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Bereits verlegte Stolpersteine



Benjamin Martin Josephs * 1886

Hudtwalckerstraße 28 (Hudtwalkertwiete 4) (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
BENJAMIN MARTIN
JOSEPHS
JG. 1886
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Hudtwalckerstraße 28 (Hudtwalkertwiete 4):
Gidel Julie Josephs, Hannah Josephs

Martin Josephs, geb. 18.1.1886 in Jever, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Hudtwalckerstraße 28 (Hudtwalckertwiete 4) (Winterhude)

Martin Josephs wurde 1886 im ostfriesischen Jever geboren, das damals zum Großherzogtum Oldenburg gehörte. Eigentlich lautete der Familienname Meyer. Wann Benjamin Meyer den neuen Namen Martin Josephs erhielt, wissen wir nicht. 1880 lebten in Jever 219 jüdische Einwohner und circa 4.100 nichtjüdische Einwohner. Seine Eltern, Joseph C. Josephs und Johanna Josephs, geb. van Cleef, stammten aus Jever und wurden dort um 1916 beerdigt. Er hatte drei ältere Geschwister: Ferdinand Josephs (geb. 19.7.1879 in Jever), Margarethe "Mary" Josephs (geb. 21.8.1881 in Jever) und Jenny Josephs (geb. 19.6.1883 in Jever).

Martin Josephs Bruder absolvierte um 1895 eine Lehre als Kaufmann, seine Schwester Mary lernte Verkäuferin und seine Schwester Jenny Schneiderin. Martin Josephs ging nach der Volksschule in Jever in eine kaufmännische Lehre von März 1901 bis Dezember 1903 im Textilgeschäft Seckel im 170 km südöstlich gelegenen Walsrode. Er wohnte in dieser Zeit bei dem jüdischen Kaufmann Philipp Hurwitz (1861-1920). Anschließend verzog er nach Ebstorf/Heide; circa 1906/1907 soll er nach Hamburg gezogen sein. Wann und wo er seinen dreijährigen Militärdienst ableistete, ist uns nicht bekannt.

In Hamburg-St. Pauli hatte der Bruder Ferdinand Josephs von 1906 bis 1907 zur Untermiete gewohnt, ehe er sich 1907 nach London abmeldete, und die Schwester Mary lebte seit 1909 in der Hamburger Neustadt in der Fuhlentwiete 28 zur Untermiete. Sie arbeitete als Verkäuferin, lebte während des Ersten Weltkriegs wieder in Jever und 1920-1921 erneut in Hamburg. 1921 heiratete sie Joseph Kaiser aus Frankenberg (Hessen) und zog zu ihm nach Kassel. Dort lebte später auch der Bruder Ferdinand Josephs.

Erstmalig 1914 wurde der Name M. Josephs im Hamburger Adressbuch mit dem Zusatz "Berufskleidung" und der Geschäftsadresse Alsterdorfer Straße 20 abgedruckt. Winterhude war 1894 zum Hamburger Stadtteil erhoben worden. Die Eröffnung der Ringbahn (1912) und der Zweiglinie nach Ohlsdorf mit den Haltestellen Hudtwalckerstraße und Lattenkamp (1914) banden Winterhude verkehrstechnisch noch weiter an. Mit der Anlage des Naherholungsgebietes Stadtpark (1910-1914) erhielt Winterhude weiteren Auftrieb.

Über die Zeit des Ersten Weltkriegs, an dem Martin Josephs als Soldat teilnahm, die der Inflation und der Weltwirtschaftskrise hinweg konnte er sein Geschäft halten. Um 1931 erweiterte er sogar die Produktpalette um Gardinen und Betten und mietete hierfür einen Laden in der Alsterdorfer Straße 4 in der Nähe des Winterhuder Marktplatzes an. Sein Girokonto und das Sparbuch unterhielt er bei einer Zweigstelle der Commerz- und Privatbank AG in der Alsterdorfer Straße 3.

Seit Februar 1922 gehörte Martin Josephs der Jüdischen Gemeinde Hamburg als Mitglied an, religiös bekannte er sich zum orthodoxen Synagogenverband.

Seine Einnahmen waren nach 1930 eingebrochen, so dass die Jüdische Gemeinde ihn 1931 bis 1934 von der Kultussteuer befreite. Vermutlich halfen ihm in dieser Zeit Angehörige seiner Ehefrau mit Krediten: Meda Goldberg aus Hamburg (Sedanstr. 23), Betty Goldberg aus Frankfurt/Main sowie Max und Frieda Oppenheimer aus Hamburg.

Im April 1922 heiratete er Gidel, gen. Julie Goldberg (geb. 19.11.1894 in Melsungen/ Hessen). Einer der Trauzeugen war der 45 Jahre alte Kaufmann Julius van Cleef aus der Isestraße 49, möglicherweise ein Cousin des Bräutigams (siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Im März 1923 wurde die gemeinsame Tochter Hannah geboren (siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Es ist anzunehmen, dass seine Ehefrau Julie auch im Geschäft mitgeholfen hat.

