Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Leopold Sussmann, 1939
Leopold Sussmann, 1939
© Privatbesitz

Leopold Sussmann * 1876

Magdalenenstraße 28 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Riga

Weitere Stolpersteine in Magdalenenstraße 28:
Selma Sussmann

Leopold Sussmann, geb. am 6.3.1876, deportiert am 6.12.1941 nach Riga, dort verschollen

Magdalenenstraße 28

Leopold Sussmann wurde am 6. März 1876 in Wendisch-Buchholz geboren. Im Geburtseintrag wird ebenfalls der jüdische Vorname Leib angegeben. Seine Eltern waren der Kaufmann und Ziegeleibesitzer Alexander Sussmann (1837-1885) und Flora, geb. Steinberg (1848-1900). Leopold war das Vierte von sieben Kindern des Paares. Sein kleiner, 1 ½ Jahre nach ihm geborener Bruder Albert verstarb als Säugling mit kaum 5 Monaten.

Leopolds Vater Alexander Sussmann stammte aus Wendisch-Buchholz, seine Mutter Flora aus Czarnikau. Die Familie Sussmann war eine alteingesessene und wahrscheinlich recht wohlhabende jüdische Familie. Als Leopold Sussmann drei Jahre alt war, wurde 1879, noch in Wendisch-Buchholz, seine Schwester Käthe geboren.

1868 hatte Alexander Sussmann eine Ziegelei in Muskau übernommen, die er nach seiner Schwiegermutter Theresia benannte. Zur Energiegewinnung erschloss er Braunkohlengruben, denen er die Namen Theresia und Flora Charlotte, Vornamen seiner Schwiegermutter und seiner Ehefrau, gab. Die Schächte der Gruben benannte er nach seinen Söhnen und Mitgliedern der Familie Steinberg. So gab es auch einen Leo Schacht.

In Muskau, wohin die Familie gezogen war, kam 1884 der jüngste Sohn Harry zur Welt. 1885, etwas über ein Jahr nach dessen Geburt, verstarb Alexander Sussmann. Bestattet wurde er auf dem Jüdischen Friedhof seiner Geburtsstadt. Seine Witwe Flora und ihr Bruder Miachelis Steinberg, Repräsentant der Grube, verpachteten die Ziegelei zunächst, dann verkauften sie sie.

Mit ihren Kindern zog Flora Sussmann nach Berlin. Dort lebten Mitglieder der Familie Steinberg, Floras Verwandte. Im Berliner Adressbuch von 1887 findet sich erstmals ein Eintrag: "Sußmann, F., Kfms ww., C Koppen Platz 8. II". Tochter Recha, Rosa genannt, war inzwischen 16 Jahre alt, Leopold 11, Käthe 8 und Harry 3 Jahre. Die älteren Söhne Arthur und Martin hatten das Elternhaus bereits verlassen.

Käthe und Leopold wurden vorübergehend im Auerbach‘schen Waisenhaus untergebracht. Käthe blieb dort über sieben Jahre lang, Leopold kürzer. Nach dem Konzept des Hauses wurden hier auch vaterlose Kinder versorgt und genossen eine angemessene Schulbildung. Die Versorgung und die umfassende Bildung der Kinder war der Witwe Flora Sussmann wirtschaftlich wohl nicht möglich. Nach Abschluss der Schulzeit lebte die große Familie wahrscheinlich wieder zusammen. 1891 wurde Leopolds Bruder Martin in Berlin zum Arzt approbiert. 1893 sind im Berliner Adressbuch als Haushaltsvorstände in der Rosenthaler Straße 63 die Wwe. Flora Sussmann und der Arzt Dr. Martin Sussmann gemeldet, 1894 ebenfalls der Kaufmann Arthur Sussmann.

Um 1895 ließ sich Leopolds Bruder Martin Sussmann in Wriezen, Kreis Oberbarnim, als Allgemeinarzt mit eigener Praxis nieder. Ebenfalls 1895 schloss Leopold das Friedrichsgymnasium mit bestandener Reifeprüfung ab. Im Anschluss, 1896, begann er seine Ausbildung als Maschinenbaueleve bei der renommierten Berliner Maschinenbau-Firma Ludwig Loewe & Co. und war ab dem Winterhalbjahr 1896/97 bis September 1901 an der Technischen Hochschule Charlottenburg in der Abteilung III, Maschinen-Ingenieurwissenschaften, einschließlich Elektrotechnik eingeschrieben. Das Studium schloss er am 17.12.1900 ab.

