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Agnes Friedenheim (geborene Cohen) * 1872

Mansteinstraße 6 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


HIER WOHNTE
AGNES FRIEDENHEIM
GEB. COHEN
JG. 1872
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Mansteinstraße 6:
Henry Friedenheim

Henry Friedenheim, geb. 9.7. in Hamburg, deportiert 1942 nach Theresienstadt, ermordet in Treblinka am 21. September 1942.
Agnes Friedenheim, geb. Cohen, geb. 5.9.1872 in Hamburg, deportiert 1942 nach Theresienstadt, ermordet in Treblinka am 21. September 1942.

Henry Friedenheim kam am 9. Juli 1873 in Hamburg zur Welt und zwar als Sohn des Zungenhändlers Louis Friedenheim und seiner Frau Tereza geb. Schöning. Beide hatten am 18. November 1866 in Hamburg geheiratet.
Louis Friedenheim, Jahrgang 1842, war ein umtriebiger und engagierter Kaufmann, der schon früh den Hamburger Bürgerbrief besaß. Er war z. B. einer der 102 Gründungsmitglieder des 1898 gegründeten "Bürgervereins Harvestehude und Rotherbaum". In diesem umfassend lokal- und staatspolitisch aktiven, nach 1918 der DDP nahestehenden Verein war Louis Friedenheim in mannigfacher Weise aktiv, so z. B. als Rechnungsprüfer und 1908 als Abgeordneter im Zentralausschuss der Hamburger Vereine. Louis Friedenheim hatte offensichtlich Verbindungen nach Wiesbaden. Aus dem Melderegister ergibt sich, dass die Familie oft in Hamburg umzog, meist innerhalb des Grindelviertels, aber auch immer wieder Hamburg länger verließ. Nach dem Tod seiner Ehefrau zog Louis Friedenheim wieder nach Wiesbaden, wo er zumindest 1914 wohnte.

Henry Friedenheim heiratete am 8. Juni 1900 Bertha Edelstein, die am 4. September 1872 in Bückeburg geboren war. In der Heiratsniederschrift wird sein Beruf mit Pfandleiher und seine Adresse mit Lange Reihe 16 angegeben. Die Tochter Blanca wurde am 16. August 1901 geboren, die Tochter Margot am 19. Dezember 1907. Lange hielt dieses Familienglück jedoch nicht, Bertha Friedenheim hatte sich bereits am 19. Februar 1912 nach Hannover abgemeldet, vielleicht zurück zu ihren Eltern nach Bückeburg. Durch Urteil des Landgerichts Hamburg, rechtskräftig geworden am 29. August 1913, wurde die Ehe von Henry Friedenheim und Bertha geschieden. Beide wandten sich neuen Partnern zu und beide blieben – jedenfalls aus heutiger Sicht – nah beieinander wohnen.

Bertha heiratete am 5. August 1914 John Meyer, einen Getreidehändler. Sie wohnten in der Schäferkampsallee 61 im 3. Stock. Es sieht so aus, als seien die Töchter mit ihr gezogen, denn diese Adresse steht auch in der Heiratsurkunde der Tochter Margot Friedenheim vom August 1926. Ob der dortige Zusatz "wohnhaft beim Vater" auf eine Adoption durch den neuen Mann ihrer Mutter hinweist? Jedenfalls starb John Meyer kurz nach der Hochzeit seiner Stieftochter, denn ab 1927 ist in der Schäferkampsallee 61, 3. Stock, nur noch Bertha Meyer als Witwe vermerkt. 1932 ist aber auch die erste Frau von Henry Friedenheim dort nicht mehr zu finden. Allerdings waren in der Emigration in Belgien und Frankreich die Mutter und ihre Tochter Margot jedenfalls zeitweise zusammen.

Auch Henry Friedenheim heiratete am 12. Januar 1915 ein zweites Mal, nämlich die am 5. September 1872 in Hamburg geborene Agnes Cohen. Mit dieser blieb er bis in den Tod zusammen.
Was Henry Friedenheim beruflich zu Beginn seines Lebens gemacht hat, ist nicht bekannt. Ab Dezember 1896 betrieb er jedenfalls gemeinsam mit einem Partner die Firma G. Wortmann und Co, ein Pfandgeschäft in St. Georg. Von 1898 bis 1900 befand sich dieses im Spadenteich 8, ab 1901 am Hansaplatz 11. Ab 1909 führte das Geschäft die Bezeichnung "Pfand- und Speditionsgeschäft" im Telefonbuch, was auf eine Ausweitung der Geschäftsaktivitäten über den reinen Pfandleiherbetrieb hinaus hindeutet.
Im April 1913 wurde jedoch die Liquidation der Firma eingeleitet und Henry Friedenheim zum Liquidator bestellt; im Juli 1914 erlosch die Firma. Soweit es sich den Adressbüchern entnehmen lässt, hatte Henry Friedenheim mit seiner Familie stets in der Nähe dieser Firma in St. Georg gewohnt (Hansaplatz, Beim Strohhause, Besenbinderhof). Dann jedoch kehrte er – wahrscheinlich schon ohne Frau und Töchter - in die Gegend seiner Kindheit und Jugend zurück, denn 1912 wohnte er in der Brahmsallee 6 in Harvestehude, 1915 in der Heinrich-Barth-Str. 15, bevor er sich 1916 in der Mansteinstraße 6 in Hoheluft-West niederließ. Hier lebte Henry Friedenheim mindestens bis 1932.

