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Bereits verlegte Stolpersteine



John Rothenburg * 1876

Grindelallee 46 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
JOHN ROTHENBURG
JG. 1876
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
MINSK

Weitere Stolpersteine in Grindelallee 46:
Adolf Cohen, Adolf Simon, Gerda Simon, Max Simon, Johanna Simon

John Rothenburg, geb. am 22.12.1876 in Hamburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk, Getto, Todesdatum unbekannt

Grindelallee 46

John Rothenburg galt als geistig behindert. In seiner Fürsorgeakte hieß es, er sei "wegen Geistesschwäche entmündigt und daher nur beschränkt geschäftsfähig". Über die Familiengeschichte hat der in Saldanha (Provinz West Cap, Südafrika) lebende Großneffe John Rothenburgs, Michael (Mike) Rothenburg, geforscht, konnte jedoch nur wenig über seinen Großonkel herausfinden. Vieles davon scheint sich dabei auf Erzählungen von Familienangehörigen zu stützen. Der behinderte John Rothenburg wurde so gut wie "totgeschwiegen".

Carl Rothenburg, Johns Vater, kam 1840 in Schwerin zur Welt, seine Mutter Theresa, geborene Rintel, soll 1847 in "Lichenstadt" geboren worden sein. Eine Stadt dieses Namens existiert heute nicht mehr. Das Mecklenburgische Landeshauptarchiv erwähnt allerdings im Zusammenhang mit der Auswanderung der Familie Rothenburg in die USA 1872 diesen Stadtnamen in einem Brief vom 25. Juni 1992. Womöglich handelt es sich um Lichen Stary in Polen, Provinz Großpolen, das im 19. Jahrhundert zur preußischen Provinz Posen gehörte.

Carl und Theresa Rothenburg hatten fünf Kinder, von denen die zweite Tochter bereits kurz nach der Geburt 1873 in Philadelphia/USA starb, wohin das Ehepaar Rothenburg zusammen mit der 1870 in Hamburg geborenen Tochter Frieda ausgewandert war. Nach dem frühen Tod der Tochter kehrte das Paar über England 1875 wieder nach Hamburg zurück, wo der erste Sohn Siegmund noch im selben Jahr geboren wurde. 1876 kam John als zweiter Sohn in Hamburg zur Welt. Es folgte noch Henry 1879. Im Jahr 1885 ging Carl Rothenburg nach Südafrika, um seinen Schwager Bernhard Rintel in den Diamantminen von Kimberley zu treffen. Bald danach zog es ihn jedoch nach Kapstadt, wo sich inzwischen auch seine Ehefrau Theresa mit den vier Kindern aufhielt. Die Familie lebte zunächst in der südlichen Vorstadt Woodstock, dann im Zentrum von Kapstadt vom geringen Einkommen des Vaters als "artist/painter".

Nach Angaben von Mike Rothenburg starb der Vater im Jahr 1923 in Bloemfontein.

John Rothenburgs Mutter Theresa war offenbar schon kurz nach 1900 mit ihm nach Hamburg zurückgekehrt – wohl wegen der Möglichkeit, in Deutschland staatliche Unterstützung zu erhalten. Die Fürsorgeakte umfasst den Zeitraum 1921 bis 1939. Ob bereits in der Kaiserzeit eine Heimunterbringung für John angestrebt wurde, ist unbekannt. Nach dem Tod der Mutter, der in einem ärztlichen Bericht für das Jahr 1915 angenommen wird, übernahm zunächst der Bankier Moritz Heimann aus dem Bankhaus Hertz-Nachf. die Pflegschaft für John Rothenburg. Nach Heimanns Tod wurde von etwa 1922 bis Anfang 1926 der angeheiratete Neffe von Carl Rothenburg, Siegmund Jacobson, geboren am 3. November 1861, John Rothenburgs gesetzlicher Vormund.

Der alleinstehende, staatenlose und geistig behinderte John Rothenburg wurde am 14. Mai 1921 in die Allgemeine Armenanstalt aufgenommen, allerdings bereits am 31. Oktober 1921 auf Antrag seines Vormunds Moritz Heimann wieder entlassen, weil man ihm zutraute, wieder in Pension zu leben und leichte Arbeiten zum Beispiel als Bote, aber auch als "Arbeiter" zu verrichten. Er lebte nun bei Bertha Köhler, Pilatuspool 15.

