Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Hedwig Mamsohn (geborene Neufeld) * 1890

Schloßmühlendamm 18 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
HEDWIG MAMSOHN
GEB. NEUFELD
JG. 1890
DEPORTIERT 1942
IZBICA
ERMORDET IN
SOBIBOR

Hedwig Rosa Mamsohn, geb. Neufeld, geb. am 19.9.1890 in Harburg, deportiert von Frankfurt ins Durchgangslager Izbica am 24.5.1942 und weiter ins Vernichtungslager

Schlossmühlendamm 16 (früher: Mühlenstraße 18)

Als Hedwig Rosa als fünftes Kind des jüdischen Kaufmanns und Immobilienmaklers Max Neufeld (4.9.1851–24.9.1925) und seiner Ehefrau Jenny, geb. Pintus (4.9.1859 – 28.12.1940), zur Welt kam, zählte die Harburger Synagogengemeinde ca. 300 Mitglieder; das waren 0,6 Prozent der Gesamtbevölkerung der Stadt (ca. 48.000 Einwohner). Max Neufeld war jahrelang Erster Vorsteher der Gemeinde und wie alle anderen Vertreter dieser religiösen und gesellschaftlichen Minderheit und die meisten ihrer Mitglieder auf eine Verständigung zwischen Juden und ihrer nichtjüdischen Umwelt bedacht. Max Neufeld wurde auf dem Harburger Jüdischen Friedhof beigesetzt. Sein Sohn Erich (geb. 11.10.1891) starb als Soldat am 11. Mai 1916 bei Carvin an der Kanalküste.

Auch seine Tochter Hedwig verlor ihren Mann Moritz Isaak, mit dem sie ihre ersten Ehejahre in Remscheid verbracht hatte, in diesem Krieg. Er fiel am 29. November 1916 an der Front in den Karpaten. Sein Sohn Heinz Hermann Isaak, der kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 27. Juli 1914 zur Welt gekommen war, musste ohne seinen Vater aufwachsen.

Einige Jahre später heiratete Hedwig noch einmal. Am 16. März 1920 gab sie ihrem zweiten Mann Martin Mamsohn (*5.4.1886) in Remscheid das Jawort. Aus dieser Ehe stammte der am 25.6.1921 geborene Sohn Erich Willy Mamsohn. 1925 zog die Familie nach Eberfeld. Dort war Martin Mamsohn als Abteilungsleiter für die Herrenkonfektion im `Kaufhaus Tietz´ tätig, wo auch seine Frau eine Anstellung gefunden hatte. Seit 1927 arbeitete sie hier als Verkäuferin und Instruktorin. Bis zu ihrer Entlassung im Frühjahr 1933 konnte sie ihr Gehalt um 50% steigern, was sicherlich auch ein Indiz für ihre Tüchtigkeit ist.

Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler veränderte auch das Leben der Familie Mamsohn in verhängnisvoller Weise. Erich Willy Mamsohn hatte als Schüler bereits im Frühjahr 1933 unter den antisemitischen Anfeindungen seiner Lehrer und Mitschüler zu leiden. Er wurde verprügelt und mit Boshaftigkeiten konfrontiert, die immer unerträglicher wurden. An der Klassentür hatten unliebsame Mitschüler eines Morgens ein Schild mit der Aufschrift "Juden ist der Eintritt verboten" aufgehängt. Kein Wunder, dass ihm die Lust am weiteren Besuch der Schule schnell verging und seine Eltern händeringend nach Alternativen suchten. Es dürfte ihnen nicht leicht gefallen sein, ihren zwölfjährigen Sohn einem italienischen Kinderheim anzuvertrauen. Das musste er allerdings bald wieder verlassen, da seine Eltern die anfallenden Heimkosten nicht mehr mehr aufbringen konnten. Erich Mamsohn begann daraufhin eine Landarbeiterausbildung in Chiavari, um sich auf eine Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. 1938 gelangte er im Alter von 17 Jahren mit einem Jugendtransport in das Land, das für viele Juden zur neuen Heimstatt werden sollte. In den folgenden drei Jahren arbeitete Uri, wie er sich jetzt nannte, in einem Kibbuz bei Rosch Pina in Galliläa und verbesserte nebenbei seine Hebräischkenntnisse. 1941 schloss er sich der britischen Armee an.

