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Bela Meier * 1940
Ernst-Mantius-Straße 5 (Bergedorf, Bergedorf)
HIER WOHNTE
BELA MEIER
JG. 1940
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET
Weitere Stolpersteine in Ernst-Mantius-Straße 5:
Inge Meier, Henry Meier, Hugo Rosendorff, Hertha Rosendorff
Hertha Rosendorff, geb. Hirschel, geb. 20.3.1882 in Hamburg, deportiert nach Theresienstadt am 15.7.1942, dort gestorben am 7.10.1942
Hugo Rosendorff, geb. 18.4.1880 in Wronke (Posen), deportiert nach Theresienstadt am 15.7.1942, von dort nach Auschwitz-Birkenau am 26.5.1944
Ernst-Mantius-Straße 5
Inge Meier, geb. Rosendorff, geb. 27.9.1917 in Hamburg, deportiert nach Minsk am 18.11.1941
Bela Rosendorff/Meier, geb. 21.3.1940 in Hamburg, deportiert nach Minsk am 18.11.1941
Henry Meier, geb. 15.5.1915 in Hamburg, deportiert nach Minsk am 8.11.1941
Ernst-Mantius-Straße 5 und Agathenstraße 3
Mit den folgenden Biographien wird ein Schlaglicht auf das Schicksal von drei Generationen einer jüdischen Familie geworfen. Vom 64-jährigen Großvater Hugo Rosendorff bis zur noch nicht zweijährigen Enkelin fielen sie dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Nur den Kindern Herbert und Ellen gelang es, rechtzeitig auszureisen und vom Ausland aus die Emigration dreier weiterer Angehöriger zu erreichen. Ihr Briefkontakt mit den in Deutschland verbliebenen Familienmitgliedern riss mit der Deportation der Angehörigen seit Ende 1941 ab.
Der Apotheker Hugo Rosendorff lebte mit seiner Frau Hertha, geborene Hirschel, in der Hamburger Neustadt, als er 1912 eine der acht Drogerien in Bergedorf übernahm. Die "Germania-Drogerie" von Heinrich Schönfeld befand sich in der Sachsenstraße 23, heute Sachsentor 75, der Hauptstraße des zu Hamburg gehörenden Städtchens. Rosendorffs waren gläubige, aber keine orthodoxen Juden.
Hugo Rosendorff stammte aus Wronke im damals preußischen Regierungsbezirk Posen, einem kleinen Ort, der, anders als Bergedorf, über eine Synagoge verfügte. Hertha Rosendorff kam aus Hamburg und hatte, wie die Mehrzahl der Hamburger Juden im 19. Jahrhundert, in der Neustadt gewohnt. Ihre Wohnung befand sich beim Großneumarkt, in der Schlachterstraße 54, unweit zweier jüdischer Wohnstifte und der Synagoge Kohlhöfen. Diese Nähe war durchaus von Bedeutung, denn der religiösen Tradition folgend, durften die Synagogen am Sabbat nur zu Fuß erreicht werden.
Hermann Hirschel, der Vater von Hertha Rosendorff, gehörte zu den wohlhabenderen Juden. Er war Eigentümer eines dreigeschossigen Wohn- und Geschäftshauses und des Nachbargebäudes. Seit vielen Jahren betrieb er hier, im Erdgeschoss der Schlachterstraße 54, sein Geschäft, das als "Manufactur-, Leinen-, Weiß-, Strumpf- und Holl. Waaren, Wäschefabrik und Lager" im Hamburger Adressbuch eingetragen war. Er wohnte mit seiner Familie im ersten Stock, die anderen beiden Wohnungen waren ebenso wie das Nachbarhaus vermietet. Um 1909 übergab Hirschel das Geschäft seiner Tochter, die den Apotheker Hugo Rosendorff geheiratet hatte. Beide wohnten im ersten Stock bei den Eltern. Als Privatier war Hermann Hirschel inzwischen Bezirksvorsteher der Allgemeinen Armenanstalt geworden und hielt im Hause regelmäßige Sprechstunden für die Bedürftigen seines Bezirks in der Neustadt ab.
