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Bereits verlegte Stolpersteine



Willi Milke * 1896

Wilstorfer Straße , Tor 4 der ehem. Phoenix-Werke (Harburg, Harburg)

Berlin
12.1.1944 Freitod nach Todesurteil

Weitere Stolpersteine in Wilstorfer Straße , Tor 4 der ehem. Phoenix-Werke:
Herbert Bittcher, Karl Kock

Herbert Bittcher, geb. 6.2.1908 in Harburg, zum Tode verurteilt, Suizid am 22.1.1944
Karl Kock, geb. 16.6.1908 in Harburg, zum Tode verurteilt, hingerichtet am 26.6.1944
Wilhelm Milke, geb. 16.9.1896 in Heide (Holst.), zum Tode verurteilt, Suizid am 12.1.1944

Stadtteil Harburg-Altstadt, Wilstorfer Straße, ehem. Phoenix, Eingang Tor 4

Die Harburger Phoenix zählt zu den ältesten Betrieben Harburgs. Die Gründer, die Brüder Albert und Louis Cohen, erhielten am 13. Juni 1856 aus den Händen des Harburger Bürgermeisters August Grumbrecht das Bürgerrecht. Sie hatten von der Stadt den Auftrag bekommen, eine "Fabrik zur Herstellung von Gummischuhen und vulkanisiertem Gummi" zu betreiben. Die Fabrik änderte mehrmals ihren Namen. 1872 schloss sie sich mit einer österreichischen Firma zusammen und hieß nun "Vereinigte Gummiwaren-Fabriken Harburg – Wien". 1922 zerfiel die Firma mit der beginnenden Inflation wieder. Der Harburger Betrieb fir­mierte unter "Harburger Gummiwarenfabriken Phoenix", später "Phoenix-Gummiwerke" und zuletzt "Phoenix AG". Seit 2007, als die Firma Continental ihn übernahm, heisst er "Conti-Tech".

Nach Errichtung der NS-Diktatur wurden alle Betriebe 1934 nach dem "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" dem Führerprinzip unterworfen. Der Unternehmer wurde zum "Betriebsführer", dem die "Gefolgschaft" Treue zu halten hatte. Der "Betriebsführer" stellte im Einvernehmen mit der Pseudogewerkschaft "Nationalsozislistische Betriebszellen-Organisation" (NSBO) eine Liste von "Vertrauensräten" auf, die von der "Gefolgschaft" in geheimer Abstimmung bestätigt werden musste. Diese "Vertrauensräte" hatten auf dem Boden des "nationalen Staates" zu stehen, es konnten also nur Mitglieder und Sympathisanten der NSDAP "gewählt" werden. 1934 und 1935 wurden solche Wahlen durchgeführt, führten aber zu für die Nationalsozialisten verheerenden Ergebnissen. Auf der Phoenix wurden nach einem geheimen Bericht der Reichsleitung der NSDAP vom 20. April 1935 nur 1394 Stimmen abgegeben (von möglichen 2347), die Kandidaten erhielten durchschnittlich nur 950 Ja-Stimmen. Nach 1935 wurden keine solchen Wahlen mehr durchgeführt.

In dem Betrieb gab es illegale kommunistische Widerstandszellen. Ein Bericht der KPD-Bezirksleitung Wasserkante sprach von einer zehn Mann starken Zelle auf der Phoenix. Betreut wurden solche Zellen von der Abschnittsleitung Nord der KPD in Kopenhagen. Es gab mehrere Kuriere, die von dort Material nach Harburg und auch auf die Phoenix brachten (siehe unter Felix Plewa). Die Gestapo berichtete im Januar 1938 von der Festnahme eines Kuriers. "Das von Dänemark für die Betriebszelle der Phoenix-Werke nach Hamburg eingeschmuggelte Material war in einem Koffer mit doppeltem Boden versteckt, und auch der eingeführte Taschenspiegel barg in seiner Hülle die kommunistische ‚Rote Fahne‘."

Zur illegalen Gruppe auf der Phoenix gehörten Karl Kock und Wilhelm Milke. 1940 wurde Karl Kock festgenommen. Die Gestapo beschuldigte ihn, eine kommunistische Zelle auf der Phoenix gebildet zu haben. Das Hanseatische Oberlandesgericht sprach ihn 1941 jedoch mangels Beweisen wieder frei. 1942 unterstützten Kock und Milke die Hamburger Widerstandsorganisation um Bästlein, Jacob und Abshagen, die hauptsächlich Stützpunkte auf den Werften und anderen Großbetrieben hatte (siehe unter Karl Kock). Die Kontakte von der Phoenix zur Leitung liefen über Berthold Bormann und Oskar Reincke. Sie halfen auch den auf der Phoenix beschäftigten Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen, steckten ihnen Lebensmittel, Rasierzeug und Radios zu.