1933 endete diese durch demokratische Rechte abgesicherte Existenz von Martin Joseph. Schon am 1. April 1933 organisierten die Nationalsozialisten einen reichsweiten Boykott gegen Geschäfte jüdischer Besitzer. Es folgte der Ausschluss aus Lieferketten und die Einführung von Sondersteuern für Juden. Auch wurden kleinere Verstöße von Juden zu großen Verbrechen aufgebauscht und mit Verhaftung geahndet. So auch bei Martin Josephs, der vom 6. Dezember 1934 bis 2. März 1935 den Schneidergesellen Willy Koninski (geb. 15.10.1915 in Hamburg) als Boten beschäftigt hatte. Dessen Einstellung war über den "Israelitischen Stellenvermittlungsverein e.V. " (Große Bäckerstraße 2) erfolgt. Obwohl das Arbeitsamt Martin Josephs vor der Einstellung schriftlich bescheinigt hatte, er brauche als Kleinbetrieb mit unter 20 Mitarbeitern keine Genehmigung einzuholen, wurde genau dies im März 1935 von ihm verlangt. Die Polizei verhaftete den Boten Koninski und lud Martin Josephs zu zwei Verhören wegen "ungenehmigter Arbeitseinstellung" vor. Die Staatsanwaltschaft beantragte im April 1935 einen Strafbefehl; beide wurden zu einer Geldstrafe von jeweils 20 RM verurteilt.

Der von der NSDAP und ihren Organisationen geplante und ausgeführte Pogrom vom 9./10. November 1938 ("Reichskristallnacht") markierte den Beginn des offenen Terrors gegen Juden. Ob auch die beiden Ladengeschäfte von Martin Josephs dabei vom Vandalismus der SA-Trupps betroffen waren, ist uns nicht bekannt. Schon am 23. November 1938 folgte vom Reichswirtschaftsminister und vom Reichspropagandaminister die "Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben." Martin Josephs stand damit vor dem Ende seiner wirtschaftlichen Existenz überhaupt. Eine Aussicht in einer anderen Branche neu zu beginnen gab es nicht.

Die finanzielle Situation hatte sich schon in den Vorjahren immer weiter verschlechtert, so dass die Familie ihre Wohnung in der Hudtwalckerstraße 35 II. Stock aufgab und in die neu errichtete Hudtwalckertwiete 4 II. Stock umzog. Unter dieser Adresse wurden sie zuletzt im Hamburger Adressbuch von 1940 erfasst. Allerdings waren sie laut Unterlagen der Einwohnerstelle bereits 1939 dort wieder ausgezogen. (In einer Akte des Oberfinanzpräsidenten lautete die Wohnadresse hingegen noch im Januar 1940 die Hudtwalckertwiete 4.) Zu den wirtschaftlichen Nöten kam die Angst vor willkürlicher Verhaftung und Misshandlung.

Mit der Auflösung des Geschäfts von Martin Josephs beauftragte die Verwaltung für Handel, Schifffahrt und Gewerbe Gustav von Bargen, einen "Bücherrevisor, Helfer in Steuersachen, Abwickler, Treuhänder" (Mönckebergstraße 10). Während Martin Josephs noch hoffte, einen einigermaßen realistischen Verkaufserlös für seine Ware und das Inventar erzielen zu können, beauftragten die für die "Arisierungen" zuständigen Stellen einen Schätzer, der üblicherweise den Konkurswert statt des Einkaufswertes ansetzte, was eine Halbierung des Wertes bedeutete. Der angestellte Textilverkäufer Kurt Heesch (Jahrgang 1905, NSDAP-Mitglied seit Mai 1933) hatte sich bereits nach geeigneten Objekten umgesehen, mit denen er sich selbstständig machen konnte: "Das Geschäft Alsterdorferstr. 18 wurde mir durch einen Textilvertreter zum Kauf nachgewiesen, nachdem ich auf zwei verschiedene Textilläden in Halstenbek und Wedel gehandelt hatte", begründete er den Erwerb. Kurt Heesch übernahm das Geschäft von Martin Josephs samt Warenlager für 15.200 RM und führte es als "Manufacturwarengeschäft Kurt Heesch" auf der anderen Straßenseite (Alsterdorfer Straße 21) weiter. Seine Jahreseinnahmen stiegen dadurch sprunghaft auf das 2 ½fache an (von rund 4.000 RM auf rund 11.000 RM). (Im Entschädigungsverfahren 30 Jahre später wurde der hohe Wertverlust für Martin Josephs durch den zwangsweisen Verkauf vom Gericht festgestellt.)

Der NS-Staat, der Martin Josephs aus dem Wirtschaftsleben in Deutschland ausgeschlossen hatte, leitete anschließend den behördlich organisierten Raub seines restlichen Vermögens in die Wege. Mit scheinlegalen Vorschriften und Verordnungen setzte die Bürokratie des Deutschen Reiches die Ideen der Nationalsozialisten um. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde von Juden eine "Sühneleistung" verlangt, die sich nach dem jeweiligen Vermögen richtete und in fünf Raten zu zahlen war. Auf Martin Josephs entfielen insgesamt 4.000 RM, die als "Judenvermögensabgabe" über die Finanzämter eingetrieben wurden.