Nach den 17 Jahren im Pfand- und Speditionsgeschäft und dem Ende seiner ersten Ehe scheint Henry Friedenheim sich einem völlig anderen Geschäftszweig zugewandt zu haben. Nach den aufzufindenden Unterlagen hat er sich in einen traditionsreichen und gut florierenden Fisch- und Wildgroßhandel eingekauft. Die 1876 gegründete Fa A. Dümeling – "Fische, Hummer, Wild und Geflügel en gros" ist am 1. März 1914 von Amandus Behrens und ihm als oHG übernommen worden. Diese Firma hatte bis 1923 ein Büro in der Deichstraße 35/39 und ein Lager im Kühlhaus in St. Pauli. Im März 1923 wurde die Gesellschaft aufgelöst und Amandus Behrens blieb alleiniger Inhaber der Firma. Ab 1924 ist auch sie aus den Adressbüchern verschwunden. Möglicherweise ein Opfer der Hyperinflation? Henry Friedenheim persönlich hat jedenfalls später angegeben, sein Vermögen in der Inflation verloren zu haben.

Nun musste er sich wieder umorientieren. Im Januar 1924 meldete er ein Gewerbe an als "Kaufmann und Agent von Textilwaren". Ob und inwieweit er damit jemals erfolgreich war, ist nicht überliefert; Spuren lassen sich nicht finden. Die Aufzeichnungen über an die Gemeinde gezahlten Kultussteuern allerdings legen das Gegenteil nahe. Während in den Jahren bis 1923 Beträge zwischen 10 und 500 RM verzeichnet sind, hat Henry Friedenheim im Jahr 1925 noch einmal 2,15 RM gezahlt und danach nichts mehr.

Spätestens 1926 musste das Ehepaar sich an die öffentliche Fürsorge wenden, weil Friedenheim als Vertreter kaum Einkommen erzielte und zudem krank geworden war. Von der 4-Zimmer-Wohnung in der Mansteinstraße waren zu diesem Zeitpunkt bereits zwei untervermietet, um die Miete bezahlen zu können. Die Akten der Fürsorgeabteilung dokumentieren den unaufhaltsamen sozialen Abstieg des Paares. Friedenheims lebten von Zuwendungen eines Bruders der Ehefrau und der beiden Töchter des Mannes, 8 RM wöchentlich kam von der Fürsorge. 1927 gab Friedenheim an, monatlich zwischen 12 und 20 RM zu erzielen. In diesem Jahr endete die Unterstützung durch den Schwager, da dieser verstorben war. Das Ehepaar bewohnte nur noch ein Zimmer. Eine Zeit lang versuchte auch Agnes Friedenheim, als Hausiererin für Textilien etwas Geld zu beschaffen, dabei verdiente sie aber so gut wie nichts. Henry Friedenheim war immer wieder pflegebedürftig krank; er litt jedenfalls an Diabetes und einem Lungenemphysem, zeitweise wurden ihm auch psychische Probleme attestiert.
Von 1930 bis 1935 sind beide als Wohlfahrtsempfänger der israelitischen Gemeinde notiert.
1932 war die Wohnung in der Mansteinstraße nicht mehr zu halten. Nach wechselnden Zimmern in Wrangelstraße und Bogenstraße bezog das Paar im Juni 1936 ein Zimmer in der Bornstraße 22. Zu diesem Zeitpunkt war die Bornstraße 22 noch kein "Judenhaus", sondern von einem wohlhabenden jüdischen Stifter für Fürsorgeempfänger bereitgestellt. Die Nachweise über Zahlungen aus der staatlichen Fürsorge enden im Dezember 1938.

Am 15. Juli 1942 sind Henry Friedenheim und seine Frau Agnes nach Theresienstadt deportiert worden.

Am 21. September 1942 wurden sie mit Transport Bp-1489 weiter verschleppt nach Treblinka und dort ermordet.

