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Hjalmar Vierarm * 1902

Oelkersallee 25 (Altona, Altona-Nord)


HIER WOHNTE
HJALMAR VIERARM
JG. 1902
VERHAFTET 1935
NEUENGAMME
AUSSENLAGER
SALZGITTER-WATENSTEDT
ERMORDET 7.4.1945

Weitere Stolpersteine in Oelkersallee 25:
Franziska Starken

Hjalmar Louis Max Vierarm, geb. am 7.9.1902 Altona, gestorben am 7.4.1945 im KZ Neuengamme, Außenlager Salzgitter-Watenstedt

Oelkersallee 25 a/b

Hjalmar Vierarm wurde 1902 im 2. Stock der Kleinen Papagoyenstraße 27 in der Altonaer Altstadt geboren. Er war der Sohn des Zigarrenmachers Max Vierarm und dessen Frau Maria, geb. Schostack, und wurde evangelisch-lutherisch getauft. Nach der Scheidung der Eltern wuchs der Sohn bei Pflegeeltern auf. Während der Vater später in der Hamburger Hopfenstraße lebte, verzog die Mutter als neu verheiratete Pallesen nach Dänemark.

Auch wenn Hjalmar Vierarm in einem 1944 verfassten Lebenslauf betonte, "gute Pflegeeltern gehabt" zu haben und "immer in Stellung und Arbeit" gewesen zu sein, so erlernte er doch nach dem Besuch der Volks- und Hilfsschule keinen Beruf, sondern schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und erhielt in den 1920er Jahren vier Vorstrafen wegen Hehlerei, Diebstahls, Begünstigung und unerlaubten Sonntagsverkaufs. 1930 war er erwerbslos und bewohnte zusammen mit dem gleichaltrigen Arbeiter Rudolf Benthien in der Altonaer Parallelstraße 38 (heute Eifflerstraße) einen Kellerraum, der ursprünglich nur als Lager gedacht war. Anlässlich einer ausschweifenden Geburtstagsfeier im August 1930 wurden sie von zwei Nachbarn und einer Hamburger Hausangestellten vom Venusberg bei der Polizei als Homosexuelle denunziert: Sie würden im selben Bett schlafen, neigten zu widernatürlicher Unzucht und unterhielten Verkehr mit Männern, die bei ihnen ein- und ausgingen. Auch in der Weimarer Republik galt bereits der § 175 RStGB, der beischlafähnliche, homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Die Altonaer Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Verfahren gegen die beiden bekennenden homosexuellen Männer. Am 14. Oktober 1930 verurteilte das dortige Schöffengericht unter der Leitung des Landgerichtsdirektors Otto Begemann beide Angeklagten wegen homosexueller Handlungen zu je einem Monat Gefängnis nach § 175. Der Vorwurf, in ihrer Kellerwohnung einen "Unzuchtsbetrieb" und damit "Kuppelei" betrieben zu haben, konnte nicht bewiesen werden. Die von beiden Verurteilten beantragte Aussetzung der Haftstrafe zur Bewährung wurde Hjalmar Vierarm wegen seines "völlig verwüsteten" Eindrucks verwehrt.

Fünf Jahre später, zu Beginn der NS-Zeit und kurz vor der reichsweiten Verschärfung des §175, Hjalmar Vierarm galt inzwischen als "einschlägig" vorbestraft, war er im Sommer 1935 in ein Verfahren nach § 175 gegen vier Angeklagte verwickelt. Zu dieser Zeit wohnte er in der Kleinen Brauerstraße 12 und wurde am 23. Juni 1935 von der Polizei ins Gerichtsgefängnis Altona eingeliefert. Im August wurde er angeklagt, geduldet zu haben, beischlafähnliche Handlungen an sich vornehmen zu lassen. Das Altonaer Schöffengericht unter Amtsgerichtsrat Julius Lichtwerk verurteilte den Freundeskreis am 1. Oktober 1935 wegen "widernatürlicher Unzucht", Hjalmar Vierarm erhielt eine zweijährige Gefängnisstrafe. Die Verurteilten hatten sich in Hamburger Homosexuellen-Lokalen, darunter das Lokal "Zu den drei Sternen" in der Hamburger Neustadt und der Billardspielsalon "Monte Carlo" an der Reeperbahn auf St. Pauli, kennengelernt. Hjalmar Vierarm verbüßte die hohe Haftstrafe ab 18. Oktober 1935 in der Strafanstalt Neumünster, aus der er am 25. Juni 1937 entlassen wurde.

Der mitverurteilte Büfettbursche Karl Lubatsch, Jg. 1909, galt in diesem Verfahren als männlicher Prostituierter und wurde zunächst ebenfalls in Neumünster inhaftiert, dann jedoch in einem Emslandlager verschärften Haftbedingungen unterworfen. Nach einer erneuten Verurteilung 1937 in Hamburg stand diesem Mann bis Kriegsende eine Odyssee durch verschiedene Gefängnisse, Straf- und Konzentrationslager bevor, bis er am 5. Mai 1945 aus einem Außenkommando des KZ Mauthausen befreit wurde.

