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Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Dr. Gerhard Lassar
Dr. Gerhard Lassar
© StaH

Gerhard Lassar * 1888

Edmund-Siemers-Allee 1 (Hauptgebäude Universität Hamburg) (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER LEHRTE
GERHARD LASSAR
JG. 1888
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
6.1.1936

Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Edmund-Siemers-Allee 1 (Hauptgebäude Universität Hamburg):
Raphael Broches, Ernst Delbanco, Friedrich Geussenhainer, Hedwig Klein, Agathe Lasch, Hans Konrad Leipelt, Reinhold Meyer, Martha Muchow, Kurt Perels, Margaretha Rothe

Gerhard Lassar, geb. am 16.2.1888 in Berlin, gestorben durch Suizid am 6.1.1936 in Berlin

Brahmsallee 39 (Werderstraße 17)

"Gedemütigt, entrechtet – Flucht in den Tod" steht auf dem Stolperstein für Gerhard Lassar vor dem Haus Brahmsallee 39. Dieser hatte dort gewohnt, bis er kurz vor seinem Tode nach Berlin-Charlottenburg umzog. Denselben Text trägt ein weiterer Stolperstein, den die Universität Hamburg vor ihrem Hauptgebäude Edmund-Siemers-Allee 1 verlegt hat. Die Todesanzeige seiner Witwe Margarete (Gretchen) Lassar, geb. Küller, vom 6. Januar 1936 enthielt jedoch keinen Hinweis auf eine Flucht in den Tod: "Nach kurzer schwerer Krankheit ist heute mein Mann Prof. Dr. Gerhard Lassar von uns gegangen", hieß es dort. Inzwischen steht fest: Gerhard Lassar hat sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben genommen. Der befreundete Hausarzt gab im Totenschein auf Bitten der Witwe eine Fischvergiftung als Todesursache an. Die Version einer "kurzen schweren Krankheit" wurde auch in der Familie für bare Münze genommen, mal war von Kinderlähmung, mal von einer Fischvergiftung die Rede. Einem Freund der Familie, Arnold Köster, sagte Grete Lassar jedoch die Wahrheit. Sie habe um ihre Witwenpension gebangt und wohl auch den gesellschaftlichen Makel vermeiden wollen, der damals noch stärker als heute mit dem Suizid verknüpft war.

Gerhard Lassar war am 16.2.1888 in Berlin als Sohn des bekannten jüdischen Dermatologen Professor Oscar Lassar geboren worden, der dort eine Privatklinik eröffnet hatte. Er war evangelisch, aber wann er getauft wurde, ist nicht bekannt. Sein Großvater, Diodor Lassar, war Kaufmann in Hamburg. Nach Gerhards Geburt zog die Familie nach Hamburg um. Gerhard machte 1907 dort am Wilhelm-Gymnasium sein Abitur, studierte bis 1911 Jura in Freiburg und Berlin und leistete dort bis 1914 seinen juristischen Vorbereitungsdienst (Referendariat) ab.

Am Ersten Weltkrieg nahm er von 1914 bis 1918 als Frontkämpfer teil und erhielt mehrere Auszeichnungen: Das Eiserne Kreuz 1. und 2. Klasse, das Hanseatenkreuz und das Schwarze Verwundetenabzeichen. Er war Führer einer Gefechtsstaffel, dann Artilleriebeobachter bei Infanterietruppenteilen, später Kompanieführer. Im März 1919 kämpfte er gegen die Spartakisten in Berlin und Lichtenberg, also wohl im Freicorps Reinhard (benannt nach Wilhelm Reinhard, General der Infanterie, späteren SS-Obergruppenführer und Reichsführer des NS-Kriegerbundes).