Am 25. Oktober 1900 starb Leopold Sussmanns Mutter Flora in der ‚Familienwohnung‘, Flensburger Straße 9. Als Haushaltsvorstand gemeldet war dort der älteste Sohn Arthur (1868/69-1934). Beigesetzt wurde sie auf dem Jüdischen Friedhof Berlin Weißensee. In der Anmeldung des Sterbefalls wird neben seinen Geschwistern "Leopold Sussmann, Student", als Hinterbliebener vermerkt.

Um 1900 heiratete Leopolds Bruder Martin Victor Klemperers jüngste Schwester Valeska (1877-1936), in der Familie Wally genannt. In Victor Klemperers Autobiografie ‚Curriculum Vitae‘ und in den Tagebüchern finden sich ab dem Zeitpunkt Erwähnungen der Familie Sussmann.

Am 4. Juni 1901 wurde Leopold Sussmann nach bestandener erster Hauptprüfung für den Staatsdienst vom Präsidenten der königlichen Eisenbahndirektion Altona zum Regierungsbauführer des Maschinen Baufachs ernannt. In Berlin arbeitete er im Lokomotivbaubüro der Berliner Maschinenbau-Actien-Gesellschaft (vorm. Schwartzkopff), und legte die Lokomotivführerprüfung ab. Am 18. November 1904 trat Leopold Sussmann in Berlin als Maschinentechnischer Beamter der Reichsbahn bei. Er blieb bei der Reichsbahn bis zu seiner Pensionierung am 1. Januar 1934. Noch in Berlin war er "Regierungsbaumeister bei der Reichsbahndirektion Berlin", "Ressortchef im Lok.büro Orenstein und Koppel, Drewitz", dann in der Reichsbahndirektion Altona Regierungsbauführer". 1910 bis 1912 war Leopold Sussmann in Limburg/Lahn in der Maschineninspektion der Reichsbahn tätig.

1910/11 erschien in den "Annalen für Gewerbe und Bauwesen", herausgegeben von F. C. Glaser, ein Vortrag des Regierungsbaumeisters L. Sussmann, Limburg, über die Ölfeuerung für Lokomotiven -mit besonderer Berücksichtigung der Versuche mit Teerölzusatzfeuerung bei den preußischen Staatsbahnen. Der im Verein Deutscher Maschinen-Ingenieure zu Berlin gehaltene Vortrag erschien 1912 überarbeitet im Springer-Verlag. Vom Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen erhielt er hierfür einen Preis von 2000 Mark.

Leopold Sussmann war von der Königlichen Eisenbahndirektion Frankfurt a. M. bei der Maschinen-und der Werkstätteninspektion Limburg a. Lahn zu der über mehrere Jahre angelegten Forschung beauftragt. Der Bereich der Brennstoff- und Wärmewirtschaft von Lokomotiven und die Optimierung von Arbeitsabläufen im Reparaturbetrieb bei der Deutschen Reichsbahn waren Schwerpunkte seiner Tätigkeit.

Wahrscheinlich in Limburg lernte Leopold Sussmann die junge Selma Gerolstein kennen (Biographie Selma Sussmann siehe www.stolpersteine-hamburg.de).
Sie stammte aus einer alteingesessenen jüdischen Limburger Familie. Ihr Vater war Metzgermeister und Gastwirt und führte in der Stadt eine koschere Metzgerei. Selma wird, wie ihre ältere Schwester Bella, das dortige Lyzeum, die‚ Thau-Schule‘, besucht haben. 1911 findet sich im Adressbuch der Stadt folgender Eintrag: "Sußmann Leopold, Regierungs-Baumeister, Neumarkt 10, II." Im Gebäude befand sich auch das Warenhaus der Geschwister Mayer, das von der jüdischen Familie Putziger betrieben wurde.

