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Bereits verlegte Stolpersteine




Stolpertonstein

Erzähler: Thomas Karallus
Sprecherin: Sabrina Heuer

Sabina "Sali" Ehrlich (geborene Goldenberg) * 1908

Schanzenstraße 14 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
SABINA ’SALI’
EHRLICH
GEB. GOLDENBERG
JG. 1908
ABGESCHOBEN 1938
BENTSCHEN / ZBASZYN
???

Weitere Stolpersteine in Schanzenstraße 14:
Siegmund "Zygmund" Ehrlich, Benno "Bentzion" Ehrlich, Rita Ehrlich

Benno (Bentzion) Ehrlich, geb. 29.9.1931 in Hamburg, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn
Rita Ehrlich, geb. 7.1.1938 in Hamburg, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn
Sabina (Sali) Ehrlich, geb. Goldenberg, geb. 31.10.1908 in Buczacz, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn
Siegmund (Zigmund) Ehrlich, geb. 5.2.1908 in Buczacz, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn

Schanzenstraße 14

"Möglicherweise kam es aus dem Raum, in welchem die Leute tagsüber darauf warteten, abgewiesen zu werden. Diese vielen, vielen Leute mit den weißen Gesichtern, die alle auswandern wollten, weil sie Angst hatten und weil sie immer noch daran dachten, die Welt wäre rund. Unmöglich, ihnen zu erklären, daß die Regel eine Ausnahme und die Ausnahme keine Regel war. Unmöglich, ihnen den Unterschied zwischen dem lieben Gott und einem Konsulatsbeamten klarzumachen. Sie hörten nicht auf zu hoffen, das Unwägbare in der Hand zu wägen und das Unberechenbare zu berechnen. Sie hörten einfach nicht auf." Ilse Aichinger, Die größere Hoffnung

Sabina Ehrlich war eins von sechs Kindern der Eheleute Jakob Israel und Regina (Rachel) Goldenberg, geb. Hekelmacher. Ihr Bruder Bernhard schrieb über ihre Ausbildung: "Sie absolvierte etwa 6 Klassen Mittelschule und widmete sich dann systematisch der Klavierausbildung, die sie schon vorher nebenbei betrieben hatte. Sie war sehr talentiert und da unsere Familie wohlhabend war, nahm sie Musikstunden u. a. auch bei einem blinden Professor des Wiener Konservatoriums, der nach Krakau übersiedelt war. ... Insgesamt dürfte sie etwa 10 Jahre lang gelernt haben. Als ausgebildete Pianistin gab sie ... sowohl vor als auch nach ihrer Verheiratung Klavierstunden, die sehr geschätzt und gut bezahlt wurden." Bis zu ihrer Eheschließung mit Siegmund Ehrlich 1930 lebte sie in Krakau, dann in Hamburg. Ende Januar 1931 zog sie zu ihrem Ehemann in die Stresemannstraße 68.

Siegmund war ein Sohn des 1878 in Buczacz geborenen Karl Ehrlich. Seine Mutter wurde 1881 in Komarno geboren, einem Ort, der in der Nähe des damaligen Lemberg – heute L’viv in der Ukraine – im österreichischen Galizien und Lodomerien lag. Er kam 1908 in Buczacz zur Welt. Am 10. Februar 1910 wurde sein Bruder Leiser in Potok Zloty, Provinz Lwow, geboren. Die Söhne lebten später mit ihren Eltern in Hamburg, Siegmund ab April 1919 in der Altonaer Amselstraße 11 – heute Bei der Schilleroper –, anschließend in der nahe gelegenen Stresemannstraße 68. Ab 1928/29 wurde er als Mitglied bei der Jüdischen Gemeinde besteuert. Siegmund arbeitete als Handelsvertreter.

Im Jahr nach der Eheschließung von Sabina und Siegmund wurde ihr Sohn Benno geboren. Im Sommer 1935 waren Ehrlichs für sechs Wochen in Hoisdorf bei Trittau gemeldet. Im Oktober desselben Jahres verließ die Familie Hamburg erneut, diesmal Richtung Flensburg. Acht Monate später kehrten sie in die Stresemannstraße zu Siegmunds Eltern zurück. Ende März 1937 bezogen sie eine eigene Wohnung in der Schanzenstraße 14. Die Wohnung hatte auf ca. 120 qm fünf Wohn- und Schlafräume.

Hier lebte bis zu seiner Auswanderung nach Buenos Aires in Argentinien am 12. Januar 1938 auch Siegmunds Bruder Leiser mit seiner Ehefrau Elsa, geborene Ströhlein. Wenige Tage vorher, am 7. Januar war Siegmunds und Sabinas Tochter Rita zur Welt gekommen. Siegmund hatte im Jahr 1938 eine Beschäftigung bei der Firma Saemann & Co. in Frankfurt/Main in der Schönen Aussicht 6, ab Juni 1938 war er als Angestellter wiederum in Hamburg tätig. Sabina (auch: Sali) gab Klavierunterricht – die Zahl derer, die bei ihr Privatstunden nahmen, war jedoch ab etwa 1935 zurückgegangen, da – wie ihr Bruder später begründete – "ihre Schüler in der Hauptsache Juden waren".

