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Bereits verlegte Stolpersteine



Pauline Biram
© Helen Romain, Dublin, CA, USA

Pauline Biram (geborene Lasch) * 1878

Hallerstraße 6 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1942 Theresienstadt
tot 09.01.1943

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 6:
Wally Daniel, Max Daniel, Alfred Friedensohn, Gertrud Friedensohn, Nann(y)i Hattendorf, Dr. Georg Sacke

Pauline (Paula) Biram, geb. Lasch, geb. am 12.5.78 in Neumarkt/Schlesien, deportiert nach Theresienstadt am 15.7.1942, dort gestorben am 8.1.1943

Hallerstraße 6

Paula Biram stammte aus Schlesien. In Neumarkt (dem heutigen Sroda Slaska), einem kleinen Ort zwischen Breslau und Liegnitz, mit einer kleinen Jüdischen Gemeinde, wurde sie als Tochter von Moritz und Friederike Lasch am 12.5.1878 geboren. Über ihre Kindheit und Jugend wissen wir wenig. Im Alter von 26 Jahren heiratete sie in Breslau Dr. Max Biram. Er war 23 Jahre älter als sie und seit 18 Jahren Rabbiner in Hirschberg am Riesengebirge (dem heutigen Jelenia Gora). Sie war seine zweite Frau, zwölf Jahre dauerte ihre Ehe, bis zu seinem Tod im Jahr 1916.

Max Biram wurde am 1.1.1853 in Bomst (Babimost) bei Posen geboren und wuchs in Liegnitz auf. Er besuchte in Breslau das katholische Matthias-Gymnasium und anschließend, von 1872 bis 1881, das dortige Jüdisch-Theologische Seminar, das für seinen "hohen akademischen Standard" berühmt war. Parallel studierte er an der Universität Breslau. Mit einer Dissertation über "die historische Grundlage des Prophetenbuches Micha" promovierte er an der Universität Tübingen. Als Rabbiner in Hirschberg erteilte er auch Religionsunterricht an der dortigen höheren Lehranstalt. Max und Paula Biram wohnten in Hirschberg in der Kaiser-Friedrich-Straße 15a, im eigenen Haus. Am 23.8.1906 wurde ihre einzige Tochter Johanna-Dorothea (Hanna-Dörte) geboren.

1913 zwang eine schwere Krankheit Max Biram aus seinem Amte auszuscheiden. Er starb am 22. Juni 1916, im Alter von 63 Jahren. Nach seinem Tod lebte Paula Biram noch fast zwanzig Jahre in Hirschberg. Erst 1934, ein Jahr nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, verließ sie Hirschberg und zog nach Hamburg.

Johanna-Dorothea Biram besuchte die höhere Schule in Hirschberg und studierte anschließend Zahnmedizin in Berlin, Rostock und – seit 1928 – in Hamburg, wo ihr 1930 die "Approbation als Zahnarzt" erteilt wurde. Von der Universität Hamburg wurde sie ein Jahr später zum "Doktor der Zahnheilkunde" promoviert – kein selbstverständlicher Bildungsgang für eine junge Frau in dieser Zeit. Schon zwei Jahre später hätte er ihr als deutscher Jüdin nicht mehr offen gestanden. Nach einjähriger Assistententätigkeit konnte sie sich 1932 noch als Zahnärztin niederlassen, in eigener Praxis in ihrer Wohnung in der Grindelallee 126. Die nationalsozialistische Machtübernahme zerstörte ihre berufliche Existenz und Zukunft. Im April 1933 – so berichtete sie später – wurden "… anlässlich des Boykotts … uniformierte Nazis vor das Haus gestellt, in dem meine Praxisräume waren". Nach wenigen Wochen wurde ihr als "Jüdin" die Kassenzulassung und damit die Grundlage ihrer beruflichen Existenz entzogen. Nur jüdische Patienten durfte sie noch in ihrer Wohnung behandeln. Das tat sie, trotz aller Repression, bis zu ihrer Emigration im Jahr 1939. Die Zerstörung ihrer beruflichen Existenz reichte über ihre Emigration hinaus. Um ihren Beruf in den USA ausüben zu können, hätte sie noch einmal Zahnmedizin studieren müssen. Das war ihr nicht möglich.

