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Bereits verlegte Stolpersteine



Margarethe Wolfsohn (geborene Cohn) * 1885

Brahmsallee 12 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
MARGARETHE WOLFSOHN
GEB. COHN
JG. 1885
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 12:
Lilli Freimann, Benjamin Perlmann, Elsa Perlmann, Karin Wolff, Thekla Wolff, Uri Wolff, Willi Wolff, Johanna Wolff, Ludwig Wolff, Max Wolfsohn

Max Wolfsohn, geb. am 13.6.1872 in Graudenz (Westpreußen), deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 23.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka und dort ermordet
Margarethe Wolfsohn, geb. Cohn, geb. am 15.7.1885 in Ratibor (Schlesien), deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 23.9.1942 ins Vernichtungslager Treblinka und dort ermordet

Brahmsallee 12

Zum Gedenken an Max Wolfsohn und seine Ehefrau Margarete, geb. Cohn, geb. 15.7.1885 in Ratibor, befinden sich zwei Stolpersteine vor der Apotheke "Zum Ritter St. Georg", Lange Reihe 39, der Arbeitsstätte von Max Wolfsohn. In dem Band "Stolpersteine in Hamburg-St. Georg" findet sich bereits eine Biographie des Ehepaares. 2003 wurde vor der letzten freiwilligen Wohnadresse beider Personen ein zweiter Stolperstein für Max Wolfsohn und 2013 ein weiterer Gedenkstein für die Ehefrau verlegt.

Max Wolfsohn stammte aus Graudenz in Westpreußen, wo er am 13.6.1872 als Sohn von Leo und Rosalie Wolfsohn, geb. Stein, zur Welt kam. Dort verbrachte er seine Kindheit und Schulzeit, strebte aber schon als junger Mann in die Großstadt. In Hamburg arbeitete er in der Rathausapotheke, bis er in der Lage war, sich selbstständig zu machen. Am 2. April 1907 erwarb er die Apotheke "Zum Ritter St.Georg" von dem Apotheker Justus Friedrich Otto Freudenstein, der sie seit 1894 geführt hatte. Diese Apotheke verfügte über eine "Realkonzession", was bedeutete, dass der Besitzer die Apotheke verkaufen oder vererben konnte. Der Wert des Grundstücks wurde mit 200.000 Mark angegeben (Grundbuchamt St. Georg Nord Bd. XIV, Bl. 684). Wolfsohn konnte den Kauf tätigen, weil seine Braut, Margarete Cohn aus Danzig, Tochter und Erbin eines Schokoladenfabrikanten, eine große Mitgift einbrachte. Max Wolfsohn setzte den hohen Betrag von 75.000 Mark als Darlehen der noch unverheirateten Margarete Cohn ein, zu verzinsen mit 5 Prozent in halbjährlichen Raten. Außerdem nahm er noch weitere Hypotheken auf. Das kurz darauf getraute Paar Max und Margarete Wolfsohn konnte die Apotheke in der Langen Reihe 39 beziehen und betreiben. Am 21.3.1908 wurde das einzige Kind, die Tochter Annemarie Charlotte, geboren.

Die Apotheke "Zum Ritter St.Georg" war ein Betrieb mit vier Mitarbeitern, davon zwei angelernte Helferinnen. Mit einem jährlichen Gewinn von 10.000 RM lief der Betrieb recht gut. Die Familie zog aus St. Georg in die als besser geltende Gegend am Mundsburger Damm 48 und noch später in die Brahmsallee 12. Das Ehepaar legte großen Wert auf Wohnkultur. Ein Vetter Max Wolfsohns, Walter Jacoby aus London, schätzte die geschmackvolle Ausstattung auf einen Wert von 30.000 RM. Max Wolfsohn hatte die Möbel nach eigenen Entwürfen von der Danziger Firma Kuttner herstellen lassen. Die Räume waren mit Perserteppichen ausgelegt. Der Haushalt enthielt wertvolles Porzellan und Silber. Max Wolfsohn war ein hervorragender Pianist und Cellospieler. Im Musikzimmer stand ein Steinway-Flügel. Freunde lud er gern zu selbst veranstalteten Kammermusikabenden in seinen Salon. Als er später nicht mehr in seinem Beruf arbeiten durfte, widmete er sich seiner Liebhaberei, der anspruchsvollen Photographie.