Gerade approbiert, war es für den jungen Hugo Rosendorff aufgrund der restriktiven staatlichen Konzessionserteilungspraxis aussichtslos, eine eigene Apotheke zu eröffnen. Wartezeiten von 20 und mehr Jahren waren in Hamburg die Regel, und wer die Apotheke nicht von Verwandten erbte, musste sich nach etwas anderem umsehen. So erwarb er mit seiner Frau, die zunächst das Manufakturwarengeschäft weiterführte, 1912 die Drogerie in Bergedorf, die es ihm ermöglichte, in einer verwandten Branche tätig zu werden.
Neben Parfümerien und Artikeln zur Krankenpflege verfügte die Germania-Drogerie über eine "Spezial-Photo-Abteilung". Sie bestand, wie sich Zeitzeugen erinnern, aus einer Dunkelkammer, in der Filme entwickelt und Abzüge gemacht wurden. In einem weiteren Arbeitsraum befand sich die Handschneidemaschine, mit der jedes Foto beschnitten werden musste.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 änderte sich für die junge Familie, der inzwischen der Sohn Herbert Simon geboren war, vieles. Wie viele andere eilte Hugo Rosendorff zu den Fahnen. Durch die kaiserliche Parole: "Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche!" fühlten sich gerade jüdische Deutsche aufgerufen, für ihr Vaterland in den Krieg zu ziehen.
Rosendorff diente als Stabsapotheker im Offiziersrang an der Westfront. Er wurde unter anderem bei Metz eingesetzt und erhielt für seine Verdienste das Eiserne Kreuz erster Klasse.
Während des Krieges leitete Hertha Rosendorff sowohl den Manufakturwarenladen in der Neustadt als auch die Germania-Drogerie in Bergedorf und versorgte ihren Sohn. Als 1917 die Tochter Inge geboren wurde, zog die Familie zunächst in das damals preußische Sande, das heutige Lohbrügge. Das Hamburger Geschäft wurde aufgegeben. Bei Kriegsende 1918 erfolgte der Umzug der wieder vereinten Familie nach Bergedorf, in eine gutbürgerliche Fünf-Zimmer-Wohnung an der Ernst-Mantius-Straße 5. Hier wohnte auch Anni Hirschel, die Schwester von Hertha Rosendorff.
Gleich um die Ecke in der Holstenstraße 6, heute Alte Holstenstraße, befand sich eine von dem aus Dänemark stammenden Juden Carl Kerff geleitete Konditorei. Der jüdische Zahnarzt Tichauer wohnte und praktizierte ebenfalls in der Holstenstraße (Nr. 9/11). Auch der Rechtsanwalt und Notar James Cohn, als Liberaler Mitglied des Rates der Stadt Bergedorf, hatte seine Kanzlei in der Nähe (Kampstraße 4, heute Weidenbaumsweg). Aufgrund der in Hamburg erst durch die Einschaltung des Reichsinnenministers 1922 erfolgten Novellierung des Namensänderungsrechts ließ er sich in "Kauffmann" umbenennen.
In der Bahnstraße 1, heute Reetweder 1, befand sich das von dem jüdischen Inhaber Berthold Frank geleitete große Manufakturwarengeschäft Frank & Nielsen. Es wäre sicherlich verfehlt, von einem jüdischen Viertel zu sprechen, dennoch fällt die räumliche Nähe auf, in der sich mehrere jüdische Familien und Geschäftsleute angesiedelt hatten. Durch Zeitzeugen ist belegt, dass die Familien untereinander Kontakt hatten. So gab es an den Wochenenden gemeinsame Spazierfahrten der Familien Kerff und Rosendorff mit Pferd und Wagen oder gelegentliche Besuche der Rosendorffs bei Familie Frank.
Ähnliche Kontakte bestanden auch zu nichtjüdischen Familien. So erinnerte sich Heinrich Kohnen, dessen Vater mit Hugo Rosendorff befreundet war, an die gemeinsamen Kindheitstage mit Sohn Herbert Rosendorff: "Da war das Herrenzimmer mit der großen Klassikerbibliothek und dem wunderbaren Ledersessel. Aber am meisten hat uns Kinder die Uniform aus dem Ersten Weltkrieg von Herrn Rosendorff beeindruckt. Die hing in einem Schrank, mit dem Helm und dem Säbel und dem Eisernen Kreuz."