Im Sommer kamen die von der Gestapo gesuchten Erna Eifler und Wilhelm Fellendorf nach Hamburg. Wilhelm Fellendorf suchte seinen Cousin Herbert Bittcher auf, der in Harburg wohnte und auch auf der Phoenix arbeitete (siehe unter Herbert Bittcher).

Im Oktober 1942 wurden mehrere Kommunisten und andere Unterstützer der Bästlein-Organisation festgenommen. Wilhelm Milke und Herbert Bittcher wurden von der Gestapo auf der Phoenix abgeholt, was im Betrieb einige Unruhe verursachte. Die Gestapo streute das Gerücht aus, die beiden hätten die Phoenix in die Luft sprengen wollen. Auch Karl Kock sollte verhaftet werden. Er war aber krankgeschrieben und nicht im Betrieb, wurde rechtzeitig gewarnt und flüchtete mit Hilfe seiner Freunde mit der Straßenbahn nach Hamburg. Hier versteckte er sich bei Verwandten und Freunden, zuletzt in Harburg bei August Quest am Kapellenweg 15. Am 6. März 1943 stürmte die Polizei das Haus und nahm ihn und Karl Kock fest.

Es folgten die Quälereien in Gestapohaft. Später kamen die Widerstandskämpfer ins Unter­suchungsgefängnis am Holstenglacis. Wilhelm Milke und Herbert Bittcher wurden nach Berlin überstellt, wo am 12. Januar 1944 der Prozess gegen die Unterstützer der Fallschirmspringer stattfand. Beide wurden vom "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilt. Wilhelm Milke hat sich noch am gleichen Tag in der Zelle erhängt, Herbert Bittcher am 22. Januar.

Karl Kock wurde vom "Volksgerichtshof" am 8. Mai 1944 zum Tode verurteilt und zusammen mit neun anderen Widerstandskämpfern am 26. Juni im Gefängnis am Holstenglacis hingerichtet.

Die Erinnerung an die Männer wurde wachgehalten: Am 14. September 1947 wurde Karl Kock im Ehrenhain der Widerstandskämpfer auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet. Am 24.11. 1984 erhielt das Büro der DKP Harburg (Hohe Straße 26) den Namen "Karl-Kock-Centrum" (heute existiert es nicht mehr). Seit 1988 gibt es den Karl-Kock-Weg (in Wilstorf, Abzweigung Radickestraße) und den Bittcherweg (Nähe Mensingstraße).

© Hans-Joachim Meyer

Quellen: VVN-BdA Harburg (Hrsg.), Die anderen, S. 291ff.; Ursel Hochmuth, Niemand, S. 84ff.; VVN-BdA Harburg (Hrsg.), Stumme Zeugen, s. Personenverzeichnis; Streiflichter, S. 341ff.; Friedrich, Werk, S. 9; Heyl/Maronde-Heyl, Abschlussbericht; Totenliste VAN.


Wilhelm Milke, geb. 16.9.1896 in Heide (Holstein), zum Tode verurteilt, Suizid 12.1.1944

Stadtteil Harburg-Altstadt, Eddelbüttelstraße 24

Der Arbeiter Wilhelm (Willy) Milke besuchte in Harburg die Volksschule. Danach arbeitete er in verschiedenen Harburger Betrieben. Seit 1920 gehörte er dem Fabrikarbeiterverband an, 1926 trat er der KPD bei. Bis 1933 arbeitete er bei den Harburger Oelwerken Brinckmann & Mergell (Hobum), war Mitglied der Gewerkschaft RGO und lange Zeit Betriebsratsvorsitzender bei Hobum. Er heiratete die Köchin Frieda Pubanz, geb. am 12.1.1899 in Itzehoe. Sie bekamen eine Tochter, Gertrud, geb. am 2.9.1920 in Neumünster. Die Harburger Wohnadressen der Familie lauteten Lassallestraße 52, (ab 1930) Eddelbüttelstraße 24, später dann (1937) Heckengang 54, ab 1. August 1939 wiederum Eddelbüttelstraße 24.

Als die Belegschaft zur Maifeier der NSDAP am 1. Mai 1933 bei Hobum antreten sollte, erschien Willy Milke nicht und wurde gemaßregelt. Nach 1933 beteiligte er sich am kommunistischen Widerstand. Zusammen mit Heinrich Frühling, dem Politischen Leiter der RGO in Harburg-Wilhelmsburg vor 1933, und anderen führte er die Arbeit der RGO illegal weiter. Er nahm auch teil an einem Treffen mit dem früheren KPD-Reichstagsabgeordneten Matthias Thesen im Frühjahr 1933, der damals in Hamburg die illegale Gewerkschaftsarbeit anleitete.

