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Martha Nathansen (geborene Eisenmann) * 1879

Hudtwalckerstraße 23 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
MARTHA NATHANSEN
GEB. EISENMANN
JG. 1879
FLUCHT 1939
HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 24.9.1942

Weitere Stolpersteine in Hudtwalckerstraße 23:
Fritz Nathansen

Martha Nathansen, geb. Eisenmann, geb. 8.8.1879 in Hamburg, deportiert am 21.9.1942 von Westerbork/NL nach Auschwitz, ermordet 24.9.1942

Hudtwalckerstraße 23 (Winterhude)

Geboren wurde Martha Nathansen am 8. August 1879 in Hamburg in der Neuen ABC-Straße 12 C III. Stock (Neustadt). Ihre Eltern, der Kaufmann Meyer Eisenmann (1844-1923) und Bertha, geb. Behrens (geb. 1.11.1852 in Waren/Mecklenburg), zogen 1882 mit ihren beiden Kindern in die Neustädter Fuhlentwiete 74 III. Stock (später umbenannt in Düsternstraße).

Die Eltern hatten 1876 geheiratet, dem Jahr, in dem der Vater die Firma J. Eisenmann übernommen hatte, die er dann unter dem Namen "M. Eisenmann, Eisen-, Metall- und Maschinenlager" führte. Danach wohnte die Familie in der Straße Rutschbahn 25 III. Stock (1892-1903). In dem neu erschlossenen Stadtteil Harvestehude mit seinen großzügig geschnittenen Wohnungen in repräsentativen Etagenhäusern wohnte Familie Eisenmann ab 1903 in dem Neubau Werderstraße 8 II. Stock links.

Über die Kindheit, Jugendzeit und Ausbildung der Geschwister wissen wir nichts. Marthas Bruder Ernst Josef Eisenmann (geb. 13.6.1878 in Hamburg) meldete sich 1899 nach Hongkong ab; 1920 besuchte er seine Familie in Hamburg, nun aber bereits mit US-Staatsbürgerschaft.

Martha heiratete im April 1905 den "Kassierer" Nathalius Nathansen (geb. 24.8.1872 in Altona). Die Eheleute bekamen zwei Söhne: Otto Erich (geb. 4.2.1906 in Hamburg) und Fritz Georg Joseph Nathansen (geb. 18.3.1909 in Hamburg). Die Familie wohnte einige Jahre in der Brahmsallee 16 (1905-1911). Hier war laut Einwohnermelderegister von 1905 bis 1908 auch Marthas Schwiegervater Joseph Nathansen (geb. 17.12.1815 in Horsens/Dänemark) als Untermieter verzeichnet, bis er am 3. August 1908 starb.

Anschließend wohnte die Familie in der Isestraße 26 (1912-1932). Der Stadtteil Harvestehude als Wohnquartier verweist auf gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse der Familie Nathansen.

Nathalius Nathansen gehörte gemeinsam mit Bruno Adler die im Mai 1921 gegründete Firma Adler & Nathansen oHG, deren Produktpalette "Metalle, Erze, Hüttenprodukte, Werkzeugmaschinen" umfasste. Die Geschäfte als "Agentur u. Kommission" tätigten sie unter anderem an der Hamburger Metallbörse. Ab Januar 1933 führte Bruno Adler die Firma unter dem bisherigen Namen allein fort, im Dezember 1936 wurde sie im Handelsregister gelöscht.

Der Makler Nathalius Nathansen starb am 17. September 1932 mit 60 Jahren im Krankenhaus Bethanien in der Martinistraße. Beigesetzt wurde er auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf. Neben seinem Grab war bereits eine Grabstelle für Martha Nathansen reserviert.

Mit dem Beginn und der Etablierung der NS-Diktatur ab Januar 1933 verschlechterte sich die Lebensperspektive von Familie Nathansen in allen Bereichen. Meist waren es die jungen Juden und Jüdinnen, die als erste in ihren Familien ihr Heimatland verließen. So war es auch bei Nathansens. Marthas jüngerer Sohn Fritz Nathansen (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) emigrierte Ende 1933 nach Amsterdam, bis dahin hatte er bei ihr in der Hudtwalckerstraße 23 I. Stock gewohnt. Auch der ältere Sohn Otto Nathansen emigrierte; er floh im September 1936 nach Amsterdam, weil ihm nach einer Verhaftung im Frühjahr 1936 eine erneute Festnahme wegen angeblicher "Rassenschande" drohte. Aus den Niederlanden emigrierte Otto Nathansen nach Großbritannien und von dort in die USA. Sein Automobil, dass er ganz in der Nähe der Wohnung am Winterhuder Marktplatz 6 in der Großgarage Kolzen geparkt hatte, wurde von den entsprechenden Stellen des NS-Staates beschlagnahmt.