Hertha Rosendorff hatte 1919 eine weitere Tochter, Ellen, bekommen. Für die drei Kinder wurde ein Kindermädchen eingestellt. Außerdem war noch ein Dienstmädchen in Stellung. In der Drogerie arbeiteten zwei Angestellte und ein Laufbursche. Zusätzlich besorgten zwei Reisende den Vertrieb tierärztlicher Produkte an die Bauern der Umgebung. Denn in seinem Laboratorium stellte der Apotheker Rosendorff nicht nur eigene Mittel zur Schönheitspflege wie das Markenprodukt "Rosoderma" her, sondern entwickelte auch Mittel zur Bekämpfung von Tierkrankheiten.
Während der Sohn Herbert das Real-Gymnasium der Hansa-Schule in Bergedorf besuchte, fuhren seine Schwestern Inge und Ellen täglich nach Eimsbüttel in die Höhere Mädchenschule von Erna Lütgens.
Zu Hause wurden alle hohen jüdischen Festtage gefeiert. Wie sein Freund, der Kaufmann Christopher Kohnen, wählte Hugo Rosendorff die Deutsche Volkspartei (DVP) des nationalliberalen Gustav Stresemann, dessen Ziel die Revision des Versailler Vertrages auf dem politischen Verständigungswege war.
Ressentiments gegen die Rosendorffs und andere jüdische Bürger Bergedorfs sind für die 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre nicht belegt. In der Schule waren die Kinder offensichtlich Mitschüler wie andere auch. So haben sie sich selbst gesehen, so wurden sie von anderen Schülern angenommen und so hat auch der überlebende Sohn Herbert Rosendorff seine Kindheit und Jugend in Bergedorf empfunden (Interview 11.8.1993). Auch mehrere durch den Autor zwischen 1993 und 1996 erfolgte Befragungen von ehemaligen Schülerinnen der Luisenschule und der Schule am Birkenhain der Geburtsjahrgänge 1919 bis 1922 und ehemaligen Schülern der Hansa-Schule verschiedener Geburtsjahrgänge ab 1912, in deren Klassen sich jüdische Mitschüler befanden, kamen zu diesem Ergebnis.
Der reichsweite Aufruf der Parteileitung der NSDAP zum Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte am 1. April 1933, den die Bergedorfer Zeitung (bz) ganzseitig abdruckte, blieb nicht ohne Folgen. Es war die Bergedorfer SS, die nach dem Bericht über die "Boykott-Bewegung in Bergedorf" die "Bewachung" der jüdischen Geschäfte übernahm, da die örtliche SA in die KPD-Hochburg Geesthacht, damals auch zur Landherrenschaft Bergedorf gehörig, gerufen worden war. Ansammlungen von "Neugierigen" hätten sich bald aufgelöst, und überhaupt sei die Aktion in Bergedorf "in vollster Ruhe und Disziplin" verlaufen, wie die bz in Ihrer Ausgabe vom 1. April schrieb. Die Folge des Boykotts für die Rosendorffs, offenbar verbunden mit dem Druck des Fachverbandes der Drogisten, war der Umzug der erfolgreichen Drogerie 1933/34 von der Hauptstraße in einen viel kleineren Laden in einer heruntergekommenen Nebenstraße. Hier, in der Neuen Straße 18 (Neuer Weg 18, abgebrochen 1956), ging das Geschäft schlechter, denn es gab wesentlich weniger Laufkundschaft.
Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse führte zur Aufgabe der Fünf-Zimmer-Wohnung in der Ernst-Mantius-Straße. Familie Rosendorff musste in eine kleinere Wohnung am Reinbeker Weg ziehen. Anfang 1936 erfolgte dann der Umzug in eine vermutlich noch kleinere und günstigere Wohnung in Hamburg-Winterhude, Thielengasse 2 (Jarrestadt). Im März desselben Jahres gelang dem Sohn, Herbert Rosendorff, die Emigration nach Uruguay. Noch im Dezember 1936 erreichte er die Ausreise seiner 19-jährigen Schwester Ellen sowie seiner Tante Anni, geb. Hirschel, mit ihrem Ehemann Hans Bormann, ebenfalls nach Uruguay. Die Eltern und deren Tochter Inge Rosendorff aber wollten in Deutschland bleiben, denn sie konnten sich nicht vorstellen, wozu das Deutsche Reich in nur wenigen Jahren fähig sein würde.