In Hamburg verblieben ein Zinnteller und ein silberner Serviettenring, die Henry Friedenheim bei der Deportation zurücklassen musste und die als "zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen" versteigert wurden.

Die Töchter von Henry Friedenheim und seiner ersten Frau konnten beide emigrieren:

Die ältere Tochter Blanca hatte im März 1921 Alfred Simon geheiratet und im November den Enkel Harald Simon geboren. Alfred Simon und sein Bruder Fritz waren Eigentümer der Chemiefabrik Max Simon jr. am Mühlenkamp und es galt als ausgemacht, dass Harald ebenfalls Chemie studieren und die Firma eines Tages übernehmen würde. An diesen Plänen änderte sich nichts, als die Ehe im März 1930 geschieden wurde. Blanca und ihr Sohn bezogen eine großzügige Wohnung in der Dorotheenstr. 141, die exklusiv eingerichtet wurde. Aufgrund der Unterhaltszahlungen hatte man einen gut gesicherten Lebensstandard.
Der zunehmende Antisemitismus nach 1935 veranlasste den Enkel Harald zu diversen Schulwechseln, schließlich ging er in die Talmud-Tora-Schule. Nach Abschluss der Obertertia dort wurde der Junge zur Grone-Schule geschickt, um statt des Abiturs etwas "Handfesteres" zu lernen.

Friedenheims Tochter Blanca und seinem Enkel Harald gelang noch im Dezember 1939 die Auswanderung nach Antwerpen. Im Januar 1940 fuhren sie mit dem Schiff "Westerdam" weiter in die USA. Dort heiratete Tochter Blanca im Dezember 1941 erneut (einen Herrn Laponte) und Enkel Harald im April 1943 erstmals (die ebenfalls in Hamburg geborene Vera Kahn). Alle Familienmitglieder lebten in New York City, Harald schlug sich wirtschaftlich schlecht und recht mit einer Vielzahl von Tätigkeiten als Vertreter, im Uhrenarmband-Export und als Taxifahrer durch. Ob sie Kinder – und Henry Friedenheim damit Urenkel – bekamen, ist nicht bekannt.

Harold (amerikanisiert) und Vera Simon waren noch vor kurzem in der 85. Straße in Manhattan im Telefonbuch zu finden, sind dort aber nicht mehr zu erreichen und möglicherweise nicht mehr am Leben.

Die jüngere Tochter Margot heiratete im August 1926 Martin Kurt Simon (für eine verwandtschaftliche Beziehung zum ersten Mann ihrer Schwester gibt es keinerlei Hinweise), einen Kaufmann. Im Januar 1927 wurde der Enkel Gerhard geboren. Margots Ehemann war Angestellter in einer offensichtlich sehr gut laufenden Schiffsverproviantierungsfirma, die zwei kinderlosen Onkeln gehörte und die er z. T. nach deren Tod geerbt hätte. Die Familie wanderte bereits 1937 nach Antwerpen aus, was noch unter Mitnahme des gesamten und wohl sehr umfangreichen Hausstandes möglich war. Gerhard wurde in einem Internat nahe Antwerpen untergebracht.
Im Mai 1940 hatten die Eltern Gerhard nach dem deutschen Bombardement Antwerpens gerade aus dem Internat geholt, als alle drei auf der Straße vom belgischen Militär als Deutsche verhaftet und interniert wurden. Ebenfalls interniert wurde Margots Mutter Bertha, die erste Frau von Henry Friedenheim, die sich bei der Familie aufhielt. Martin Kurt Simon wurde nach einigen Tagen nach St. Cyprien in Südfrankreich deportiert, während die übrigen Familienmitglieder wieder freigelassen wurden. Auch sie flohen nach Frankreich, da sich herumgesprochen hatte, dass alle Juden in Antwerpen verhaftet würden. Margot wurde in Frankreich mit Sohn und Mutter im Mai 1940 interniert und in das Lager nach Gurs gebracht, von dort jedoch Ende Juli entlassen. Sie schlugen sich in einen kleinen Küstenort am Mittelmeer in der Nähe von Perpignan durch (Canet Plage), wo im September auch wieder Margots Mann Martin Kurt Simon zu ihnen fand. Er hatte aus dem Lager in St. Cyprien fliehen können und versteckte sich nun in Canet Plage.