Nach dem Kriege lebte Gerhard Lassar zunächst in Berlin. Seine "arische" Frau Margarete (Gretchen), geb. Küller, war Sängerin. Sie wurde am 4.3.1885 in Graefrath, Kreis Solingen, geboren. Auch über Gerhards Tod hinaus pflegte sie enge verwandtschaftliche Beziehungen zur Familie des in Hamburg lebenden Vetters ihres Mannes, dem jüdischen Oberlandesgerichtsrat Arthur Goldschmidt, ungeachtet seiner rassischen Verfolgung. Dessen Enkel, der pensionierte Hamburger Leitende Senatsdirektor Detlef Landgrebe, erinnerte sich an sie als seine "reizende Patentante". In seinem Erinnerungsbuch "Kückallee 37" berichtete er über eine schwere Erkrankung im Frühjahr 1944: "Meine Patentante Margarete Lassar, Witwe des jüdischen Juristen Dr. Gerhard Lassar, eines Vetters zweiten Grades, sorgte dafür, dass meine Eltern mich im Krankenhaus Anscharhöhe an der Tarpenbeckstraße in Hamburg für zwei Monate unterbringen konnten. Trotz meines Status als Mischling ersten Grades gab es bei der Aufnahme keine Schwierigkeiten …" Nach dem Kriege zog Gretchen zu ihrer Schwester nach Düsseldorf und arbeitete dort als Altistin.

Die am 16. September 1913 geschlossene Ehe blieb kinderlos. 1921 adoptierte das Ehepaar das Kriegswaisenkind Herwarth Grieske, geboren am 4.6.1916. Er wurde 1937 zum Heeresdienst einberufen, erhielt aber Urlaub für sein Medizinstudium, das er mit einer Promotion abschloss. Bei Kriegsende war er Leutnant im Sanitätsdienst. Später emigrierte er in die Vereinigten Staaten.

Gerhard Lassar verfolgte zielstrebig und höchst erfolgreich eine akademische Karriere als Rechtswissenschaftler. Er promovierte 1918 während eines Verwundetenurlaubs an der Berliner Universität mit einer Dissertation über Grundbegriffe des preußischen Wegerechts. Zwei Jahre später folgte die Habilitation mit einer Studie über den "Erstattungsanspruch im Finanz- und Steuerrecht". Bis 1925 lehrte er als Privatdozent an der Universität Berlin in den Fächern Verwaltungs- und Steuerrecht, daneben auch Staatsrecht, außerdem gab er Vorlesungen zur Einführung in die Rechtswissenschaft. Nebenher war er ein Jahr lang wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Reichsfinanzministerium (1921–1922). Im Sommersemester 1922 führte er zusätzlich einen Lehrauftrag an der Universität Münster aus. 1926 erhielt er ein planmäßiges Extraordinariat an der Universität Hamburg. In dieser Position wurde er zum Jahresende 1933 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Ruhestand versetzt.

Gerhard Lassar war in der Weimarer Zeit ein prominenter Jurist. Seine Forschungsschwerpunkte waren das Verwaltungsrecht und das allgemeine Staatsrecht, daneben befasste er sich auch literarisch mit dem englischen Arbeitsrecht und der Juristenausbildung. Die von ihm zusammen mit Bill Drews verfasste Erläuterung des Allgemeinen Polizeirechts blieb bis weit in die Nachkriegszeit hinein das Standardlehrbuch. In den seit 1933 erschienenen Auflagen wurde es von namhaften Bearbeitern weitergeführt, zuletzt 1986 in neunter Auflage (Drews/Wacke/Vogel/Martens, "Gefahrenabwehr: Allgemeines Polizeirecht ,Ordnungsrecht‘ des Bundes und der Länder"). In seiner Habilitationsschrift engagierte Lassar sich für einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei ungerechtfertigten Vermögensverschiebungen zwischen Bürger und Staat. Außerdem setzte er sich für eine Verbesserung des Rechtsschutzes gegen staatliches Verwaltungshandeln ein. Die aus einer rechtstaatlichen Grundauffassung abgeleiteten Thesen nahmen die heutige Rechtslage weitgehend vorweg. Auch seine Forderung nach einer angemessenen Berücksichtigung des Verwaltungsrechts in der Referendarausbildung ist längst realisiert. Sein vielseitiges und auch staatspolitisch engagiertes wissenschaftliches Werk wurde 1958 in Nachrufen aus Anlass seines 70. Geburtstags von zwei bekannten Hochschullehrern – Friedrich Schack und Gerhard Wacke – höchst anerkennend gewürdigt. Beide zeichneten das Bild eines "vielseitig tätigen Gelehrten". Hervorgehoben wurde auch sein "reizendes Verhältnis zu den Studenten". Diese veranstalteten im Juni 1933 Kundgebungen zu seinen Gunsten, die sie erst einstellten, als er sie darum bat.