Die Repressionen gegen die Juden wurden weiter verschärft. Im April 1938 trat eine Verordnung in Kraft, die den rechtlichen Boden für die Enteignung der deutschen Juden ebnete. Die "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" sah nicht nur die Angabe aller Vermögenswerte vor, sondern führte in § 7 offen den Grund für diese Maßnahme an: "Der Beauftragte für den Vierjahresplan kann die Maßnahmen treffen, die notwendig sind, um den Einsatz des anmeldepflichtigen Vermögens im Einklang mit den Belangen der deutschen Wirtschaft sicherzustellen." Im selben Monat, in dem diese Verordnung rechtskräftig wurde, mussten Rosendorffs bereits das Fürsorgewesen der Jüdischen Gemeinde in Anspruch nehmen. Der durch einen Schlaganfall notwendig gewordene Krankenhausaufenthalt von Hertha Rosendorff konnte nicht mehr finanziert werden. Ab Oktober 1938 wurden die Reisepässe aller Juden eingezogen. Auch das Ende der Germania-Drogerie in Bergedorf stand jetzt kurz bevor.
Der äußere Anlass für die "Reichskristallnacht", den Novemberpogrom, war das Attentat auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath am 7. November 1938 in Paris. In ihrer Ausgabe vom 10. November 1938 berichtete die Bergedorfer Zeitung von "Kundgebungen, in denen sich die gerechte Empörung des deutschen Volkes gegen in Hamburg wohnende Juden Luft machte".
In der Folge wurde allen Juden vom 1. Januar 1939 an verboten, in irgendeiner Form wirtschaftlich selbstständig tätig zu sein. Für Rosendorffs Germania-Drogerie, wie für alle anderen jüdischen Geschäfte, die noch nicht aufgegeben hatten, bedeutete dies das Ende. Die letzte Verkäuferin von Hugo Rosendorff, Frau de Lemos, berichtete 1961: "Ich erinnere mich noch daran, dass im Jahr 1938 jemand im Laden erschien und erklärte, er möchte Herrn Rosendorff sprechen. Er zeigte damals eine Dienstmarke vor. Ich haben dann Herrn Rosendorff gerufen, und der Herr hat Herrn Rosendorff gesagt, das Geschäft müsse geschlossen werden. Ich erinnere mich daran, dass etwa drei bis vier Tage, nachdem der erste Beamte bei Herrn Rosendorff war, auch wieder Beamte erschienen und das Geschäft schlossen. Nach Schließung hat Herr Rosendorff nicht mehr im Laden verkauft."
Noch im Dezember 1938 verkaufte Hugo Rosendorff die Einrichtung und die Waren, doch konnten mit dem geringen Erlös nicht einmal die aufgelaufenen Kosten gedeckt werden. Im Januar 1939 musste sich Hugo Rosendorff 700 RM von seiner Schwägerin leihen und einen Teil seiner Möbel für 135 RM verkaufen. "Diese Gelder sind jetzt restlos verbraucht" und "R. ist ohne Einkommen", hieß es im Bericht über einen Hausbesuch der Fürsorge am 10. August 1939. War Rosendorff im Vorjahr noch in der Lage gewesen, die gestundeten Krankenhauskosten für seine Frau in Raten abzuzahlen, so wurde die Familie nun, nach erneuter Erkrankung von Hertha Rosendorff im Juli 1939, endgültig zum Sozialfall für die Jüdische Gemeinde.