Die schwierige Lage der Familie verschlechterte sich schlagartig weiter, als die deutsche Armee Vichy-Frankreich besetzte. Eines Tages im Juni 1943 warnte der Ortsgendarm von Canet Plage die Familie, die Gestapo werde sie in der kommenden Nacht alle verhaften und deportieren. Herr und Frau Simon versteckten sich daraufhin mit ihrem Sohn Gerhard in einer abgelegenen Hütte, die Mutter von Margot wurde an anderer Stelle untergebracht. Später erfuhren sie, dass tatsächlich die Gestapo nachts um 4 Uhr in ihrer Wohnung gewesen sei. Bis Ende 1943 mussten sie es in Canet Plage in diesem Versteck aushalten, bevor sie über die jüdische Gemeinde falsche Papiere für die Eltern bekommen konnten. Mit diesen wurden sie weiter nach Chambery im Departement Savoie gebracht, von dort wurde das Paar im Frühjahr 1944 mit Hilfe wiederum der jüdischen Gemeinde nach Pragondran, einem Bergdorf, vermittelt. Der damals 16jährige Sohn Gerhard, für den keine Papiere zu besorgen waren, lebte bereits seit Oktober 1943 untergetaucht bei Bauern. Martin und Margot Simon fristeten fortan ein kärgliches und hochgefährliches Leben bei schwerer körperlicher Arbeit in den Bergen. Die gefälschten Papiere waren von sehr schlechter Qualität und dienten eigentlich nur dem Schutz der Bauern, die ihnen Arbeit gaben, falls sie kontrolliert worden wären. Für Lebensmittelmarken hingegen wagten Simons sie nicht einzusetzen; sie hielten sich stets versteckt, wenn sie nicht arbeiteten. Ohne Hilfe und Unterstützung der Bergbauern wäre diese Zeit nicht zu überstehen gewesen.
Im Herbst 1944 wurden die Deutschen aus dem Departement Savoien vertrieben und die Familie war endlich frei.

Was aus Bertha, der ersten Frau von Henry Friedenheim und Mutter von Margot, geworden ist, war nicht festzustellen – ihre Spur verliert sich in Canet Plage. Vielleicht ist sie während dieser Zeit gestorben.

Nach der Befreiung Frankreichs arbeitete Henry Friedenheims Schwiegersohn einige Zeit als Dolmetscher für die Alliierten. Die Not der Familie war noch immer groß, Verwandte aus London mussten Bekleidung schicken, da Martin Kurt Simon zu wenig verdiente, um mehr als das Essen kaufen zu können. 1946 zog die Familie nach London, konnte dort aber wirtschaftlich nicht Fuß fassen. Im Juni 1948 reiste Margot mit ihrem Gatten nach USA, der Sohn Gerhard folgte im Januar 1950 nach. Ab 1950 arbeitete Martin Kurt Simon wieder als angestellter Schiffsproviantierer. Auch diese Familie lebte schließlich in New York, ganz in der Nähe der Schwester, nämlich in der 66. Straße in Manhattan. Margot und ihr Mann starben 1983 im Abstand von wenigen Monaten.

Stand Juli 2015
© Carola v. Paczensky

Quellen: StaH 332-3_A 157 (4500/73) Geburtenregister des Zivilstandesamtes Hamburg; StaH 614-2/4_1 Band 1; StaH 332-5_2938 Heirats-Hauptregister 1900 Band 2 Nr.478; StaH 332-5_13554 (1680/01) Geburtenregister Standesamt Hamburg 1, StaH 332-5_8698 Heirats-Hauptregister 1914 St.Amt 3 Nr.283; StaH 332-5_8705 Heirats-Hauptreg. 1915 StAmt 3 Nr. 6; StaH 522-1 Jüdische Gem. Nr. 992e 2 Band 4, Deportationsliste Transport nach Theresienstadt am 15.7.1942, Liste 1 Nr. 244 und 245; StaH 231-3_A 13 Bd 19 Gesellschaftsregister; StaH 231-7_A1 Band 59 Handelsregister S. 146 Nr. 14274; StaH 231-7_A5 Band 33 (Reponierungsregister) S. 284 Nr. 31809; StaH 231-7_A1 Band 75, Handelsregister A Nr.18438; Gewerbeanmeldeschein 6201 vom 26.1.1924, Gewerbekarteifilm StaH 741-4_K3893; StaH 351-14_1151 (Akten der Fürsorgeabteilung); StaH 214-1_275 Versteigerungsprotokoll des Gerichtsvollziehers; StaH 351-11_44920 Wiedergutmachungsakte Harold Simon; StaH 351-11_24868 Wiedergutmachungsakte Blanche Laponte; StaH 351-11_18572 Wiedergutmachungsakte Martin Kurt Simon; StaH 351-11_32796 Wiedergutmachungsakte Margot Simon; StaH 351-11_2161; StaH 314-15_FVg 8305; www.holocaust.cz; http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start (Adressbücher / Telefonbücher digitalisiert)

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