Martha Nathansen entschied sich, nach der Emigration ihrer Söhne und dem Tod ihrer Mutter ihre Wohnung aufzugeben und bei ihrer unverheirateten Tante Julie Behrens (geb. 18.10.1855 in Waren/Mecklenburg) einzuziehen, wo ihre Cousine (?) Gertrud Behrens (geb. 11.7.1884 Hamburg) ein Zimmer bewohnte. Zwischen September 1936 und 1939 lauteten ihre Wohnadressen: Isestraße 15 bei Julie und Gertrud Behrens (1936), Isestraße 19 bei Max und Lina Gottlieb (1936/1937), wieder Isestraße 15 bei Behrens (1937) und erneut Isestraße 19 Parterre bei Gottlieb (1938/1939).

Nach dem Novemberpogrom 1938 entschied sich auch Martha Nathansen zur Emigration. Ab Februar 1939 regelte der Kaufmann James Wiener (geb. 24.7.1873 in Altona) aus der Isestraße 80 für sie den Schriftwechsel und die nachzuweisenden Bescheinigungen und Formulare: Vermögenserklärung, Freigabeanträge für Girokonto, Stellungnahmen, Fragebogen für Auswanderer, Auflistung des Umzugsgutes, Beauftragung zur Versteigerung.

Im April 1939 hatte Martha Nathansen, den Vorschriften des NS-Staates entsprechend, ihre Silberbestecke und ihren Schmuck bei der "Öffentlichen Ankaufstelle" im Bäckerbreitergang 73 abgegeben und dafür 31 RM erhalten. Vermutlich handelte es sich bei der goldenen Armbanduhr, einem Paar goldener Ohrringe und einem goldenen Ring mit insgesamt drei farbigen Steinen, halben Perlen und Rosen, um Geschenke ihres verstorbenen Ehemannes. Gleichzeitig wurden von der Devisenstelle Hamburg alle ihre Vermögenswerte (rund 18.000 RM) gesperrt.

Über den Rechtsanwalt Walther Wulff (1899-1963) holte sie im Mai 1939 juristischen Rat ein, da es Schwierigkeiten bei der Freigabe ihres Reisegepäcks gab. Er schrieb: "In Ihrer Angelegenheit habe ich gestern ausführlich mit der Devisenstelle verhandelt. Es ist mir schliesslich gelungen, die Erlaubnis zur Mitnahme der folgenden Gegenstände zu erwirken: 1 Wintermantel, 4 Bettücher, 2 Bettüberzüge, 5 Kopfkissenbezüge. Es ist also auch die Mitnahme der übrigen Kleidungsstücke abgelehnt worden."

Die Devisenstelle des Hamburger Oberfinanzpräsidenten war im nationalsozialistischen Überwachungsstaat für die Prüfung des Reiseguts zuständig, je nach Erwerbszeitpunkt und Erhaltungszustand legte sie den für die Ausfuhr zu entrichtenden Betrag (Dego-Abgabe) fest. Für neu erworbene Gegenstände und technisches Gut verweigerte sie aber in vielen Fällen die Mitnahme ins Ausland grundsätzlich. Dies war auch bei Martha Nathansen so. Zollsekretär Wasner von der Zollfahndungsstelle hatte sich am 4. Mai 1939 gegen eine Mitnahme, selbst bei einer Zahlung von Strafsteuern, ausgesprochen.

Auf der Umzugsgutliste standen auch zwei Lampen, ein Staubsauger, eine Nähmaschine und ein Heizofen sowie ein neuer Pelzmantel, Kleider und Blusen. Dazu gehörte noch der besagte Wintermantel, der 1938 für 100 RM gekauft worden war. Ein Schreiben von James Wiener in der Akte zur Sicherungsanordnung dokumentiert die Schikanen bei der verweigerten Ausfuhr von Gegenständen: "Nachdem meiner Mandantin (…) die Mitnahme des bereits gekauften und noch nicht bezahlten Umzugsgutes nicht genehmigt ist, wurde ihr auferlegt Gegenstände zu verkaufen und den Verkauf an einen Arier nachzuweisen."

Über den Auktionator Richard Jäckel (Eppendorfer Weg 142) wurde ein Teil dieser Gegenstände veräußert (Möbel, Pelzmantel, Pelzkragen, 2 Füllhalter). An Privatpersonen verkaufte sie Kleidungsstücke und musste sich dies von den Käuferinnen bescheinigen lassen.

Martha Nathansen emigrierte am 17. Juni 1939 per Flugzeug (Lufthansa) in die Niederlande nach Amsterdam. Ihr Reisepass wurde von den deutschen Behörden ab 17. Juni gesperrt, eine Rückreise war damit nicht mehr möglich. Sie lebte nun in Amsterdam im Merwedeplein 13, ganz in der Nähe ihres Sohnes Fritz.

Das Amsterdamer Adressbuch von 1939/1940 und die entsprechenden Einwohnermeldekarten dokumentieren, dass in ihrem Haus bereits verschiedene deutsche Emigranten lebten: Gustav Freund (geb. 21.3.1893 in Frankfurt/Main) und seine Ehefrau Alice, geb. Isaak (geb. 5.3.1896 in Frankfurt/Main) sowie Kaufmann Kurt Hans Salomon (geb. 8.4.1896 in Berlin) und seine Ehefrau Gertrud (geb. 23.7.1901 in Reinickendorf). Bei dem Mieter Hugo Löwenstein (geb. 4.9.1894 in Enger) und seiner Ehefrau Else, geb. Goldberg (geb. 11.8.1893 in Herford), die im September 1934 in den III. Stock des Hauses zogen ist auf der Meldekartei vermerkt "Joodsche Inkwartiering".