Die illegalen Schriften, die Willy Milke und seine Freunde vertrieben, trugen Titel wie "Betriebszeitung der RGO", "Roter Sender, Kampforgan der RGO und Einheitsverband für das Baugewerbe Harburg", und "Der Industriearbeiter". Am 28. Juni 1933 wurden in Harburg mehrere dieser Zeitungen von der Polizei beschlagnahmt und einige Kommunisten festgenommen. Die Arbeit lief aber weiter, bis Mitte 1934 wurden RGO-Materialien hergestellt und vertrieben. Danach erfasste eine große Verhaftungswelle in Hamburg und Umgebung rund 800 RGO-Mitglieder, darunter auch Willy Milke, der am 9. Juli 1934 festgenommen wurde. Das Hanseatische Oberlandesgericht verurteilte ihn am 13. April 1935 zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis, die er bis zum 13. Januar 1937 in Fuhlsbüttel verbüßte.

Nach seiner Entlassung arbeitete er bei verschiedenen Harburger Firmen. Am 25. Mai 1938 fand er Arbeit auf der Harburger Phoenix. Hier lernte er Karl Kock kennen. Beide wirkten in einer KPD-Betriebszelle zur Zeit der illegalen KPD-Unterbezirksleitung unter Felix Plewa mit (siehe Felix Plewa). Nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 musste diese Arbeit abgebrochen werden.

1942 unterstützte Willy Milke die Widerstandsorganisation um Bästlein, Jacob und Abshagen. Zusammen mit Berthold Bormann, der den Kontakt zur Leitung der Gruppe hatte, und Karl Kock baute er eine Beriebszelle auf der Phoenix auf. Er half mit, den mit dem Fallschirm über Deutschland abgesprungenen und von der Gestapo gesuchten Wilhelm Fellendorf zu verstecken (siehe Herbert Bittcher). In die Verhaftungswelle ab 15. Oktober 1942 gerieten auch Willy Milke und Herbert Bittcher auf der Phoenix. Sie wurden auf dem Betriebsgelände festgenommen, Milke am 21. Oktober. Um die folgende Unruhe auf der Phoenix zu beschwichtigen, streute die Gestapo das Gerücht aus, die beiden hätten die Phoenix in die Luft sprengen wollen. Die "Schutzhaft" im Gestapogefängnis Fuhlsbüttel dauerte vom 23. Oktober 1942 bis zum 30. März 1943. Dort wurde Willy Milke von Gestapo-Mann Wiese so lange geschlagen, bis er zusammenbrach. Alfred Beecken und Emil Lentins, die auch auf der Phoenix im Mischwalzwerk arbeiteten, wurden am 31. Oktober 1942 von der Gestapo verhaftet. Bei Verhören im Stadthaus in Hamburg begegneten sie Willy Milke und sahen an seinem Gesicht, dass er misshandelt worden war. Sie wurden zusammen mit ihm nach Fuhlsbüttel abtransportiert und nach drei Tagen entlassen.

Willy Milke kam dann in Untersuchungshaft ins Gefängnis am Holstenglacis. Am 12. November 1943 wurde er nach Berlin-Moabit, dann nach Berlin-Tegel verlegt.

Am 12. Januar 1944 fand in Berlin vor dem 1. Senat des "Volksgerichtshofs" der Prozess gegen die Unterstützer der beiden Fallschirmspringer Wilhelm Fellendorf und Erna Eifler statt. Angeklagt waren Käthe Fellendorf, Herbert Bittcher und Wilhelm Milke. Den Vorsitz führte Roland Freisler. Zu Willy Milkes Vorstrafe sagte Freisler: "Sie sind schon einmal zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Bei mir wären Sie zum Tode verurteilt." Alle drei erhielten das Todesurteil.

Wilhelm Milke wurde noch am gleichen Abend in seiner Zelle in Berlin-Tegel tot aufgefunden. Nach einer Mitteilung des Gefängnisses hatte er sich in seiner Zelle erhängt. Herbert Bittcher beging ebenfalls in Tegel am 22. Januar Suizid, und Käthe Fellendorf wurde am 31. März in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Herbert Bittcher und Willy Milke wurden auf dem Friedhof Berlin-Marzahn beerdigt. Wilhelm Fellendorf war schon 1943 in Gestapohaft ermordet worden, Erna Eifler wurde am 7. Juni 1944 im KZ Ravensbrück erschossen.

© Hans-Joachim Meyer

Quellen: VVN-BdA Harburg (Hrsg.), Die anderen, s. Personenverzeichnis; Hochmuth/Meyer, Streiflichter, S. 352ff.; Bästlein, Niederlage, S. 53, 109; VVN-BdA Harburg (Hrsg.), Stumme Zeugen, S. 17ff.; StaH, 242-1-II Gefängnisverwaltung; StaH, 331-1-II Polizeibehörde II; StaH, 332-8 Meldewesen, A46; StaH, 351-11, AfW, Wilhelm Milke; StaH, Adressbücher Harburg-Wilhelmsburg und Hamburg; Anklageschrift Heinrich Frühling u .a., Kopie VVN-BdA Harburg; Sterbeurkunde Nr. 30/1944, Standesamt Berlin, Kopie VVN-BdA Harburg; Heyl/Maronde-Heyl, Abschlussbericht; Totenliste VAN.

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