Wichtigster Lebensinhalt von Margarete und Max Wolfsohn war ihre Tochter Annemarie. Ihrer guten Erziehung und Bildung widmeten die Eltern große Aufmerksamkeit, schickten sie auf die höhere Töchterschule "Mittell" und das Privatlyzeum "Predoehl". Nach beendeter Schulzeit beschäftigte Max Wolfsohn seine Tochter in der Apotheke, wo sie den Betrieb gründlich kennenlernen sollte, da sie als künftige Besitzerin vorgesehen war. Aber das Mädchen hatte anderes im Sinn. Sie wollte Kindergärtnerin werden. Nach Meinung der Eltern sollte sie sich zunächst Sprachen und gesellschaftlichen Umgang in einem Schweizer Pensionat aneignen. Vielleicht würde sie sich danach doch noch für die Ausbildung zur Apothekerin entscheiden. Aber Annemarie blieb bei ihrem Lebensplan. 1928/29 erwarb sie in einer Hamburger Gewerbeschule ein Diplom als Kindergärtnerin, das sie anschließend als Familienkindergärtnerin in der Schweiz erproben wollte. 1933 kam sie nach Hamburg zurück, um hier ihren Traum, die Gründung eines eigenen Kindergartens, zu verwirklichen. Jedoch hatten sich die politischen Umstände inzwischen so entwickelt, dass sie ihre Hoffnung schnell aufgeben musste. Nun dachte sie an Emigration; auch die Eltern wollten ihre Tochter in Sicherheit wissen und befürworteten es, als sie 1934 nach Wien ging. Die nun folgende Odyssee der Annemarie Wolfsohn ist ein Beispiel dafür, wie es um die Freiheit und Selbstverwirklichung jüdischer Mädchen bestellt war. Zwar erfuhr Wolfsohns Apotheke noch keine gravierenden materiellen Einbußen, sodass er seiner Tochter monatliche Beträge ins Ausland schicken konnte. Aber sie fand in Wien keinen festen Tritt, obwohl sie nacheinander verschiedene Ausbildungen erstrebte und sich auf verschiedenen Feldern versuchte, als Schaufensterdekorateurin, Masseurin, Gesellschafterin, Krankenpflegerin. Als ihr Vater sie nicht mehr unterstützen konnte, fuhr sie zu ihrer Großmutter nach Danzig und betrieb von dort aus ihre Ausreise über England in die USA. Nicht nachweisbar ist ihre Behauptung, sie sei 1938/39 noch einmal in Hamburg bei ihren Eltern gewesen, um ihre Aussteuer im Wert von 6000 RM zu expedieren. Das wurde durch den Zwang zur jüdischen Vermögensabgabe vereitelt. Auch Emigrationspläne, die Max und Margarete Wolfsohn zu dieser Zeit erwogen, ließen sich aus unbekannten Gründen nicht verwirklichen.

Seit 1935 spitzte sich die Lage für Apotheker zu. In Hamburg gab es für sie schon seit jeher ein berufsspezifisches Problem: Zum einen war die Anzahl approbierter Apotheker größer als die zur Verfügung stehenden staatlich konzessionierten Apotheken. Außerdem litt die Qualität der Gesundheitsverwaltung darunter, dass die Witwe eines Apothekers einen Verwalter mit der Leitung des Geschäfts betrauen konnte und folglich viele Apotheken von ungenügend ausgebildeten Fachkräften geführt wurden. Gegen diesen Missstand richtete sich das am 13. Dezember 1935 erlassene Gesetz gegen die Verpachtung und Verwaltung öffentlicher Apotheken durch "national und moralisch unzuverlässige Personen". Dieser merkwürdige Passus des Gesetzes war noch nicht eindeutig antisemitisch. Unmissverständlich bestimmte dann aber die 1. Verordnung vom 26. März 1936: "Juden sind als Pächter nicht zugelassen. Öffentliche Apotheken, deren Inhaber Jude ist, unterliegen dem Verpachtungszwang." Das so vom NS-Regime bewirkte "Freiwerden" jüdischer Apotheken, das faktisch einem Berufsverbot gleichkam, eröffnete "arischen" Apothekern neue Chancen. Wie alle jüdischen Apotheker unterlag Wolfsohn nun dem Verpachtungszwang. (RGBl. 1936 Teil I, S. 317, Art. 3)

Als Pächter der Apotheke "Zum Ritter St. Georg" bot sich der am 9.3.1885 in Baden geborene Rudolf Rincker an. Er war seit 1912 approbiert, war Verwalter der Feldmannschen Apotheke (heute Moltke Apotheke) in Altona. Aufgrund der neuen NS-Gesetzgebung bot sich ihm die Chance zu einer besseren Geschäftslage zu kommen, nämlich statt nur Verwalter einer Apotheke nun wirklicher Pächter zu werden. Am 28. Juni 1936 schloss Rincker den Pachtvertrag mit dem ihm seit Längerem bekannten Max Wolfsohn ab. Dieser scheint damit zufrieden gewesen zu sein. Das Verhältnis der beiden Apotheker wurde von Mitarbeitern und Kunden als ausgesprochen freundlich beschrieben. Der festgesetzte Pachtzins von 8600 RM jährlich und 3400 RM Miete für die Apotheke sicherten vorerst dem Ehepaar Wolfsohn noch ein Auskommen.