Ein Schlaglicht auf Lassars Charakter und sein hohes berufliches Ethos werfen zwei Reaktionen auf Angebote zur Aufwertung seiner akademischen Karriere: Den Ruf auf ein planmäßiges Ordinariat in Greifswald lehnte er ab, weil diese Position mit der Ernennung zum Mitglied des juristischen Prüfungsausschusses "auf jederzeitigen Widerruf" verbunden war und dies mit der akademischen Lehrfreiheit nicht im Einklang stehe. Außerdem verbat er sich die geplante Umwandlung seines außerplanmäßigen Lehrstuhls in ein volles Ordinariat, weil nach der von ihm immer vertretenen Auffassung in der bestehenden Notzeit keine vorhandenen Stellen in höherwertige umgewandelt werden dürften.

Lassars Lebensbild erklärt seine in den Suizid führende Verzweiflung über den Verlust der akademischen Stellung und den damit verbundenen Ausschluss aus dem Kreis der rechtspolitischen und juristischen Gelehrten. Die Inschrift des Stolpersteins, "Gedemütigt, entrechtet, Flucht in den Tod" ist eine zutreffende Deutung seines Endes.

Am Tage nach seinem Tod erhielt er, wie wir von Wacke erfuhren, einen Ruf an die London School of Economics. Wacke, der noch von einer tödlichen Erkrankung Lassars als Todesursache ausging, meinte, er wäre ihm wohl gefolgt. Das ist indes unwahrscheinlich, denn dieser Ruf war ihm schon vorher angekündigt worden, und bei einem Besuch in England 1935 hatte er es trotz des Drängens seiner Freunde abgelehnt, dort zu bleiben und sich um eine Professur in England oder im Commonwealth zu bemühen, was nicht aussichtslos gewesen wäre. Köster, dem wir diese Information verdanken – ihn hatte Lassar damals in England besucht –, meinte dazu: "Sein Stolz als Angehöriger einer bedeutenden, seit Generationen in Deutschland ansässigen Familie und als hochdekorierter Offizier des Ersten Weltkrieges konnte nicht ertragen, Deutscher zweiter Klasse zu sein."

Stand: September 2016
© Jürgen Kühling

Quellen: StaH: 351-11 Amt für Wiedergutmachung -7650, 361-6 Personalakte Gerhard Lassar _ IV 1201; Friedrich Schack "Gerhard Lassar", Archiv für öffentliches Recht - AöR - 1958, S. 379ff.; Hamburgische Biografie, Band 6, S. 181–183; Gerhard Wacke, "Dem Gedächtnis an Gerhard Lassar", Juristenzeitschrift - JZ - 1958, S. 761f.; Dr. Arnold Köster, Brief vom 12.10.1988 an Dr. Michael Grüttner, TU Berlin; Detlev Landgrebe, Brief vom 4.2.2011 an Dr. Eckart Krause Universität Hamburg – Hamburger Bibiliothek für Universitätsgeschichte; ders., "Kückallee 37", S. 159; Adressbuch Hamburg 1934 (Online-Zugriff am 4.6.2014).

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