Am 1. April 1912 wurde Leopold Sussmann zum Reichsbahnrat befördert. Sechs Wochen später, am 21. Mai heiratete er Selma Gerolstein in Berlin. Leopold Sussmann war zu der Zeit bereits in Stettin u.a. bei den Vulkanwerken als Abnahmebaumeister beschäftigt. Seine junge Ehefrau zog offensichtlich zu ihm, denn am 23. Dezember 1912 wurde in Stettin Tochter Flora Käthe geboren. Namensgeberinnen waren vermutlich Leopold Sussmanns Mutter Flora und Schwester Käthe.

Leopold Sussmann war bei der Geburt der Tochter 36 Jahre alt, seine Frau Selma 23 Jahre. In Stettin lebte die junge Familie in der Pestalozzistraße 21 im 1. OG bis zum Umzug nach Bromberg, wo Leopold Sussmann am 1. April 1915 eine Leitungsposition bei der Reichsbahn übertragen wurde. Im Bromberger Adressbuch von 1917 findet sich der Regierungsbaumeister Sußmann verzeichnet als Vorstand des Königlichen Eisenbahnwerkstättenamts (Königliches Eisenbahnamt, Abteilung 4). Die Familie wohnte in der Danziger Straße 120.

1917 ist im Verzeichnis der Höheren Beamten der Preussisch-Hessischen Staatseisenbahnverwaltung, des Reichs-Eisenbahnamts und der Verwaltung der Reichseisenbahnen bei Leopold Sussmann ein ‚Verdienstkreuz für Kriegshilfe‘ vermerkt.
Am 12. November 1918 wurde in Bromberg als drittes Kind Sohn Peter Gerhard geboren. Ein älteres Geschwisterkind verstarb mit 3 Jahren.

Leopold Sussmanns Leitungstätigkeit in Bromberg fiel in die Zeit des Posener Aufstands mit der im Versailler Vertrag festgeschriebenen Abtretung des größten Teils der Provinz Posen an Polen. Er beschrieb die Situation wie folgt:
"Von 1915 bis 1920 war ich Vorstand der Eisenbahn Hauptwerkstätte Bromberg. Die Belegschaft betrug zuletzt über 2800 Mann, etwa die Hälfte davon polnisch. Nach Kriegsende begann der polnische Aufstand, die Polen drangen bis 5 km an Bromberg vor. In der Werkstatt wurden Abwehrabteilungen gebildet, ich wurde beauftragt, Panzerzüge zubauen, da nur mit diesen ein Angriff der Grenzschutzabteilungen gegen die Polen vorzutragen war. Alle Anordnungen und Ausführungen, Hilfsarbeiten u s w in der Werkstatt beruhten, wie auch vorher während der Kriegszeit, auf meiner Initiative, ich musste mich mit meiner Person jedoch möglichst zurückhalten, da die Belegschaft zur Hälfte aus polnisch gesinnten Arbeitern bestand, die sich weigerten, an Panzerzügen zu arbeiten, die gegen ihre Landsleute eingesetzt wurden. [...] Mit Hilfe dieser Panzerzüge wurde dann auch der Aufstand in Bayern unterdrückt. Von meinen Beamten erhielten dann noch 1919 zwei dafür das eiserne Kreuz, ich selbst musste, wie gesagt, zur Vermeidung von Schwierigkeiten mit den Arbeitern mich zurückhalten.

Auch nach dem Einzug der Polen blieb ich als letzter der höheren Beamten (Jan. 1920) mit Familie und Sachen in Bromberg, da ich den deutschen Arbeitern zur Seite stehen musste, denen ich versprochen hatte, sie nicht zu verlassen, solange nicht alle deutschen Beamten herausgezogen würden, was erst nach April 1920 geschah."

Am 3. März 1920 ernannte der Minister der öffentlichen Arbeiten Berlin Leopold Sussmann zum Regierungs- und Baurat. Seine Arbeitsadresse lautete nun Magdeburg-Buckau.
1922 bis 1923 findet sich Leopold Sußmann im Frankfurter Adressbuch. Unter der Adresse Eppsteiner Str. 33 und 1924 als Regierungsbaurat und Mitglied der Abteilung III der Reichsbahn Direktion Frankfurt. Er war Mitglied im Vorstand der Eisenbahnhauptwerkstätten Nied und 1925 Direktionsmitglied der Reichsbahndirektion Frankfurt.