Doch die Repressionen gegen jüdische Unternehmen nahmen zu, jüdischen Apothekern wurde ihre Approbation aberkannt, Wolfsohn konnte dem Verkauf seiner Apotheke nicht mehr ausweichen. Rincker als bisheriger Pächter stellte sich als der geeignete Käufer dar. Er war inzwischen mit Wirkung vom 1. Mai 1937 in die NSDAP eingetreten, sodass er auch der nationalsozialistischen Führung der "Deutschen Apothekerschaft Bezirk Nordmark" genehm war. Rincker handelte mit Wolfsohn im August 1938 einen Kaufvertrag für Grundstück und Apotheke aus, basierend auf dem Gutachten der seit 1935 bestellten Haus- und Hypotheken Verwaltung Woerle & Heinike. Die Firma stellte fest, dass das Grundstück bis zum vollen Wert durch Hypotheken belastet war. Außer 80.000 RM für die Apotheke wurden vom Käufer für das Grundstück 72.000 RM gefordert, insgesamt 152.000 RM. Von dem Betrag erhielt der Verkäufer fast 37.000 RM durch Barzahlung, während der Rest von 115.250 RM zur Ablösung der Belastungen verwendet werden musste. Dieser Vertrag war bereits notariell beglaubigt, aber die Deutsche Apothekerschaft erhob dennoch Bedenken, die von der Gesundheitsbehörde aufgegriffen wurden. Der Preis sei zu hoch angesetzt. Bei "Arisierungen" werde der Wert einer "jüdischen Apotheke" von vornherein geringer veranschlagt. Einen Kundschaftswert anzurechnen, der sich auf den Kundenstamm und den Ruf der Apotheke bezog, war im Falle jüdischer Apotheker durch die Nationalsozialisten verboten worden. Der Konzessionswert der von Juden betriebenen Apotheken wurde allgemein auf 80 Prozent herabgestuft, die Ablösung von Hypotheken möglichst erleichtert, sodass auch im Falle der Apotheke "Zum Ritter St. Georg" der Vertrag für den Verkäufer ungünstiger ausfallen musste. Mit der Abwicklung wurde nun ein Treuhänder, der Rechtsanwalt Heinrich Voss, beauftragt.

Am 27. März 1939 wurde der neue notarielle Vertrag ausgefertigt und ins Grundbuch eingetragen (Grundbuch St. Georg Nord, Bl. 684, neuerdings Bl. 1587). Der Text erläutert: "Die Apotheke (Realkonzession) und das Grundstück, welches eine wirtschaftliche untrennbare Einheit darstellen, sind bereits einmal durch notariellen Vertrag vom 23.8.1938 von dem Apotheker Wolfsohn an den unterzeichneten Apotheker Rincker, welcher seit dem 1. Okt. 1936 die Apotheke gepachtet hat, verkauft worden. Demnach war der Kaufpreis für das Grundstück mit 72.000 RM festgesetzt worden, welches auch bereits von der Prüfungsstelle genehmigt worden sein soll. Neuerdings ist der Kaufpreis für das Grundstück um 700 RM niedriger festgesetzt worden, weil der Dachstuhl des Hauses früher vom Holzbock befallen gewesen ist und von einem Sachverständigen vorgeschlagen wurde, den Hausbock mit einem Kostenaufwand von 700 RM zu bekämpfen." Im Vertrag sind folgende Daten festgehalten: Einheitswert des Grundstücks RM 68.800 RM; durchschnittlicher Jahresumsatz etwa 73.350 RM; Wert der Konzession 80.700 RM; Inventar auf 3200 RM geschätzt.

"Der Erwerber übernimmt nach dem allgemeinen Vertrag Gesamtkaufpreis 155.200,00 RM; Hypotheken 115.260,80 RM; Restl. Kaufpreis 39.939,20 RM" [(Z 657-1- Rückerstattungssache 23.8.1950)].
Auch nach dem zweiten Vertrag stand fest, dass durch Hypothekenübernahme und Verrechnung nur noch ein Restbetrag von 35.377,93 RM an Wolfsohn zu bezahlen war. Die andere Hälfte sowie den Betrag für Apotheke und Inventar hatte der Erblasser erhalten. Nach Abrechnung des Treuhänders Voss erhielt dieser von dem Notar Voigt und vom Käufer Beträge von über 44.000 RM. Wo die Beträge im Einzelnen verbucht und ausgekehrt wurden, war trotz akribischer Nachforschungen später nicht mehr eindeutig zu belegen.