Mit einer "Sicherungsanordnung" wurde im April 1939 das restliche Vermögen von Martin Josephs gesperrt. Die Devisenstelle legte für ihn erlaubte monatliche Ausgaben von 400 RM fest, darüber hinausgehende Summen bedurften einer Genehmigung. Im Oktober 1939 wurden die bewilligten Ausgaben auf 350 RM reduziert.

Die Reisepässe von Juden wurden ab Oktober 1938 mit einem großen "J" versehen. Für eine Emigration musste ein bürokratisches Verfahren durchlaufen werden, dessen Aufsicht ebenfalls die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten innehatte. Hohe Abgabensummen, vorgeschriebene Zwangsverkäufe von Immobilien, Wertpapieren und Lebensversicherungen sowie willkürlich hohe Abschläge auf Geldtransfers ins Ausland beraubten die Emigranten meist des Großteils ihres Restvermögens. Dennoch versuchte Martin Josephs dies. Er gab im April 1939 gegenüber der Devisenstelle an, dass er mit seiner Familie in die USA emigrieren wolle.

Im Juli 1939 schrieb er an die Devisenstelle, die sein Kapital gesperrt hatte: "Ich bitte mir für Lehrkurse, Sprachkurse sowie Umschichtungskurse zur Vorbereitung für die Auswanderung für meine Frau, meine Tochter und mich laufend monatlich 200 RM zu bewilligen." Im Oktober 1939 beantragte er 50 RM an Grete Michelson in Hamburg zu zahlen wegen "Sprachunterricht für die Auswanderung." Ebenfalls im Oktober 1939 bat er um Freigabe von 50 RM für die Beratungsstelle für Jüdische Wirtschaftshilfe. Dort absolvierte er eine "Auswanderungsausbildung in der Tischlerei." Mit dem Beginn der Deportationen im Oktober 1941 wurde die Emigration von Juden offiziell verboten.

Martin Josephs wurde mit seiner Ehefrau und seiner Tochter am 8. November 1941 ins Getto Minsk deportiert. Ihr Zimmer wurde versiegelt und die Einrichtung entsprechend den Richtlinien NS-Deutschlands beschlagnahmt und öffentlich versteigert.

Martin, Julie und Hannah Josephs kehrten aus Minsk nicht zurück. Durch Hunger, Krankheiten und Massenerschießungen kamen sie wie fast alle nach Minsk Deportierten zu Tode.

Stand: März 2022
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 213-11 (Staatsanwaltschaft Landgericht), 51297 (Martin Josephs u. Willi Koninski, Einstellung ohne Genehmigung des Arbeitsamts, 1935); StaH 213-13 (Staatsanwaltschaft Landgericht, Wiedergutmachung), 18356 (Martin u. Julie Josephs); StaH 213-13 (Staatsanwaltschaft Landgericht, Wiedergutmachung), 25134 (Martin Josephs); StaH 213-13 (Staatsanwaltschaft Landgericht, Wiedergutmachung), 27269 (Benjamin Meyer genannt Martin Josephs); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1939/2487 (Sicherungsanordnung gegen Martin Josephs 1939); StaH 332-5 (Standesämter), 9591 u. 263/1922 (Heiratsregister 1922, Martin Josephs u. Gidel/Julie Goldberg); StaH 332-8 (Meldewesen), K 6328 (Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925), Ferdinand Josephs (1906-1907 Carolinenstr. 30 bei Jacobsen, 6.4.1907 abgemeldet nach London), Mary Josephs; StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 8676 (Benjamin Meyer genannt Martin Josephs); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Martin Josephs, Hannah Josephs; StaH 221-11 (Entnazifizierung), C/R 1770 (Kurt Heesch); Stadtarchiv Walsrode, HA 1074 (Anmelderegister 1896-1906) und HA 1075 (Abmelderegister 1896-1906); Standesamt Kassel 1, 415/1921 (Heiratsregister 1921, Joseph Kaiser in Frankenberg/Hessen u. Mary Josephs in Hamburg, Klosterallee 100); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945, Hamburg 1998, S. 285, 361 (Martin Josephs), S. 237 (Gustav v. Bargen); Staatsarchiv Hamburg, Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus, Hamburg 1995 (Benjamin Martin Josephs, Gidel (Julie) Josephs geb. Goldberg, Hanna Josephs, Willy Koninski); Adressbuch Hamburg (M. Josephs, Berufskleidung bzw. Textilwaren, Alsterdorferstr. 20) 1914, 1920, 1929, 1930, 1937; Adressbuch Hamburg 1940 (Kurt Heesch KG, Manufakturwaren, Alsterdorfer Str. 18, Inh. Kurt Heesch); Telefonbuch Hamburg 1931 (Martin Josephs, Textilwaren/Betten/Gardinen, Alsterdorfer Str. 18, Tel. 52 89 70); Telefonbuch Hamburg (Gustav von Bargen) 1939; https://www.alemannia-judaica.de/jever.htm (Anzahl jüdische Einwohner in Jever); www.stolpersteine-hamburg.de (Julius van Cleef geb. 1877).

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