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Porträt Ella Lange, geb. Goldschmidt, 1926
Ella Lange, geb. Goldschmidt, 1926
© Ian Goldsmith

Ella Lange (geborene Goldschmidt) * 1878

Hallerstraße 42 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ELLA LANGE
GEB. GOLDSCHMIDT
JG. 1878
DEPORTIERT 1941
RIGA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 42:
Clara Kaiser, Frieda Kohn, Johanna Kohn

Ella Lange, geb. Goldschmidt, geb. am 24.2.1878 in Hamburg, am 6.12.1941 deportiert nach Riga-Jungfernhof

Hallerstraße 42

Als zweitältestes Kind ihrer jüdischen Eltern Aron und Annie Goldschmidt wurde Ella am 24.2.1878 geboren. Wie auch ihre fünf Geschwister erblickte sie in Hamburg das Licht der Welt.

Ihr Vater, geb. am 22.12.1840 in Emden, verdingte sich als "Kommissionär", d.h. er tätigte als selbstständiger Kaufmann Kommissionsgeschäfte im eigenen Namen oder auf Rechnung anderer. Er starb am 28. Januar 1903 in Hamburg.

Ihre Mutter Annie, geb. 25.4.1850 in London, trug vermutlich den Mädchennamen Neustadt. In den Dokumenten, die aus Hamburg von ihr erhalten sind, wird ihr Nachname mit "Newstadt" angegeben. Sie starb am 8. Juli 1919 in Hamburg.

Vom 17. März 1892 bis Mai 1908 lebte die Familie Goldschmidt im Kraienkamp 18, Haus2. Wie auch bei den Häusern im Kraienkamp 16 und 17 handelte es sich um sogenannte Freiwohnungen, in denen die 1868 von Berend Oppenheimer errichtete gleichnamige Stiftung bedürftigen jüdischen Familien Unterkunft gewährte. Dies lässt den Schluss zu, dass die Goldschmidts nur über ein geringes Einkommen verfügt haben. Wer in dieses Stift aufgenommen werden wollte, musste seinen religiösen Lebenswandel nachweisen.

Als die Hamburger Neustadt saniert wurde, gab die Stiftung diese Grundstücke auf und errichtete in den Jahren 1907–1908 ein neues fünfgeschossiges Gebäude in der Kielortallee 22 mit zwanzig zwei- und dreigeschossigen Wohnungen. Angegliedert war auch eine Synagoge, in der streng orthodoxe Gottesdienste abgehalten wurden. (Wie viele andere jüdische Wohnstifte wurde das Haus Kielortallee 22 ab 1941 als "Judenhaus" genutzt.)

Ella Goldschmidt erlernte den Beruf der Buchhalterin. Dreiundzwanzigjährig zog sie in die Brüderstraße 14, ins Hochparterre zu Neustadt, also vermutlich zu Verwandten aus der Linie ihrer Mutter. Dann hielt sie sich für ein halbes Jahr in Lausanne auf, bevor sie am 4. Mai 1905 ein neues Quartier in der Grindelallee 47 bezog.

Zuvor hatte sie am 1. April 1905 das unter dieser Adresse ansässige Ingenieurbüro für Kraftanlagen der "Gebr. C. & E. Lange" übernommen. Angegliedert war eine Verkaufsstelle für folgende Firmen: Dresdner Gasmotorenfabrik von Moritz Hille, Dresden, Sächsische Electricitätswerke von Pöschmann & Co, Heidenau-Dresden, Akkumulatorenwerke Syst. Tribelhorn, Dohna b. Dresden, Bogenlampenfabrik August Schwarz, Frankfurt a/M., Scheibler Automobil­industrie, Aachen, Friedrich Streicher & Cie. Maschinenfabrik, Chemnitz und Nordische Zentralheizungsfabrik, Elmshorn. Diese führte sie weiter. Laut Eintrag im Handelsregister vom 4. April 1905 übernahm sie "die im Geschäftsbetrieb begründeten Verbindlichkeiten des bisherigen Geschäftsinhabers nicht".

Kurz zuvor, am 24. Juni 1904, hatten (Joh?) Carl Otto Lange, "Civilingenieur hierselbst", wohnhaft Schlump 11, und sein Bruder Johannes Albert Emil, das "Patent- u. Technische Bureau" mit Sitz am Holstenplatz 3 gegründet. Emil Lange, geb. am 20.2.1872 in Hamburg, kauf­männischer Angestellter, lernte Ella wahrscheinlich in ihrer Firma kennen. Sie heirateten am 23. Dezember 1922, Ella war 44 Jahre, Emil 50 Jahre alt.

