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Bereits verlegte Stolpersteine



Bruno Niemann, undatiertes Foto
Bruno Niemann, undatiertes Foto
© Evangelische Stiftung Alsterdorf

Bruno Niemann * 1898

Schulterblatt 24 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
BRUNO NIEMANN
JG. 1898
EINGEWIESEN 1939
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
ERMORDET 19.5.1945

Weitere Stolpersteine in Schulterblatt 24:
Lina Friedmann, Adolf Gustav Ziebarth

Bruno Niemann, geb. am 4.4.1898 in Hamburg, aufgenommen am 28.8.1939 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten, "verlegt" am 11.8.1943 in die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen, gestorben am 19.5.1945

Schulterblatt 24

Bruno Niemann war ein Sohn des Schneiders Friedrich Niemann und seiner Ehefrau Eliese, geborene Demperwulf. Er hatte drei Geschwister.

Im Alter zwischen zwei und sieben Jahren musste er mehrmals wegen Knochenmarkentzündung in beiden Armen und anderer Leiden wie Knochenfraß im Marienkrankenhaus behandelt werden. Die Erkrankungen beeinträchtigten ihn in seiner Entwicklung stark und führten zu einer 30prozentigen Behinderung. Als Folge dessen besuchte er die Volksschule Kielortallee 18 nur bis zur dritten Klasse (entspricht der heutigen sechsten Klasse). Es schloss sich eine Lehrzeit von einem Jahr in einer Spiel- und Galanteriewarenfabrik an (Galanteriewaren: veraltete Bezeichnung für modische Accessoires wie z.B. Modeschmuck).

Danach lebte er als Ungelernter von verschiedenen Botendiensten und war längere Zeit arbeitslos. Von 1915 bis 1918 arbeitete er in der Pulverfabrik Düneburg in den Besenhorster Sandbergen westlich von Geesthacht, verlor die Stellung dann wieder und fand Arbeit in einer Pulverfabrik in Dormagen im Rheinland.

Im Dezember 1919 heirateten Bruno Niemann und Alma Unger. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, die 1920 geboren wurde. In den folgenden Jahren versuchte Bruno Niemann, sich mit einem Brotgeschäft und anderen kleinen Unternehmungen selbstständig zu machen. Dies blieb ohne Erfolg. Er leistete dann Hilfsarbeiten im Hamburger Hafen und ab 1933 bei der Reichspost. Dort stieg er später zum Sortierer auf.

Bruno Niemanns Leben änderte sich dramatisch, als er im März 1938 Patient der Psychiatrischen und Nervenklinik der Hansischen Universität, Hamburg-Friedrichsberg, wurde. Zu dieser Zeit wohnte er zusammen mit seiner Ehefrau in der Straße Schulterblatt 24 Haus 6. Er hatte in einem Anfall starker Erregung etliche Teile seiner Wohnung demoliert und war anschließend von der Polizei festgenommen worden, als er einen Feuermelder eingeschlagen hatte. In der Klinik berichtete er von einer starken Abneigung gegen gewisse Farben und den Drang, alles, was er als schmutzig, staubig und veraltet empfand, wegzuwerfen. Er träume oft von Feuer und glaube, seine Kollegen redeten über ihn und seien in seiner Abwesenheit zu Hause bei seiner Frau und Tochter gewesen. Er äußerte starke Eifersuchtsgefühle.

Schließlich wurde Bruno Niemann 1938 nach § 22 des Hamburger Verhältnisgesetzes (Einweisung zum Schutz oder zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) in das Versorgungsheim Farmsen eingewiesen. Nach einem viermonatigen Aufenthalt dort wurde er Mitte Juli entlassen. Sofort entwickelte er wieder starke Eifersucht und Verfolgungsvorstellungen, die sich zu extremen Vorwürfen, Verdächtigungen und Drohungen gegenüber seiner Frau steigerten.

Als Bruno Niemann seine Arbeit bei der Post gegen Ende August wieder aufnahm, stabilisierte sich sein Verhalten zwar vorübergehend, jedoch nur einen Monat später bedrohte er seine Frau verbal so, dass sie sich real gefährdet fühlte. Ein herbei gerufener Arzt wies Bruno Niemann wieder in die Klinik Friedrichsberg ein. Ende September 1938 trennte sich Alma Niemann nach erneuten Verdächtigungen und Bedrohungen von ihrem Ehemann.

Anfang 1939 wurde Bruno Niemann in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn und im August 1939 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten überführt. Die Diagnose lautete "Schizophrenie". Er gehörte zu den Patienten, für die im Oktober 1940 ein Meldebogen für die "Euthanasie"-Zentrale, T 4, in Berlin erstellt wurde.

Als der Leiter der Alsterdorfer Anstalten, Pastor Friedrich Lensch, nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") unter Hinweis auf Zerstörungen in der Anstalt sich eines großen Teils der Bewohnerinnen und Bewohner entledigen wollte, gehörte Bruno Niemann zu den 113 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die am 10./11. August 1943 in die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen in der Nähe von Passau überstellt wurden.

Die Anstalt Mainkofen gehörte zu jenen Einrichtungen, die in die letzte Phase der "Euthanasie"-Morde einbezogen waren. In diesen Anstalten wurde der Tod vielfach durch Medikamentenüberdosierungen oder Hungerkost herbeigeführt. In Mainkofen und anderen bayerischen Anstalten gab es außerdem eine Anweisung, nach der Patienten "so zu behandeln [waren], daß sie möglichst schnell weniger wurden." In Mainkofen starben von 1943 bis 1945 762 Patientinnen und Patienten in den sog. Hungerhäusern. Als angebliche Todesursachen wurden insbesondere Darmkatarrh, Tbc, Lungenentzündung festgehalten.

Bruno Niemann lebte in Mainkofen noch 1 ¾ Jahre. Über seine persönlichen Lebensumstände dort ist nichts bekannt. Er starb am 19. Mai 1945 in Mainkofen.

Als Todesursachen enthält der Leichenschau-Schein "Herzmuskelerkrankung, Herzmuskelentartung." Er wurde am 22. Mai 1945 auf dem Anstaltsfriedhof Mainkofen beerdigt.

Stand: Januar 2020
© Ingo Wille

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv V463; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 2. Aufl. Hamburg 1988, S. 189-209; Aly, Götz, Anstaltsmord und Katastrophenmedizin 1943 bis 1945 – Die "Aktion Brandt", in : Fortschritte der Psychiatrie im Umgang mit Menschen, Hrsg. Klaus Dörner, Rehburg-Loccum, 1984, S. 52.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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