Bereits zu Beginn des Jahres hatte Hertha Rosendorff ihren Schmuck abliefern müssen. Durch den Erlass vom 21. Februar 1939 sich selbst legitimierend, raubte das Deutsche Reich den Juden Edelmetalle und Schmuck. Seit dem 1. Januar 1939 wurden allen Juden, die keinen "ausgeprägt jüdischen Vornamen" trugen, die Zwangsvornamen Israel beziehungsweise Sara zudiktiert. Rosendorffs waren nun gezwungen, sich als Hugo Israel und Hertha Sara Rosendorff registrieren zu lassen. Wiederholt sahen sie sich gezwungen, die Wohnung zu wechseln. Die so genannten Judenhäuser waren auch ihre letzte Station in Hamburg.
Als letzte Adressen in Eimsbüttel sind angegeben Agathenstraße 3 für Hugo Rosendorff und Schäferkampsallee 25 für seine Frau. Sie war inzwischen offenbar zum Pflegefall geworden, denn in der Schäferkampsallee 25/27 befand sich eines der Pflegeheime des Jüdischen Religionsverbandes.
Seit 1940 wurde Hugo Rosendorff zur Zwangsarbeit herangezogen. Infolge einer Fußverletzung, die er sich im Winter zuzog, war er arbeitsunfähig geworden. So hieß es in seiner Steuerakte erst wieder "ab 2.3.41 in Arbeit". Sein durchschnittlicher Wochenverdienst betrug wenig mehr als 32 RM. Aufgrund seines geringen Einkommens musste er keine Lohnsteuer entrichten. Bis zum Juli 1941 war er als "Lohnsteuerpflichtiger mit schwankendem Verdienst" eingestuft, die letzte Eintragung in seine Akte erfolgte am 23. August 1941.
Inzwischen waren Rosendorffs Großeltern geworden. Ihre Tochter Inge hatte am 21. März 1940 eine Tochter Bela in Hamburg geboren. Am 20. April 1941 heiratete sie den Vater des Kindes, Henry Meier. Von der Kennzeichnungspflicht für Juden war Bela, die noch nicht sechs Jahre alt war, vorerst befreit. Ihre Eltern und Großeltern aber mussten den gelben Stern mit der Aufschrift "Jude" an ihre Kleidung nähen. Gemeinsam mit ihrer Mutter Inge Meier, geb. Rosendorff, wurde die kaum ein Jahr und acht Monate alte Bela am 18. November 1941 von Hamburg ins Getto Minsk deportiert.
Der Vater, Henry Meier, war zusammen mit seinem jüngeren Bruder Lothar bereits mit dem Transport vom 8. November dorthin gekommen. Im Getto waren die Lebensbedingungen katastrophal. Ob die junge Familie den Winter überlebt hat, ist ungewiss. Ob sie zu den mehr als 10.000 Menschen gehörte, die am 28. und 29. Juli 1942 von Sicherheitspolizei und SD erschossen wurden ("Aktion Reinhard") oder erst am 14. September 1943 mit den restlichen Überlebenden von Minsk nach Baranowitsch gebracht und dort in Gaswagen ermordet wurden – wir wissen es nicht. Im Gedenkbuch für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland sind sie als "verschollen in Minsk" verzeichnet.
Hertha und Hugo Rosendorff waren in Hamburg geblieben. Ihre Namen erschienen noch nicht auf den Deportationslisten für Riga und Auschwitz. Aber für den ersten Transport ins Getto Theresienstadt, im Juli 1942, waren sie vorgesehen. Sie durften je 50 Kilogramm Reisegepäck und 100 RM mitnehmen, den Verbleib ihrer restlichen Habe hatte das Regime bereits am 4. November 1941 geregelt: "Das Vermögen der abzuschiebenden Juden wird zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen."
Zusammen mit 926 anderen jüdischen Mitbürgern wurde das Ehepaar Rosendorff am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Mit ihnen fuhr auch der Oberlandesgerichtsrat a. D. Walter Rudolphi aus Bergedorf, der ab 1939 unter anderem die Leitung der jüdischen Wohlfahrtspflege übernommen hatte und Vorstandsmitglied des Jüdischen Religionsverbandes Hamburg e. V. war.