In ‚Glasers Annalen‘ erschien 1922 der Vortrag mit Diskussion "Neuzeitliche Betriebsführung in der Lokomotivkessel-Ausbesserung", den Leopold Sussmann in seiner Funktion als Vorstand des Eisenbahnwerkstättenamts bei Nied gehalten hatte. Seine Arbeit wurde vom Preisausschuss des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen mit einem Preisgeld von 1500 RM anerkannt. Das Ausbesserungswerk Frankfurt Nied war unter wechselnden Namen das wichtigste Ausbesserungswerk des Eisenbahnknotens Frankfurt mit der Spezialisierung auf Lokomotiven. Der Vortrag beschäftigte sich mit der Arbeitsorganisation und mit der Optimierung und Rationalisierung von Arbeitsabläufen.

Wahrscheinlich aufgrund seiner fachlichen Expertisen und seiner Erfahrungen in Leitungsfunktionen in diversen Betrieben wechselte Leopold Sussmann 1925 nach Altona bei Hamburg in das Dezernat 63 für Wärmewirtschaft. Dieses Dezernat war zugleich geschäftsführend verantwortlich für die Bezirke der Reichsbahndirektionen Altona, Hannover, Münster (Westf.), Oldenburg und Schwerin (Bezirk 1), wo insgesamt 3.500 Arbeiter beschäftigt waren. Direktionsmitglied und Leopold Sussmanns Vorgesetzter war der promovierte Ernst Spiro, Dezernent für Werkstättenorganisation. Einer seiner Kollegen und ab 1931 Vorgesetzter, war der gleichaltrige Paul Levy, der sich besonders mit der Rationalisierung in den Ausbesserungswerkstätten der Reichsbahn nach amerikanischem Stil eingesetzt hatte.

In Altona angekommen, veröffentlichte der "Regierungs- und Baurat L. Sussmann" 1925 im ‚Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens‘ einen Fachaufsatz mit dem Titel "Einheitshemmschuh". Ab 1926 findet sich im Adressbuch unter der Adresse Gottorpstraße 14 der Eintrag: E Sussmann, L., Reichsbahnrat. Die Familie lebte nun in der eigenen Doppelhaus-Villa im gutbürgerlichen Altonaer Stadtteil Othmarschen (Erst 1937/38 wurden Altona und Othmarschen durch das sogenannte ‚Groß-Hamburg-Gesetz‘ zu Hamburg eingemeindet.)

1927 wurde Leopold Sussmann zum Reichsbahn-Oberrat ernannt und ihm wurde eine planmäßige Stelle der Besoldungsgruppe A XII verliehen. Für die Ausarbeitung eines Kohlenprüfverfahrens erhielt er 1930 durch die Reichsbahn-Direktion eine Belohnung in Höhe von 400 RM. Im Jahr 1933 veröffentlichte Leopold Sussmann "Einige Fortschritte der Brennstoff- und Wärmewirtschaft in ihrer Anwendung bei der Reichsbahn." in den ‚Annalen für Gewerbe und Bauwesen‘. Während seiner Berufstätigkeit unterrichtete er zudem viele Jahre in der Eisenbahnfachschule und in Wärmewirtschaftlichen Kursen und hielt zahlreiche weitere Vorträge. Zeitweilig stand ihm ein Dienstwagen zur Verfügung. Zur großen Freude der Kinder brachte ihnen ihr Vater von seinen Dienstreisen die übrig gebliebenen Butterbrote "Hasenbrote" mit.

Im Verzeichnis der oberen Reichsbahnbeamten von 1933 findet sich Leopold Sussmann als Dezernent und Reichsbahn-Oberrat letztmalig. Der NS-Staat entließ die Beamten jüdischer Herkunft nach dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". Dieses sah für die seit mindestens 1914 im Staatsdienst Tätigen die Versetzung in den Ruhestand vor. Leopold Sussmanns Antrag auf eine solche zum 1. Januar 1934 wurde am 19. September 1933 durch den Generaldirektor der Deutschen Reichsbahngesellschaft mit einem Ruhegehalt von 561 RM 42 Rpf. bewilligt.