Max und Margarete Wolfsohn betrafen diese Auseinandersetzungen nicht mehr. Es gibt keine Belege dafür, dass sie zwischen 1940 und 1942 Kontakt mit ihrer Tochter in den USA hatten und ob sie sich für eine Emigration Hilfe von ihrer Tochter erhofften. Rincker unterstützte das alte Ehepaar mit Nahrungsmitteln und bevorzugten Lieferungen, ermittelte sogar eine Möglichkeit, wie sie zu Geld im Ausland hätten kommen können. Im Übrigen ist wenig darüber bekannt, wie ihre letzten Lebensjahre verliefen. Max und Margarete Wolfsohn bezogen in der Brahmsallee 12 eine kleinere Wohnung. Am 13. Juni 1942 feierte Max Wolfsohn seinen 70. Geburtstag und empfing Besuche von Freunden und einstigen Mitarbeiterinnen. Kurz danach wurde das Ehepaar Wolfsohn gezwungen, in das zum "Judenhaus" erklärte ehemalige Altenheim der Jüdischen Gemeinde in der Beneckestraße 6 einzuziehen. Von dort mussten sie sich am 15. Juli 1942, dem 57. Geburtstag von Margarete Wolfsohn, zur Deportation einfinden. Sie hatten zuvor einen "Heimeinkaufsvertrag" für das "Altersgetto" Theresienstadt abgeschlossen, der angeblich ihren Lebensabend sichern sollte. Zwei Monate lang schwebten sie dort zwischen Angst und Hoffen, bis das Gefürchtete eintraf: der Weitertransport in das Vernichtungslager Treblinka nordwestlich von Warschau. Die dortigen Gaskammern waren im Rahmen der "Aktion Reinhard" gebaut worden, um die Juden aus dem Warschauer Getto und aus dem Generalgouvernement Polen zu ermorden. Außerdem fanden dort fast 20.000 aus Theresienstadt deportierte jüdische Menschen den gewaltsamen Tod, unter ihnen Max und Margarete Wolfsohn aus Hamburg.

Die Tochter meldete sich nach 1945 unter ihrem neuen Namen Jacqueline Beck, geb. Annemarie Wolfsohn, als Alleinerbin ihrer Eltern beim Hamburger Amt für Wiedergutmachung, ausgewiesen durch den am 30. Mai 1949 ausgestellten Erbschein. Rechtsanwalt Pardo erstritt für sie in harter Auseinandersetzung mit dem Anwalt von Rudolf Rincker erhebliche Entschädigungszahlungen. Was haben ihre Eltern noch über ihre Tochter erfahren? Von Danzig aus fuhr sie mit dem in London am 29. November 1939 ausgestellten Visum auf dem Schiff Nova Scotia (Passenger List 5, Nr. 11) nach Boston in die USA. Als amerikanische Adresse hatte sie Gunter Berent aus Danzig als ihren "Verlobten" (fiancé) angegeben. Verschiedentlich tauchte sie unter dem Namen Jacqueline Berent in New York auf. Möglicherweise handelte es sich um eine Scheinheirat, die ihr die Emigration in die USA ermöglichte. Jedenfalls heiratete sie am 8. Januar 1949 "in erster Ehe" John Beck, von dem sie sich am 26. Mai 1953 scheiden ließ, um am 2. Juli 1953 Silvan Russ zu heiraten. Sie hatte keine Kinder. Ob sie jemals wieder nach Hamburg kam, wissen wir nicht.

Stand: September 2016
© Inge Grolle

Quellen: StaH, 314-15 OFP Oberfinanzpräsident FVg 7701; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 3387 (Jacqueline Russ, gesch. Beck, geb. Wolfsohn); Grundbuch St. Georg Nord; Benedikt Behrens, Stolpersteine in Hamburg-St. Georg, S. 191f.; Bajohr, "Arisierung", S. 112–114; Geschichte der Hamburgischen Apotheken, 1913 (wg. Foto, ohne Seitenangabe); Auskunft des Bundesarchivs, Document Center Berlin; Schriftliche Mitteilungen von Danielle Angress, Nachfahrin der Familie Wolfsohn, an Benedikt Behrens; Freundliche Auskünfte durch Dr. Rudolf Rincker, Hamburg.

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