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Bereits verlegte Stolpersteine



Kurt Gäth, genannt Ladiges, in Anstaltskleidung der „Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn“, ca. 1940
Kurt Gäth, genannt Ladiges, in Anstaltskleidung der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn", ca. 1940
© StaH

Kurt Gäth "gen. Ladiges" * 1919

Langenhorner Chaussee 560 Asklepios-Klinik (Hamburg-Nord, Langenhorn)


KURT GÄTH
GEN. LADIGES
JG. 1919
MEHRMALS VERHAFTET
ZULETZT 1940
KZ FUHLSBÜTTEL
STERILISIERT IM
LAZARETT HAMBURG
’HEILANSTALT’ LANGENHORN
ERMORDET 13.11.1944

Weitere Stolpersteine in Langenhorner Chaussee 560 Asklepios-Klinik:
Gerhard Junke

Kurt Gäth, genannt Ladiges, geb. am 3.9.1919 in Altona, gestorben am 13.11.1944 in der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn"

Langenhorner Chaussee 560, Asklepios-Klinik

Kurt Gäth, genannt Ladiges, wurde zusammen mit seinem Zwillingsbruder Herbert am 19. September 1919 in Altona unehelich geboren. Die geschiedene Mutter Frieda Ladiges, geb. Gäth, die 1886 in Hamburg ebenfalls unehelich zur Welt gekommen war, gab gegenüber dem Altonaer Vormundschaftsgericht als Vater der Zwillinge den als Ausländer aus Deutschland ausgewiesenen Arbeiter und früheren russischen Kriegsgefangenen Josef Joczarek an. Sie wohnte zur Zeit der Geburt in der Adolfstraße 97 (heute Bernstorffstraße) und war nach zehnjähriger Ehe von dem Arbeiter Hermann Hinrich Ladiges seit Februar 1918 geschieden. Aus dieser Ehe stammte noch ein weiteres Kind.

Zum Vormund der Zwillinge wurde zunächst der Obersekretär des Amtsgerichts Altona, Matthiessen, ernannt, 1924 dann der Grünwarenhändler Franz Meyer. 1931 berichtete Letzterer gegenüber dem Vormundschaftsgericht, dass die Zwillinge weiterhin bei der kränklichen Mutter in beschränkten Verhältnissen wohnten, da diese nur von der Wohlfahrt ernährt würde. Die Jungen gingen zur Schule und sähen trotz der Lebensumstände gut angezogen aus und würden gut erzogen. Ostern 1934 wurden beiden Jungen aus der 2. Klasse der 3. Hilfsschule Altona mit zuvor "genügenden" Leistungen entlassen.

Im Juli 1934 berichtete der Vormund, dass die Jungen bei einer Familie Ramm, ebenfalls in der Adolfstraße, untergebracht seien, nachdem sich die Mutter im Alter von 47 Jahren wegen "Krankheit und Nahrungssorgen" am 6. August 1933 "durch den Strang" das Leben genommen hatte. Die Pflegeeltern würden die Jungen wie ihre eigenen Kinder gut verpflegen, jedoch lag zu diesem Zeitpunkt Kurt Gäth, genannt Ladiges, mit schwerer Mittelohrentzündung und wenig Aussicht auf Besserung im Altonaer Krankenhaus.

Trotz der angeblich guten Fürsorge durch die Pflegeeltern Ramm gerieten die Zwillingsjungen während ihrer Pubertät "auf die schiefe Bahn", hielten sich im Kneipenmilieu von St. Pauli auf und verließen immer öfter ihr Zuhause bei den Pflegeeltern, die es schließlich ablehnten, diese weiter zu betreuen. Die Brüder wollten zur See fahren und wurden 1936 bzw. 1937 zeitweilig im Heim der Seemannsmission an der Altonaer Weidenstraße 40 (heute Virchowstraße) untergebracht. Und die Brüder waren in gerichtliche Verfahren nach § 175 wegen "widernatürlicher Unzucht" verwickelt.

Kurt Gäth, genannt Ladiges, wurde am 14. März 1936 nach gerichtlichem Beschluss einer vorläufigen, ab Mai 1936 endgültigen Fürsorgeerziehung unterworfen. Was war vorgefallen? Die Brüder waren im März 1937 als Zeugen in einer Anklage gegen einen ehemaligen Oberlehrer Hermann Gerdes (geb. 1889 in Leer) verwickelt, der mit den Zwillingen in den Jahren 1932 bis 1936, die anfänglich erst zwölf Jahre alt waren, sowie mit deren Mutter sexuelle Handlungen vornahm. Sie waren also missbraucht worden.