Vier Jahre vor ihm war bereits sein Halbbruder Heinz Hermann in das Land ausgewandert, in dem die Zionisten so schnell wie möglich einen jüdischen Staat gründen wollten. Nach Abschluss seines noch in Deutschland begonnenen Studiums verdiente er dort viele Jahre lang als Geschichts- und Hebräischlehrer seinen Lebensunterhalt. Auch er hatte in seiner neuen Heimat seinen deutschen Namen abgelegt und sich fortan Chanan Jizchaki genannt.

Martin und Hedwig Mamsohn verloren bereits 1933 ihre Arbeitsstellen im Wuppertaler `Kaufhaus Tietz´. Beide Eheleute bemühten sich in den folgenden Wochen und Monaten vergebens um einen gleichwertigen Ersatz. Unter diesen Fehlschlägen litt in zunehmendem Maße auch ihre Ehe. Am 13. Juli 1937 wurde sie offiziell geschieden.

Anschließend zog Hedwig Mamsohn nach Kaiserslautern, wo ihre Schwester Gertrud Cohn (*29.3.1883) seit langem wohnte. 1911 hatte sie mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Heinrich Cohn das `Kaufhaus Schweriner´ im Zentrum dieser Stadt übernommen und das Unternehmen zusammen mit ihm bis 1933 sicher und erfolgreich durch alle Krisen geführt. Danach hatte der Niedergang begonnen, der im Mai 1936 mit der "Arisierung" der Firma endete. Für Gertrud Cohn gab es nach diesem Tiefschlag nur noch das eine Ziel, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen und in die USA auszuwandern, wo ihr Sohn inzwischen eine neue Heimat gefunden hatte. Diese Bemühungen dauerten jedoch angesichts vieler bürokratischer Hindernisse und Schikanen länger als gedacht und zogen sich über Jahre hin. Am 20. Februar 1940 konnte sie endlich über Genua in die USA ausreisen.

Auch Hedwig Mamsohn glaubte jetzt nicht mehr an bessere Zeiten in Deutschland, sondern konzentrierte sich voll und ganz darauf, ihre beiden Söhne in Palästina wiederzusehen und dort ein neues Leben zu beginnen. Doch auch ihre Pläne ließen sich aus finanziellen und politischen Gründen nicht schnell verwirklichen.

Um die Zeit bis zur Auswanderung zu überbrücken, nahm sie zunächst eine Anstellung als Erzieherin in einem Kindergarten in Kaiserslautern an. Als dieser nach einiger Zeit aufgelöst wurde, freute sie sich über das Angebot eines jüdischen Witwers, der sich nach 1933 auch von seiner Firma hatte trennen müssen, bei ihm als Hausgehilfin arbeiten zu dürfen. Bald zeigte sich, dass diese anfangs nur für einige Wochen vereinbarte Überbrückung länger als gedacht dauern sollte. Als ihr Arbeitgeber, vermutlich im Sommer 1938, nach Wiesbaden übersiedelte, war Hedwig Mamsohn bereit, ihm dorthin zu folgen. Er bezog eine Wohnung in einem Haus in der Wiesbadener Bahnhofstraße 25.