Das bedeutete deutliche wirtschaftliche Einschränkungen. Sohn Peter war Gymnasiast in Othmarschen, Tochter Käthe war nach ihrem Abitur 1931 zum Studium nach München gezogen. Um der antisemitischen Stimmung zu entkommen, gingen sie und ihr nicht jüdischer Verlobter nach Frankreich. Ihre Eltern unterstützten sie finanziell bis 1938. Sie verbrachte mit ihnen weiterhin gemeinsame Urlaube in Dänemark. Das letzte Mal sahen sie sich 1938, nachdem Käthe in Hamburg der Pass entzogen worden war, und ihr Vater Leopold ihr Devisen für ein Rückflugticket nach Paris besorgen konnte. Bis zur Befreiung erlebte Käthe dort unter dem Namen Edith Schmidt eine turbulente und gefährliche Flucht. In der Gemeinde Die im Département Drôme unterstützte sie die Résistence.

Am 29. Juni 1935 meldete sich Leopold Sussmann mit Frau und Kind in der Jüdischen Gemeinde Hamburg an. Sohn Peter Gerhard war 15 Jahre alt. Die Familie zog aus dem eigenen Haus in Othmarschen in eine gemietete Parterrewohnung im Hamburger Stadtteil Rotherbaum, in die Magdalenenstraße 28. Den nun weiten Schulweg von der Magdalenenstraße zu seiner Schule, dem Christianeum in Othmarschen, legte Sohn Peter bis zur Reifeprüfung Ostern 1937 mit dem Fahrrad zurück.
Dies war die letzte Adresse, von der aus sich Leopold und Selma Sussmann Anfang Dezember 1941 zur Deportation nach Riga bereitmachen mussten.

Im Zuge der Verhaftungen jüdischer Männer nach dem Novemberpogrom 1938 wurden auch Leopold und Peter Sussmann in Haft genommen und am 10. oder 11. November in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Dort wurden sie als Häftlinge Nr. 8369 (Leopold) und 8370 (Peter) registriert und der gleichen Baracke (Block 19 im sogenannten kleinen Lager) zugewiesen.

Leopold Sussmann wurde bereits nach knapp zwei Wochen am 23. November 1938 wieder entlassen, sein Sohn Peter genau einen Monat später. Später schilderte Peter Sussmann seiner Tochter die erlittenen Qualen dort: "And being in the camp - dad said that the people there had frostbite, and were queueing for medical aid. But someone came out and threw water over them. They didn't queue again after that. And he described one man having a heart attack at roll call, and his friends having to continue to hold him up, even after he was dead."

Im Februar 1939 beantragte der 19jährige Student der Physik, Universität Hamburg, Peter Gerhard Sussmann die Auswanderung über England in die USA zur Fortsetzung des Studiums. Da er noch nicht volljährig war, musste sein Vater Leopold dem Antrag zustimmen. Mitte März 1939 konnte er über Dänemark nach England fliehen. Zeugnisse, Dokumente und Fotos seines Vaters nahm er mit, ebenso dessen Zeichenwerkzeuge. Geplant war, dass Leopold und Selma folgen sollten, doch dies sollte ihnen nicht mehr gelingen.

Leopold Sussmann engagierte sich bei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, als deren untergeordnete Stelle die Jüdische Gemeinde Hamburg seit 1939 arbeitete. Anfang Januar 1940 beantragte er in der Berliner Zentrale der Reichsvereinigung, Abteilung Unterricht, eine Lehrerlaubnis für technischen Privatunterricht. Die Ausbildung sollte auswanderungswilligen jüdischen Hamburgern die Möglichkeit eröffnen, überall im Ausland eine Anstellung im technischen Bereich zu erlangen. Den mindestens zweimonatigen Unterricht plante er für bis zu vier Schüler gleichzeitig an zwei Tagen der Woche in seiner Wohnung durchzuführen. Am 26. März 1940 erhielt er die Genehmigung. Doch zur Lehrtätigkeit kam es nicht mehr.
Noch Ende September 1940 hatte Leopold Sussmann stellvertretend für seine in die USA geflüchtete Schwester Käthe eine Anfrage zur Pension an die Preußische Bau- und Finanzdirektion gerichtet und die Bestätigung erhalten, dass diese bis Januar 1941 gezahlt würde.

