Schultz, geb. 27.9.1940 in Hamburg, ermordet am 23.9.1944

Wilhelm Bayer rechtfertigte die Tötung von Ilse Angelika später so: "Für das Kind wäre ein weiteres Leben eine Fortsetzung von Qualen gewesen, wenn man das Schreien als Ausfluss von Schmerz und Unlust deutet. Für die Umgebung wäre das Kind eine dauernde Quelle von tiefer Bedrückung und hoffnungsloser materieller und seelischer Belastung gewesen."

Ilse Angelika Schultz kam zwei Jahre nach ihrer Halbschwester B. zum errechneten Geburtstermin im Hause ihrer Eltern zur Welt, die Geburt verlief ohne offenkundige Komplikationen, dauerte aber zwei Tage.

Nach eineinhalb Jahren machten sich Entwicklungsstörungen bemerkbar. Deshalb suchte die Mutter mehrere Privatärzte auf. Auf Veranlassung von Dr. Bach kam Ilse Angelika zur Beobachtung etwa im Oktober 1942 für zwei Wochen in das Universitätskrankenhaus Eppendorf. Über die Ergebnisse und Ilse Angelikas Ergehen bis Anfang 1943 ist uns nichts bekannt. Der Arzt hielt nach einer neuerlichen Untersuchung Ilse Angelikas Aufnahme "wegen Schwachsinn (durch Geburtstrauma?)" in den damaligen Alsterdorfer Anstalten für nötig. Die Mutter brachte ihre Tochter am 3. März 1943 dorthin, wo sie auf der Kinderkrankenstation aufgenommen wurde.

Sie war eine zarte Eineinhalbjährige, die bei einer Körpergröße von 80 cm 10,2 kg wog. Mit ihrem "schmalen, niedlichen Kindergesicht und blauen Augen" nahm sie das ärztliche und pflegerische Personal sehr für sich ein, war jedoch selbst nicht in der Lage, irgendwelchen Kontakt mit der Umwelt aufzunehmen. Sie lebte in ständiger Unruhe und schrie fast ununterbrochen. Nach einer Woche wurde Ilse Angelika auf die Abteilung 30 verlegt. Dort verbrachte sie drei Monate. Zu Pfingsten holte ihre Mutter sie auf eigenen Wunsch und "gegen Revers" wieder nach Hause, weil ihr "der Aufenthalt des Kindes zwischen den Idioten in der Anstalt Alsterdorf nicht passte", wie sie später sagte. Ilse Angelika stammte aus einer "gesunden" Familie, wie die erbgesundheitliche Untersuchung durch Gerhard Kreyenbaum bestätigt hatte.

Im Frühjahr 1943 zog die Familie zum Schwanenwik 40 in die Nachbarschaft von Wilhelm Bayer, im Juni kam Ilse Angelika in das neue Zuhause. Die Mutter suchte den Nachbarn mit ihrer Tochter auf. Bayer verschrieb Tabletten gegen das Schreien.

Da Ilse Angelika vollkommen hilflos war und die Mutter sich durch ihre Pflege überfordert fühlte, bat sie Bayer, ihre Tochter wieder in die damaligen Alsterdorfer Anstalten einzuweisen. Mit Schreiben vom 25. August 1944 erteilte ihr Gerhard Schäfer ausnahmsweise die Genehmigung zur Wiederaufnahme. Ilse Angelikas Eltern folgten dem nicht, wahrscheinlich, weil Bayer ihnen das Angebot gemacht hatte, selbst an Ilse Angelika noch einen Versuch vorzunehmen und "das Gehirn durchzublasen". Bei dieser Behandlung, so Bayer, ginge es um Leben und Tod, und sie setze die Aufnahme im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort voraus.

Am 28. August 1944 brachte die Mutter ihre fast vier Jahre alte Tochter dorthin. Sie wurde "zu vier oder fünf anderen Kindern, die geistig nicht normal waren, im Zimmer in der Realschule gleich unten im Erdgeschoss, erstes Zimmer rechts" gelegt, wie sich die Mutter später erinnerte. Die Diagnose lautete "Krampfzustand bei Hirnanomalie".

Ilse Angelika erhielt Beruhigungsmittel und verbrachte bis zu ihrem Tod täglich zehn Stunden im Bunker. Ob diese Maßnahme überhaupt einen Effekt hatte, scheint nie kontrolliert worden zu sein. Eine Röntgenuntersuchung des Schädels und des Wirbelkanals ergab eine erhöhte Flüssigkeitsansammlung in den Hirnkammern, Zeichen eines "inneren Wasserkopfes". Vermutlich fasste die Mutter diese Encephalo- und Myelographien (s. Erläuterungen) mit dem Begriff "Gehirn durchblasen" zusammen.

Die "Genehmigung zur Behandlung" durch den "Reichsausschuss" lag bereits vor, als Lotte Albers am 5. September 1944 ein entsprechendes Meldeformular ausfüllte. Bayer hatte sie beantragt, seine Diagnose lautete "Idiotie Hydrocephalus", zwei der vorrangig meldepflichtigen Leiden. Die Kontrolluntersuchungen gingen in die Tötung Ilse Angelikas über. Lotte Albers gab ihr eine höhere Dosis Luminal als sonst, woran sie am 23. September 1944 starb. Ilse Angelika Schultz befand sich bis dahin knapp vier Wochen im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort. Sie wurde vier Jahre alt.

Ihr Vater nahm die Anzeige beim Standesamt Billbrook vor, das an die Stelle des Rothenburgsorter getreten war. Im Sterberegister wurden als Todesursachen "Cerebrale Anomalie, Atemlähmung" eingetragen.

Als Ursache ihrer Behinderung ist eine Schädigung während der Geburt anzunehmen.

© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, 2787; StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht – NSG, 0017-001; 332-5 Standesämter 1237+232/1944; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 63 UA 1.

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