Auch hier verfolgte Hedwig Mamsohn weiterhin ihre Auswanderungspläne. Im Juni 1939 reichte sie eine umfassende Umzugsliste bei der Devisenstelle in Frankfurt ein, die neuerdings für sie zuständig war. Das gesamte Mobiliar stand bereits fertig gepackt bei der `Spedition Rettenmayer´ und sollte hier auch für den Transport überprüft werden. Die Liste umfasste insgesamt 320 Posten darunter Kleinigkeiten wie zwei Nussknacker oder vier Bierglasuntersetzer. Dass die Ausreise im Sommer 1939 nicht gelang, scheint nach Aktenlage diesmal nicht an den NS-Behörden gelegen zu haben, sondern eher an der restriktiven Einreisepolitik der Briten für Palästina.

Auch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs hielt Hedwig Mamsohn weiter an ihren Auswanderungsplänen fest, obwohl es immer schwieriger wurde, ein Exilland zu finden. Die Zahl der Länder, deren Grenzen noch offen waren, verringerte sich in zunehmendem Maße, und die nationalsozialistische Reichsregierung erhöhte die Hürden für potentielle Auswanderer immer schneller. Zu den Maßnahmen, die diesem Ziel dienten, gehörte auch eine Verschärfung des Ausfuhrverbots, von der auch Hedwig Mamsohn betroffen war.

Am 4. Dezember 1940 wurde sie von der Frankfurter Devisenstelle aufgefordert, diverse Gegenstände, die auf der Umzugsliste verzeichnet waren, vor ihrer Ausreise zu veräußern, da sie jetzt nicht mehr ausgeführt werden durften. Darunter befanden sich u. a. diverse Wasch-, Putz- und Toilettenartikel sowie ein Abfalleimer. Auch eine elektrische Nähmaschine, die ihr von einer "Verwandten" – vermutliche ihrer Schwester Gertrud Cohn – geschenkt worden war, um damit in Palästina eine eigene Existenz aufbauen zu können, durfte sie nicht mitnehmen.

Wir wissen nicht, woran Hedwig Mamsohns Auswanderungspläne letztlich scheiterten. Am 24. Februar 1941 bat sie die Devisenstelle Frankfurt darum, den bei der `Spedition Rettenmayer´ eingelagerten Lift wieder entplomben zu dürfen, was ihr umgehend erlaubt wurde. Im Mai 1941, als sie ihre Pläne, noch aus Deutschland herauszukommen, wohl endgültig aufgegeben hatte, beantragte sie die Rücküberweisung des Geldbetrags, den sie als `Vorzeigegeld´ bei der `Bank der Tempelgesellschaft´ zuvor hinterlegt hatte, auf ihr Konto bei der `Deutschen Bank´ in Wiesbaden. Ihr Wunsch, ihre Kinder in der Fremde wiederzusehen, blieb unerfüllt. Selbst der Briefwechsel mit ihnen wurde immer schwieriger. Er war nur noch möglich über die neutrale Schweiz und verlangsamte sich so sehr, dass die endlosen Wartezeiten für Hedwig Mamsohn immer unerträglicher wurden. Der letzte Brief, den sie schrieb, datierte vom 12. August 1941.

Am 24. Mai 1942 gehörte Hedwig Mamsohn zu den 26 Juden aus Wiesbaden, die zusammen mit 930 Frankfurter Juden ins Durchgangslager Izbica in Polen verschleppt wurden. Auf dem Weg dorthin hielt der Zug in Lublin, wo 122 junge Männer zur Arbeit in das Lager Majdanek abgeführt wurden. Die anderen Zuginsassen setzten die Fahrt fort, nachdem sie vorher ihrer restlichen Habe beraubt worden waren. Izbica besaß einen Bahnanschluss und war deshalb zum Standort eines kurzfristigen Auffanglagers und Transitgettos bestimmt worden, solange sich die großen Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka noch im Bau befanden.