Kurt Gäth, genannt Ladiges, arbeitete im Sommer 1934 zunächst beim Wohlfahrtsamt Altona als Pflichtarbeiter. Im Juni/Juli 1935 war er als Arbeiter in einer Schlosserei beschäftigt, ab September 1935 dann als Bote einer Drogerie-Großhandlung. Wegen Unterschlagung von einkassierten Geldern wurde er aus dieser Arbeit im Februar 1936 entlassen. Er hielt sich seit September 1934 öfter im Wellenbad an der Reeperbahn sowie in der Billardhalle und Automatencafé "Minulla" auf, einem bekannten Treffpunkt homosexueller Männer unweit der Davidwache. Hier traf er auch den dort ebenfalls verkehrenden und gleichaltrigen Berthold Jacobs, den er bereits von seiner Pflichtarbeiterzeit her kannte. Diesen verleitete er zu einem Automaten-Diebstahl mittels eines Nachschlüssels, was jedoch aufflog. Weil es bei einem Versuch blieb, wurden beide dafür lediglich gerichtlich "verwarnt" und das Verfahren eingestellt. Infolgedessen wurde jedoch Jacobs im Februar 1936 in das Erziehungsheim Hesterberg bei Schleswig überführt. Bei den dortigen Aufnahmegesprächen berichtete er von einer gleichgeschlechtlichen Betätigung mit Kurt Gäth, genannt Ladiges. Die 16-jährigen Jugendlichen hatten im Dezember 1935 eine homosexuelle Handlung gegen Bezahlung mit einem 50-jährigen Mann in Farmsen ausgeführt. Auch ein daraufhin angestrengtes Verfahren vor dem Amtsgericht Altona wegen "widernatürlicher Unzucht" wurde im Dezember 1936 nach dem Jugendgerichtsgesetz eingestellt. Denn Kurt Gäth, genannt Ladiges, war im März 1936 ebenfalls in das Erziehungsheim Hesterberg eingewiesen worden, und der Direktor wollte die zunächst dort beobachtete gute Entwicklung nicht durch eine gerichtliche Unterbrechung gefährden. Allerdings hatte Kurt Gäth, genannt Ladiges, sich bereits kurz nach seiner Einlieferung bis Mai 1936 zweimal dazu überreden lassen, aus dem Heim fortzulaufen. Er sollte zur Arbeit in der Landwirtschaft umgeschult werden. Zugleich galt er als "erziehlich stark verwahrlost" und "verstandesmässig schwach befähigt".

Im Mai 1937 wurde er in ein Heim nach Wulfsdorf bei Ahrensburg überwiesen, aus dem er dann sofort entwich, sich in Hamburg umhertrieb und als Strichjunge betätigte. Zusammen mit seinem Bruder Herbert und einem dritten "Tatbeteiligten" wurde er am 4. Juli 1937 wegen "widernatürlicher Unzucht" im Gerichtsgefängnis Altona inhaftiert. Daraufhin wurde Kurt Gäth, genannt Ladiges, im September 1937 vom Jugend-Schöffengericht Altona zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er bis Mitte September 1939 auf der Elbinsel Hahnöfersand verbüßte. Während der Strafhaft wurde er im Dezember 1938 "wegen angeborenen Schwachsinns" im Zentrallazarett des Untersuchungsgefängnisses sterilisiert.

Sein Bruder Herbert Gäth, genannt Ladiges, wurde am 6. August 1937 vom Jugendgericht Altona wegen "widernatürlicher Unzucht" zu einer Gefängnisstrafe von fünf Monaten verurteilt. Er wurde Mitte Dezember 1937 entlassen und wollte danach zur See fahren, hielt sich jedoch nach einem Bericht des Landesjugendamtes vom April 1938 ebenfalls wieder im Milieu auf St. Pauli und im "Minulla" auf. Vom 1. bis 9. Februar 1938 befand er sich im KZ Fuhlsbüttel. In der Folgezeit beging er Diebstähle. Gegenüber den weiterhin bzw. erneut als Vormund tätigen Franz Meyer beteuerten die Zwillinge bis 1940, "ein anderes, besseres Leben […] beginnen" zu wollen.

Gleichwohl wurde Herbert Gäth, genannt Ladiges, im Oktober 1940 vor dem Hanseatischen Sondergericht in Hamburg mit vier weiteren Angeklagten wegen Diebstahls und Hehlerei (darunter Schaufenstereinbrüche und Diebstähle von Kleidungsstücken während der kriegsbedingten Verdunkelung) nach der "Volksschädlingsverordnung" zu einer vierjährigen Zuchthausstrafe verurteil. Noch im gleichen Jahr wurde er von Fuhlsbüttel aus nach Lingen in Richtung der dortigen Emslandlager verlegt. Er kam jedoch zunächst in das Zuchthaus Brieg bei Breslau in Niederschlesien und am 24. Dezember 1940 in das Emslandlager Aschendorfermoor. Im Mai 1941 ging es für ihn zurück ins Zuchthaus Brieg. Eine "Frontbewährung" wurde ihm im Juli 1944 nicht gewährt, sodass er dort wahrscheinlich das Kriegsende erlebte. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.