Martha Nathansen beabsichtigte eigentlich, schon im April 1939 weiter in die USA zu emigrieren, und sie hatte hierfür ein Angebot der HAPAG für eine Schiffspassage über 670 RM eingeholt. Vermutlich lag aber noch kein Visum für die USA vor, so dass dieses Emigrationsziel bis auf weiteres nicht realisierbar war. Die Überweisung ihres restlichen Vermögens in die Niederlande wurde von den deutschen Behörden mit sehr hohen Transferabzügen belegt.

Mit dem Überfall der Wehrmacht auf die neutralen Niederlande im Mai 1940 wurden nun auch hier die Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten umgesetzt. Fritz Nathansen wurde am 15. Juli 1942 vom mittlerweile der SS unterstellten Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort am 31.8.1942 ermordet.

Am 18. September 1942 musste die nun 63jährige Martha Nathansen den gleichen Weg gehen: Sie wurde von Westerbork drei Tage nach ihrer Ankunft in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und gleich nach der Ankunft ermordet.

Stand: März 2022
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1939/2242 (Sicherungsanordnung gegen Martha Nathansen); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 1832 (Auswandererakte von Martha Nathansen); StaH332-5 (Standesämter), 1957 u. 3732/1879 (Geburtsregister 1879, Martha Eisenmann); StaH 332-5 (Standesämter), 8639 u. 78/1905 (Heiratsregister 1905, Nathalius Nathansen u. Martha Eisenmann); StaH 332-5 (Standesämter), 8073 u. 431/1923 (Sterberegister 1923, Meyer Eisenmann); StaH 332-5 (Standesämter), 9857 u. 571/1932 (Sterberegister 1932, Nathalius Nathansen); StaH 332-5 (Standesämter), 1024 u. 58/1934 (Sterberegister 1934, Bertha Eisenmann geb. Behrens); StaH 332-8 (Meldewesen), K 6038 (Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925), Meyer Eisenmann, Ernst Eisenmann; StaH 332-8 (Meldewesen), K 6655 (Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925), Joseph Nathansen; StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 30442 (Otto Nathansen); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 7177 (Gertrud Behrens geb. 11.7.1884 in Hamburg); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 633 (Julie Behrens, Tochter von Adele Behrens geb. Josephy); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 931 (Max Gottlieb 1864-1940); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Martha Nathansen, Fritz Nathansen, Otto E. Nathansen, Gertrud Behrens, Julie Behrens, Max Gottlieb, James Wiener; StaH 741-4 (Fotoarchiv), Rollfilm L 25/2, eigentlich StaH621-1/87 (Firmenarchiv von Rechtsanwalt Dr. Walther Wulff), 70 (betr. Martha Nathansen, Auswanderung 1939); Arolsen Archives, Zählkarte für Ausländerkartei (Martha Nathansen); Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf (Meyer Eisenmann, Grablage ZY 12-160; Bertha Eisenmann geb. Behrens, Grablage ZY 12-159); Hamburger Staatsarchiv, Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Hamburg 1995, S. 306 (Fritz Nathansen, Martha Nathansen); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Adler & Nathansen, HR A 25749); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 162 (M. Eisenmann, gegr. 1876, Inhaber: Meyer Eisenmann, frühere Firma: J. Eisenmann, Werderstr. 8, Eisen-, Metall- u. Maschinenlager, Börsenstand Pfeiler 47-48); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 5 (Adler & Nathansen, gegr. 1921, Inhaber: Bruno Adler u. Nathalius Nathansen, Makler in Metallen, Chemikalien usw., Ellernthorsbrücke 9, Börsenplatz Pfeiler 55 Metallverein); Michael Buddrus/ Sigrid Fritzlar, Juden in Mecklenburg 1845-1945, Band 2, Kurzbiografien, Schwerin 2019, S. 53 (Julie Behrens); Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Hamburg 2003, S. 167 (Walther Wulff); Verein Deutscher Metallhändler e.V. (VDM) Magazin No. 691, Die Geschichte des VDM, Erster Teil 1908-1934, 2019, S. 35 (Abbildung der Makler an der Hamburger Metallbörse 1928/29); Hamburger Adressbuch (N. Nathansen) 1906, 1909-1912, 1932; Hamburger Adressbuch (Martha Nathansen) 1933, 1934, 1936, 1937; Hamburger Adressbuch (Adler & Nathansen) 1923; Amsterdam Adresboeken, 1939/1940 (Straßenverzeichnis: Merwedeplein 13); https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ (Martha Nathansen, James Wiener); www.joodsmonument.nl (Martha Nathansen, Amsterdam, Merwedeplein 13); www.holocaust.cz (Todesfallanzeige Theresienstadt für Julie Behrens, keine Angaben zu Angehörigen); www.stolpersteine-hamburg.de (Fritz Nathansen).

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