Am 6. Dezember 1941 wurde der ehemalige Reichsbahn Oberrat, Mitglied der Reichsbahndirektion Altona, mit seiner Frau Selma vom Hannoverschen Bahnhof aus in den Tod nach Riga deportiert. Leopold Sussmann war 64 Jahre alt. Auf der Steuerkarte der Jüdischen Gemeinde ist vermerkt: "ausgeschieden den 6.Dez.1941 durch Abwanderung".
Die Deportation sollte ursprünglich zwei Tage vorher stattfinden und nach Minsk führen, wurde jedoch aus eisenbahntechnischen Gründen verschoben und führte nach Riga, in dessen Getto jedoch noch Massenerschießungen stattfanden. Deshalb wurde der Hamburger Zug – wie auch solche aus Stuttgart, Nürnberg und Wien - in das Lager Jungfernhof geleitet. D.h., der mit 890 Personen besetzte Zug aus Hamburg fuhr bis zum Güterbahnhof Šķirotava. Von dort wurden die Gefangenen durch tiefen Schnee in das 1,5 km südlich gelegene Außenlager Riga-Jungfernhof (lettisch: Jumpravmuiža) getrieben. Aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen starben dort hunderte Häftlinge. Ein Großteil derer, die bis Frühjahr 1942 überlebt hatten, fiel einer Massenerschießung zum Opfer, die "Aktion Dünamünde" genannt wurde.
Auch Leopold und Selma Sussmann überlebten nicht, sie verhungerten, erfroren oder wurden erschossen, Genaueres konnte mangels Unterlagen nicht festgestellt werden.
Noch 1953 steht in den Akten zur Wiedergutmachung des Landgerichts Hamburg zu Leopold und Selma Sussmann "evakuiert nach Riga".

Ihre Kinder Flora Käthe und Peter Gerhard konnten fliehen und überleben.
Flora Käthe, später Kathe F. McPhail, verstarb im Februar 2013 mit 100 Jahren in Detroit, Peter Gerhard mit 80 Jahren in Wales. Beide hinterließen Kinder und Enkelkinder.

Leopold Sussmanns Bruder Martin und seine Schwester Käthe konnten durch Flucht nach Schweden und in die USA überleben. Seine Brüder Arthur und Harry und seine Schwester Recha starben an den Folgen der Demütigung und Verfolgung in Berlin.

Leopold Sussmanns Cousin Willy Abraham Sussmann und seine Frau Margarethe, geb. Levy, wurden von Berlin aus deportiert. Willy Sussmann verstarb in Theresienstadt, Margarethe Sussmann wurde im KZ Stutthof ermordet. Zu ihrem Gedenken wurden 2008 vor dem Haus Mommsenstraße 22, Berlin, Stolpersteine verlegt.

Leopold Sussmanns Kollege und späterer Vorgesetzter in Hamburg, Paul Levy, wurde mit seiner Frau Charlotte 1943 in Auschwitz Birkenau ermordet. Zu ihrem Gedenken wurden 2014 in Berlin Zehlendorf Stolpersteine verlegt.