Kurt Gäth, genannt Ladiges, fand nach seiner ersten Haftstrafe zunächst bis November 1939 als Drescharbeiter in Marne Beschäftigung, kehrte jedoch wieder in das Milieu auf St. Pauli nach Hamburg zurück und lernte dort den Inhaber einer Großhandelsfirma für landwirtschaftliche Bedarfsartikel, Adolf Zarm (geb. 1908), kennen, mit dem er "gewerbsmäßig" homosexuelle Handlungen ausführte. Aufgrund dieser Verbindung kam es zu einem gerichtlichen Verfahren, das mit einer Verurteilung am 26. Juli 1940 vor dem Landgericht Hamburg nach § 175a, Ziffer 4 Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe endete. Zuvor befand er sich vom 24. bis 29. Februar im KZ Fuhlsbüttel und danach in Untersuchungshaft. Ob er die von Zarm geforderten und teilweise erhaltenen finanziellen Zuwendungen durch Erpressungen erlangte, konnte das Gericht nicht klären und ließ den Anklagepunkt mangels Beweises fallen.

Nach einem im Verfahren angeforderten gerichtsärztlichen Gutachten vom April 1940 durch den Obermedizinalrat Dr. Hans Koopmann, galt Kurt Gäth, genannt Ladiges, als "vermindert zurechnungsfähig". Koopmann attestierte ihm eine "ungünstige kriminalbiologische Prognose" und empfahl nach der Strafverbüßung die Unterbringung in einer "Heil- und Pflegeanstalt". Vom Untersuchungsgefängnis in Hamburg aus wurde Kurt Gäth, genannt Ladiges, Mitte August 1940 zur weiteren Strafverbüßung in das Straf- und Jugendgefängnis Neumünster überstellt. Ein parallel geführtes Verfahren gegen einen Paul (geb. 1893, verstorben 1943 im KZ Neuengamme, Stolperstein in Altona, Pepermölenbek 2, Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de), der ebenfalls mit ihm sexuelle Kontakte unterhalten haben soll, wurde mangels Beweises eingestellt. Am 24. Dezember 1940 wurde Kurt Gäth, genannt Ladiges, nach § 42 RStGB dann in gutem Ernährungszustand in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" eingewiesen. Zunächst wurde er dort als "ruhig, ordentlich, unauffällig" beschrieben und mit Hausarbeit beschäftigt. Im August und Dezember 1941 entwich er zweimal aus der Anstalt. Wenig ist aus dem weiteren Verlauf seines dortigen Aufenthaltes bekannt.

Im Mai 1942 kam er nach Bombenschäden in Langenhorn für zehn Tage ins Untersuchungsgefängnis. Als Erkrankungsdiagnose galt weiterhin, dass er an "Imbezillität" bzw. "Schwachsinn" leide und "geistig als nicht normal zu bezeichnen" sei. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich im Laufe des Aufenthalts in Langenhorn, im Dezember 1942 erkrankte er an der Lunge, was in der Krankenakte im März 1943 als "fortschreitender Tbc-Prozess" beschrieben wurde. Ab Oktober 1944 wurde lapidar der "körperliche Verfall" notiert.

Am 13. November 1944 verstarb Kurt Gäth, genannt Ladiges, ohne zuvor wieder in Freiheit zu gelangen, im Alter von 25 Jahren in der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn". Als offizielle Todesursache wurde "Lungentuberkulose" angeführt.
Aus Berichten über die Versorgung von dortigen Patienten ist jedoch bekannt, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die gesundheitliche Betreuung für manche Insassen sehr eingeschränkt waren und vorzeitige Sterbefälle in Kauf genommen wurden. Von durchschnittlich 4 % bis 8 % Sterbefällen in der Anstalt stieg die Quote in den beiden letzten Kriegsjahren auf 17,5 % bzw. 20,5 %.

Stand: Januar 2023
© Bernhard Rosenkranz (†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaH, 213-8 (General-)Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, 974 und 977; StaH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 60301, 61105 und 61214; StaH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, 14988 und 13989 = 741-4 Fotoarchiv, A 254 sowie Ablieferung 13, jüngere Gefangenenkartei Männer; StaH, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Ablieferung 1995/1, 28080; StaH, 424-111 Amtsgericht Altona, 9796 und 9797 (Vormundschaftsakten, darin auch nicht ausgewiesene Strafaktenteile des Amtsgerichts Altona mit einer ausführlichen Situationsbeschreibung zum Homosexuellentreffpunkt "Minulla"); Peter von Rönn: Die Entwicklung der Anstalt Langenhorn in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Klaus Böhme/Uwe Lohalm (Hrsg.): Wege in den Tod. Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 27–135, hier S. 115; Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann/Gottfried Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, Hamburg 2009, S. 54–61, 212; Michael Wunder: Euthanasie in den letzten Kriegsjahren. Die Jahre 1944 und 1945 in der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn, Husum 1992, S. 48 f.

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