Anfang 1925 machte sich Siegmund Jacobson Sorgen um die Zukunft seines Mündels und stellte am 17. Januar 1925 einen Antrag an die Vormundschaftsbehörde, in dem er den Wunsch seines Cousins John Rothenburg unterstützte, die Verwandten in Südafrika zu besuchen. Er sei nun in einem Alter, in dem er mit dem Tod rechnen müsse, nach seinem Tod sei kein Verwandter mehr in Deutschland für John Rothenburg da, deshalb sei es doch besser, wenn dieser zu seinen Verwandten nach Bloemfontein übersiedelte. Siegmund Jacobson bat um die Kostenübernahme durch die Wohlfahrtsbehörde. Diese lehnte das Ersuchen jedoch ab. Es wurde eine neue Unterkunft für Rothenburg gefunden: bei Familie Weinberg in der Bornstraße 24.

Seit dem 19. März 1926 war Leon Heller der neue Vormund. John Rothenburg arbeitete bei Lichtenhain, Bäckerbreitergang 27, für 10 Reichsmark (RM) pro Woche. Bei den internen Überlegungen in der Wohlfahrtsbehörde, ob für Rothenburg eine Heim- oder "Pensionsunterbringung" günstiger sei, erhielt Letztere aus Kostengründen den Vorzug. Als Familie Weinberg zwischen 1926 und 1931 in die Hoheluftchaussee 64 umzog, ging auch John Rothenburg mit, wurde allerdings nach einer Unterarmfraktur von seinem früheren Arbeitgeber Lichtenhain am 31. April 1931 entlassen. Die Fürsorgeakte enthielt die Formulierung: "Kommt für irgendeine Beschäftigung nicht mehr in Frage" (12. Januar 1932).

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernommen hatten und Familie Weinberg erneut die Wohnung wechselte, wurde Rothenburg am 23. Juli 1934 ins Versorgungsheim Farmsen eingewiesen. Leon Heller, sein Vormund, setzte sich aber für seine Entlassung am 19. September 1934 und die Wiederaufnahme bei Familie Weinberg ein, inzwischen wohnhaft in der Grindelallee 168. Wegen einer chronischen und "ansteckenden" Prostatitis (Entzündung der Prostata/Vorsteherdrüse) – und weil er mit den Kindern der Familie Weinberg zusammen in einem Zimmer schlafe – wurde John Rothenburg in das Universitätskrankenhaus Eppendorf eingewiesen und am 25. Mai 1935 "entmannt".

Am 1. Mai 1935 ist in der Fürsorgeakte die Bemerkung zu lesen: "Anstaltsunterbringung nicht erforderlich". Seit dem 4. April 1936 lebte John Rothenburg bei Siegfried Hasenberg in Pension, zunächst in der Beneckestraße 20, dann ab dem 4. Dezember 1936 im Grindelstieg 4. Der Grindelstieg existiert heute nicht mehr. Er zweigte von der Grindelallee etwa in Höhe Nummer 48 in Richtung Bornplatz-Synagoge ab. Nach dem Tod seines Vormunds Leon Heller am 14. Dezember 1936 stand John Rothenburg bis zu seiner Deportation unter der Pflegschaft von Gustav Heinemann. Dieser verwaltete auch Johns Sparbuchkonto bei der Hamburger Sparkasse von 1827 mit seinerzeit 145,60 RM und einem Reichsschuldbucheintrag von 1000 RM zu 4,5 Prozent Zinsen jährlich, erstmals fällig am 15. April 1941. Die Reichsschuldbuchforderung hatte John von seiner Mutter geerbt. Er bezog zudem eine Invalidenrente von zuletzt 19,60 RM monatlich. Die Oberfinanzdirektion verfügte im Februar 1941 eine "Sicherungsanordnung".

Rund zehn Monate später, am 18. November 1941, wurde John Rothenburg 65-jährig nach Minsk deportiert. Das bestehende Aktivvermögen von im Februar 1941 insgesamt 1150 RM wurde eingezogen.

Siegmund Jacobson und seine Ehefrau Mary, geborene Rothenburg, wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert und in Treblinka 71- und 61-jährig ermordet. An ihrer letzten Wohnadresse Rentzelstraße 14 liegen Stolpersteine, die an sie erinnern.

Stand: Juli 2017
© Dieter Wolf

Quellen: 1; 2 R 1941/26; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 43594; 5; digitales Archiv IST Bad Arolsen, Teilbestand 1.2.1.1. Dok. ID 11197750 Transportlisten Gestapo; Michael (Mike) Rothenburg: Family History (119 Seiten) und Auskünfte per E–Mail (Korrespondenz vom 24.10.–28.11.2014).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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