Emil Langes Eltern, der 1837 geborene Braunschweiger Musiker Johannes Carl Friedrich Lange und Cathrina Margretha, Jg. 1840, geb. Dirks aus Quickborn, hatten am 16. April 1867 geheiratet. Sie wohnten im Steindamm 73.

1923 zog Emil in Ellas Hochparterre-Wohnung in der Osterstraße 104 ein, wo sie seit 1912 lebte. Unter dieser Adresse hatte die Firma "Gebr. C. & E. Lange" bereits seit 1912 den Sitz einer Bouillonwürfelfabrik angemeldet. Ob sich dahinter lediglich ein Büro oder die Fabrikation der Marke "Sanos" verbargen, konnte nicht zweifelsfrei recherchiert werden.

Am 29. Mai 1923, kurz nach ihrer Heirat, meldete Ella ein neues Gewerbe als "Zimmervermieterin" an. Der Gewerbeanmeldungsschein Nr. 1642/1923 belehrte die künftigen Vermieter, "dass unter Zimmervermietung ein Vertragsverhältnis von längerer Dauer zu verstehen ist, während sich das Halten eines offenen Lokals zur Beherbergung von Gästen als Gastwirtschaft darstellt, zu welchem Betriebe es eine Erlaubnis der Behörde für das Schankkonzessionswesen bedarf".

Ob Ella zu diesem Zeitpunkt bereits absehen konnte, dass ihre Firma möglicherweise kurz vor dem Aus stand, wissen wir nicht. Der im Handelsregister verfasste Eintrag gibt keinen Aufschluss darüber, warum die Firma am 29. Oktober 1924 gelöscht wurde. Auch im Hamburger Adressbuch von 1924 wird der Eintrag "Gebr. C. & E. Lange Suppenwürfelfabrik" letztmalig aufgelistet.

Ein Jahr später verzeichnete das Adressbuch Ella Lange allein unter der Adresse Osterstraße104. 1933 kam der Zusatz "Wwe." hinzu. Inzwischen lebte sie in der Hallerstraße 42.

Genaues über Zeit und Ort des Todes von Emil Lange ist nicht bekannt.

Der zunehmende politische und wirtschaftliche Druck auf die jüdische Bevölkerung und die immer schwierigeren Lebensverhältnisse zwangen Ella Lange, auch in ihrem neuen Domizil unterzuvermieten, um ein geregeltes Einkommen zu gewährleisten (s. Biographie Johanna König/Clara Kaiser).

Ella Lange erhielt Anfang Dezember 1941 den Deportationsbefehl in den "Osten", ebenso wie weitere 23 Nachbarn aus der "Ostmarkstraße" (Hallerstraße). Eigentlich sollten die betroffenen 964 Jüdinnen und Juden in das Getto Minsk deportiert werden, doch der Transport ging am 6. Dezember 1941 mit dem Ziel Getto Riga vom Hannoverschen Bahnhof ab. Er erreichte sein Ziel drei Tage später am 9. Dezember 1941. Doch brachte die SS die Insassen des Zuges nicht in das Getto Riga, sondern auf das nahegelegene Gut Jungfernhof, denn im Getto Riga lief noch eine "Räumungsaktion", d.h. die Erschießung von 27.500 lettischen Juden.

Unter den primitiven Lebensbedingungen auf dem Jungfernhof verhungerten und erfroren hunderte der aus Hamburg und anderen Städten dort eingewiesenen Juden. Ca. 1800, die den Winter überstanden hatten, wurden im Frühjahr 1942 in der "Aktion Dünamünde" erschossen.

Lediglich 35 Menschen aus Hamburg sollen diese Deportation überlebt haben.

Der genaue Zeitpunkt und die Umstände von Ella Langes Tod sind nicht bekannt. Sie wurde auf den 8. Mai 1945, 24 Uhr, per Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 19. November 1953 offiziell für tot erklärt.

Ellas zurückgelassenes Barvermögen wies die Oberfinanzkasse mit RM 93,24 aus. Die Versteigerung ihrer Möbel, des Hausstands, eines Pelzmantels und Schmuck erbrachte dem Deutschen Reich einen Erlös von RM 1767,50.