Vorkehrungen für die Aufnahme tausender Menschen waren in Izbica nicht getroffen worden. 1941 lebten in diesem polnischen Ort etwa 7.000 Juden. Im Laufe des Jahres 1942 kamen mehr als 16.000 Juden aus dem Deutschen Reich, Österreich und dem "Protektorat Böhmen und Mähren" dazu. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner dieser Kleinstadt waren arm, sie lebten in primitiven Häusern ohne sanitäre Anlagen und kannten keine gepflasterten Straßen. Im ganzen Ort gab es nur zwei öffentliche Toiletten. Die Neuankömmlinge aus dem Westen waren entsprechend schockiert, als sie dort eintrafen. Sie wurden zunächst in öffentlichen Gebäuden untergebracht und sehr bald auch bei den Einheimischen einquartiert. In vielen Häusern lebten oft zehn und mehr Familien auf engstem Raum. Nicht weniger katastrophal war die Lebensmittelversorgung, da keine Reserven bereit standen. Viele Deportierte starben an Hunger oder auf dem Krankenlager, da auch die medizinische Versorgung in jeder Hinsicht mangelhaft war.

Um die Situation zu entschärfen, begannen die deutschen Behörden bald mit dem Abtransport und der Ermordung zunächst der polnischen und dann in zunehmendem Maße auch der anderen Juden. In großen Gruppen wurden sie in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor gebracht, wo sie unmittelbar nach ihrer Ankunft mit Kohlenmonoxid in Räumen, die als Duscheinrichtungen gekennzeichnet waren, ermordet wurden. Ihre Leichen wurden anschließend in Massengräbern auf dem umliegenden Gelände verscharrt.

Hedwig Rosa Mamsohn überlebte den Holocaust nicht. Am 8. Dezember 1952 beschloss das Amtsgericht Wiesbaden, sie auf Antrag ihres Sohnes Erich für tot zu erklären. Als Todestag wurde der 8. Mai 1945 festgelegt.

Ihre Schwester Anna Weinstein (s. www.stolpersteine-hamburg.de) wurde am 25. Oktober 1941 nach Lodz, die Schwester Käthchen Hirschfeld (s. www.stolpersteine-hamburg.de) mit ihrem Mann Isidor am 18. November 1941 nach Minsk deportiert. Auch sie zählen zu den Opfern der Shoah. Das Schicksal ihres am 14. Juni 1885 geborenen Bruders Paul konnte bis jetzt nicht weiter geklärt werden.

Hedwig Mamsohns geschiedener Ehemann Martin Mamsohn emigrierte 1939 nach Bolivien und starb am 18. Mai 1952 in La Paz.

Stand: Juni 2020
© Klaus Möller

Quellen: Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkbuch, Jürgen Sielemann, Paul Flamme (Hrsg.), Hamburg 1995; Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Freie und Hansestadt Hamburg Staatsarchiv, 332-5. 12887-1050 Standesämter; Gedenkbuch für die NS-Opfer aus Wuppertal mit Exzerpt zu Briefnachlass von Hedwig Mamsohn, verfasst von Martin Kohler: http://www.gedenkbuch-wuppertal.de/person/mamsohn, eingesehen am 30.4.2015; https://moebus-flick.de/die-judenhaeuser-wiesbadens/ bahnhofstr-25/hedwig-rosa-mamsohn-geborene-neufeld, eingesehen am 7.6.2020; Harburger Opfer des Nationalsozialismus, Bezirksamt Harburg (Hrsg.), Hamburg-Harburg 2002; Alfred Gottwald, Diana Schulle, Die `Judendeportationen´ aus dem Deutschen Reich 1941–1945, Wiesbaden 2005; Robert Kuwalek, Die letzte Station vor der Vernichtung: das Durchgangsghetto in Izbica, in: Deutsche, Juden, Polen. Geschichte einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert, Andrea Löw, Kerstin Robusch, Stefanie Walter (Hrsg.), Frankfurt am Main 2004; Eberhard Kändler, Gil Hüttenmeister, Der Jüdische Friedhof Harburg, Hamburg 2004, Matthias Heyl, `Vielleicht steht die Synagoge noch!´ – Jüdisches Leben in Harburg 1933–1945, Norderstedt 2009.

druckansicht  / Seitenanfang