Die Familie wohnte von Juli bis September 1938 in der Heinrich-Barth-Straße 10. Nach Angaben in einem Brief Sabinas an ihren Bruder waren sie erneut zu Siegmunds Eltern gezogen, um Miete zu sparen. Im September kehrten sie zurück in die Schanzenstraße 14. Sabina wusste spätestens, nachdem Siegmund die Stelle gekündigt worden war, dass sie nicht in Deutschland bleiben konnten. Siegmunds Bruder Leiser konnte aber auf Grund veränderter Zuwanderungsregelungen in Argentinien nichts dafür tun, dass Siegmunds Familie ein Einreisevisum bekam. So schrieb Sabina ihrem 1935 von Krakau nach Palästina ausgewanderten Bruder Bernhard Anfang September 1938 einen verzweifelten Brief, in dem sie ihn bat, ein "Zertifikat zu schicken". Der Brief zeigt, wie sicher sie sich war, dass Juden nicht bleiben konnten. Ihr blieb jedoch keine Zeit auszuwandern.

"Lieber Bruder! Hamburg 5.9.1938*
Ich habe Dir vor vierzehn Tagen einen Brief geschrieben, aber bis jetzt noch keine Antwort erhalten. Hoffentlich geht es Dir gut, und bist gesund. Du wirst Dich sicher wundern, dass ich Dir schon wieder schreibe, aber ich habe eine große Bitte an Dich, wenn Dir das möglich ist. Also, ich möchte Dich bitten, uns ein Zertifikat zu schicken. Denn wie ich Dir schon im vorigen Brief geschrieben habe, müssen wir hier raus. Wir hatten Hoffnung, dass der Bruder von Siegmund, Leiser, uns anfordern könnte. Aber jetzt sind in Buenos Aires neue Gesetze rausgekommen und man kann nur noch Eltern nach zwei Jahren anfordern, und Eltern Kinder. Aber danach müssten wir noch vier Jahre warten, und das können wir nicht, denn man hat jetzt dem lieben Siegmund zum 1. Oktober gekündigt, so dass wir jetzt nicht wissen, was wir machen sollen. Deshalb sind wir schon zu unseren Eltern gezogen, das kostet uns wenigstens nicht so viel. Glaube mir, mein lieber Bruder, dass wir so verzweifelt sind, denn hier können wir nicht bleiben und auswandern haben wir auch nicht wohin. Es ist direkt schrecklich. Deshalb möchte ich Dich bitten, alles anzuwenden, um uns ein Zertifikat zu schicken. Es fahren jetzt von hier sehr viele nach Erez, denn man muss ja raus und nehmt alles mit, die Hauptsache raus. Und Du weisst ja, dass der liebe Siegmund unberufen ein gesunder Mensch ist und alles anfassen kann. Die Hauptsache ist, er soll seiner Familie Brot geben. Ich hoffe, dass es Dir gelingen wird und du uns ein Zertifikat schicken kannst. Ich werde Dir immer dankbar sein, und Du wirst auch eine Heimat haben, nicht wahr?

Ich hoffe, bald von Dir Nachricht zu bekommen und mir alles genau zu schreiben, ob wir uns eine Hoffnung machen sollen. Ich hoffe, dass es Dir gelingen wird, und wir werden noch zusammen sein. Hier sind alle Gott sei Dank gesund und ich hoffe, das selbe von Dir zu hören. Die liebe Rita entwickelt sich unberufen sehr schön und auch der liebe Benno geht zur Schule und lernt ganz gut.
Bitte dich, mir sofort eine Antwort zu schreiben!
Hier grüßen Dich alle und wünschen Dir alles genau.
Deine treue Schwester Sali
Auch die lieben Schwiegereltern
grüßen Dich"

Sabina war – wie auch ihr jüngerer Bruder Bernhard – zunächst staatenlos und erwarb erst durch die Eheschließung mit Siegmund Ehrlich die polnische Staatsangehörigkeit. Als am 28. Oktober 1938 ca. 4800 polnische Juden nach Zbaszyn abgeschoben wurden, waren Siegmund, seine Eltern Karl und Fajga, Sabina, ihr Sohn Benno und die wenige Monate alte Rita unter ihnen. Benno fehlte fortan in der Klasse V 1 bei Lehrer Mayer in der Talmud Tora Schule, wo er im April des Jahres eingeschult worden war.

Bernhard berichtete, dass die Familie nach der Ausweisung "etwa acht Monate lang im Niemandsland hauste". Im Sommer 1939 wurden Sabina und "ihrer Familie die Einreise nach Polen gestattet, wo sie in Buczacz vom Krieg überrascht wurde. Seit Ausbruch des deutsch-russischen Krieges habe ich von meiner ganzen Familie (Eltern, Geschwister, Schwager, Neffe, Nichte) nichts mehr gehört (1942) und muss annehmen, dass sie im Laufe der bekannten Judenverfolgungen zugrunde gegangen sind."

Siegmunds Bruder Leiser erkrankte in Buenos Aires unheilbar. Die Ursachen seiner Krankheit sah er, neben der Ernährungsumstellung nach der Emigration, in den seelischen Belastungen durch die Ermordung sämtlicher Familienangehöriger. Er starb im September 1955.

© Christiane Jungblut

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 100210 Ehrlich, Leiser; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 311008 Ehrlich, Sabine; StaH 362-6/10 Talmud-Tora-Schule, TT 21, TT 26.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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