Zum Schicksal von Ella Langes Geschwister:
Paul Aron Phillip Goldschmidt kam am 19.12.1874 zur Welt. Er war ein Kaufmann, Eigentümer einer Knopffabrik. Am 24. Februar 1943 wurde er nach Theresienstadt deportiert und ist dort am 21. Dezember 1943 verstorben (s. www.Stolpersteine-Hamburg.de).
Sofie/Sofia/Sophia, geb. am 23.2.1877 in Hamburg, gest. am 28. Dezember 1931 in Hamburg, hatte den am 14.12.1871 im westpreußischen Culm geborenen Max Bukofzer geheiratet. Er erlag am 7. November 1940 einer schweren Krankheit im Israelitischen Krankenhaus.
Aus der zweiten, am 22. Dezember 1898 geschlossenen Ehe mit dem "Reklameverteiler" Bukofzer, der von 1914–1918 als Soldat "im Feld" gestanden hatte, gingen zwei Kinder, Arthur, geb. am 22.5.1899, und Bertha, geb. am 20.2.1903, hervor. Beide kamen in Hamburg zur Welt und überlebten Krieg und Verfolgung.
Alfred, geb. am 19.7.1880 in Hamburg, von Beruf Buchhalter, war verheiratet mit der nichtjüdischen Martha Clara Wilhelmine Härtel, geb. am 23.8.1885 in Mallwitz. Sie wohnten im Stellingerweg 2. Alfred fiel im Ersten Weltkrieg bei Stellungskämpfen an der Yser in Flandern am 19. Mai 1916 als Gefreiter der Landwehr in der 11. Kompanie des Reserve-Ersatz-Infanterie-Regiments Nr. 4, "Verlustnr. 554"!
Elisa, geb. am 22.2.1882, wohnte mit ihrem 1933 geehelichten Mann, dem Ingenieur Groth, im Grindelberg 74a. Sie wurde am 11. Juli 1942 "evakuiert". Der Transport ging nach Auschwitz. Auch Elisa Groth wurde laut Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 14. September 1953 auf den 8. Mai 1945, 24 Uhr, für tot erklärt.
Martha, geb. am 15.9.1883, von Beruf Buchhalterin, wohnte mit ihrem ebenfalls als Buchhalter tätigen Ehemann Rudolph Levy (geb. 21.8.1884, gest. 28. Oktober 1941 in Hamburg) in der Kielortallee 22 ptr., einer Freiwohnung der Oppenheimer-Stiftung. Das Paar hatte am 24. April 1914 geheiratet, es blieb kinderlos. Die Eheleute adoptierten jedoch Alfred Goldschmidt, geb. 25.12.1917 in Hamburg, der den Nachnamen Levy annahm. Er war der erstgeborene Sohn von Marthas geschiedenem Bruder Barthold.
Alfred Levy wurde ein Opfer des Pogroms vom 9. November 1938. Am 10. November 1938 verhaftete ihn die Gestapo und verschleppte ihn, wie auch fast 1000 weitere Hamburger jüdische Männer, in das KZ Sachsenhausen, wo er bis zum 17. Januar 1939 inhaftiert blieb. Nach seiner Entlassung emigrierte Alfred Levy in die Niederlande und gelangte im Mai 1939 zunächst nach Franeker in der Provinz Friesland, wo er sich einem Kibbuz anschloss und hier eine Ausbildung zum Landwirt begann. Von Oktober 1939 bis April 1940 musste er in der psychiatrischen Anstalt Apeldoornsche Bos behandelt werden, einer Klinik für verhaltensauffällige und behinderte jüdische Jugendliche (sie wurde 1943 geschlossen). Die Ursache für Alfred Levys Aufenthalt ist nicht bekannt. Nach seinem Klinikaufenthalt hielt er sich in Amsterdam auf, bis er im Mai 1942 erneut in der Apeldoornsche Bos aufgenommen wurde. Am 22. Januar 1943 wurde Alfred Levy von Apeldoorn über Westerbork mit einem "Krankensondertransport" nach Auschwitz deportiert, wo er unmittelbar nach seiner Ankunft am 25. Januar 1943 ermordet wurde.
Martha Levy wurde am 6. Dezember 1941 zusammen mit ihrer Schwester Ella nach Riga-Jungfernhof deportiert. Sie wurde, wie ihre Schwester, auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.
Barthold, geb. am 20.4.1893, erlernte den Beruf des Verkäufers in einem Manufakturwarengeschäft. Er arbeitete für verschiedene Firmen als "Agent", respektive Vertreter oder "Provisionsreisender" für Herren-Konfektion. Die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der Rezessionsjahre aber bescherten ihm lediglich mäßige Einnahmen, sodass er seit 1931 immer wieder auf staatliche Hilfen angewiesen war, um seine Familie ernähren zu können. Als Jude ohne Aussicht auf eine feste berufliche Anstellung, war er seit 1933 ununterbrochen erwerbslos und bezog bis 1937 durchgängig Fürsorge bzw. Arbeitslosenunterstützung.
Barthold war dreimal verheiratet.
Aus erster Ehe ging Sohn Alfred (s.o.), geb. am 25.12.1917 in Hamburg, hervor. Sie wurde nach nur vier Jahren wieder geschieden. Am 9. Juli 1924 heiratete er die Jüdin Laura Freid (geb. 28.5.1892 in Smarczow, Polen). Dieser zweiten Ehe entstammten die Kinder Salomon Robert, geb. am 19.5.1925, und Bruno, geb. am 24.11.1926. Beide kamen in Hamburg zur Welt. Die Familie war auf Fürsorgeleistungen und Arbeitslosenunterstützung angewiesen. Laura Goldschmidt erkrankte schwer. Sie starb am 2. Januar 1933.
Durch den Tod der Mutter brach die Familie auseinander. Robert konnte bei der Schwester seiner Mutter und deren Mann Willy Lohde, die eine Färberei in der Bornstraße 3 betrieben, unterkommen. Bruno ging zur Tante Martha Levy in die Kielortallee 22. Der Vater Barthold, fast mittellos, zog zur Untermiete in die Heidestraße 18 in eine anderthalb Zimmerwohnung bei der russischstämmigen jüdischen Damenschneiderin Esther Zirkmann. Er heiratete sie 1933. Diese Ehe stand unter keinem guten Stern. Esther Goldschmidt bezichtigte ihren Mann, ein Verhältnis mit einer nichtjüdischen Frau eingegangen zu sein und ließ sich 1934 scheiden.
Barthold wurde wegen "Rassenschande" angeklagt und zu zwei Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der Untersuchungshaft verurteilt. Er verbüßte die Haft vom 18. September 1937–1. Juli 1939 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Unmittelbar nach seiner Entlassung wurde er am 3. Juli 1939 in "Schutzhaft" genommen und am 31. August 1939 ins KZ Sachsenhausen überstellt, wo er am 29. März 1940 an "Körperschwäche" verstarb.
Seine Kinder wuchsen zeitweise bei Verwandten auf, bevor sie unter die Obhut eines jüdischen Waisenhauses gestellt wurden. Von dort wurden sie am 8. Dezember 1938 mit einem Kindertransport nach England gebracht und konnten so vor der Verfolgung durch den Nationalsozialistischen Terror entkommen.