Der in Hamburg verbliebene und vom Deutschen Reich eingezogene Hausrat der Rosendorffs wurde im Hause Agathenstraße 3 am 7. September 1942 meistbietend versteigert. Für 604,40 RM konnte nun ein deutscher "Volksgenosse" – anderen war die Teilnahme an Versteigerungen verboten – mit den letzten Habseligkeiten einer noch vor wenigen Jahren relativ wohlhabenden jüdischen Familie seine Wohnung einrichten.
Als Nr. VI/I-743 und VI/I-744 erreichten Rosendorffs am 16. Juli 1942 Theresienstadt, ihr "Mitgepäck" wurde beschlagnahmt und den Zwecken der SS zugeführt.
Am 7. Oktober 1942, nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft, starb Hertha Rosendorff in Theresienstadt. Am Tag zuvor war gerade ein neues Massengrab angelegt worden, und in den vier neuen Öfen des Krematoriums wurden täglich bis zu 180 Leichen verbrannt.
Hugo Rosendorff hat seine Frau überlebt. Seine Spuren in Theresienstadt sind vernichtet. Nur der handschriftliche Eintrag auf seiner Ankunftsliste: "2486 Dz", nennt uns seinen letzten Leidensweg. "Dz" ist die Bezeichnung des Transportes vom 15. Mai 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz und "2486" ist die Rosendorff zugeteilte Nummer. Als einen von 2500 Juden dieses Transportes schickte ihn die SS auf seine letzte Reise.
Hugo Rosendorff traf in Auschwitz-Birkenau ein, als die größte Mordaktion in der Geschichte des Lagers anlief. Die in Güterwagen aus Theresienstadt Ankommenden wurden auf einer besonderen Rampe entladen und kamen anschließend ins so genannte Familienlager. Das "Familienlager" unterschied sich deutlich von den anderen Lagerbereichen. Im September 1943 eingerichtet, beherbergte es jene Juden, die aus Theresienstadt nach Auschwitz gebracht wurden.
Ein im April 1944 geflohener slowakischer Jude berichtete: "Es war für uns ganz unverständlich, dass diese Transporte eine noch nie dagewesene Stellung genossen. Die Familien wurden nicht getrennt, kein einziger kam zu der für uns so selbstverständlichen Vergasung, ja, ihnen wurde nicht einmal das Haar geschnitten, und sie wurden so, wie sie gekommen sind, Männer, Frauen und Kinder zusammen in einem abgeteilten Lagerabschnitt (II B) untergebracht und durften sogar ihr Gepäck behalten. Die Männer mussten nicht zur Arbeit (!), für die Kinder wurde eine Schule … eröffnet. Sie hatten sogar freie Schreibbewilligung."
Das Beispiel des "Familienlagers" macht die Perversion des NS-Lagersystems besonders deutlich. Mit den Theresienstädtern hatte die SS etwas Besonderes vor: "SB mit sechsmonatiger Quarantäne." Die Buchstaben "SB" standen für Sonderbehandlung, und das bedeutete nichts anderes als die Vernichtung durch Gas. Nun war diese in Auschwitz an der Tagesordnung, das Besondere lag in der sechsmonatigen "Quarantäne" für die Ende 1943 aus Theresienstadt Eintreffenden.
Die "Quarantäne" war ausgefüllt mit dem Schreiben harmloser Karten nach Theresienstadt, sie mussten in diesen Karten von ihrem "Wohlergehen" und ihrem "Wohnort" Birkenau berichten. Die letzten Karten schrieben diese Menschen am 5. März 1944, vordatiert auf den 25. bis 27. März. In der Nacht vom 8. auf den 9. März wurden fast alle Insassen des "Familienlagers" in den Gaskammern ermordet. Einige Wochen nach dem Massenmord erreichten ihre Karten die Empfänger. Diese grausame Inszenierung diente der Täuschung der Öffentlichkeit und besonders des Auslandes, das seit der Kriegswende bereits Kunde von den Massenvernichtungen erhalten hatte.