Johanna Biram heiratete am 26. Dezember 1933 Max Martin Levien, der als Sohn von Martin und Olga Levien, geb. Heymann, am 15.3.1905 in Hamburg geboren wurde. Er war Kaufmann und Teilhaber des Geschäfts seines Vaters. Nach der Aufgabe des Geschäfts arbeitete er für den Jüdischen Religionsverband Hamburg. Martin Levien starb am 17. Mai 1939 in Hamburg, wenige Monate nach der Emigration seines Sohnes. Olga Levien wurde am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, zusammen mit Paula Biram. Von Theresienstadt wurde sie am 21. September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Ein Stolperstein erinnert an sie vor dem Haus Nr. 40 in der Hansastraße.

Zwei Kinder von Johanna und Max Martin Levien wurden noch in Hamburg geboren, Kurt Martin am 8.4.1934 und Eva am 23.5.1937. Ihre jüngste Tochter Helen kam nach ihrer Emigration, am 16.11.1942, in San Francisco zur Welt.

Jahrzehnte später – nach dem Tod seiner Frau – berichtete Max Martin Levien seinen Kindern und Enkelkindern in Kalifornien in seinen "Memoiren" über ihre Hochzeit im ersten Jahr nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. In der großen Wohnung einer Tante, unter der geschmückten ‚chuppah‘ – dem zeremoniellen Baldachin – vollzog der Hamburger Oberrabbiner Carlebach die jüdische Hochzeitszeremonie in traditioneller Form, die Braut im weißen Brautkleid mit Schleier und der Bräutigam im Abendanzug mit (geliehenem) Zylinder. Eine große Familienfeier mit Freunden schloss sich an. Nach der Hochzeit fuhr das Paar in den verschneiten Harz, nach Bad Harzburg. Dass dort zur selben Zeit ein nationalsozialistisches Treffen stattfand, spielte für sie noch keine Rolle. Den Silvesterabend verbrachten sie in einer jüdischen Gesellschaft. Diese teilte sich in zwei Gruppen, Zionisten auf der einen und "Deutsche jüdischer Religion" auf der anderen Seite. Zum Jahreswechsel sangen die einen die "Hatiqwah", die Hymne der Zionisten und die anderen die deutsche Nationalhymne – und jede Seite versuchte, die andere zu übertönen. Scherzend meinte Johanna Levien beim Verlassen des Lokals zu ihrem Mann, im nächsten Jahr würden sie, die deutschen Juden, gar das "Horst-Wessel-Lied" – die Hymne der NS-Bewegung – singen … Erst als sie daraufhin bedroht wurden, merkte sie, dass Nationalsozialisten in der Nähe ihre Bemerkung gehört hatten. Im Laufschritt mussten sie in ihr jüdisches Hotel flüchten, wo der Abend für sie ausklang. Vierzig Jahre später betonte Max Martin Levien im Rückblick, noch schien das jüdische Leben für uns weiterzugehen wie vorher, "in der ersten Zeit nach Hitlers Machtübernahme nahmen wir die politischen Ereignisse noch nicht zu ernst … die bittere Wahrheit kam später …"