Der Stolperstein erinnert an Ella Lange vor dem Haus Hallerstraße 42. Für die weiteren von Hamburg aus deportierten Familienmitglieder werden ebenfalls Stolpersteine gesetzt.
Die Familienmitglieder, die eines natürlichen Todes gestorben sind, haben auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf an der Ilandkoppel ihre letzte Ruhe gefunden.

Stand: September 2016
© Michael Steffen

Quellen: 5; StaH 213-11 Landgericht Strafsachen _7076/37; StaH 213-13 Landgericht Wiedergutmachung _2829; _6594; StaH 231-3 A 12 Bd. 51, Nr. 38833; StaH 231-7, Handels- u. Genossenschaftsregister _A1 Bd. 57, A13587; StaH 332-5 Melderegister _1928/1000/1878; _2058/4391/1883; _2313/1555/1893; _2808/978/1893; _2910/1398/1898; _6469/201/1909; _8037/562/1916; _6034/464/ 1917; _8771/900/1922; _6080/548/1924; _981/562/1931; _1004/1933; _8169/543/1940; StaH 332-3Zivilstandsaufsicht_ A125 Nr. 990; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung _15317; 741-4 A254; E-Mail Josè Martin, Kampwesterbork, Niederlande am 16.2.2016; www.dasjuedischehamburg.de (Zugriff am 27.3.2016); www.gerechte-der-pflege.net/wiki/index.php/Apeldoornsche_Bosch (zugegriffen am 20.2.2016); www.joodsmonument.nl/page/408346?lang=en (zugegriffen am 18.2.2016);diverse Adressbücher Hamburg; www.wikipedia.org/wiki/206._Division_(DeutschesKaiserreich) (zugegriffen am 23.1.2016); www.denkmalprojekt.org/verlustlisten/rjf_wk1.html (zugegriffen am 23.1.2016); Gottwaldt/Schulle, "Judendeportationen", S. 111, 113, 125f., 221; Stein, "Jüdische Baudenkmäler", S. 114f.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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