Auch als Hugo Rosendorff Mitte Mai 1944 hier eintraf, wurde diese Prozedur für den Beweis der "Harmlosigkeit" der deutschen Judenpolitik fortgesetzt. Mit dem Unterschied, dass die "Quarantäne" nicht mehr sechs Monate dauern sollte. Die letzte schriftliche Mitteilung über Rosendorff ist in einer "Listenberichtigung" vom 26. Mai 1944 erhalten, die noch in Theresienstadt durchgeführt wurde. An die Stelle des ausgestrichenen "Josef Israel Jettkowitz" mit der Nummer 2486 wurde "Hugo Israel Rosendorff" gesetzt. Als einer von 7503 Juden, die mit den drei Transporten im Mai aus Theresienstadt nach Auschwitz kamen, hat er vermutlich noch bis Anfang Juli 1944 im "Familienlager" gelebt. Dann erfolgte die Auflösung. Wer nicht jung und stark genug zum Arbeiten war – und das waren die Wenigsten –, wurde am 7. Juli 1944 mit Gas ermordet und anschließend sofort in einem der angeschlossenen Krematorien verbrannt. Auch der 64-jährige Hugo Rosendorff wird unter den Opfern dieses Tages gewesen sein.
Mit der Asche düngten anschließend die lagereigenen landwirtschaftlichen Betriebe ihre Anpflanzungen, man schüttete sie auch in ganzen Wagenladungen in Flüsse, Fischteiche und Sümpfe.
Die Listen, die Rosendorffs Todesdatum und das seiner Leidensgenossen enthalten, sind vor der Befreiung des Lagers vernichtet worden. Auch Hugo Rosendorff gilt deshalb als "verschollen" wie seine Tochter Inge, sein Schwiegersohn Henry Meier und seine Enkelin Bela in Minsk. "Verschollen in Auschwitz", heißt es im Gedenkbuch für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus.
Nachzutragen bleibt, dass den beiden überlebenden Kindern von Hertha und Hugo Rosendorff erst nach Einreichen einer Klage, mit Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 2. Oktober 1963 – knapp 20 Jahre nach den ersten Deportationen –, eine "Entschädigung" zugesprochen wurde. Die Oberfinanzdirektion der Freien und Hansestadt Hamburg hatte zunächst jegliche Zahlung unter anderem mit der Begründung verweigert, die "Erblasser" – gemeint waren die ermordeten Rosendorffs – hätten schließlich "Fürsorgeunterstützung empfangen", daher sei es "wenig wahrscheinlich", dass sie über Wertgegenstände verfügt hätten, für die eine Entschädigung zu zahlen wäre.
Bergedorf war der einzige Hamburger Bezirk, in dem die Verlegung der Stolpersteine, nach einem entsprechenden Mehrheitsbeschluss der Bezirksversammlung Anfang 2003, verhindert werden sollte. 60 Jahre nach der Ermordung von Mitgliedern dreier Generationen dieser Bergedorfer Familie, wurden die Steine dennoch verlegt und erinnern heute vor dem Haus Ernst-Mantius-Straße 5 an das Schicksal der Rosendorffs.
Stand: September 2019
© Geerd Dahms (Korrekturen Beate Meyer)
Quellen: 4; 5; StaH 522-1, 992m Bd. 1.; StaH 522-1, 922d Bd. 27; StaH 522-1, 992m Band 1; FZH Fasc. 12, Personalakte Rosendorff; Archiwum Panstwowego Muzeum w Oswiecimiu (Archiv des Staatlichen Museums in Auschwitz), Sygn. D-RF-3/98 Nr. inw. 107403, Listenberichtigung vom 26.5.1944; AB 1892ff; H. G. Adler, Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Tübingen 1955; H. G. Adler./Hermann Langbein/Ella Lingens-Reimer (Hrsg.), Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, Hamburg 1994; Dietz Bering, Der Name als Stigma, Antisemitismus im deutschen Alltag 1812–1933, Stuttgart 1992; Geerd Dahms, Familie Rosendorff – Ein Bergedorfer Schicksal, in: Bergedorf im Gleichschritt. Ein Hamburger Stadtteil im "Dritten Reich". Hamburg (2) 1996; Karl Dietrich