In Hirschberg erlebte Paula Biram die nationalsozialistische Bedrohung zur selben Zeit sehr viel direkter. Ein Freund ihrer Familie war bereits Opfer antisemitischer Ausschreitungen geworden. Im August 1934 folgte Paula Biram ihrer Tochter nach Hamburg. Möglich, dass die Geburt ihres ersten Enkelkindes ein Grund für ihren Umzug nach Hamburg war, sicher aber floh sie auch vor antisemitischen Ausschreitungen in den "Schutz" der Großstadt. Dort wohnte sie anfangs in der Nähe ihrer Tochter, in der Grindelallee 157/1. Mit der Familie ihrer Tochter zog sie dann am 26. Februar 1936 in die Hallerstraße 6/I – auch um zu sparen. Drei Jahre lebten sie hier zusammen. Hier erlebte sie die Geburt ihrer Enkeltochter Eva. Am 10.November 1938, am Tag nach der Pogromnacht, wurde Max Martin Levien verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Erst am 18. Dezember kehrte er zurück, unter der Auflage, Deutschland zu verlassen. Unterstützt durch einen Vetter, der bereits früher in die USA emigriert war, gelang es Max Martin und Johanna Levien mit ihren Kindern im Februar 1939 nach England und ein Jahr später von dort in die USA zu emigrieren. Paula Biram blieb. Nach der Emigration der Familie Levien wurde der Bankier Max Daniel mit seiner Frau Wally in ihre Wohnung in der Ostmarkstraße – wie die Hallerstraße seit 1938 hieß – eingewiesen. Um Wohnraum für "Volksgenossen" frei zu machen, hatten auch sie ihre große Wohnung in der Hansastraße räumen müssen. Paula Biram blieb ein Zimmer in der Wohnung. Etwa drei Jahre noch lebte sie hier zurückgezogen. Nach der Deportation Hamburger Juden nach Lodz, Minsk und Riga im Herbst 1941 musste sie auch dieses Zimmer räumen und am 26. Januar 1942 ins "Judenhaus" in der Bogenstraße Nr. 27/II umziehen. Wenige Monate später erreichte sie dort der "Evakuierungsbefehl" nach Theresienstadt.

Paula Biram erhielt, wie ihre Tochter Johanna Levien im Rahmen eines Wiedergutmachungsverfahrens berichtete, "… eine monatliche Pension von dem Jüdischen Landesverband in Berlin, als Witwe meines Vaters, der 27 Jahre Rabbiner in Hirschberg/Schlesien gewesen war. Sie hatte fernerhin nach dem Tode meines Vaters begonnen, sich ein kleines Nebeneinkommen mit Fleckenreinigen von Kleidungsstücken zu verschaffen …" Sie war, nach Aussage ihrer Tochter, "… sehr gewissenhaft und gesetzestreu". Das folgte "… schon aus der Tatsache, dass sie eine Rabbiner-Ehefrau war. Sie war immer darauf bedacht, stets sämtlichen Gesetzen nachzukommen" – auch, so muss man hinzufügen, denen des nationalsozialistischen Unrechtsstaats.

Von Kalifornien aus versuchten Max Martin und Johanna Levien noch Ausreisevisa für ihre Mütter Paula Biram und Olga Levien in Hamburg zu beschaffen. Paula Biram erhielt ein Einreisevisum für Kuba. Sicher hoffte sie, auf diesem Weg doch noch in die USA, zu ihrer Tochter und ihren Enkeln zu gelangen. Das Visum war ausgestellt am 24. November 1941. Es kam zu spät, um Deutschland noch verlassen zu können. Seit dem 23. Oktober 1941, mit dem Beginn der Judendeportationen aus dem "Altreich", war es Juden verboten, auszuwandern.

Paula Biram wurde am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Sie gehörte zum ersten großen Transport Hamburger Juden in das vermeintliche "Altersgetto" Theresienstadt. Sie war 66 Jahre alt. Paula Biram starb dort am 8. Januar 1943. Als Todesursache gab die "Todesfallanzeige" des Gettos Theresienstadt einen "Darmkatarrh" an.

Am 9. August 1943 überwies der "vereidigte und öffentlich bestellte Versteigerer Wilhelm Wehling, Grindelhof 19" den Erlös der öffentlichen Versteigerung des Eigentums von Paula Biram an den Oberfinanzpräsidenten Hamburg: 256,62 RM.

Stand: September 2016
© Jost von Maydell

Quellen: 1; 2; 3; 4; 5; StaH 214 – 1, 154; 314-15, Oberfinanzpräsident R 1939/2899, Abl. 1998, B 676; 351 – 11, Amt für Wiedergutmachung - 31365; Biographisches Handbuch der Rabbiner, hrsg. Brocke/Carlebach, Teil 2: Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945, bearbeitet v. Jansen; Brämer, Anfangsjahre, in: Hettling u.a., Breslau; Lexikon der jüdischen Gemeinden, hrsg. v. Alicke; Helen Olga (Levien) Romain (Hrsg.), I Remember … Memoirs of Max Martin Levien, unveröffentlichtes Manuskript, o. O., o. J.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen."

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