Solches "Glück" war Hjalmar Vierarm nicht vergönnt. Nach seiner Haftentlassung 1937 lebte er unter wechselnden Adressen in Altona, aber auch in Kiel und Rade bei Rendsburg. Im Januar 1938 verzog er nach Kiel. Dort fand er bis Anfang 1944 Beschäftigung als Arbeiter und versuchte trotz des nationalsozialistischen Verfolgungsdrucks, homosexuelle Kontakte zu knüpfen. Zu diesem Zweck suchte er am 2. Februar 1944 die in Kiel als Homosexuellen-Treffpunkt bekannte Bedürfnisanstalt in den Anlagen Dahlmannstraße (beim "Kleinen Kiel") auf. Ein Kontaktaufnahmeversuch mit einem Maschinen-Obergefreiten der Wehrmacht wurde ihm zum Verhängnis. Dieser hatte Hjalmar Vierarm anscheinend schon vorher als Homosexuellen ausgemacht, beobachtet und ihn nach der "Anmache" zu einer Polizeiwache gebracht. Um 22.50 Uhr wurde er festgenommen und einen Tag später von der Kripo Kiel ins dortige Untersuchungsgefängnis überführt. Am 27. April 1944 wurde er vom Amtsgericht Kiel wegen Beleidigung in Tateinheit mit widernatürlicher Unzucht zu einer neunmonatigen Gefängnisstrafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft verurteilt. Seine Strafe verbüßte er ab 11. Mai 1944 im Männerstrafgefängnis Lübeck-Lauerhof und arbeitete im dortigen Dosenwerk im Rüstungseinsatz. In einem Führungsbericht vom 30. September 1944 hieß es, dass "Nachteiliges ... bis jetzt über ihn nicht bekannt geworden" sei, und er "die ihm übertragenen Arbeiten ausgeführt [hätte], ohne Anlaß zu Klagen zu geben". Gleichwohl wurden dem Bericht eines Verwaltungsoberinspektors stereotype Beschreibungen Homosexueller hinzugefügt: "Ich habe den bestimmten Eindruck, es hier mit einem etwas weichen und schwächlichen Charakter zu tun zu haben, der sich im Leben mehr treiben läßt als nach einem eigenen Willen zu handeln." Weil Hjalmar Vierarm seine letzte Verurteilung den Tatsachen entsprechend nur als einen "Versuch" darstellte, war die Anstalt der Meinung, er sähe "das absolut Verwerfliche seines Handelns" nicht ein und mache "nicht den Eindruck, durch seine Strafe nun schon von seinem Laster abgekommen zu sein". Der Gefängnisbeamte war der festen Überzeugung, dass Hjalmar Vierarm "früher oder später wieder straffällig" würde, "weil er nach seinen Charaktereigenschaften und Anlagen so leicht nicht ... von seinem Laster" werde "lassen können". Auch hielt er eine "polizeiliche Vorbeugungshaft für angebracht", auch wenn "diese V. ... wahrscheinlich nicht heilen" könne, "so dürfte sie doch mindestens abschreckend wirken!"

So war es nicht verwunderlich, dass kurz vor Ende der Lübecker Haftzeit am 1. November 1944 von der Kriminalpolizeistelle Kiel die "polizeiliche Vorbeugungshaft" angeordnet und die Haftanstalt gebeten wurde, "V. nach seiner Strafverbüßung nicht zu entlassen, sondern mit Sammeltransport dem Polizeigefängnis Kiel zuführen zu lassen." Im Hinblick auf das nahende Kriegsende im Mai 1945 wurde ihm die vergleichsweise "kurze" Haftzeit zum Verhängnis: Am 26. November 1944 wurde er ins Kieler Polizeigefängnis überstellt. Wie wir lediglich aus einer Kartei des Friedhofs Jammertal, auf dem Häftlinge des KZ-Außenlagers von Neuengamme in Salzgitter-Drütte bestattet wurden, wissen, trug Hjalmar Vierarm die Häftlingsnummer 68991. Dies deutet auf einen Zugang im KZ Neuengamme in der ersten Januarhälfte 1945 hin. Sein Tod am 7. April 1945 in "Watenstedt I" unter der offiziellen Todesursache "Herzschlag" fällt zusammen mit der Räumung des Lagers durch die SS, bei der allein ca. 70 Häftlinge am provisorischen Bahnhof tot zurückblieben. In das Lager wurden Anfang 1945 zudem zahlreiche kranke KZ-Häftlinge gebracht, deren Überlebenschancen nur gering waren. Sein Grab befindet sich heute auf dem Ehrenfriedhof Jammertal (Feld III, Reihe 8, Grab H).

Wie wir durch neuere Forschungen wissen, verzog Hjalmar Vierarm im Januar 1938 endgültig nach Kiel, sodass als sein letzter frei gewählter Wohnort nicht die Oelkersallee 25 in Altona zu gelten hat, sondern die Schloßstraße 34 in Kiel. Gleichwohl bleibt Altona ein richtiger Gedenkort für ihn, weil er dort bis zur Intensivierung der Verfolgung durch die Nationalsozialisten die meiste Zeit seines Lebens wohnte.

Stand September 2015

© Bernhard Rosenkranz (†) / Ulf Bollmann

Quellen: LSH, Abteilung 357.3 (Justizvollzugsanstalt Lübeck), Nr. 9592 und Abteilung 352.1 (Landgericht und Staatsanwaltschaft Altona), Nr. 1548 und Nr. 6457, mit Dank an Dr. Stefan Micheler, der uns Einblick in seine Aufzeichnungen über die von 1933 bis 1937 in Altona geführten Verfahren nach § 175 gab, die im LSH verwahrt werden, Dr. Elke Imberger, LSH, für die Vorbereitung einer Vorort-Recherche und Alyn Beßmann, KZ-Gedenkstätte Neuengamme, für ihre Auskunft vom 10.9.2014 und zur Friedhofskartei Salzgitter-Jammertal, jam 00000477; StaH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 13; StaH 332-5 Standesämter, 13879 (Eintrag Nr. 2541); StaH 332-8 Meldewesen, A 34/1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 4573); Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 263.

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