Stand: März 2023
© Dorothea Thünken-Klemperer

Quellen: Kreisarchiv Landkreis Dahme-Spreewald; A-7 STA Märkisch Buchholz, Signatur G1 (7/1876); Signaturen G1 (44/1877) und S1 (3/1878), Signatur G1 (20/1879); Landesentschädigungsamt Berlin, Entschädigungsakte Nr. 362.095; Archiv TU Berlin; 007 4 Matrikel der TH Berlin, Band IV, 1891 – 1899, S. 258; Familienbesitz: Geschäftsführende Verwaltung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, Geschäftsnummer II 169. vom 10. Juli; Dokument Nr. VI.41.131; Geschäftsführende Verwaltung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, Geschäftsnummer I 110 vom 29. Juni 1925; Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft Reichsbahn Direktion Altona, Zeichen PR 64 W 3.Ang.174/30- vom 23.Dezember 1930; Stadtarchiv Limburg, XIVc/1618, Klassenfoto mit Bella Gerolstein um 1896/97; Landeskirchliches Archiv der Evang.-Luth. Kirche, Kirchenkreis Hamburg-West Südholstein, Hbg-Othmarschen Christus Konfirmationen 1927-1930, Bild 14; Archiv Christianeum Hamburg, Lebenslauf Peter Sussmann; Landesarchiv Berlin, A Pr.Br.Rep.042 Nr. 17086; StaH, Bestand 522-1, Steuerkarte der Jüdischen Gemeinde Nr. 928; 522-1, Steuerkarte der Jüdischen Gemeinde Nr. 20685361-2 II, 253; 314-15_FVg 3615, 213-13_18635; Klein, Holger, persönliche Mitteilung vom 10.12.2021, 4.2.2022, u. 16.01.2023; M. Vigar; Dokument in Familienbesitz, M. Vigar, Mail vom 14.03.2023; Mitteilung Jüdischer Friedhof Weißensee vom 28.10.2022; Stadtarchiv Limburg, Waldecker, C.; schriftl. Mitteilung vom 16.11.2022; K. McPhail; Mail vom 16.3.2023; R. McPhail, Mail vom 13.12.2022; K. McPhail, Mail vom 16.01.2023; Ley, A., Gedenkstätte Sachsenhausen, Mail vom 19.03.2023; Nassauer Bote, Todes-Anzeige, 19.12.1930; The Detroit News, Feb.17, 2013; Obituary; Heinze, Klein, Krabat; Muskauer Steinzeug, Handwerk und Industrie, Verlag Gunter Oettel, 2019, S. 247ff; Ölfeuerung für Lokomotiven mit besonderer Berücksichtigung der Versuche mit Teerölzusatzfeuerung bei den preußischen Staatsbahnen, 1912; Springer Berlin, Heidelberg 1912; Berliner Adressbücher; Adressbuch für Stettin und Umgebung, Universität Greifswald, Ausgaben von 1913, 1914; Altonaer Adressbuch, 1926, S.IV/69; Verzeichnis der Höheren Beamten der Preussisch-Hessischen Staatseisenbahnverwaltung, des Reichs-Eisenbahnamts und der Verwaltung der Reichseisenbahnen, Hannover, Verlag von Gebrüder Jaenicke, Hofbuchdruckerei; Glasers Annalen, Berlin 1922, Band 90, Heft 10, vom 15. Mai 1922; Gottwald, Alfred, Jüdische Miniaturen, Band 155, Paul Levy, Berlin 2014; Paul Levy: Fließarbeit und fließende Fertigung in Eisenbahn Ausbesserungswerken. In: Verkehrstechnik 8 (1927), S. 55; Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens; Jhg. 80, Bd. 62, S. 208 ff.; München 1925; Verzeichnis der oberen Reichsbahnbeamten, Verlag der Verkehrswissenschaftlichen Lehrmittelgesellschaft m.b.H. bei der deutschen Reichsbahn, Ausgaben 1925 und 1933; Fanny England, Vom Waisenhaus zum Jungfernhof, Deportiert von Hamburg nach Riga: Bericht einer Überlebenden, Hamburg 2009; https://www.limburg.de/Tourismus-Freizeit/Stadtarchiv/Archivalie-der-Woche-167-Helene-Thau.php?object=tx,3251.5&ModID=7&FID=3252.17677.1&NavID=3252.1327; https://de.wikipedia.org/wiki/Ausbesserungswerk_Frankfurt_(Main)_Nied; http://www.gedenken-eimsbuettel.de/de/2019-05-12-140000/leopold-sussmann-hamburger-reichsbahnbeamter; https://in-the-country-of-numbers.com/; https://collections.arolsen-archives.org/de/search/topic/1-2-1-1_8228003?s=Deportation%20Hamburg%20Riga; http://www.riga-komitee.eu/gedenkstaetten/lager-gut-jungfernhof; http://www.riga-komitee.eu/historie/transporte-nach-riga; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de980726; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de980684; https://www.stolpersteine-berlin.de/de/mommsenstr/22/willy-sussmann; https://www.stolpersteine-berlin.de/de/mommsenstr/22/margarethe-sussmann; https://www.stolpersteine-berlin.de/de/albertinenstrasse/31/paul-levy, https://www.stolpersteine-berlin.de/de/albertinenstrasse/31/charlotte-levy.

druckansicht  / Seitenanfang