Erdmann, Judenvernichtung und "Ausmerzung lebensunwerten Lebens", in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Nationalsozialistische Diktatur 1933–1945, Bonn 1983; Finanzbehörde Hamburg (Hrsg.), Leo Lippmann: "... Dass ich wie ein guter Deutscher empfinde und handele ..." Zur Geschichte der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg in der Zeit vom Herbst 1935 bis zum Ende 1942, Hamburg 1994; Ursel Hochmuth/Gertrud Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933–1945, Frankfurt/M. 1980; Walther Hofer (Hrsg.), Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933–1945, Frankfurt/M. 1957; Hilde Kammer/Elisabeth Bartsch, Nationalsozialismus, Begriffe aus der Zeit der Gewaltherrschaft 1933–1945, Reinbek bei Hamburg 1994; Hans-Dieter Loose, Wünsche Hamburger Juden auf Änderung ihrer Vornamen und der staatliche Umgang damit, Ein Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus im Hamburger Alltag, in: Peter Freimark/Alice Jankowski/Ina Lorenz (Hrsg), Juden in Deutschland Emanzipation, Integration, Verfolgung und Vernichtung, Hamburg 1991; Ingo von Münch, Gesetze des NS-Staates, Dokumente eines Unrechtssystems, Paderborn 1994; Beatrix Piezonka/Ursula Wamser, Von der Neustadt zum Grindel, in: Wamser, Ursula/Wilfried Weinke (Hrsg.), Ehemals in Hamburg zu Hause, Jüdisches Leben am Grindel, Hamburg 1991; Franciszek Piper, Ausrottung, in: Auschwitz. Geschichte und Wirklichkeit des Vernichtungslagers, Warschau 1978, Reinbek bei Hamburg 1980; Kazimierz Smolen, Bestrafung der Verbrecher von Auschwitz, in: Auschwitz. Geschichte und Wirklichkeit des Vernichtungslagers, Warschau 1978; Staatliche Pressestelle der Freien und Hansestadt Hamburg (Hrsg.), Ausgestrichen aus dem Buch der Lebenden, Zum 50. Jahrestag des Beginns der Deportation jüdischer Bürger, Hamburg 1991; Käthe Starke, Der Führer schenkt den Juden eine Stadt, Berlin 1975; Ursula Wamser/Wilfried Weinke, Der Judenpogrom vom November 1938, in: dieselben (Hrsg.), Ehemals in Hamburg zu Hause, Jüdisches Leben am Grindel, Hamburg 1991; Bergedorfer Zeitung, 29.3.1933, Der Kampf gegen Gräuelpropaganda, Boykott gegen jüdische Firmen, Ärzte und Rechtsanwälte; Bergedorfer Zeitung, 1.4.1933, Die Boykott-Bewegung in Bergedorf; Bergedorfer Zeitung 10.11.1938, Judenfeindliche Kundgebungen auch in Hamburg; Bergedorfer Zeitung, 11.11.1938, Keine Aktionen mehr gegen Juden. Endgültige Antwort auf das Attentat von Paris durch neue Gesetze. Reichsminister Goebbels gibt bekannt; Památnik Terezin, Muzeum Ghetta. (Ghetto-Museum Theresienstadt), Schreiben vom 2.8.1995 an den Autor; Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Hamburg (als Manuskript gedruckt), Hamburg 1965; Interview mit Heinrich Kohnen am 11.8.1993 u. 24.7.1995; Interview mit Herbert Rosendorff am 11.8.1993 (Archiv des Kultur- & Geschichtskontors); Befragungen von ehemaligen Schülerinnen der Luisenschule und der Schule am Birkenhain der Geburtsjahrgänge 1919 bis 1922, zwischen 1993 und 1996, Lisa Meyer, Rosemarie Dreves, Gerda Dierks, Ursula Peters, Hilde Stephan, geb. Falke (Archiv des Autors); Befragungen von ehemaligen Schülern der Hansa-Schule verschiedener Geburtsjahrgänge ab 1912: u. a. Heinrich Kohnen, Herbert Rosendorff (Archiv des Autors); Mitschnitte des "Erzählcafes" der Jahre 1993 und 1994, Kooperationsprojekt der Körber-Stiftung – Haus im Park – und des Kultur- & Geschichtskontors (Archiv des Kultur- & Geschichtskontors).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".